Überall auf der Welt werden neue Schichten von ArbeiterInnen in den Kampf hineingezogen zur Verteidigung ihres Lebens und ihres Lebensunterhalts. In diesem Prozess organisieren sie sich und verändern die Gewerkschaftsbewegung. Dies ist ein Vorbote der Kämpfe, die noch kommen werden.
Der kürzliche Erfolg der gewerkschaftlichen Organisierung im JFK8-Fulfillment-Zentrum von Amazon in New York hat in der internationalen Arbeiterbewegung Jubel ausgelöst – und bei den Kapitalisten überall Panik. Dieser Sieg bei Amazon ist nur das bekannteste Beispiel für einen Prozess, der sich in den gesamten USA abspielt.
Über 200 Starbucks-Filialen beantragten kürzlich Abstimmungen über die gewerkschaftliche Organisierung. In 25 Filialen wurden in den letzten Monaten bereits solche Abstimmungen gewonnen. Auch die Beschäftigten der Apple Stores in New York City beginnen sich zu organisieren.
Doch es handelt sich nicht um eine amerikanische Besonderheit. Derselbe Prozess findet in Grossbritannien statt. Tausende sind in den letzten Jahren den Gewerkschaften wie Unite, Unison oder GMB beigetreten. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder ist seit 2017 jedes Jahr gestiegen.
Darüber hinaus drücken diese frischen, kämpferischen Schichten, die in den Kampf eintreten, diesem ihren Stempel auf. Die Zahl der Streiks im Vereinigten Königreich ist so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Der Gewerkschaftsbund TUC hat im vergangenen Jahr über 300 Streiks registriert.
Die Militanz in den Betrieben ging an der herrschenden Klasse nicht unbemerkt vorbei. Die BBC behauptete kürzlich in einem Artikel gar, wir stünden am Beginn eines «goldenen Zeitalters» für die Gewerkschaften auf beiden Seiten des Atlantiks. Der Artikel hebt zwei Faktoren hervor, welche die ArbeiterInnen zur Erkenntnis bewegen, dass sie sich wehren müssen, um zu überleben: erstens zeigte ihnen die Erfahrung während der Pandemie, dass sie von ihren Bossen für austauschbar gehalten wurden; zweitens die galoppierende Inflation der letzten Monate.
Das Beispiel von Amazon zeigt, wie neue Schichten der Arbeiterklasse durch die zunehmend unerträglichen Lebensbedingungen im Kapitalismus gezwungen werden, sich zu organisieren. Auf die Frage eines Journalisten des englischen Economist-Magazins, was sie antreibe, antwortete ein Amazon-Organisator, es sei ein Gefühl, «das weniger an Optimismus als vielmehr an Notwendigkeit» erinnert. In der Vergangenheit wurden solche ArbeiterInnen von Gewerkschaftsführern als «unorganisierbar» abgetan auf beiden Seiten des Atlantiks.
In den USA vernachlässigten die etablierten Gewerkschaften des Gewerkschaftsbundes AFL-CIO ihre Pflicht, Dienstleistungsbeschäftigte wie die bei Starbucks oder McDonalds zu organisieren. Sie glaubten, dass diese Aufgabe angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Bemühungen der Bosse «zu schwierig» sei und wenig bringen würde. Auch in Grossbritannien wurden Kuriere und Fast-Food-Beschäftigte in der Vergangenheit von den Gewerkschaftsführern ähnlich gesehen. Aber sie haben sich immer wieder getäuscht.
Im Grunde genommen unterscheiden sie sich nicht von den Ausreden der New Model Unions des 19. Jahrhunderts, die sich ebenfalls der Verantwortung für die Organisierung der Unorganisierten entzogen hatten. Genau wie heute erlebten diese Bürokraten, die sich mit dem Status quo abfanden, ein böses Erwachen, als die New Unionism-Bewegung Grossbritannien überrollte. Es war eine ähnliche Zeit wie heute: eine stagnierende Wirtschaft, eine langwierige kapitalistische Krise, eine wachsende Militanz der Arbeiterschaft und soziale Umwälzungen.
Diejenigen, welche jetzt in die Gewerkschaften strömen, gehören in der Regel zu den am stärksten unterdrückten und geknechteten Teile der Arbeiterklasse. In den USA machen weibliche Beschäftigte inzwischen rund 47 % aller Gewerkschaftsmitglieder aus. Gleichzeitig ist im Vereinigten Königreich der Frauenanteil in den Gewerkschaften so hoch wie seit 1995 nicht mehr.
