In der Schweiz ermordet ein Mann alle zwei Wochen eine Frau in seiner Familie. Polizeilich registrierte Straftaten im Bereich häusliche Gewalt sind zwischen 2013 und 2023 um 20 % gestiegen. Die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen ist ein Symptom des kranken Kapitalismus.

Claudia (Name geändert) arbeitet in einem Frauenhaus und ist Kommunistin. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was es braucht, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen.

Letzten Sommer schlug die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz Alarm: Die meisten Frauenhäuser seien am Limit und immer voll belegt.

Wie erlebst du die Situation?

Vor ein paar Jahren gab es Zeiten, als nur die Hälfte der Betten belegt waren. Seit Corona sind wir eigentlich immer voll ausgelastet. Oft rufen uns Frauen nachts direkt von der Strasse an, nachdem sie mit den Kindern von zuhause geflüchtet sind. Ich muss ihnen dann sagen, dass wir keinen Platz mehr haben. Das ist sehr belastend. 

Wir versuchen sie dann in Frauenhäusern in angrenzenden Kantonen unterzubringen und irgendwie einen Transport zu organisieren. Manchmal sind die anderen Häuser alle ausgelastet, dann müssen wir versuchen, sie temporär irgendwie in Hotels unterzubringen.

Fehlende Betten sind nur ein Teil des Problems, manchmal reichen die Kräfte des Personals auch einfach nicht, um die notwendige Arbeit leisten zu können. Zum Beispiel ist der administrative Aufwand sehr gross.

Wieso ist das so aufwändig?

Der Aufenthalt in einem Frauenhaus wird vom kantonalen Opferschutz nur für ein paar Wochen bezahlt. Das ist unglaublich wenig Zeit. Während die Frauen sich erstmal erholen müssen, führen meine Kolleginnen einen bürokratischen Kampf, um an weitere Finanzierung zu gelangen. Die Frauen sind dabei völlig den Launen und Vorurteilen der Ämter oder einzelnen Beamten ausgesetzt.

Es gibt zum Beispiel Fälle, bei denen die Gemeinde einfach entscheidet, einer Frau den Aufenthalt im Frauenhaus nicht mehr zu bezahlen. Die Frau ist dann gezwungen, zu ihrem Mann zurückzukehren, egal was dieser vorher gemacht hat. Die Gewalt wiederholt sich dann einfach innerhalb kürzester Zeit.

Am Ende steht jedes Amt und jeder Kanton unter Druck zu sparen, auch beim Opferschutz. Ich spüre das auch bei uns im Frauenhaus: Wir müssen zwar keinen Profit machen, aber am Ende des Jahres muss das Budget halt aufgehen. 

Das heisst der gleiche bürgerliche Staat, der Banken mit Milliarden rettet, bringt kein Geld auf um Arbeiterfrauen, die in extremer physischer Gefahr sind zu helfen. Damit zwingt er sie zurück in ihr gefährliches Zuhause und riskiert ihre Leben.

Ja, hinzu kommt auch die rassistische Politik des Schweizer Staats. Ausländische Frauen, die sich scheiden lassen, müssen das Land verlassen, wenn sie die Aufenthaltsbewilligung vor weniger als drei Jahren durch die Heirat erhalten haben. In einigen Ursprungsländern werden geschiedene Frauen geächtet und von der Familie verstossen. 

Diese Frauen werden also vor die Wahl Pest oder Cholera gestellt. Entweder ich bleibe bei meinem missbräuchlichen Ehemann oder ich riskiere, ohne Mittel in mein Heimatland zurückzukehren.

Was sind die Bedingungen, in denen es zu häuslicher Gewalt kommt?

Es ist einfach alles so ein Elend, auch in der Schweiz. Fast alle, die zu uns kommmen, sind in einer prekären finanziellen Lage und oft auch tief verschuldet. 

In vielen Familien müssen beide Eltern 100 % arbeiten, das Geld reicht aber trotzdem hinten und vorne nicht, um die Rechnungen zu bezahlen. Dann müssen sie auch noch irgendwie auf die Kinder aufpassen. In dieser Situation sind viele logischerweise völlig überfordert. In diesen Bedingungen kommt es zu häuslicher Gewalt. Das entschuldigt natürlich nicht, was diese Männer tun, aber es gibt einfach diesen Zusammenhang zwischen Armut und häuslicher Gewalt.

Der Kapitalismus schafft Bedingungen, in denen Frauen unterdrückt bleiben und sexistische Ideen gedeihen?

Genau. Ich habe letztens eine Studie zu Feminiziden gelesen, die sagt, dass Männer ihre Frauen als Besitz sehen und sie dann umbringen, weil niemand anderes das Recht haben soll, sie zu besitzen. Das stimmt wahrscheinlich, aber es ist eine oberflächliche Erklärung. Die Frage ist dann: wieso denken diese Männer das? Es ist kein Wunder, denken die das, in einem System in dem Besitz über allem steht. 

