Mit 59% tritt die Mehrheit aller AmerikanerInnen in den meisten Fällen für einen legalen Zugang zu Abtreibungen ein. Ungeachtet dessen hat die „demokratische“ Landesregierung von Texas das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper eines Großteils der Bevölkerung massiv angegriffen. Ein Bericht von Erica – Genossin unserer US-amerikanischen Schwesterorganisation.
Seit dem 1. September gilt in Texas ein Abtreibungsverbot ab der 6. Schwangerschaftswoche. Für die meisten Frauen ist diese Frist zu kurz, um eine Schwangerschaft überhaupt zu bemerken. Das Strafmaß bei Verurteilung beträgt 10.000$, wobei nicht nur die betroffene Frau selbst, sondern alle, die „Beihilfe“ geleistet haben, angeklagt werden können. Jeder Bürger kann solche Anzeigen in einem Akt der Selbstjustiz einbringen – für den Tippgeber gibt es mindestens 10.000$ Belohnung.
In vielen anderen Bundesstaaten könnten nun Abtreibungsverbote folgen. Der Oberste Gerichtshof hat – wenig überraschend – mit 5 zu 4 Stimmen für die Durchsetzung des Gesetzes gestimmt. Weder bei Inzest, noch bei Vergewaltigung wird es Ausnahmen geben. Und das, obwohl 43,6% aller Frauen in den USA physische sexuelle Gewalt erleben und nur 50 von 1000 sexuellen Übergriffen zu einer Festnahme führen. Im Fall von Inzest oder Vergewaltigen befürworten 80% aller AmerikanerInnen den Zugang zu legaler Abtreibungsmöglichkeit und sogar eine Mehrheit von 62% der Abtreibungsgegner unterstützt hier eine Ausnahme.
Warum haben so viele kapitalistische PolitikerInnen ein Interesse daran, der Arbeiterklasse den Zugang zu Abtreibungen abzuschneiden? Per se haben sie ja nichts gegen Abtreibungen, wenn es um ihre eigenen Gespielinnen oder ihre Durchführung für den persönlichen Profit geht. Wie immer steht der Versuch politisches Kleingeld zu schlagen über der Gesundheit und dem Wohl der Mehrheit. Vor den 1970er Jahren konnten sich Konservative auf den Rassismus ihrer weißen, evangelikalen Wählerbasis stützen, indem sie offen für die Rassentrennung eintraten. Nachdem die Bürgerrechtsbewegung diese Position unhaltbar gemacht hatte, stützten sie sich von nun an auf Anti-Abtreibungspolitik, um ihre WählerInnen um dieses Thema zu mobilisieren.
Zumindest in Worten scheinen sich liberale PolitikerInnen den Anliegen arbeitender Frauen anzunehmen. Aber was können wir wirklich von ihnen erwarten? Biden nannte das Gesetz „einen noch nie dagewesenen Angriff auf die verfassungsmäßigen Rechte der Frau nach Roe v. Wade“. Als der Fall Roe v. Walde 1973 vor Gericht kam, der zu einem Grundsatzentscheid des Obersten Gerichtshofs führte, nachdem die Abtreibung in den ersten sechs Schwangerschaftsmonaten zulässig sei, war Biden allerdings nicht der Meinung, dass „eine Frau das alleinige Recht hätte zu bestimmen, was mit ihrem Körper geschehen soll“. Heute nennt er das texanische Gesetz „extrem“, weil es Vergewaltigungs- und Inzestopfer dazu zwingt, diese Kinder auszutragen. 1977 allerdings setzte er sich für die Blockierung staatlicher Förderung von Abtreibung in Fällen von Vergewaltigung und Inzest ein.
