Die Krise der italienischen Regierung wurde mit der Bildung einer neuen Regierung, bestehend aus der 5-Sterne-Bewegung (M5S) und der Demokratischen Partei (PD), beigelegt. Die neue Regierung verspricht Vieles – einhalten wird sie es nicht.
Matteo Salvini, Parteichef der rechten Lega und bis vor kurzem noch stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister Italiens, hat zu hoch gepokert. Anfangs August brachte er mit der Aufkündigung seiner eigene Regierungskoalition die Regierung zu Fall. Doch Salvinis Kalkül sofortiger Neuwahlen, mit Aussicht auf den Sieg für seine Partei, hat sich als verfehlt erwiesen. Statt vorgezogener Neuwahlen gibt es jetzt eine neue Regierung. Der Protagonist der italienischen Politik bleibt nach wie vor der parteilose Giuseppe Conte, der sich vom Nobody zum Staatsmann gewandelt hatte.
Die neue Conte 2.0-Regierung wird von der Demokratischen Partei (PD) und der 5-Sterne Bewegung (M5S) gebildet, deren Kommunikation noch vor wenigen Wochen primär aus gegenseitigen Beleidigungen und Spott bestand. Doch nun sind die Meinungsverschiedenheiten scheinbar verschwunden. Es sei jetzt dringend notwendig, «Regierungsfähigkeit» für das «Wohl des Landes» zu garantieren. Die Frage ist für wessen Wohl im Lande?
Kaum steht die neue Regierung, wird ihr unerwartet schon ein Bein gestellt. Vor wenigen Wochen der glühendste Stern der PD, nutzt Matteo Renzi die politische Instabilität, um eine eigene Zentrumspartei «Italia Viva» zu gründen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass eine neue bürgerliche Formation à la Macron bedeutendes Gewicht erlangen wird. Der Austritt von 40 ParlamentarierInnen ist für die PD jedoch ein schwerer Schlag und bringt Unruhe in die sonst schon instabile neue Regierung.
Nicht nur die PD leidet, auch die M5S erlebt einen Wandel: Von einer Anti-Establishment-Partei, die das Parlament «wie eine Thunfischdose öffnen» wollte, will sie, wie Di Maio stolz sagte, «die Partei der Stabilität» werden. Dieser Zug wird vom Gründer der Bewegung, Beppe Grillo, vorangetrieben, der sein Kind wieder selbst bei der Hand nimmt. Es ist wahrscheinlich, dass diese Wendung angesichts des kleinbürgerlichen Charakters der Bewegung neue Krisen und Spaltungen in der M5S hervorrufen wird, sowohl links als auch rechts.
In ihrem Programm versucht die neue Regierung, sich als Interessensvertreterin der Lohnabhängigen darzustellen. Die Ansagen reichen von einem Mindestlohn über mehr Zugeständnisse in den nationalen Tarifverträgen bis zu einem neuen Gesetz über die gewerkschaftliche Vertretung. Sie versprechen jedem ein bisschen von allem, aber jedes Versprechen müsse erfüllt werden, «ohne das Gleichgewicht der öffentlichen Finanzen zu gefährden». Die Regierung Conte 2.0 steht für die Senkung der Steuerlast auf die Löhne der ArbeiterInnen, aber die wenigen zusätzlichen Euro, die einE ArbeiterIn (vielleicht) in der Tasche wiederfindet, werden sofort durch Kürzungen der Sozialausgaben zurückgenommen. Ganz nach dem Motto: «Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!».
Die Regierung muss im nächsten Haushalt 27 Milliarden Euro finden, nur um die automatische Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent zu vermeiden. Um zu verstehen, wo sie diesen Geldbetrag finden werden, lohnt es sich, die Biographien der neuen MinisterInnen zu beleuchten.
