Bild: © Geoff Llerena
Die Aufhebung des Mindestkurses am 15. Januar 2015 hat in der Schweiz eine neue Etappe eingeläutet. Die Reaktion vieler Unternehmen auf den erstarkten Franken bestand darin, ihre (nicht selten vermeintlichen) zukünftigen Verluste auf die ArbeiterInnen abzuwälzen. Dies indem sie die Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn verlängerten, die Arbeit intensivierten, die Automatisierung vorantrieben und infolgedessen auch ArbeiterInnen entliessen. Des Weiteren fanden Versuche statt, die GrenzgängerInnen zum alten Kurs in Euro zu bezahlen.
Ende 2015 begann eine Welle von Entlassungen. Mehr als 6 000 gestrichene Stellen wurden zwischen November und Mitte Februar bereits angekündigt und die Meldungen halten weiter an. Bis Ende Jahr sollen laut Schätzungen weitere 20 000 Arbeitsplätze vernichtet oder ausgelagert werden.
Beispiele gibt es viele. So der Lifthersteller Schindler, der in Luzern 120 ArbeiterInnen entliess. Oder der von der Zürcher Industriegruppe Bucher kontrollierte Landmaschinenhersteller Kuhn, welcher per Ende September 400 MitarbeiterInnen auf die Strasse stellte, was rund 8 Prozent aller bei Kuhn Beschäftigten ausmacht. Zu den Unternehmen, die kürzlich entlassen haben, gehören auch Firmen wie Sauter. Das Unternehmen hatte seinen ArbeiterInnen zuvor versprochen, sie könnten ihren Arbeitsplatz behalten, wenn sie gratis Mehrarbeit leisteten – und entliess wenig später 100 ArbeiterInnen! Die wirtschaftlichen Hintergründe dieser Entlassungen möchten wir im Folgenden genauer betrachten.
Starker Rückgang des Exports von Produktionsmitteln
Auch wenn die Entlassungen branchenübergreifend stattfinden, so gibt es doch grössere Unterschiede. Am stärksten betroffen sind die Betriebe, die in der Schweiz produzieren und ins Ausland verkaufen, was auf einen Grossteil der Schweizer Industrie zutrifft. Dies liegt nahe, da sie unmittelbar die globalen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu spüren bekommen. Eine Ausnahme stellen in erster Linie die Pharma- und Chemieindustrie dar, welche weiterhin ein moderates Wachstum verbuchen können.
Betrachten wir die Zahlen der Eidgenössischen Zollverwaltung für die Ausfuhren der gesamten Schweiz: Im Jahr 2015 sanken die Exporte real um 0.7%. Besonders stark betroffen waren die Maschinen-, Elektronik- Präzisions-, und Uhrenindustrie. In diesen Branchen sanken die Exporte 2015 um 6.9%. Es fällt auf, dass in diesen Bereichen vor allem Unternehmen tätig sind, die Maschinen für die Industrie produzieren. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die Nachfrage nach Produktionsmitteln gesunken ist – aufgrund des Umstands, dass die damit hergestellten Waren keine Abnehmer fänden. Einige Regionen sind davon besonders stark betroffen. Alarmierend sind beispielsweise die Zahlen für den Kanton Solothurn, in dem kaum Pharma- oder Chemieunternehmen ansässig sind. Im Jahr 2015 wurde aus dem Kanton Solothurn insgesamt 21 Prozent weniger exportiert. Dabei belaufen sich die Exporte für Maschinen, Apparate und Elektronik auf minus 16 Prozent. Bei diesen Entwicklungen spielt die Aufhebung des Frankenmindestkurses eine wichtige Rolle.
Der Mindestkurs und seine Aufhebung
Im August 2011 führte die SNB den Euromindestkurs von 1.20 CHF = 1.00 EUR ein. Dies war die Reaktion darauf, dass der Franken massiv an Wert gewonnen hatte, da das europäische Kapital sein Geld in Franken anlegte, da der Euro aufgrund der Krise keine genügend sichere Währung mehr darstellte. In der kapitalistischen Wirtschaftsweise nimmt der Preis einer Ware zu, wenn sich die Nachfrage nach ihr erhöht – Geld als Ware stellt dabei keine Ausnahme dar.
