Zehn Millionen Arbeiter, ein zweiwöchiger Generalstreik, Fabrikbesetzungen im ganzen Land: Im Mai 1968 fegte eine mächtige Revolution durch Frankreich. An der Vorfront? Eine Studentenbewegung gegen Krieg und Imperialismus!

Der Vietnamkrieg löste eine weltweite Protestwelle gegen den US-Imperialismus aus. Diese schwappte 1968 nach Frankreich über. Am 3. Mai löste die Polizei eine Solidaritätsveranstaltung im Innenhof der Uni Sorbonne in Paris gewaltsam auf. Sie verhaftete 400 Studenten. Die Bewegung im Keim ersticken – so die Absicht des De-Gaulle-Regimes. 

Die Studenten gingen in die Gegenoffensive: «Die von der Polizei brutal verprügelten Studenten verteidigen ihr Recht auf politische Meinungsäusserung», schrieb die Studentengewerkschaft UNEF. Sie organisierte eine Demo zur Freilassung der Inhaftierten. 60’000 Leute nahmen teil. Wieder agierte die Polizei aggressiv und provozierte heftige Gefechte. 

Von der «Nacht der Barrikaden» zum Generalstreik

Die Medien und Uni-Leitungen verurteilten die «gewalttätigen Studenten». Die UNEF konterte mit zwei Appellen. Zum einen rief sie dazu auf, «mit dem Uni-Personal zusammen die Kontrolle der Unis» zu übernehmen. Zum anderen wandte sie sich an Journalisten und Drucker: «Über die Medien versucht die Bourgeoisie, die Bewegung zu zerstören. Keine einzige Zeitung mit falschen Informationen darf erscheinen.» Ein Appell, dem die Arbeiter Ende Monat folgten. 

In der «Nacht der Barrikaden» am 10. Mai eskalierte die Lage. Polizei-Spezialeinheiten (CRS) stürmten in Wohnungen, verprügelten Studenten und warfen sie vor Spitälern aus dem Wagen. Nun unterstützten laut einer Umfrage von «Le Monde» 80 % der Bevölkerung die Studenten. Die UNEF nutzte das Momentum, rief die Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Demo auf. Ein riesiger Erfolg: 200’000 Studenten und Arbeiter skandierten «De Gaulle, du Attentäter» und drängten die Gewerkschaftsführungen zur Ausrufung eines Generalstreiks am 13. Mai. 

Einen Tag Dampf ablassen und fertig – so der Plan der Gewerkschaftsführer. Doch die Arbeiter liessen sich nicht abkochen. Die Studentenbewegung hatte eine Revolution ins Rollen gebracht. 

Die Jugend als Barometer des allgemeinen Unmuts

Das war möglich, weil die Jugend sensibel auf die tieferen Prozesse in der Gesellschaft reagiert. Sie ist das Barometer, das den angestauten Unmut zum Ausdruck bringen kann. Alleine kann die Jugend keine Revolution machen, aber als Vorreiterin der Arbeiterklasse kann sie – unter gewissen Bedingungen – Massendemos, Streiks und Revolutionen ins Rollen bringen.

Auf den ersten Blick sahen die Bedingungen in Frankreich damals nicht nach Revolution aus. Doch der Nachkriegs-Aufschwung, von dem ein Teil der Arbeiter profitierte, hatte eine Kehrseite. Er fand auf dem Rücken der Mehrheit statt. Die Ausbeutung wurde gesteigert, Arbeitswochen von 48 oder 50 Stunden an Fliessbändern wurden gerade für Migranten zur Normalität. Die Arbeitslosigkeit war seit 1960 um 70 Prozent gestiegen, 1968 lebten sechs Millionen Leute in Armut. Schon vor Mai 1968 herrschte eine explosive Unzufriedenheit.

Inspiration für Arbeiter, Bedrohung für Regime

Die Studentenbewegung war nur der erste Ausdruck davon. Genau das machte sie zur Inspirationsquelle für die Arbeiter. Mit Slogans wie «10 Jahre Gaullismus und Ausbeutung – es reicht!» brachten die Studenten die wahre Stimmung in der Gesellschaft auf die Strasse und den Familientisch. Ein junger Arbeiter sagte einem Reporter der Times: «Die Studenten wirkten wie ein Funke. Sie gaben uns das Gefühl, dass wir weitermachen können.»

Inspiration für die einen, Bedrohung für die anderen: Aus Angst, die Studenten stürmen mit den Arbeitern zusammen den Elysée-Palast, wurde der Präsidentenpalast evakuiert. Das Regime hatte Panik.

Macht auf der Strasse: Mai 68 war eine Revolution!

