Mit dem Strike for Future wendet sich die Klimabewegung explizit an die Schweizer Gewerkschaften und ruft ihre AktivistInnen zum Beitritt auf. Nicht nur deshalb stehen Arbeitskämpfe vor einem historischen Come-Back.
Gewerkschaften sind Gemeinschaften zur Selbstverteidigung unserer Klasseninteressen. Als obersten und ersten Zweck verfolgen sie die wirtschaftlichen Interessen der ArbeiterInnen in einem Betrieb, einer Berufsgattung, einem Land oder international. Sie sind die organisatorische Antwort auf die scheinbare Übermacht der Firmenbesitzer. Ihre Aufgabe ist die Überwindung der Konkurrenz zwischen den ArbeiterInnen hin zur organisierten Konkurrenz einer ganzen Belegschaft gegenüber den Bossen. Sie organisieren den Kampf um mehr Lohn, kürzere Arbeitszeiten, besseren Gesundheitsschutz oder einen respektvollen Umgang mit den ArbeiterInnen.
Je breiter eine Gewerkschaft aufgestellt ist, desto schlagkräftiger ist sie. Je umfassender sie die ArbeiterInnen verschiedener Berufsgruppen und Betriebe, Regionen und Nationen umfasst, desto weniger kann sie als Instrument der Spaltung benutzt werden.
Gewerkschaften müssen Schulen des Klassenkampfes sein. Sie sind die Massenorganisationen des wirtschaftlichen Kampfes. Sie sind nicht nur Zweckbündnisse einzelner ArbeiterInnen, vielmehr stiften sie Identität, wecken Solidarität, schaffen ein kollektives Bewusstsein, bilden und erziehen ihre Mitglieder. Dazu gehören der Kampf gegen Rassismus und Sexismus, gelebte Solidarität und auch ganz simple Dinge wie Rhetorik, Organizing, Buchhaltung oder Rechtskenntnisse.
Heute stösst das Proletariat beinahe schon mit der platten Nase auf die Notwendigkeit der Organisation, scheinbar persönliche Fragen wie die Berufs- und Karrierewahl, Familienplanung, Vorsorge etc. lassen sich nicht mehr individuell beantworten. Nur ein organisiertes Kollektiv schafft Abhilfe, und ihre Stärke offenbart sich im Kampf.
Dieser Kampf darf nicht auf die unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen einer Belegschaft begrenzt bleiben. Wollen wir erfolgreich sein, müssen wir unsere Kämpfe auf die politische Ebene ausweiten und die Interessen der ganzen Arbeiterklasse aufzeigen. Kurz: die Brücke schlagen zwischen dem unmittelbaren Tageskampf und der sozialen Revolution. Die Praxis zeigt hier viel deutlicher als jede theoretische Abhandlung, wie sich bereits im kleinen Rahmen die ganz grossen Widersprüche und Klassengegensätze zeigen.
Gerade in Zeiten der ökonomischen Krise, welche durch die Pandemie verschärft und beschleunigt wird, treten die ganz grossen Fragen auf die Tagesordnung. Wenn alle Zeichen auf Sturm stehen, dreht die Kompassnadel der Geschichte Richtung Revolution. Es gibt keine Konflikte mehr, welche isoliert ausgetragen werden können. Jeder scheinbar kleine Konflikt zeigt die Grenzen des Systems auf. Jede Verbesserung im Arbeitsleben, jede soziale Errungenschaft, beinahe jeder zivilisatorische Fortschritt stösst an die Grenzen der kapitalistischen Möglichkeiten.
Ein Streik ist die kollektive Niederlegung der Arbeit in einem oder mehreren Betrieben. Er bedeutet, dass wir verweigern, dem Arbeitgeber unsere Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Es wird nichts produziert, es werden keine Dienstleistungen erbracht. Somit entfällt für die Zeit der Arbeitsniederlegung die Möglichkeit der EigentümerInnen der Arbeitsstätte, anhand des produzierten Mehrwerts Profite einzustreichen. Der Arbeits- und Aneignungsprozess ist für eine gewisse Zeit unterbrochen. Während eines Streiks erhalten die ArbeiterInnen keinen Lohn, weswegen sie sich selbst aushelfen müssen, z.B. mit Streikkassen, Streikküchen und dergleichen.