Diese Einführung des Mindestkurses diente in erster Linie zum Schutz der Schweizer Exportindustrie, welche bei einem starken Franken einen Gewinnrückgang hinnehmen muss. Die Exportindustrie ist einem starken Franken mehr oder weniger ausgeliefert, da sie aufgrund der internationalen Konkurrenz nicht einfach die Preise erhöhen kann. Am 15. Januar 2015 schliesslich wurde der Mindestkurs von 1.20 Franken aufgehoben, was unmittelbar zur Folge hatte, dass sich der Franken gegenüber dem Euro um 20% verteuert hat.
Die Aufhebung des Euromindestkurses ist als vorbeugende Gegenmassnahme gegen die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) anzusehen. Tatsächlich hatte diese am 22. Januar 2015 mit dem massiven Kauf von Staatsanleihen, auch genannt „Quantitative Easing“, begonnen. Dabei wird sich die Geldmenge im Euroraum, verteilt über die nächsten zwei Jahre, um 1 140 Milliarden Euro (1.14 Billionen) erhöhen. Mit dieser Massnahme wird versucht, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Krise des europäischen Kapitalismus zu überwinden. Da der Franken immer noch eine sichere, attraktive Währung darstellte, wäre ein Teil dieses Geldes in Franken angelegt worden. Der Franken wäre noch verstärkt als sogenannte Fluchtwährung genutzt und somit nur weiter gestärkt worden. Bei der Menge an Geld, welche von der EZB auf den Markt geworfen wurde, wäre es für die SNB zu riskant geworden, den Frankenkurs auf 1.20 CHF zu halten. Sie hätte derart viele Franken auf den Markt werfen müssen, sodass ihr der Kontrollverlust über den Franken gedroht hätte. In diesem Sinne ist auch die Frankenkrise ein Ausdruck der global herrschenden Wirtschaftskrise.
Die Überproduktionskrise
Die Krise, aus welcher die Weltwirtschaft seit 2008 nie mehr richtig hinauskam, hat ihre Ursache in der globalen Überproduktion. Das heisst, dass weitaus mehr Waren produziert wurden, als verkauft werden können, dass Fabriken stillgelegt und weniger Investitionen getätigt werden. Die Lager füllen sich, Fabriken stehen leer und die ArbeiterInnen werden auf die Strasse gesetzt, weil die Masse an Waren, die mit den vorhandenen Produktionsmitteln herstellen werden könnte, keine kaufkräftigen Abnehmer mehr findet. Dies ist das notwendige Resultat der kapitalistischen Produktionsweise, die schon immer zu Krisen führte und es bis zum Ende ihrer Existenz noch tun wird.
Der Zwang der einzelnen Unternehmen, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, treibt sie dazu, stets weiter in die Technologie zu investieren und Maschinen zu kaufen, welche mit immer weniger menschlicher Arbeit mehr Waren produzieren. Die finanzielle Fähigkeit der Massen, sich die produzierten Waren zu kaufen, nimmt dadurch tendenziell ab, was periodisch zu einer Überproduktion führt. Die Profite können dann nicht mehr wie zuvor realisiert werden, folglich investieren die Kapitalisten weniger und das Wirtschaftswachstum erlahmt.
Ausserdem gibt es bei der Produktion der Waren (meistens) keine Absprache unter den Produzenten, was dazu führt, dass nicht für die tatsächlich existierende Nachfrage produziert wird, sondern gegebenenfalls weit darüber hinaus. Überproduktion ist also die Konsequenz der Anarchie des Marktes. Gut ersichtlich ist die Überproduktion beispielsweise in der Stahlindustrie, was an sich schon ein Ausdruck der globalen Wirtschaftskrise ist. Denn wo die Wirtschaft wächst, werden Gebäude und Maschinen gebaut, wofür Stahl benötigt wird. Zurzeit befinden sich 400 Millionen Tonnen Stahl auf dem Markt, für welche keine wirksame Nachfrage besteht. Das entspricht der doppelten Menge dessen, was in Europa in einem Jahr verbraucht wird – und dies obwohl die chinesische Stahlindustrie nur zu knapp 70 Prozent ausgelastet ist.
