15’000 Bauarbeiter demonstrierten am 25. Juni an der nationalen Baudemo in Zürich, um Druck auf die LMV-Verhandlungen auszuüben.
Es herrschte eine radikale Stimmung an der Demo, die aufzeigte, dass die Bauarbeiter bereit wären zu kämpfen, was jedoch offensichtlich gefehlt hat, war eine klare Perspektive mit einem vereinten Kampfprogramm. Anstatt die Massen als Rückenstärkung in den LMV-Verhandlungen zu brauchen, hätte die UNIA die Demonstration nutzen sollen, um solch ein Kampfprogramm in der Basis zu verankern und die Wut der Arbeiter damit in den kollektiven Kampf zu kanalisieren.
Der Landesmantelvertrag wird alle 4 Jahre neu, zwischen den Bau-Gewerkschaften und dem Baumeisterverband, also zwischen Arbeiter- und Kapitalistenvertretern, ausgehandelt. Wie alle GAVs regelt der LMV unter welchen Bedingungen die Arbeiter ausgebeutet werden, er legt also den Rahmen für die Arbeitsbedingungen, Löhne usw. fest. Ausserdem bedingt er einen Arbeitsfrieden, verbietet den Arbeitern also zu streiken.
Der LMV im Bau ist einer der besten GAVs der Schweiz mit einem Rentenalter von 60 Jahren. Das wurde nicht durch Bitten, sondern 2002 durch einen flächendeckenden Streik hart erkämpft. Die diesjährigen Verhandlungen sind so wichtig, da sie 80’000 Arbeiter direkt und 8 % der Schweizer Arbeiterklasse indirekt betreffen. Der Bau ist zudem einer der gewerkschaftlich am besten organisierten Sektoren. Damit trägt der Kampf der Bauarbeiter eine besonders wichtige Rolle für den Klassenkampf als ganzes. Treten sie in den Streik hat das eine enorme Signalwirkung für all die anderen Sektoren, die in ihrem Bewusstsein auch schon fortgeschritten sind, wie zum Beispiel der Pflege- und Flugsektor.
Bei den letzten LMV-Verhandlungen 2018 versuchte der Kapitalistenverband schon die Arbeitsbedingungen hart anzugreifen. Um nur einige ihrer Forderungen zu nennen: Das Rentenalter sollte erhöht, die Einstiegslöhne gekürzt, der Kündigungsschutz bei Krankheit und Unfall abgebaut werden.
Auch dann organisierte die UNIA eine nationale Demo, an der 18’000 Arbeiter teilnahmen. Da die Baumeister davon unbeeindruckt blieben und auf ihrer harten Linie weiter fuhren, streikten national 15’000 Arbeiter verteilt über insgesamt 7 Tage hinweg. Den Angriff auf die Profite konnten die Kapitalisten nicht mehr ignorieren und mussten in den Verhandlungen einige Zugeständnisse an die Gewerkschaften machen.
Besonders fortgeschritten sind die Kampftraditionen im Tessin und der Romandie, so weigerten sich Bauarbeiter in Genf während der ersten Coronawelle die Baustellen zu öffnen, um ihre Gesundheit zu schützen.
Ein Arbeiter an der Baudemo meinte in einem Gespräch zu uns: „Man muss immer kämpfen, sonst werden die Arbeitsbedingungen wieder verschlechtert.“ Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Es reicht nicht aus alle vier Jahre ein paar Tage zu kämpfen, da die Patrons das ganze Jahr über organisiert sind und die Arbeiterklasse angreifen, wo immer möglich, um so ihre Profite zu vergrössern. Das lässt sich im Bausektor exemplarisch aufzeigen. Denn wo der LMV gewisse Aspekte der Arbeitsbedingungen schützen kann, werden sie an einer anderen Ecke angegriffen.