Gerade aufgrund der immensen wirtschaftlichen Kraft, die ein Streik offenbart, ist er das stärkste Kampfmittel der Arbeiterklasse. Er setzt den Eigentümer einer Firma unter Druck. Die ArbeiterInnen können den KapitalistInnen ihren Willen aufzwingen. Im Streik offenbart sich die Macht der gemeinsam handelnden ArbeiterInnen. Kein Rad dreht und keine Lampe leuchtet ohne die freundliche Erlaubnis der Arbeiterklasse. Es ist wichtig, den Unterschied zwischen einem Streik, einer Demonstration oder auch individueller Aktionen zu verstehen. Jede Protestform hat ihren Zweck, aber nur der Streik schmerzt den KapitalistInnen direkt im Geldbeutel.
Die Gewerkschaften in der Schweiz haben scheinbar ihre goldenen Jahre längst hinter sich. Die Mitgliederzahlen stagnieren seit 30 Jahren. Von den wenigen Kämpfen, die gewagt wurden, gingen viele nicht siegreich aus. Diese Periode der Schwäche und Erfolglosigkeit hängt einerseits mit der relativen Stabilität des Schweizer Kapitalismus und dem parasitären Imperialismus der Schweizer Bourgeoisie zusammen, andererseits ist sie aber auch Resultat einer Zähmung der gewerkschaftlichen Praxis, Verlust der Traditionen, der Bevormundung der ArbeiterInnen, der Klassenkollaboration und der Hoffnungslosigkeit der Gewerkschaftsführungen.
Doch die gewerkschaftliche Organisation hat nichts an ihrer Bedeutung eingebüsst. In der aufflammenden Krise zeigt sich deutlich, dass die aufgescheuchten ArbeiterInnen sich zuallererst an die Gewerkschaften wenden. Aktuell stehen vor allem Verteidigungskämpfe an. Eine sich bewegende Arbeiterklasse kann keine lahme Führung gebrauchen: Sie setzt sie entweder ab oder organisiert sich ohne sie. Dieses Muster sahen wir im vergangenen Jahr mancherorts in der Schweiz. Die Kämpfe um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Industrie, die Erhöhung der Löhne in der Logistik, die Aufstockung der Personaldecke in der Pflege und einige mehr sind erst das Vorspiel auf die vielen grossen Schlachten, die das Proletariat in der kommenden Zeit austragen wird. Unsere Rolle als MarxistInnen ist hierbei nicht nur Solidarität in den Arbeitskämpfen, sondern auch die Unterstützung der Basis im Kampf gegen die verknöcherte Gewerkschaftsbürokratie. Wir erobern uns die Gewerkschaften zurück. Nicht Führungslosigkeit, sondern eine revolutionäre Führung im Dienste der Basis ist das richtige Werkzeug.
Ob Klimabewegung, arbeitende Jugend oder krisengeschüttelte Bevölkerung: Niemand kommt um die Notwendigkeit starker Gewerkschaften herum. Damit diese Massenorganisationen nicht zur Zähmung, sondern vielmehr zur Erstarkung der Arbeiterklasse führen, erachten wir MarxistInnen folgende Forderungen als zentral:
– Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen es sich zum Ziel machen, Arbeitskämpfe wirklich zu führen, zu gewinnen und die Erfahrungen zu verbreiten. Keine Scheingefechte mehr, keine Entlassungen ohne Kampfmassnahmen.
-Völlige Unabhängigkeit der Gewerkschaften von den Kapitalisten und ihrem Staat, Schluss mit Friedenspflicht und Sozialpartnerschaft.
-Vollständige Demokratisierung der Gewerkschaften: Diskussion und Beschlüsse über die wichtigen Fragen an Basisversammlungen, Rechenschaftspflicht und permanente Abwählbarkeit aller FunktionärInnen.
Vor allem aber gilt: Wer die Wichtigkeit der Massenorganisationen in der Epoche des sich zuspitzenden Klassenkampfes anerkennt, tritt einer Gewerkschaft bei und kämpft für diese Forderungen.
Beat Schenk
Unia Ostschweiz-Graubünden
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