Um eine mickrige Million Franken zum Schutz vor Gewalt an Frauen ging es am Montag im Nationalrat. Die Bürgerlichen haben den Frauen die Million verweigert, aber gleichzeitig 3.6 Millionen für Schafe gesprochen.
«In welcher Welt werden Schafe vor Frauen priorisiert?», sagte SP-Nationalrätin Funiciello in einem Video aus dem Parlament heraus. Und stiess damit auf ein riesiges Echo: Zuerst ging das Video viral, dann protestierten Hunderte am Abend spontan vor dem Bundeshaus und Hunderttausende unterschrieben eine Petition gegen den Beschluss.
Unter diesem Druck hiess der Ständerat die Million am Dienstag gut. Das ist ein Teilsieg, aus dem die Linke zwei wichtige Lektionen für die kommende Periode ziehen muss.
Erstens ging es bei diesem Aufschrei um viel mehr als die eine Million. Funiciello hat deshalb ein derart riesiges Echo gekriegt, weil ihre Worte ein weit verbreitetes Gefühl ausdrücken: Für die Leute da oben sind wir einen Dreck wert, die behandeln uns wie Tiere.
Wie unmenschlich sind bitteschön Politiker, die nach bereits 27 Femiziden dieses Jahr nicht einmal eine Million mehr zum Ausbau des Opferschutzes sprechen – und das in einem der reichsten Länder der Welt. Ihre Verachtung gegenüber Opfern sexueller Gewalt entblösst besonders krass, was insgesamt stimmt: Wir werden von menschenverachtenden Leuten beherrscht.
Dieses Gefühl macht sich zunehmend breit, weil es den realen Erfahrungen der letzten Jahre entspricht. Die ganze Politik dient nicht uns, sondern denen da oben. Für ihre Grosskonzerne gibt’s Steuergeschenke, für ihre Grossbanken Rettungspakete und ihr Militär wird mit Milliarden aufgestockt – während unsere Gesundheit, unsere Bildung und unsere Renten kaputtgespart werden.
Es wird immer offensichtlicher, wer die Schweiz regiert und für welche Interessen: Die Pharma- und Finanz-Milliardäre, die mit Goldbarren zu Trump fliegen, um sich bessere Profit-Beziehungen zu erkaufen. Sie kontrollieren den Staat. Sie diktieren die Politik. Sie verteidigen ihr Klasseninteresse gegen unseres – und das Jahr für Jahr brutaler.
Dagegen hat sich in der Arbeiterklasse eine tiefe Wut angestaut. Die nicht gesprochene Million zum Schutz von Frauen war ein kleiner Dammbruch, der diese tiefe Stimmung in der Gesellschaft zur Oberfläche gebracht hat. Auf diese muss sich die Linke voll und ganz stützen. Hierin liegt das Potenzial zum Kampf.
Am Dienstagabend war dies greifbar. Die Stimmung auf dem Bundesplatz war geprägt von einer tiefen Wut gegen das Parlament der Reichen und Mächtigen. «Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns das Leben klaut», lautete einer der Slogans.
Gleichzeitig wird die SP-Petition bald die Halbe-Million-Marke knacken. Von wegen, die Schweizer Arbeiterklasse ist «zu privilegiert» oder «zu sexistisch», um kollektiv kämpfen zu können. Hunderttausende haben ihre Klassensolidarität unter Beweis gestellt.
Ganz im Gegensatz zu den bürgerlichen Parlamentariern, die sich über die Tausenden Mails aus der Bevölkerung beklagen. Das sei ein «Angriff auf die Funktionsweise des Parlaments», sagt FDPler Caroni, und ein «Manöver» der SP. Damit beweisen die Berufspolitiker nur, wie abgehoben sie von der Realität und Stimmung in der normalen Bevölkerung sind.
Indem sie unsere schöne Demokratie weiter als Farce entblössen, giessen sie noch mehr Öl ins Feuer: Wir dürfen solange mitreden, wie wir nicht unsere Interessen verteidigen. Der bürgerliche Staat ist der Staat der Kapitalistenklasse. Das Parlament ist ihr Terrain, nicht unseres. Nicht durch das Parlament hat die Arbeiterklasse den Teilerfolg am Dienstag erzielt – sondern dank einer Massenmobilisierung gegen das Parlament!
Daraus ergibt sich die zweite Lektion für die Linke: Mit Massenmobilisierungen können wir Siege erreichen. Nur schon eine 24-stündige Mobilisierung brachte die Bürgerlichen ins Schwitzen.
Diesen Massenkampf vorwärts zu treiben ist nötig: Denn zum wirklichen Schutz vor Gewalt an Frauen und für ein gutes Leben für alle braucht es mehr: mehr Frauenhäuser, aber vor allem müssen die Bedingungen verändert werden, das heisst Kitas, Kantinen, Spitäler, gleiche und gute Löhne etc. Das kostet nicht Millionen, sondern Milliarden. Eine 24-stündige Mobilisierung mit Protest und Petition reicht eventuell für eine Million, für die dringend nötigen Milliarden braucht es viel mehr.
Die Kantonsangestellten im Waadtland zeigen es vor: Ihre Streikbewegung fordert die Rücknahme aller Sparmassnahmen. Einige Sektoren haben vor, solange zu streiken, bis alle Forderungen erfüllt sind. Das braucht es überall, darauf müssen wir auch hier hinarbeiten. Denn die Macht der Arbeiterklasse liegt in den Betrieben. Sie schafft allen Reichtum, hält die Gesellschaft aufrecht. Hier können wir die Mächtigen wirklich unter Druck setzen und zu entscheidenden Verbesserungen zwingen.
Das Potenzial dazu ist vorhanden. Es ist viel mehr möglich als nur der kleine Teilsieg. Die SP hat jetzt Hunderttausende Kontaktdaten von Jugendlichen und Arbeiterinnen und Arbeitern, die aktiv etwas tun wollen gegen Femizide und für ein gutes Leben. Mit einem Demo-Aufruf «Für eine Massenmobilisierung gegen ihre Krisenpolitik», wäre es möglich, Zehntausende für eine nationale Demo zu mobilisieren. Als Auftakt zu einem nationalen Kampf, mit einem Plan zur Verbindung der verschiedenen Teilkämpfe – gegen die ganze bürgerliche Krisenpolitik.
Wir Kommunisten verstehen die Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft, die mit den Kapitalisten und ihrem Staat brechen muss, um wirkliche und nachhaltige Verbesserungen zu erkämpfen. Das Parlament kann unter Umständen ein nützliches Mittel dazu sein (wie an diesem Dienstag) – mehr aber nie.
Der tiefe Hass auf die Kapitalistenklasse muss kanalisiert werden in die Vorbereitung der kommenden Massenkämpfe gegen diese. Dort braucht es ein Programm, das bedingungslos die Interessen der Arbeiterklasse verteidigt: Für ein gutes Leben, gegen Armut, Ausbeutung, Gewalt und Unterdrückung! Dafür holen wir den Reichtum zurück, den wir als Klasse erschaffen haben: Enteignen wir die Banken und Milliardäre!
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