Mir wird oft gesagt, es sei illusorisch, die Gewalt gegen Frauen zu beenden. Es stimmt aber gar nicht, dass Männer von Natur aus sexistisch und gewalttätig sind und Frauen unterdrücken wollen. Frauenunterdrückung gab es ja nicht schon immer, sondern eben genau erst seit es Privatbesitz gibt.

Was braucht es, um die häusliche Gewalt wirklich zu bekämpfen?

Natürlich bräuchte es erstmal mehr Frauenhäuser mit mehr Betten, zu denen alle Frauen Zugang haben. Im Frauenhaus gibt es Unterstützung und alle, die da sind, sind sehr solidarisch miteinander und helfen sich gegenseitig den Alltag und die neue Situation zu bewältigen. Das macht vielen Frauen Mut, einen grossen Schritt zu machen und sich von gewalttätigen Männern zu trennen. 

Aber was wir da machen können, ist am Ende nur oberflächlich ein bisschen Wasser auf einen Brand zu spritzen. Wenn die Betroffenen das Frauenhaus verlassen, sind sie einfach auf einmal völlig alleine.

Was bräuchten die Frauen in dieser Situation?

Es ist sehr schwierig, nur schon eine leistbare Wohnung zu finden. Sozialhilfe bedeutet Armut. Mit dem Einkommen von nur einem Job durchzukommen, ist sehr schwierig. Und sich auch noch um die Kinder und den Haushalt zu kümmern, ist eine riesige Belastung. Mit einem normalen Arbeiterinnenlohn kann man sich ja auch keinen Krippenplatz leisten. 

Ich sehe oft Frauen, die sich trennen, aber ein paar Jahre später wieder mit dem Mann zusammenziehen, weil es alleine einfach nicht geht. Zwei Wohnungen zu bezahlen ist für viele Familien nicht möglich.

Was sie wirklich brauchen, ist Zugang zu guten, günstigen Wohnungen. Dazu gut bezahlte Jobs mit reduzierten Arbeitsstunden. Und natürlich gratis Krippenplätze für alle und wirkliche Hilfe bei der Hausarbeit: also Kantinen und öffentliche Wäschereien zum Beispiel. 

Die Gesundheitsversorgung ist auch ein riesiges Problem: Die Krankenkassenprämien sind eine der schlimmsten Lasten. Frauen und Kinder, die häusliche Gewalt erlebt haben, bräuchten ja psychologische Unterstützung, um Traumata etc. zu überwinden. Es braucht gratis Zugang zu guter Gesundheitsversorgung.

Diese Dinge sind nicht nur im Interesse von Arbeiterfrauen, sondern auch von den Männern. Es würde allen besser gehen damit.

Und diese Verbesserungen könnten sofort umgesetzt werden. Mit den riesigen Ressourcen der Monopole wie der UBS, Roche und Nestle könnten die Arbeiterinnen und Arbeiter recht schnell ein Netz von Kitas und Kantinen auf die Beine stellen. Das würde die Situation der ganzen Arbeiterklasse und besonders der Frauen massiv verbessern. Es würde halt gegen die Profitinteressen der Kapitalisten gehen: Jeder Rappen mehr für die Arbeiterklasse reduziert den Profit. 

Ja, kürzlich kündigte der Bundesrat zum Beispiel an, dass er fast 900 Millionen sparen will bei der Kinderbetreuung. Das wird verheerende Folgen haben für alle Arbeiterfamilien, ganz besonders auch für Mütter.

Der einzige Weg, solche Angriffe abzuwehren oder wirkliche Verbesserungen wie staatliche Kitas zu erkämpfen, ist der gemeinsame Klassenkampf der ganzen Arbeiterklasse. Dein Beispiel der Bundes-Sparmassnahmen zeigt aber, dass sie uns Reformen jederzeit wieder wegnehmen können. In Krisenzeiten wie heute, stimmt das umso mehr. Um soziale Fortschritte wirklich zu sichern, muss die Arbeiterklasse die riesigen Monopole in die eigenen Hände nehmen und die Wirtschaft planen. 

Ja genau! Und das würde die Bedingungen schaffen, um das Problem der Gewalt an Frauen und jeglichen Sexismus wirklich anzugehen. Frauen würden nicht mehr in Verhältnissen leben, die verhindern, dass sie gewalttätige Männer verlassen. Das wären auch Bedingungen, in denen sexistische Ideen nicht mehr florieren. Dann könnte man nicht nur die Unterdrückung der Frauen auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, sondern den Weg ebnen für eine Gesellschaft ohne jegliches Elend, Ausbeutung und Unterdrückung.