In Grossbritannien ist der gewerkschaftliche Organisierungsgrad unter den schwarzen ArbeiterInnen derzeit am höchsten. Und oft sind es diese Schichten, welche die Kämpfe anführen. Ein Beispiel ist der erfolgreiche Streik gegen den Auslagerungs-Riesen Serco in Londoner Krankenhäusern. Dieser wurde überwiegend von schwarzen und asiatischen Reinigungskräften, Caterern und Pförtnern getragen, die bei Unite organisiert sind. Auch das Sicherheitspersonal im Great Ormond Street Hospital (mehrheitlich Schwarze und AsiatInnen) führt einen ähnlichen Kampf gegen die Auslagerung. Im Februar und März kam es zu einem sechswöchigen Streik. Trotz der rassistischen Beleidigungen und Unterdrückung der Gewerkschaft, liessen sich die Lohnabhängigen nicht entmutigen und sind fest entschlossen, den Kampf zu gewinnen.
Pedanten und Zyniker mögen auf bestimmte Statistiken verweisen, wenn sie den heutigen Organisierungsgrad in den Gewerkschaften mit jenem der Vergangenheit vergleichen. Im Vereinigten Königreich zum Beispiel waren 1979 13 Millionen Menschen in den Gewerkschaften, heute sind es nur noch 6,6 Millionen. In den USA waren 1980 20 % der amerikanischen ArbeiterInnen in einer Gewerkschaft, heute sind es etwa 10 %. Aber diese Zahlen sollten für die Kapitalistenklasse ein schwacher Trost sein.
Die Entwicklungsrichtung ist klar. Es ist unbestreitbar, dass in einer Reihe von Schlüsselländern in den letzten Monaten und Jahren sowohl die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder als auch die Zahl der Streiks deutlich zugenommen hat. Noch vor wenigen Monaten war keine einzige Starbucks-Filiale in den USA gewerkschaftlich organisiert, und auch kein einziges Amazon-Fulfillment-Center.
Grossbritannien und die USA sind keine Einzelfälle. Auch in anderen Ländern ist eine Zunahme der gewerkschaftlichen Organisierung und der Streiks zu beobachten. Die Türkei erlebte zu Beginn des Jahres 2022 eine Streikwelle. Prekäre Beschäftigte des Kurierdienstes Trendyol Express stellten die Führung und lösten eine Welle von Aktionen aus, welche die gesamte Wirtschaft erfasste. Mindestens 108 Streiks fanden zwischen Januar und Februar statt.
Überall auf der Welt steht die Arbeiterklasse unter Beschuss. Zunehmend angewidert vom korrupten Establishment und vom maroden System, das nichts als Elend bietet, suchen die ArbeiterInnen nach einem Ausweg. Dies ist ein fertiges Rezept für einen explosiven Klassenkampf überall. Folglich organisieren sich die ArbeiterInnen massenhaft und wenden sich den traditionellen Methoden des Klassenkampfes zu: kollektive Aktionen und Streiks. Und diese neuen und kämpferischen Schichten der Arbeiterklasse werden Gewerkschaftsführungen fordern – und fordern sie bereits –, die bereit sind, sich den vor ihnen liegenden Herausforderungen zu stellen. Die Gewerkschaften werden von oben bis unten durchgeschüttelt werden.
Die Aufgabe der Marxisten in diesem Prozess ist es, eine klare Perspektive zu bieten. Wir müssen, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest schreiben, «Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung» haben und diese Einsicht in den Kampf tragen. Eine derartige Perspektive ist von entscheidender Bedeutung im Kampf um die Umwandlung der Gewerkschaften in Waffen des Klassenkampfes – Organisationen, die sich nicht die Flickschusterei des Kapitalismus zum Ziel setzen, sondern dieses verrottete System ein für alle Mal zu zerschlagen.
Arbeiterinnen und Arbeiter aller Länder: vereinigt euch! Wir haben nichts zu verlieren ausser unseren Ketten. Wir haben eine Welt zu gewinnen.
Dylan Cope
Socialist Appeal, IMT Grossbritannien
Quelle Bild: https://www.flickr.com/photos/109799466@N06/51057421457
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