Wie weiter mit der SP? Diese Frage stellt sich der Partei mit der Neuwahl ihres Präsidiums am Parteitag im April. Der scheidende Parteipräsident Christian Levrat trat das Präsidium 2008 an und führte die Partei somit durch das Krisenjahrzehnt. In einer Periode der Krise pochen die KapitalistInnen mit aller Härte auf Reformen, welche ihre Profitabilität und Konkurrenzfähigkeit sichern. Auf der Agenda standen die Senkung der Unternehmenssteuern sowie Angriffe auf die Renten und Sozialversicherungen und einer Lockerung des Arbeitsrechts. Der Lebensstandard einer breiten Schicht der Lohnabhängigen stagnierte oder nahm ab, es kam zu Massenentlassungen, Kurzarbeit und Verschlechterungen in den Gesamtarbeitsverträgen.
Die grösste Schwäche der SP in der Levrat-Ära war ihre Strategie des «geringeren Übels». Dahinter steckt eine verheerende Logik: Weil die Bürgerlichen am längeren Hebel sitzen, könne die Arbeiterbewegung Angriffe nur abschwächen, aber nicht verhindern – geschweige denn Verbesserungen erkämpfen. Dabei hatte es die SP im Februar 2017 geschafft, die Unternehmenssteuerreform III, das Mammut-Projekt der Schweizer Bourgeoisie, an der Urne zu versenken. Gleichzeitig fanden in mehreren Kantonen Kämpfe gegen Sparmassnahmen statt. Hier hätte die SP den Referendumserfolg nutzen sollen, um sich unter den öffentlichen Angestellten, den Pflegenden und allen anderen von den Sparmassnahmen betroffenen Lohnabhängigen zu verankern. Sie hätte den Zusammenhang zwischen Steuersenkungen für Reiche und Sozialabbau aufzeigen und mit einem mutigen sozialistischen Programm in die Gegenoffensive gehen müssen (die JUSO zeigte mit der 99%-Initiative zumindest einen Ansatz auf). Stattdessen verjubelte die SP ihren Referendumssieg einfach und verteidigte für ein paar Scheinzugeständnisse die fast gleiche Reform, diesmal verpackt als STAF. Damit kriegten die Bürgerlichen doch noch ihre sehnlichst verlangten Steuergeschenke für Grosskonzerne mit freundschaftlicher Schützenhilfe der Sozialdemokratie. Die Lohnabhängigen dürfen diesen Verrat nun mit Sparmassnahmen ausbaden (siehe Artikel: Solidarität mit dem Genfer Staatspersonal).
Diese Politik der faulen Kompromisse wurde von den Lohnabhängigen quittiert: Insgesamt verlor die SP in der Ära Levrat (2008-2019) 7% ihres Stimmenanteils. Das in einem Kontext der grössten kapitalistischen Krise seit 30 Jahren! Die Verantwortung dafür liegt alleine bei der falschen politischen Praxis der Parteiführung. Warum sollte man als ArbeiterIn auch eine Partei wählen, welche Grosskonzernen die Steuern senkt, Sozialabbau mitträgt und das Frauenrentenalter erhöht? Wie die Geschäftsleitung in der Analyse zur historischen Wahlniederlage im Oktober 2019 schrieb, werde die SP zunehmend als «Systempartei» wahrgenommen. Doch die Schlussfolgerungen aus diesem wichtigen Selbsteingeständnis bleiben aus.
Will sich die SP nicht überflüssig machen, muss sie einen deutlichen Bruch mit dieser Kompromisslogik vollziehen. Das kandidierende Duo Mattea Meyer und Cedric Wermuth ist eine potentielle Alternative. Die Ex-JUSOs sprechen von einer linkeren SP, welche an den historischen Mobilisierungen von Klima- und Frauenstreik anknüpfen müsse. Doch die beiden geben sich bereits alle Mühe, ihrer Kandidatur die Zähne zu ziehen. Sie stellen sich selber in die Kontinuität von Levrat, also in die Linie des «kleineren Übels» und der falschen Kompromisse. Auch den offen bürgerlichen, rechten Flügel der Partei wollen die zwei bereits im Voraus beruhigen. Der Flügelkampf in der Partei sei eine «Medienerfindung», sagt Wermuth. Ihr Co-Präsidium würde nach wie vor für eine Vermittlung der verschiedenen Richtungen einstehen. Heraus käme wie bislang ein kraftloser Reformismus, der in der Krise des Kapitalismus völlig unfähig ist, irgendwelche Reformen zu erkämpfen.
Die Zeichen stehen nach wie vor auf Sturm: Neue Angriffe werden kommen (siehe Artikel: Die Kämpfe der kommenden Legislatur), für die Bürgerlichen besteht nach wie vor kein Spielraum für Zugeständnisse. Meyer und Wermuth müssten hier mit einem klaren sozialistischen Programm antreten und sich damit an die Basis der Partei und der Gewerkschaften wenden. Nicht nur für einen kompromisslosen Kampf gegen jegliche Angriffe auf Renten, Sozialwerke, Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern für höhere Löhne und Renten und den Ausbau der Sozialwerke auf Kosten der Kapitalisten und Reichen! Ein solches Programm träfe nicht nur in der Gewerkschafts- und der Parteibasis auf Zustimmung, sondern vor allem bei den zahlreichen passiven und desillusionierten Lohnabhängigen, welche die Partei bislang nicht überzeugen konnte. Denn gewinnen kann man die Lohnabhängigen nicht mit faulen Kompromissen, sondern nur mit klaren Positionen und einer kämpferischen Perspektive, wie ihr Lebensstandard verbessert werden kann.
Für die Redaktion
Julian Scherler
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