Premierministerin May steht nach der zweiten schallenden Niederlage ihres Brexit-Deals mit dem Rücken zur Wand. Die Tory-Regierung ist im Amt, aber nicht an der Macht. Jeremy Corbyn hat richtigerweise Neuwahlen gefordert, um die Brexit-Blockade zu überwinden.
Das Ergebnis der Abstimmung im Parlament kam für niemanden überraschend. Nach wochenlangen vergeblichen Plädoyers für weitere Zugeständnisse aus Brüssel erwartete die Tory-Chefin selbst zweifellos, dass ihr Deal erneut entschieden abgelehnt würde. Ihr blieb aber nichts anderes übrig, als die Abstimmung durchzuführen.
Ende letzten Jahres überlebte May noch ein Misstrauensvotum. Mit dem definitiven Scheitern ihres Brexit-Deals wächst jetzt aber der Druck, zurückzutreten. «Niemand im Kabinett glaubt, dass sie bis Ende des Jahres noch Premierministerin sein wird», meinte ein Minister. «Ich vermute, die Männer in grauen Anzügen werden kurz nach dem Brexit-Tag zu Besuch sein.»
Diese mysteriösen «Männer in grauen Anzügen» sind die Vertreter des Establishments, die im Hintergrund der Konservativen Partei die Fäden ziehen und unbeliebten Vorsitzenden sagen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist.
Die heutige Tory-Partei ist nicht mehr die von Eden, Macmillan oder gar Churchill. Heutzutage sind es die Vertreter des rechten Flügels, die das Sagen haben. Anstatt die Interessen des Großkapitals zu vertreten, wie es ihre traditionelle Rolle war, haben die Vertreter des rechten Flügels die Konservativen in eine extrem reaktionäre, euroskeptische Partei verwandelt. Dies führte schließlich zu dem verheerenden EU-Referendum, dessen Ergebnis das Großkapital schockierte und die grösste offene Spaltung in der herrschenden Klasse seit 200 Jahren produzierte. Die Männer in grauen Anzügen sind nun damit beschäftigt, einen Weg aus dieser Sackgasse zu finden.
Ihr Hauptproblem ist jetzt, eine zuverlässige Nachfolge für May zu finden. Vor zwei Jahren hielt das Establishment May für die zuverlässigste Wahl. Sie hat sich aber als Katastrophe herausgestellt. Dies spiegelt den miserablen Zustand des britischen Kapitalismus wider. Was auch immer die herrschende Klasse tut und wen auch immer sie wählt – es wird sich als falsch erweisen.
Das Rennen um die Nachfolge von May ist bereits im Gange. Im Moment scheint Boris Johnson der Spitzenreiter zu sein. Er galt als nutzloser Aussenminister und ist weiterhin unbeliebt bei seinen KollegInnen, kann aber auf die Unterstützung der reaktionären Parteibasis zählen. Seine rassistischen Bemerkungen über burkatragende muslimische Frauen, «die wie Briefkästen aussehen» und Schwarze mit «Wassermelonenlächeln» kommen bei diesen Fanatikern sehr gut an.
In einer anderen Ära wäre Philip Hammond, der die Interessen der Wirtschaft im Kabinett am Klarsten vertritt, die erste Wahl gewesen. Aber er hat alle Ambitionen, Vorsitzender zu werden, mit seiner Unterstützung für eine enge Verbindung zur EU aufgeben müssen.
Ein konservativer Abgeordneter fasst das Rennen um die Nachfolge von May mit einer Fusballanalogie treffend zusammen: «Dieses Führungsrennen ist wie die Auswahl der viertbesten Elf.»
Der Mangel an echtem Talent in der Tory-Partei spiegelt die Position des britischen Kapitalismus genau wider. Von einem der stabilsten Länder Europas ist Grossbritannien zu einem der instabilsten geworden. Die herrschende Klasse und ihre «VertreterInnen» sitzen in der Klemme. Sie verteidigen ein System, das auseinander fällt, und versuchen vergeblich, den kaputten Status quo aufrechtzuerhalten.
Das Chaos bei den Tories ist jetzt die Gelegenheit für die Labour, Neuwahlen zu erzwingen. Doch der rechte Flügel der Labour-Partei richtet seine Angriffe nicht gegen die Tories, sondern gegen Corbyn und die Linke in der eigenen Partei. Eine mutige Kampagne könnte diese Angriffe der Blairites unterbinden. Dies passierte schon 2017, als Corbyn auf die kurzfristigen Neuwahlen reagierte, indem er ein inspirierendes, linkes Programm vorlegte, das durch eine dynamische Kampagne von Massenkundgebungen unterstützt wurde.
Nur wenn wir die Tories vertreiben und eine sozialistische Labour-Regierung an die Macht bringen, können wir die Brexit-Krise beenden und die Probleme der Arbeiterklasse im ganzen Land lösen.
Rob Sewell und Adam Booth
Socialist Appeal
Imperialismus, Kolonialismus & Nationale Frage — von Jorge Martín, April 2024 — 03. 10. 2024
Nah-Ost — von Fred Weston, marxist.com — 30. 09. 2024
Kunst & Kultur — von Felix Looby, Basel — 28. 09. 2024