Zurecht. Der 13. Mai war ein Wendepunkt hin zu einem unbefristeten Generalstreik, an dem sich zehn Millionen Arbeiter beteiligten und dabei Fabriken im ganzen Land besetzten. 

Mithilfe von Streikkomitees begannen die Arbeiter, das soziale Leben zu organisieren (Benzin-, Lebensmittelversorgung etc.). Öffentliche Gebäude wurden zu Kitas oder Kantinen umfunktioniert. Über die Presse übten Drucker und Journalisten eine Art Arbeiterkontrolle ein. Die Redaktionen der bürgerlichen Medien mussten ihre Leitartikel zur Kontrolle den Streikkomitees vorlegen und deren Statements abdrucken. Teile der Polizei und Armee verbrüderten sich mit den Streikenden. 

Die Bürgerlichen präsentieren Mai 68 als Hippie-Bewegung, um von der Wahrheit abzulenken: Der Bourgeoisie war die Macht aus den Händen gerutscht. Angesichts der Gefahr, alles zu verlieren, war sie mit den «Accords de Grenelle» zu enormen Zugeständnissen bereit: Lohn- und Rentenerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung, Legalisierung von Gewerkschaftsarbeit im Betrieb etc. 

In normalen Situationen ein riesiger Erfolg für die Arbeiter. Aber Mai 68 war keine normale Situation. Als der Generalsekretär der Gewerkschaft CGT die Verhandlungsergebnisse in einer Renault-Fabrik verlas (was live im TV übertragen wurde), begannen ihn tausende Arbeiter auszubuhen, dann übertönten sie seine Rede mit «Volksregierung!»-Rufen.

Die Arbeiterklasse: Von Stalinisten verraten …

Ein Generalstreik wirft die Machtfrage auf: Wer lässt die Gesellschaft wirklich funktionieren – die Arbeiter oder die nutzlosen Kapitalisten? Der einzige Weg zur verlangten «Volksregierung» wäre gewesen: Wählt in allen Betrieben Delegierte, verbindet die Streikkomitees in jeder Stadt und Region miteinander, um ein Nationalkomitee zu bilden, das die Macht der Arbeiter in die Hand nehmen kann. 

Doch die stalinistische Führung der kommunistische Partei (PCF), die damals die Gewerkschaften und damit den Streik kontrollierte, wählte den gegenteiligen Weg. Statt die entschlossenen Arbeiter zur Machtübernahme aufzurufen, unterzeichnete sie hinter deren Rücken die «Accords de Grenelle» und liess die Bewegung in Neuwahlen versanden. Die PCF rettete die Bourgeoisie, statt sie zu entthronen. 

… von «Revolutionären» abgeschrieben

Niemand konnte die PCF-Führung herausfordern. Es gab «revolutionäre» Organisationen – aber keine marxistische. Alan Woods, heute führendes RKI-Mitglied, war damals aktiv in Paris dabei. Als er die «revolutionären» Zeitungen durchblätterte, stellte er fest: «Sie alle widmen die Titelseite Vietnam, Bolivien, Kuba, Che, Mao – eigentlich allem und jedem, ausser der französischen Arbeiterklasse!». Sie hatten die Arbeiterklasse abgeschrieben – als diese draussen Revolution machte.

Während einer Debatte eines Studenten-Komitees wurde nach Slogans gesucht, um zu den Arbeitern zu gehen. Alan schlug vor: «Wir sollten die Selbstverteidigung verbessern, beginnend mit der Bewaffnung der Streikposten». Ein Slogan, der auf das konkrete Problem der Repression antwortete. Die Polizei griff die Streikposten Ende Mai zunehmend an. Die Studenten nickten. «Gut, dann ist das der Inhalt des Flyers?», fragte Alan. «Nein, wir können den Arbeitern nichts vorschreiben», meinten gewisse «Revolutionäre». Damit vertuschten sie nur, dass sie den Arbeitern keine Antworten zu bieten hatten. 

Obwohl diese danach suchten. Ein Elektriker sagte: «Wir jungen Arbeiter sind auf eurer Seite, aber die meisten sind älter. Wenn wir von Revolution sprechen, verstehen sie uns nicht. Wir können nicht zeigen, was wir meinen. Wir brauchen Führung!» Ähnliche Gespräche muss es damals tausendfach gegeben haben. Junge Arbeiter spürten, dass die Bewegung abflachte, dass die Macht ihnen aus den Finger rutschte. Sie suchten nach einer revolutionären Führung, aber diese existierte nicht. 

Die dringendste Aufgabe von revolutionären Jugendlichen heute ist es, eine marxistische Partei vor dem nächsten Mai 68 aufzubauen. 

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