Die Tendenz zur Überproduktion existiert im Kapitalismus immer, gewisse Faktoren können ihr aber zeitweise entgegenwirken. So können die Erschliessung neuer Märkte wie auch neue Technologien eine frische Dynamik in der kapitalistischen Wirtschaft auslösen. Auch kann durch die immense Ausweitung des Kreditwesens der Markt über seine Grenzen hinaus erweitert werden. Beides spielte in der Boomphase in den 1990er Jahren wie auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine grosse Rolle. Kurz: Die Integration Chinas und des Ostblocks in den Weltmarkt, die gewaltige Ausdehnung der Privat-Verschuldung über Immobilien- und Konsumkredite sowie die Unternehmensverschuldung. Diese der Überproduktion entgegenlaufenden Faktoren sind ab 2008 an ihre Grenzen gelangt, was die Tiefe der Krise erklärt. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass sich die Überproduktionskrise nicht in erster Linie dadurch äussert, dass die Leute kein Geld mehr haben, um sich Schuhe zu kaufen, die sich dann in den Schuhläden türmen. Vielmehr werden weniger neue Investitionen getätigt, weil diese aufgrund der übersättigten Märkte keine Gewinne abwerfen würden. Folglich wird die Produktion heruntergefahren und es werden ArbeiterInnen entlassen. Die Überproduktionskrise drückt sich also auch in einem Überangebot an Kapital aus. Es gibt „zu viel“ Geld in den Händen der Besitzenden, welche sich um wenige lukrative Investitionsmöglichkeiten balgen. Genau davon ist auch die Frankenstärke ein Ausdruck. Einerseits, da der Schweizer Franken ein sicherer Hafen für unproduktives Kapital darstellt, anderseits da die (Währungs-)Spekulation ein zentrales Feld der unproduktiven „Geldvermehrung“ ist.
Alles wegen des starken Frankens?
Die Frankenstärke ist also bedeutender Ausdruck dieser globalen Krise in der Schweiz und ist zusammen mit der fehlenden Nachfrage für Schweizer Exportprodukte das Hauptproblem für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit der sich die Schweizer Wirtschaft konfrontiert sieht.
Als Teil der Weltwirtschaft ist die Schweiz Teil von Aufschwung und Krisen derselben. Weiter sind die heutigen Entlassungen auch Ausdruck davon, dass die Produktion in der Schweiz vergleichsweise teuer ist. Dass fällt heute stark ins Gewicht, da durch die Krise die Profite auch ohne teure Produktionskosten schon dahinschmelzen würden. Der Mindestkurs war lediglich ein Mittel, mit dem sich die Schweizer Industrie eine kurzfristige Verschnaufpause vor der Krise verschaffen konnte.
Die Forderung nach einer Wiedereinführung eines Mindestkurses ist unter den heutigen Verhältnissen weder wirklich realistisch noch stellt sie eine nachhaltige Lösung dar. Den Dynamiken der globalen Überproduktionskrise kann man sich nicht einfach entziehen. Die Gewerkschaften klopfen an die falsche Tür, wenn sie sich nun an die Nationalbank wenden, während sie gleichzeitig auf Kampfmassnahmen verzichten. Den Lohnabhängigen, die von Entlassungen bedroht sind, ist mit diesem Vorgehen wenig gedient. Diese brauchen jetzt eine starke Gewerkschaft im Rücken, welche mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln für ihre Arbeitsplätze kämpft.
Für uns ist eins zentral: Arbeitszeitverlängerungen und Entlassungen sind die Folge davon, dass aus den ArbeiterInnen nicht mehr genug Profit gepresst werden kann. Dies zu verstehen ist nicht nur für MarxistInnen von Bedeutung, sondern vor allem für die ArbeiterInnen selbst. Eine der wichtigsten Forderungen muss deshalb die Öffnung der Geschäftsbücher sein. Auf diese Weise bekommen die ArbeiterInnen eins zu eins die Widerwärtigkeit des Kapitalismus zu sehen.
Wenn die UnternehmerInnen ihnen nun sagen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten machten es notwendig, dass sie länger arbeiten oder gleich ihren Platz räumen müssten, so können die ArbeiterInnen genau unter die Lupe nehmen was es bedeutet, dass es dem Unternehmen schlecht gehe. Riesige Ausgaben für Werbung, absurde Löhne für das Management, Dividenden und dergleichen werden sich vor ihren Augen auftürmen, während sie zu hören bekommen, man könne ihre Löhne nicht mehr bezahlen. Dieses Wissen ist der Nährboden, auf welchem ein entschiedener Streik, eine Betriebsbesetzung und schliesslich auch die Enteignung durch die ArbeiterInnen des Unternehmens, entstehen kann.
Pascal Béton
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