In meinem Zwischenjahr und den Semesterferien arbeite ich regelmässig als Lastwagenfahrer oder, korrekt gesagt, als Strassentransportfachmann. Ich bin bei einem kleinen Unternehmen angestellt und führe Traktoren und Landmaschinen quer durch die gesamte Schweiz oder hole sie direkt vom Werk in Deutschland ab und liefere sie den verschiedensten Händlern. Man lernt so das Strassennetz und allerlei Orte in der Schweiz sehr gut kennen. Die Arbeit gefällt mir sehr gut und ist ein schöner Ausgleich zum Studium. 

Allgemein läuft in dieser Branche aber nicht alles so rund. Der Job ist sehr Zeitintensiv, da man meistens von morgens früh bis abends spät unterwegs ist. Ein Arbeitstag von bis zu zehn und manchmal auch mehr Stunden ist nicht aussergewöhnlich. Für die Transportunternehmen ist dies oft notwendig, da die bestellten Waren zu bestimmten Fristen ausgeliefert oder abgeholt werden müssen. 

Um ein besseres Verständnis von den Arbeitszeiten der LKW-Führer zu bekommen eine kurze Einführung in die «ARV-1», die Arbeits- und Ruhezeitverordnung. Lastwagenführer dürfen gesetzlich neun Stunden am Tag fahren, zweimal in der Woche darf dies aber auf zehn Stunden ausgeweitet werden. Im Wochentotal sind es maximal 56 Stunden. Nach spätestens 4.5 Stunden Fahrtzeit muss eine Pause von 45 Minuten gemacht werden, bevor die nächste Hälfte gefahren werden darf. Das ist aber nur die reine Fahrtzeit, die Arbeitszeit ist da noch nicht inbegriffen. Als Arbeitszeit zählt auch das Be- und Entladen des Fahrzeugs oder die Wartung des Lastwagens. Die Dauer des Verladens kann sehr stark variieren, je nach Gut und Menge, die man zu laden hat. In meinem Fall kann das bis zu zwei Stunden dauern. So kommt es bisweilen zu sehr langen Arbeitstagen. 

Der Beruf des Lastwagenführers ist wahrscheinlich der einzige Beruf der Welt, bei dem der Lohnabhängige freiwillig seine Pause zum Arbeiten opfert. So muss er nicht abwarten und kann direkt weiterfahren, z. B. indem man die Ladezeit als «Pause» aufschreibt. Anders gesagt verzichtet der Lastwagenführer «freiwillig» auf die ihm zustehenden 45 Minuten Pause während eines über 9 Stunden währenden Arbeitstages.  

Dazu kommt das Übernachten auf Raststätten. Diese sind oft völlig überfüllt, so dass man keinen Platz zum Parkieren findet. Dann hat man keine andere Wahl als weiterzufahren, auch wenn die Fahrtzeit womöglich überschritten wird. Kommt der Fahrer in eine Kontrolle und wird gebüsst, muss er die Rechnung in vielen Fällen selbst tragen. 

Der Preis und Zeitdruck in diesem Gewerbe sind sehr hoch, was schlussendlich die Fahrer zu spüren bekommen. Bei den grösseren Transportunternehmen in der Schweiz wird jedes Fahrzeug per GPS-Gerät überwacht. Dauert eine Pause länger als das gesetzliche Minimum, kann es vorkommen, dass der Disponent anruft und zur Weiterfahrt drängt. Durch die starke Konkurrenz müssen die Transporte immer billiger werden. Darunter leiden schliesslich auch die Löhne. Ich habe mittlerweile schon öfter gehört, dass bei einigen Unternehmen zwischen schweizerischen und ausländischen, meist osteuropäischen Fahrern unterschieden wird, die zu einem Hungerlohn fahren müssen.

Theoretisch hätten die Lastwagenführer ein grosses Potential, um Druck gegen die schlechten Bedingungen auszuüben. Würden sie nicht mehr fahren, stünde alles still. Lebensmittelhändler ohne Lebensmittel, Warenhäuser ohne Waren, Tankstellen ohne Benzin, Baustellen ohne Beton. Die Schweizer Wirtschaft würde bei einem solchen Streik innert kürzester Zeit stillstehen. Die Folgen wären unmittelbar spürbar. Doch trotz dieser theoretisch sehr grossen Macht wehrt sich kaum jemand. Auffallend ist, dass die Arbeiter unter sich kaum organisiert sind. Die Bedingungen werden weitestgehend als gegeben angesehen, wobei die Spaltung in „Schweizer Fahrer“ und „ausländische Fahrer“ sicher eine Rolle spielt. Auch in den Gewerkschaften sind kaum Lohnabhängige aktiv. Es existiert nicht einmal ein GAV für diese an sich doch sehr grosse Branche. Eine Änderung der Situation ist nicht in Sicht, der Preisdruck steigt weiter. Die Fahrten müssen noch billiger werden, die Monopolisierung der Branche wird weiter vorangetrieben. Dutzende kleine Betriebe gingen in den letzten Jahren Konkurs oder wurden von den grossen Transportunternehmen aufgekauft. 

Verbesserung der Situation wird nur durch Druck von unten kommen. Die ArbeiterInnen müssen sich organisieren. Die gesamte Schweiz würde bei einem Streik innert kürzester Zeit auf die Lastwagenführer schauen.

Simon