Mitte November füllten an drei aufeinander folgenden Tagen jeweils zwischen 8000 bis 11000 streikende Staatsangestellte die Genfer Innenstadt um gegen das Kantonsbudget 2016 anzukämpfen. Während das Ausmass der Streikbewegung aus regionaler Sicht als historisch zu bezeichnen ist, sind sowohl die Ursachen als auch die Umstände ebenfalls aus nationaler Sicht bemerkenswert.
« Nicht zu kämpfen schadet ihrer Zukunft! » © A. Dubois
Das kantonale Budget 2016 verkörpert ohne Frage eine Kriegserklärung an den Service Public, dessen Angestellte und Nutzer und somit an sämtliche Genfer Lohnabhängige. Das oberste Ziel, die Reduzierung der Lohnmasse der Staatsangestellten um 5% in drei Jahren, soll mittels tiefgreifender struktureller Massnahmen erreicht werden. Da wäre beispielsweise die Aufstockung von 40 auf 42 Wochenstunden ohne Lohnkompensationen. Oder der grundsätzliche Verzicht auf das Ersetzen der rentenbedingten Abgänge, was insbesondere die jungen Arbeitssuchenden treffen wird. Oder das Erleichtern des Kündigungsverfahrens, eine Massnahme, die aus staatshaushälterischer Sicht kaum Sinn macht und eher der Spaltung der ArbeiterInnenbewegung dient. Die ganze Liste ist satte 92 Eingriffe lang und zielt mit Vorliebe auf die untersten Gesellschaftsschichten ab.
Konsequenterweise – jedoch zur grossen Überraschung der Genfer Bourgeoisie (FDP-Vize Alder sprach von einer „völlig disproportionierten Mobilmachung“) – hielt das Ausmass des Aufstandes mit jenem des Angriffes Schritt. Die Staatsangestellten beschlossen einstimmig den Streik, in sämtlichen Bereichen des Service Public stellten die Staatsangestellten die Arbeit ein, gewisse Sektoren erreichten gar Streikraten von über 90% und die Generalversammlungen mit über 1500 Teilnehmenden verlängerten den Streik um insgesamt drei Tage. Schliesslich sprachen selbst bürgerliche Medien von der grössten Bürgerbewegung seit den 80er Jahren. Besonderen Grund zur Erwähnung lieferte die Schülergewerkschaft AJE (Verein der engagierten Jungen), welche sich durch Kreativität, Ausdauer und Geschlossenheit ausgezeichnet hat. Einen weiteren Höhepunkt stellte der zweite Streiktag dar, als die Staatsangestellten gemeinsam mit den im Zusammenhang des Landesmantelsvertrags streikenden BauarbeiterInnen die Verkehrsachse des Pont du Mont-Blanc und somit den städtischen Autoverkehr blockierten.
Dennoch handelt es sich keinesfalls um ein kantonales Phänomen, wovon schon nur die Mobilisierungen dieses Jahres in Bern, Liestal und Luzern zeugen. Neuerdings wird der asoziale Steuerwettbewerb durch eine weitere hässliche Facette, die für das Jahr 2019 angekündigte dritte Unternehmersteuerreform (USR III), zusätzlich befeuert. Die von der EU geforderte Harmonisierung der Steuersätze von ausländischen und Schweizer Firmen, die von den Kantonen – wie bereits angekündigt – wohl durch Senkungen der Gewinnsteuer aufgefangen werden wird, könnte in gewissen Kantonen zu Steuerausfällen von über 500 Millionen Franken führen.
Nun wird dieser eigentlich nationale und internationale Kampf nach föderalistischen Prinzipien auf die regionalen Zentren heruntergebrochen, wo die Sektionen der Gewerkschaften und Linksparteien alleine und somit geschwächt den bürgerlichen Mehrheiten entgegentreten müssen. Dies dürfen wir jedoch nicht zulassen. Die LuzernerInnen, die aktuell gegen Sparmasnahmen in der Bildung kämpfen, sollten ihre Augen nach Genf richten und mit ihnen die Einheit suchen. Die im Oktober von der JUSO Schweiz verabschiedete, zur nationalen Koordination der kantonalen Bewegungen auffordernde Resolution ist nun ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Grosse Streikbewegungen wie jene in Genf bieten uns MarxistInnen immer die Möglichkeit, den ganz offensichtlich vorhandenen Drang nach Veränderungen mit politischen Analysen zu nähren. So liegt der Grund für die bürgerliche Abneigung gegenüber dem Sozialstaat nicht in Bösartigkeit oder Geiz, sondern in der stetigen Suche nach Profiten und neuen Absatzmärkten. Denn der Service Public besteht hauptsächlich aus der interaktiven Arbeit von gut ausgebildeten ArbeiterInnen, ist daher schwerlich mechanisierbar und somit nicht mit der kapitalistischen Profitlogik zu vereinen. Dass mittels Privatisierungen versucht wird, den öffentlichen Dienst dennoch produktiver zu gestalten, hat gravierende Folgen für die Menschen, die auf die qualitative (und eben nicht quantitative) Arbeit von beispielsweise Pflegefach- oder Lehrkräften angewiesen sind.
Die Gewerkschaften haben den Streik bis zum 1. Dezember ausgesetzt. Die Ignoranz der Genfer Regierung, die Grössenordnung der drei Novembertage sowie die bereits wieder angelaufenen Mobilisierungen geben Anlass zur Hoffnung, dass in Genf diese Arbeit wohl bald fortgesetzt wird.
Dersu Heri
Juso Genf
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