Paul Rechsteiner, ein regelrechter Politdinosaurier, tritt nach 20 Jahren an der Spitze des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) zurück. Seit 32 Jahren im Bundesparlament, steht er mehr für den Schweizer Konsens und den Arbeitsfrieden als die meisten Patrons. Der Wechsel an der Spitze wird allerdings keinen Wechsel im Kurs des SGB mit sich bringen, so dringend dies auch nötig wäre!
Werdegang mit Zug nach rechts
Zwischen 2008-2011 verkörperte Rechtsteiner die reformistische Hoffnung auf eine linke Perspektive gegen die Krise. Rechsteiner hatte einen grossen Einfluss auf die Einführung der Flankierenden Massnahmen (FlaM), eine wichtige, wenn auch ungenügende Errungenschaft. 2008 kritisierte er die UBS-Rettung per Notrecht – von einem juristischen Standpunkt aus. 2011 gewann er die Wahl in den Ständerat gegen SVP-Präsident Toni Brunner.
Während seiner Amtszeit lancierte der SGB zwei Mindestlohninitiativen sowie die «AHV-plus»-Initiative. Keine wurde angenommen. Doch das Scheitern lag jedes Mal weit vor dem Urnengang. Keine der Kampagnen wurde genutzt, um die Gewerkschaften in den Betrieben zu verankern. Seine Taktik für AHV-plus, mit der Initiative Druck auf den Bundesrat zu machen für eine bessere Rentenreform, schlug fehl. Rechtsteiner erstickte den Enthusiasmus, der während der Sammelphase aufkam, gleich selbst wieder. Er wendete sich pessimistisch von der Basis ab und suchte einen Minimalkompromiss mit der Bourgeoisie. Er unterstützte die AV2020 und ist momentan federführend beim Jahrhundertverrat STAF.
Rechsteiner steht für die kollektive Gewerkschaftsführung, die sich immer noch in den 1960er Jahren glaubt.»
Konservativer Gewerkschafter
Rechsteiner steht für die sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftspolitik der Nachkriegszeit – im 21. Jahrhundert. Wenn er dem SRF sagt: «Der Gewerkschaftsbund ist sehr gut aufgestellt», zeigt das, wie er die Notwendigkeit von kämpferischen Gewerkschaften verkennt.
Rechsteiner steht für die kollektive Gewerkschaftsführung, die sich immer noch in den 1960er Jahren glaubt. Der Nachkriegsboom ermöglichte praktisch kampflos Zugeständnisse an die Arbeiterklasse. Diese Zeit ist eindeutig vorbei! In der heutigen Phase der Krise des Kapitalismus kann sich die Bourgeoisie keine Kompromisse mehr leisten und greift die Sozialpartnerschaft an. Doch Rechsteiner und co. versperren sich dieser Erkenntnis. Das hält die Gewerkschaften von ihrer grundsätzlichen Aufgabe ab: der Organisierung der Lohnabhängigen. Das führt zu einer fortschreitenden Schwächung der Schweizer ArbeiterInnenbewegung.
Um das gewerkschaftliche Kernland, die Betriebe, steht es nämlich arg! Praktisch keine der Deutschschweizer SGB-Sektionen hat in den letzten Jahren erfolgreiche Kampferfahrungen gesammelt. Rechsteiner bestärkt weder die Westschweizer und Tessiner Streiks noch trägt er sie in die deutschsprachige Presse. Hier herrscht Alarmzu-stand! Die Praxis muss sich schnell ändern. Doch der SGB-Kongress geht lieber den bekannten Weg weiter.
Frischer Wind? Wohl kaum
Am 1. Dezember wird nun Rechsteiners Nachfolge gewählt. Politische Auseinandersetzungen sind keine zu erwarten. Die zwei Kandidaturen unterscheiden sich nach zwei Kategorien: Geschlecht und Sprach-region, nicht nach politischem Kurs (St. Gallerin Gysi gegen Waadtländer Maillard). Kein Wort wird verloren über den Handlungsbedarf beim SGB oder zur Hinterfragung des Arbeitsfriedens. Das erstaunt nicht, beide stehen klar zum Kurs des Klassen-kompromisses der SP und haben sich Ausreisser nach rechts geleistet. Zu nennen ist vor allem Maillards Verrat an der Arbeiterklasse mit seiner führenden Rolle in der Unternehmenssteuersenkung im Kanton Waadt.
Trotzdem stehen alle Anzeichen auf Maillards Sieg am SGB-Kongress. Damit dürfte sich am bisherigen Kurs wenig ändern.
Die Zeichen stehen auf Sturm!
Während der SGB den ökonomischen «Aufschwung nutzen» will (Kongresspapier 2018), häufen sich die Angriffe der Patrons. Am Horizont mehren sich die Vorzeichen eines erneuten Kriseneinbruchs. Wir sehen einen SGB, der in den Wolken schwebt, obschon er rasch über die Bücher müsste. Der aktuelle Kampf um den LMV im Bausektor zeigt, dass nur starke nationale Mobilisierungen Angriffe abwehren können (siehe Artikel LMV). Für Verbesserungen braucht es noch einiges mehr.
Jeder geführte Kampf muss ausgewertet werden und einen Schritt im Aufbau von offensiven, betrieblich verankerten Gewerkschaften darstellen. Die Zeit der Stellvertreterpolitik und des Arbeitsfriedens ist endgültig vorbei. Die Patrons haben das längst begriffen und handeln entsprechend. Das Festhalten an der alten Praxis reisst den Graben zwischen der SGB-Führung und der Basis weiter auf.
Der SGB ist der grösste nicht-bürgerliche Verband der Schweiz. Es ist seine Aufgabe, die Führung der Opposition zu übernehmen. Für das Wahljahr 2019 heisst das, von der Basis her das Klassenbewusstsein schärfen, die eigenen Strukturen demokratisieren und den Kapitalisten so den Kampf anzusagen.
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