Der Minister für Wirtschaft und Finanzen ist Roberto Gualtieri (PD). Er ist der ehemalige Präsident der EU-Kommission für Wirtschafts- und Währungsfragen und setzte sich für die Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushalt in den europäischen Verfassungen ein. Es ist kein Zufall, dass Christine Lagarde, die zukünftige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (und ehemalige Direktorin des IWF), seine Ernennung vorgeschlagen hat und meinte, dass er «gut für Europa und Italien» sei.
Im Innenministerium wird heftig gefeiert, da mit Luciana Lamorgese endlich eine «kompetente» Ministerin eingetroffen sei. In ihrer Zeit als Präfektin von Mailand bewies sie eindrücklich ihre Rolle als Dienerin des Staates und des Privateigentums, indem sie ImmigrantInnen aus Häusern vor dem Hauptbahnhof vertrieb. Die neue Regierung ist sich einig: Sie wird den zweiten Sicherheitserlass der ehemaligen Regierung «revidieren», jedoch andere rassistische Gesetze der letzten 20 Jahre unberührt lassen. Das Verbrechen «illegale Einwanderung» wird nicht aufgehoben und so werden die Geflüchteten weiterhin im Mittelmeer ertrinken und auf den Feldern ausgelaugt, wie es schon vor Salvini der Fall war. Nur der Stil wird sich ändern: von Salvinis wildem Geschrei zum grautönigen Bürokratismus der ehemaligen Präfektin.
Die PD kontrolliert über die vormalige Managerin Paola De Micheli auch das mächtige Ministerium für Verkehr und Infrastruktur. Damit haben sich die italienischen Chefs die Fortsetzung des Milliardenflusses auf ihre Konten über staatlich finanzierte Infrastrukturprojekte gesichert.
Viele Linke atmeten erleichtert auf, nachdem Salvini und die Lega die Regierung verlassen hatten. Das ist eine vorhersehbare Reaktion angesichts der Empörung über die rassistischen und repressiven Massnahmen des ehemaligen Innenministers. Wir glauben jedoch, dass auf die Seufzer der Erleichterung bald Ernüchterung folgen wird. Weit davon entfernt Salvini zu stoppen, erlauben ihm die kommenden Angriffe der neuen Koalition seine Position als Oppositionsführer zu festigen – mit der Aussicht auf einen erdrutschartigen Sieg bei den nächsten Wahlen.
Liberi e Uguali (die einzige im Parlament vertretene linke Fraktion mit Roberto Speranza als Gesundheitsminister) ist völlig von der Logik des «kleineren Übels» durchdrungen. Speranza wird die weitere Zerstörung des nationalen Gesundheitswesens besiegeln.
Ein Standpunkt der Arbeiterklasse fehlt in der Debatte deutlich, auch dank der Unterstützung der Gewerkschaftsführung für die neue Regierungskoalition. Die von der Führung der CGIL (nationaler Gewerkschaftsbund) verbreiteten Illusionen entwaffnen die Arbeiterbewegung. Die Klassenkampfkasper der CGIL fordern die ArbeiterInnen auf, mit verschränkten Armen dazustehen, während die Regierung von Bankiers und Technokraten ihre erste Palette von reaktionären Massnahmen durchsetzt.
In Italien kann es gegenwärtig keine arbeiterfreundliche Regierung mehr geben. Der Weg zur Verteidigung unserer Interessen führt über Klassenkonflikte und die Wiederaufnahme der Mobilisierungen, die im vergangenen Frühjahr begonnen haben – insbesondere unter den Jugendlichen: von Fridays for Future bis zu den antirassistischen Demos gegen Salvini. Diese Regierung wird eine kurze Blüte haben. Es besteht kein Zweifel, dass diese Mobilisierungen zurückkehren werden. Nur aus dem Kampf der Massen kann eine neue ArbeiterInnenpartei entstehen, die für den Sieg notwendig ist und heute so schmerzlich fehlt.
Bild: Vlad Lesnov, Wikimedia
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