Bidens Taten sprechen lauter als seine Worte. Sein Abstimmungsverhalten umfasst: ein „Ja“ zum Hyde Amendment (zur Begrenzung der Medicaid-Finanzierung für Abtreibungen); ein „ja“ zum Hatch Amendment (ein Versuch, Roe v. Wade zu kippen); ein „Ja“ zu einem Änderungsantrag von Jesse Helms, der die Bundesfinanzierung für Abtreibungsforschung blockieren würde; uvm. Er hat sogar einen nach ihm benannten Anti-Abtreibungsantrag. Das „Biden Amendment“ zum Foreign Assistance Act verhindert nach wie vor, dass US-Hilfen für medizinische Forschung im Zusammenhang mit Abtreibung verwendet werden. Vielleicht sollte sich der von Biden neu eingeführte „Rat für Geschlechterpolitik“ darauf konzentrieren, seine eigenen Angriffe auf die Rechte der Frauen rückgängig zu machen.
Die Demokraten erweisen sich immer wieder als weder willens noch fähig die Grundrechte der Arbeiterklasse wie das Recht auf Abtreibung zu schützen. Deshalb arbeiten MarxistInnen in den USA auch auf die Gründung einer sozialistischen Massenpartei der Arbeiterklasse hin, als echte Alternative zu den beiden pro-kapitalistischen Parteien.
Angriffe auf reproduktive Gesundheit schädigen nicht nur jene von uns mit einem Uterus, sie sind ein Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse. Eine ungeplante Schwangerschaft kann für lohnabhängige Frauen in den USA tiefe Armut oder Obdachlosigkeit bedeuten. Allein die Geburt im Spital schlägt mit durchschnittlich 10.808 $ zu Buche – sofern keine Komplikationen auftreten. Wenn wir die Versorgung vor und nach der Geburt aufrechnen, kommen wir auf 30.000$.
Im krassen Gegensatz dazu: Die Hälfte der AmerikanerInnen unter 35 Jahren (das typische gebärfähige Alter) hat weniger als 3240$ auf dem Bankkonto. Bei AfroamerikanerInnen reduziert sich die Summe auf 1150$ und bei Latinos auf 1950$. Mit anderen Worten: ein Kind zu gebären bedeutet für Millionen AmerikanerInnen lebenslange Schulden, sogar wenn die Schwangerschaft gewünscht ist. Sowohl eine Schwangerschaft, als auch eine Abtreibung im Ausland, bringen für die große Mehrzahl nicht bewältigbare Kosten mit sich.
Finanzielle Notlagen betreffen nie nur eine isolierte, individuelle Frau; wenn es uns trifft, gehen die Jungen und Männer in unserem Leben mit uns unter. Wenn man uns dazu zwingt, ein Kind zu gebären, ist es zu ungefähr 50% männlich. Derzeit bekommen 13 Millionen Kinder in den USA nicht genug zu essen. Die Hälfte dieser Kinder sind Jungen, denen sicherlich nicht durch ihr „männliches Privileg“ geholfen wird. Das ist nur einer der Gründe, warum die Arbeiterklasse ein unleugbares, materielles Interesse daran hat, für volle reproduktive Rechte zu kämpfen. Abtreibung wird dann Teil eines vergesellschafteten, voll zugänglichen Gesundheitssystems, das seine Leistungen kostenlos und unter Arbeiterkontrolle anbietet.
Wie oben angeführt unterstützt die Mehrheit der AmerikanerInnen das Recht auf Abtreibung. Aber wie in so vielen Fällen bedeutet der Wille der Mehrheit nichts in einem System, das Demokratie nur für Reiche bietet. Um die Probleme der arbeitenden Bevölkerung zu lösen, sollten wir nicht auf kapitalistische Regierungen hoffen. Nur eine Arbeiterregierung kann wirklich die Interessen der Mehrheit vertreten.
In dem Kontext sollte man auch daran erinnern, dass der von der Oktoberrevolution errichtete revolutionäre Arbeiterstaat als erste Regierung der Welt vor über 100 Jahren Abtreibung vollständig legalisierte – und das im rückständigen Russland. Kann dieser unglaubliche Erfolg wiederholt werden? Wir haben jeden Grund davon auszugehen.
Organisier dich jetzt für die Revolution!
geschrieben von Erica L. von Socialist Revolution
Bild: pixabay, Bones64
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024