Obwohl die Bewegung seit über vier Monaten kämpft, hat sie ihre Forderungen nicht durchsetzen können. Mittels grösserer Repression und dem Pseudo-Dialog «Grand Débat» versucht Macron, die Bewegung totzukriegen.
Im letzten November hatte die französische ArbeiterInnenklasse genug. Jahrelang wurde sie durch Konterreformen angegriffen und sah ihren Lebensstandard immer bedrohter. Die Gelbwestenbewegung zeigt, wie schnell eine Massenbewegung entstehen kann, wenn sich die Wut angestaut hat! Der 13. April markierte die 22. Woche der Kämpfe und es waren erneut knapp Hunderttausend Menschen auf der Strasse (Quelle: Le nombre jaune), auch wenn die Angaben des Innenministeriums deutlich tiefer (7’500) sind.
Der Widerstand der Bevölkerung ist deutlich hartnäckiger als von der Regierung erwartet. Macrons Abkehr von der Treibstoff-Steuererhöhung gekoppelt mit der Erhöhung des Mindestlohns sind die ersten Zugeständnisse, die in der EU seit langem erkämpft wurden. Das ist eine lehrreiche Stunde für die Arbeitenden: Kämpferisch können sie ihre Interessen in diesem System verteidigen. Wirkliche Zugeständnisse kann sich die Bourgeoisie aber nicht leisten. Somit setzt Macron auf verstärkte Repression und den «Grand Débat»: Dazu lud er in einem offenen Brief zu Befragungen über nötige Reformen ein. Beide Massnahmen haben dasselbe Ziel: Die Gelbwestenbewegung zu beenden.
Die Forderungen der Bewegung nach einer Ausweitung der demokratischen Rechte mittels Referendumsrecht und nach einer Erhöhung der Reichensteuer bleiben ungehört. Die Forderung nach Referenden zeigt, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen kaum vorhanden ist und dass die Bewegung politischer geworden ist.
Macron hatte Anfang 2019 zum Grand Débat aufgerufen. Das Ziel? Einen Dialog mit der Bevölkerung zu inszenieren. Die französische Bevölkerung sollte Forderungen einreichen und mit Macron diskutieren, um Lösungen zu finden. Doch es ist klar, was die wahre Absicht dieser nationalen Debatte ist. Macron wollte sich Zeit verschaffen, um die Bewegung abflauen zu lassen. Denn der Präsident steht weiterhin unter starkem Druck der Bourgeoisie und muss Konterreformen durchboxen. Das ist aber in der aktuellen Lage unmöglich, da er bei jedem weiteren Angriff auf enormen Widerstand der Bevölkerung treffen wird. Die nationale Debatte ist mittlerweile beendet und nun wartet man auf die Auswertung der Regierung; seine Stellungnahme verschob Macron aber aufgrund des Brands der Notre-Dame. Die meisten Leute haben sich allerding kaum dafür interessiert. So zeigten Umfragen, dass 70% der Bevölkerung nichts von den Debatten hielt.
In der Krise im Kapitalismus gibt es keinen Platz für Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse. Um in der Weltwirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse der letzten Jahrzehnte angegriffen werden. In Frankreich ist der Steuersatz sehr hoch und der Sozialstaat (noch) ziemlich stark. Staatsausgaben machen 56% des BIP aus.
Macron hat Demonstrationsverbote erlassen und das Militär eingesetzt, um Regierungsgebäude zu schützen. Hier sieht man die wahre Absicht der Regierung: Das Gerede von der nationalen Debatte kam zum gleichen Zeitpunkt wie der verstärkte Polizeieinsatz. Das einzige Ziel der Regierung ist es, die Bewegung totzukriegen, um neue Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse starten zu können. Das vordergründige Entgegenkommen mit dem Grand Débat und die erhöhte Repression finden nicht zufällig gleichzeitig statt, sondern sind Teil der Taktik des bürgerlichen Staates.
Es ist eine wichtige Erfahrung, die die ArbeiterInnen in Frankreich momentan machen. Sie sehen, dass die Bedürfnisse der Menschen in der bürgerlichen Demokratie kein Gehör finden. In solchen Phasen wird der Klassencharakter des Staates deutlich: Wenn die arbeitende Bevölkerung sich gegen Angriffe wehrt, dann stellt sich der Staat nicht auf ihre Seite, sondern auf die Seite des Kapitals. Durch ihre Unnachgiebigkeit haben sie es jedoch ermöglicht, dass Frankreich nachhaltig destabilisiert ist und Macron unter Zugzwang bleibt. Er muss unbedingt Reformen fürs Grosskapital durchsetzen. Das wiederum wird die Bevölkerung Frankreichs weiter politisieren und ist ein deutlicher Beleg dafür, dass die Bourgeoisie Mühe hat, ihre Konterreformen durchzusetzen, wenn sich die Bevölkerung wehrt. Die Opposition – namentlich die France Insoumise und die Gewerkschaft CGT – zögert, statt sich ihrer Aufgabe bewusst zu werden, die Bewegung zu organisieren und einen Generalstreik vorzubereiten. Der Druck auf der Strasse wird hoffentlich auch sie zum Einschwenken auf eine revolutionäre Linie zwingen.
Stéphane Holzmann
Marxistische Studierende Zürich
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