An der Delegiertenversammlung der JUSO vom 10. Mai in Basel werden wir erneut über ein Agrarpapier befinden. Dies, nachdem ein Agrarpapier der vorherigen Geschäftsleitung aufgrund seiner Schwäche gescheitert ist. Die damalige Delegiertenversammlung bestimmte darum eine Arbeitsgruppe, welche ein neues ausarbeiten sollte, das aber zugunsten eines von der neuen Geschäftsleitung geschriebenen Papiers zurückgezogen wurde. Dieses Papier ist allerdings derart schwach, dass wir es auch nach zahlreichen Verbesserungen nicht unterstützen können. Wieso dem so ist, versuchen wir nun aufzuzeigen.
Der Kapitalismus und seine Zerstörung der „guten“ Landwirtschaft
Bereits im ersten Absatz zeigt sich die Schwäche des Papiers. Zwar ist es durchaus richtig, dass auch die Landwirtschaft der kapitalistischen Rendite-Logik unterstellt wurde. Doch können wir die Entwicklung der Landwirtschaft unter dem Kapitalismus kaum als einen Rückschritt betrachten, da er mit dem Feudalismus Schluss gemacht hat, welcher die Landwirtschaft wie ein Parasit ausgesogen hat. Erst die Rendite-Logik hat mit der unproduktiven Konsumption der landwirtschaftlichen Überschüsse Schluss gemacht und den Weg bereitet für eine enorme Mechanisierung und Massenproduktion.
Geändert haben sich unter dem Kapitalismus nicht etwa der Zweck der Landwirtschaft, wie es im Agrarpapier heisst, sondern nur die Produktionsverhältnisse. Die Abgaben an den Feudalherrn wurden ersetzt durch den Profit des Kapitalisten. Das Problem ist hier nicht etwa die Landwirtschaft selbst, sondern die Besitzverhältnisse. Dass Hunger auf der Welt herrscht und herrschte liegt ganz einfach daran, dass es Menschen gibt, welche die Nahrungsmittel besitzen und andere, welche keine Mittel besitzen, um diese zu erwerben. So schreibt die Geschäftsleitung auch selbst, es gäbe genug Nahrungsmittel, jedoch keine zahlungskräftigen Käufer.
Weiter ist es falsch, dass die Grosskonzernen und deren Lakaien, die westlichen Nationalstaaten, es nötig hatten, die Entwicklungsländer zu zwingen, Schutzzölle abzubauen. Fehlende Schutzzölle sind kein neues Phänomen, tatsächlich hatten die Entwicklungsländer in den seltensten Fällen ernst zu nehmende Schutzzölle, denn diese setzen einen starken, unabhängigen Staat voraus, den diese Länder trotz der formalen Unabhängigkeit nie hatten.
Sozialistische oder kapitalistische Landwirtschaft?
Zusätzlich Verwirrung stiften die widersprüchlichen Vorstellungen der zukünftigen Landwirtschaft. So heisst es: „Hunger und Armut können nur in einem Wirtschaftssystem verhindert werden, welches ein Ende mit dem Zwang zur Profitmaximierung macht und dem stattdessen eine Produktionsweise zugrunde liegt, die auf den Prinzipien von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität fusst.“ So weit so gut. Weiter unten muss es eine Politik sein „die den weltweiten Hunger ernsthaft bekämpft und bereit ist der Privatwirtschaft Grenzen zu setzen.“ Oben eine sozialistische Landwirtschaft, weiter unten ein regulierter Kapitalismus, gefolgt vom letzten Satz, welcher die kapitalistische Landwirtschaft als gescheitert erklärt. Es steht zwei zu eins.
Zum Selbstversorgungsgrad und den tierischen Produkten
Die Schweizer Landwirtschaft wird bereits heute sehr intensiv betrieben, so ist der Nettoselbstversorgungsgrad mit 52.5 Prozent auf der höhe des zweiten Weltkriegs.Die Geschäftsleitung fordert nun, zusammen mit der SVP, einen noch höheren Selbstersorgungsgrad. Ebenfalls weden Massnahmen zur Verringerung des Fleischkonsums gefordert. Beides um der Umwelt willen. Dabei wird ausser Acht gelassen, was für Nebenwirkungen ein erzwungener, erhöhter Selbstversorgungsgrad und die Senkung des Fleischkonsums nach sich ziehen werden. Des Weiteren sind Teile der Forderungen der Geschäftsleitung bereits umgesetzt.
