Die Verhandlungen um den drittgrössten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) der Schweiz haben begonnen. Werden die IndustriearbeiterInnen sich ihre Opfer seit dem Frankenschock zurückkämpfen können?
Die Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM) liefert ein Comeback. In den letzten Monaten veröffentlichte der Sektor eine Rekordzahl nach der anderen. Die Umsätze erhöhten sich 2017 um knapp 10% . Im letzten Quartal von 2017 machten die Auftragseingänge einen Sprung von knapp 30% (im Vergleich zum Vorjahresquartal). Das klingt phänomenal, ist es aber nicht so ganz.
Aufholjagd im Sprint
Erklärt wird der Aufschwung mit dem konjunkturellen Wachstumszyklus weltweit. Fast zwei Drittel der MEM-Exporte gehen in die EU, 15% in die USA. Die Exporte in beide Regionen sind gestiegen. Die aktuelle Abschwächung des CHF hilft den hiesigen Exporten. Dazu kommt, dass sich die Warenpreise erholen. Gerade die Maschinenindustrie konnte ihre Preise wieder erhöhen.
Verbesserung bedeutet noch nicht Erholung. Auch wenn sich die Exportzahlen gegenüber der Periode vor dem Frankenschock erholt haben, befinden sie sich immer noch etwa 15% unter dem Niveau von 2008 (also vor dem Einsetzen der weltweiten Krise). Im gleichen Zeitraum sind 30’000 Stellen, d.h. rund 8%, liquidiert worden.
Ab dem Ausbruch der Krise hatte ein rauer Wind geweht in der MEM-Branche. Die Erstarkung des Schweizer Frankens schlug in der ganzen Branche auf die Profitmarge. Die MEM-Patrons griffen wiederholt zu allen möglichen Massnahmen, um Marge und Marktanteil zu behalten: Kurzarbeit, Lohndruck, Arbeitszeiterhöhungen, Preissenkungen etc. Gerade die Arbeitszeit wurde flächendeckend erhöht. Innerhalb des Jahres 2015 stieg die durchschnittliche Wochenarbeitszeit des Sektors um 17 Minuten, laut Unia seit 2013 sogar um eine halbe Stunde – bei gleichbleibendem Lohn. Die Patrons machen keine Anstalten, diese Massnahmen zurückzunehmen.
Die Regeln des GAV
Der MEM-GAV regelt die vertraglichen Beziehungen zwischen den Patrons und den ArbeiterInnen genauer als andere Verträge, aber er ist nicht für alle Betriebe ‚allgemeinverbindlich‘. Und er enthält auch den «Krisenartikel» 57.4, welcher den Chefs erlaubt, in Krisensituationen von den «Bestimmungen abzuweichen». Trotz Krise hatte man daran auch in den Neuverhandlungen 2013 nichts Grundsätzliches verändert. Dies erlaubte die Arbeitszeiterhöhungen von 2015 – trotz laufendem Vertrag.
In der letzten Neuverhandlung erhielten die Industriellen die Möglichkeit, die Arbeitszeit über das Jahr verteilt noch weiter zu flexibilisieren. Dafür setzten die Gewerkschaften zum ersten Mal Mindestlöhne durch. Der tiefste beträgt jedoch CHF 3’500 (auf zwölf Monate). Dieses Niveau enttäuscht, gerade weil er 500 Franken unter dem Vorschlag der gleichzeitig laufendenden Mindestlohnkampagne lag.
Generell zeigt sich für die Angestellten des Sektors ein trübes Bild: Der Nominallohn stagniert seit der Jahrtausendwende. Seit 2001 hat er gerade mal um 0.5% zugenommen.
Verhandlungsstart
Die aktuellen Neuverhandlungen des GAV haben am 21. Februar begonnen. Vorgesehen sind fünf Verhandlungsrunden. Für die Unia, die wichtigste ArbeiterInnenvertretung der Branche, wäre dies die Möglichkeit, die verlorenen Bedingungen zurück zu erkämpfen. Doch die Unia stellt sich dieses Ziel nicht explizit. Zwar sind die Streichung des Art. 57 und der bessere Kündigungsschutz für Gewerkschaftsdelegierte Teil des Forderungskatalogs. Die Hauptforderung ist jedoch die Ausweitung der Mindestlöhne auf weitere Hierarchiestufen.
Wer kämpft?
Ob die Unia wirkliche Verbesserungen erringen kann, hängt in erster Linie von ihrer Verankerung ab. Doch die Mitgliederzahlen nehmen seit Jahren ab. Dazu kommt, dass die Gewerkschaft bei den Temporären fast nicht verankert ist. Sie unterstehen nicht einmal dem MEM-GAV. Die Temporärarbeit hat sich verallgemeinert. Über 13% der KollegInnen in der Branche sind Temporärangestellte! Die Organisation dieser prekären Kollegen muss unbedingt zur Priorität werden. Denn siegreich kämpfen kann man nur gemeinsam!
Caspar Oertli
Syndicom Zürich
Bild: Unia
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