Zurzeit leiste ich meinen Zivildienst in einem privaten Altersheim bei Basel. Es ist ein grosses, neues und relativ schönes Haus mit genau 111 Plätzen und einigen Dutzend Angestellten. Das Haus ist eines der besseren in der Region – natürlich mit entsprechenden Mehrkosten für die Angehörigen der pflegebedürftigen Menschen: Bis zu 200 Franken pro Tag müssen aus eigener Tasche bezahlt werden.
Mein Arbeitstag beginnt um 7 Uhr: Mineralwasser auf den Stockwerken verteilen, Abfall und Altpapier entsorgen, Material bereitstellen, kleine Reparaturen an Möbeln, Betten, Lampen, Türen und allem, was sonst noch so kaputt geht. Mittags fahre ich mit dem Auto als Mahlzeitenkurier durch das Quartier und bringe noch selbständig lebenden Menschen ihr Mittagessen nach Hause – für 24 Franken pro Mahlzeit. Nachmittags gehe ich dann noch mit den BewohnerInnen spazieren, spiele Spiele, begleite sie zu Terminen ausser Haus oder führe einfach freundliche Gespräche. Zwischendurch helfe ich noch hier und dort beim Vorbereiten oder Aufräumen von Anlässen oder mache Besorgungen: Kurz gesagt mache ich alles, was man mir sagt. Am Feierabend bin ich oft erschöpft von den vielen verschiedenen Aufgaben, allerdings vergeht mein Tag auch viel schneller, ist kurzweiliger.
Mir gefällt an der Arbeit, dass ich mit allen Menschen im Haus zu tun habe: Putzpersonal, Küchenhilfen, Hausmeister, Administration, Aktivierungsfachpersonen und PflegerInnen und allen voran den BewohnerInnen. Ich selber komme mit den meisten Angestellten gut aus, aber bei mir ist klar: Das ist der Zivi, der ist eh bald wieder weg. Untereinander herrscht aber teilweise ein rauer Ton: Es gibt Sticheleien, sexistische und rassistische Kommentare, es wird sich genervt und gegenseitig sabotiert. Dabei gäbe es wirkliche, objektive Missstände, die behoben werden müssten und mit gemeinsamem Kampf dafür auch behoben werden könnten.
Es ist schon jetzt klar, dass die Inflation bei den Löhnen nicht ausgeglichen wird; in den letzten Jahren wurde mit einem Schlag massiv Personal abgebaut, insbesondere in der Pflege. Seither ist der Durchlauf relativ hoch, ständig begegnen mir neue Gesichter, besonders bei den weniger gut ausgebildeten. Für die BewohnerInnen ist das oft auch eine grosse Umstellung, da diese auf ein vertrauensvolles und langfristiges Verhältnis angewiesen sind – die meisten sind ja für mehrere Jahre da.
Das Putzpersonal wurde selbstverständlich an eine grosse Reinigungsfirma ausgelagert, um Kosten zu sparen. Es wird tonnenweise vermeidbarer Abfall produziert, ist etwas kaputt, dann wird es schnell einmal weggeschmissen; viel mehr Material als nötig wäre, ist aus Einwegplastik, einfach weil es billiger ist. In der Küche wird zwar noch selbst gekocht, aber es kommen viele Convenience-Produkte mit zu viel Salz, Zucker oder Fett zum Einsatz. In der Aktivierung gibt es chronisch zu wenig qualifiziertes Personal, um allen BewohnerInnen gerecht zu werden – schliesslich bleibt viel an mir und den anderen Zivis hängen, obwohl wir weder dazu ausgebildet sind oder eine umfangreiche Anleitung oder Einführung bekommen. Erfahrene und qualifizierte Mitarbeitende will sich die Geschäftsleitung aus Kostengründen nicht leisten – so hat es mir eine ehemalige Mitarbeiterin persönlich erzählt.
Viele dieser Missstände sind den Leuten bewusst – aber es fehlt überall an Antworten. «Ja wie soll sich das denn schon ändern?» oder «Ja und wer zahlt dafür?» sind die häufigsten Reaktionen, oft begleitet von einem Schulterzucken. So finden auch kaum wirklich politische Gespräche statt. «Gewerkschaft» scheint ein Fremdwort zu sein. Statt nach kollektiven Lösungen für Stress und andere Missstände sucht man lieber nach individuellen: Religion, Online-Shops, Sportwetten, Glücksspiel, der Handel mit Kryptowährungen oder Frühpension. Umso wichtiger ist es, dass an solchen Orten Überzeugungs- und Aufbauarbeit durch die Gewerkschaften passiert. Das braucht eine offene, konsequente und langfristige Herangehensweise. Denn das Misstrauen gegenüber «den Linken», die einem Fleisch essen und Autofahren verbieten wollen und am ersten Mai JournalistInnen herumschubsen, verschwindet nicht von heute auf morgen. Noch weniger lassen sich Rassismus und Sexismus durch ein solches Nichtstun bekämpfen. Geduldiges Erklären, Zusammenhänge hinter den Problemen aufzeigen braucht echte Menschen. In den letzten Jahren war aber noch nie jemand von der Gewerkschaft da.
Anonym
22.07.2022
Bildquelle: Flickr, joeannenah
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