Die sozialen Folgen
Beginnen wir mit dem offensichtlichen, den sozialen Folgen. Nahrungsmittel kommen in die Schweiz, weil es entweder nicht möglich ist, sie hier zu produzieren, oder sie im Ausland günstiger hergestellt werden können. Fallen nun diese günstigeren Nahrungsmittel weg, so kriegt dies nicht etwa ein Joe Jimenez zu spüren, sondern die Frau, welche sein Büro reinigen muss. Dasselbe zählt für die tierischen Produkte. Gefordert werden einerseits die Einschränkung der Produktion von tierischen Produkten und andererseits die Erhöhung der Zölle, was unweigerlich einen Anstieg der Preise zur Folge hätte. Das bedeutet für Menschen, denen es finanziell schlecht geht, den Verzicht auf Fleisch, und eine Reduktion des Konsums von anderen tierischen Produkten. Die Herren und Damen der Geschäftsleitung wird dies nach fertiger Ausbildung jedoch kaum treffen. Es kann nicht sein, dass der Konsum von tierischen Produkten das Privileg von Besserverdienenden wird.
Wenn wir uns nun die Forderung „Der Bund muss lenkende Massnahmen einleiten, welche den Konsum von tierischen Produkten minimiert“ ansehen, so können dies nur zwei ernst zu nehmende Massnahmen sein: Entweder es geschieht ebenfalls über den Preis, die Folgen haben wir bereits beschrieben, oder es werden Bezugsscheine ausgeteilt, welchen die Person berechtigt eine gewisse Menge an tierischen Produkten zu beziehen. Eine Zeitreise in die Verteilformen des zweiten Weltkriegs.
Folgen für die Umwelt
Es scheint zwar im ersten Moment einleuchtend, dass ein langer Transportweg der Umwelt schadet, doch wird hier eines Vergessen: die Umwelt selbst. Tatsächlich ist es so, dass unsere Böden für zahlreiche Pflanzen nicht optimal sind. Wollten wir unseren Selbstversorgungsgrad erhöhen so hätte das unweigerlich eine Intensivierung der Landwirtschaft zur Folge. Sprich eine stärkere Belastung der Böden durch Pestizide und Dünger. Am Ende wird die Rechnung nicht aufgehen, da die Umweltbelastung durch unsere Landwirtschaft die Folgen des Transports übersteigt.
Bemerkenswert ist auch, wie einfach die Macken eigener Liebschaften übersehen werden. So scheint es der Geschäftsleitung kein Dorn im Auge zu sein, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn in der EU ein Rind von Geburt bis Menschenmagen vier Länder durchquert hat. Ist das die EU, von welcher wir ein Teil sein wollen? Oder hoffen wir einfach darauf, dass wir, bei sonstigem Freihandel, eine Ernährungssouverainität durchsetzen können?
Weitere Folgen und was von den Forderungen bereits in Kraft ist
Um unseren Selbstversorgungsgrad zu erhöhen, müssten wir zudem das Bevölkerungswachstum einschränken, was unmöglich eine Forderung von uns sein kann. Es würde auch bedeuteten, dass wir unsere Ernährung massiv umstellen müssten, da viele für uns wichtige Nahrungsmittel in der Schweiz nicht hergestellt werden können. Wir müssten beispielsweise weniger Reis und Spaghetti, also besonders günstige Nahrungsmittel, konsumieren. Auch ein beschränkter Bananenkonsum wie damals in der DDR wäre eine Möglichkeit.
Im Falle der Bevorzugung einheimischer Produkte wäre es eventuell sinnvoll gewesen, die bestehenden Massnahmen unter die Lupe zu nehmen. So hätte die GL erkannt, dass bereits Importzölle auf allen saisonalen Produkten liegen und ausländische Produkte dadurch nicht konkurrenzfähig sind.
Nachhaltige Schweizer Landwirtschaft
Im gleichnamigen Abschnitt kritisiert das Agrarpapier die PR-Maschinerie der Schweizer Landwirtschaft, die ein falsches Bild vermittelt. So stellen sie fest: „Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung ist auch die Schweizer Landwirtschaft intensiv und hoch mechanisiert.“ Es ist wahr, dass vor allem idyllische Bergbauernhöfe gezeigt werden und nicht die intensive Feldwirtschaft. Jedoch ist kaum davon auszugehen, dass sich jemand schockiert zeigt wenn nun auskommt, dass unsere Felder nicht mehr von einem Ochsengespann beackert werden.
Wenn wir nun die Forderungen zu diesem Abschnitt betrachten, so wird eines klar: diejenigen, denen es finanziell gut geht, werden nicht angetastet. Stärkere Tierschutzbestimmungen sind zwar zu unterstützen, bedeuten jedoch höhere Kosten, die wiederum höhere Preise zur Folge haben. Dasselbe gilt für die Förderung biologischer Landwirtschaft. Entweder wir akzeptieren, dass wir den sozial Schwachen für die Umwelt schaden, oder wir führen dazu Subventionen ein, die tatsächlich gerecht sind. Sollen die Bonzen dem Arbeiter das Bio-Steak zahlen.
Was bedeuten gute Löhne für die Schweizer Landwirtschaft?
Endlich, im vierten Abschnitt, finden wir durchwegs brauchbare Forderungen. Doch müssen wir uns im Klaren sein, was diese für Konsequenzen haben und weswegen sie sich mit dem Ziel des höheren Selbstversorgungsgrad beissen.
Verdient nämlich der polnische Hilfsarbeiter 4000 Fr., so bleibt ihm ein höheres Einkommen als dem Bergbauern. Dass so die mit dem Flachland nicht konkurrenzfähigen, von Direktzahlungen am Leben erhaltenen Bergbauern vom Markt verschwinden, ist etwas, mit dem wir leben müssen. Sie könnten problemlos die wichtige Arbeit der Landschaftspflege als Staatsangestellte weiterführen. Dies zu einem weit besseren Lohn. Nun fallen so jedoch zahlreiche Kleinbetriebe weg, welche den Schweizer Lebensmittelmarkt nicht mehr versorgen können. Der Grad der Selbstversorgung nimmt weiter ab.
Der Bund muss prüfen, die Schweiz setzt sich ein
Wir verzichten detaillierter auf die folgenden drei Abschnitte einzugehen, da die darin enthaltenen Forderungen nutzlos sind, weil sie nur beinhalten, dass sich die Schweiz für etwas einsetzt, der Bund etwas prüft, die einheimische Saatgutproduktion fördert und die Schweiz weiteres prüft. Ausgenommen von der Nutzlosigkeit ist das Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln, die dann allerdings einfach die Schweiz verlässt, um anderswo zu wüten.
Hervorzuheben ist noch die Forderung nach der Strafverfolgung von Grosskonzernen mit Sitz in der Schweiz. Wir unterstützen diese Forderung, weisen jedoch daraufhin, dass diese Unternehmen sich hier in der Schweiz befinden, weil sie hier unbehelligt schalten und walten können. Sollte sich das ändern, würden sie kurzerhand abwandern, weswegen natürlich keine Träne von unserer Seite vergossen werden wird.
Was nun?
Es ist uns nicht möglich, ein eigenes Papier zu verfassen, das hier und jetzt die Probleme mit dem Welthunger und unserer eigenen Landwirtschaft lösen kann. Wollen wir aber tatsächlich die Kontrolle über unsere Landwirtschaft, so müssen wir diese aus den privaten Händen entreissenund somit den Markt ausschalten, welcher in der Frage unserer Ernährung nichts zu suchen hat. Haben wir die volle Macht darüber, was und wie in der Landwirtschaft produziert wird, können wir nach objektiven und nicht moralischen Kriterien darüber bestimmen, was importiert wird und was nicht. Es muss uns aber bewusst sein, dass die Schweiz kein Agrarstaat ist und dies auch niemals sein kann.Dass wir mit den Massnahmen des Agrarpapiers tatsächlich etwas zum Guten verändern können, ist eine Illusion.
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