Seit 30 Jahren nimmt der Druck und Stress auf die Arbeiter konstant zu. Auf immer weniger Arbeiter kommen mehr Aufträge. Ein Bauarbeiter erklärte uns, dass aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen ein riesiger Mangel an neu einsteigenden Arbeitern herrsche. Alle Bauarbeiter erzählen uns, dass die Bosse immer mehr Druck machen und dass sich das insbesondere während der Corona-Pandemie nochmals verschärft hat. Ein anderer Arbeiter berichtete, dass er und seine Kollegen damit gerechnet hätten, dass sie dafür später mit einer verdienten Lohnerhöhung belohnt würden. Die Erwartungen wurden jedoch enttäuscht und die Arbeitsintensität nie zurückgeschraubt. Vor ein paar Jahren hätten sie bei schlechtem Wetter Pause gemacht oder in innen Bereichen gearbeitet. Heute müssten sie genau wie bei gutem Wetter arbeiten, dabei würden viele krank und das könne man sich wiederum kaum erlauben. Einige Arbeiter aus Portugal und Italien berichteten, dass in der Schweiz zwar die Löhne höher seien als in ihrem Herkunftsland, dafür die psychischen Belastungen und Krankheiten hier viel verbreiteter seien. Als Konsequenz auf die Intensitätssteigerung und zu magelnde Schutzkonzepte hat die Anzahl Arbeitsunfälle in den letzten 30 Jahren um 17,9 % zugenommen.
Auf die allgemeinen Verschlechterungen der letzten 30 Jahren kommt jetzt schlagartig die Inflation oben drauf. Die Preise steigen und die Löhne bleiben gleich, was eigentlich bedeutet, dass die Reallöhne sinken. Ein Arbeiter meinte zu uns, dass sich viele kaum mehr ihre Miete bezahlen könnten. Welch perverse Ironie, dass die Arbeiter, die jährlich zig Häuser errichten, selbst kaum die Mieten einer Wohnung zahlen können.
Wie schon erwähnt, greifen die Baumeister die Arbeiterklasse aufs Härteste an. Die Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen der letzten Jahre und Jahrzehnte und die damit einhergehende Verbesserung ihrer Profitbedingungen reichen ihnen nicht aus. Für die neuen LMV-Verhandlungen fordern sie zum Beispiel mehr Flexibilität, was konkret bedeutet, dass Arbeiter im Sommer 50 Stunden die Woche arbeiten müssten, dass sie mehr Nachtschichten einlegen müssten. Zur gleichen Zeit würde es das Installieren von prekären Anstellungsformen, wie den Temporär-Anstellungen, vereinfachen. Sie wollen die allgemeinen Lohnerhöhungen abschaffen und durch Leistungslöhne ersetzen. Sie argumentieren, dass das gerechter wäre, da die Arbeiter für zusätzlichen Aufwand belohnt werden wollen. Es ist klar, dass die Umsetzung davon eine Senkung der Löhne insgesamt bedeuten würde und dass das Ziel ist, die Arbeiter untereinander stärker in Konkurrenz zu stellen und zu spalten.
Dass die Angriffe genau jetzt intensiver werden ist kein Zufall. Einerseits sind die Kapitalisten immer bestrebt die Arbeiterklasse anzugreifen, da sie so ihre Profitmarge erhöhen und konkurrenzfähiger werden, andererseits spielt die Krisenspirale, in der wir uns befinden, eine entscheidende Rolle.
In Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs stiegen die Profite schnell durch den wachsenden Markt auf dem die Produkte einfacher abgesetzt werden können. Was bedeutet, dass die Kapitalisten den Gewerkschaften einfacher Zugeständnisse machen konnten.
Jetzt sieht die Situation jedoch anders aus, Lieferkettenunterbüche treiben die Kosten für Rohstoffe in die Höhe. Die Ära des billigen Geldes, in der mit billigen Krediten gebaut und mit Immobilien spekuliert werden konnte ist vorbei. Die Anhebung der Leitzinsen führt zu teureren Krediten, sinkenden Investitionen und nicht rückzahlbaren Schulden. Die Weltwirtschaftskrise übt also einen enormen Druck auf die Bauunternehmen aus und setzt sie stärker unter Konkurrenzdruck, da die Produktionskosten steigen und der Markt am zusammenfallen ist. Die einzige Lösung aus dieser Krise hinauszukommen, wäre die Vergesellschaft und vollkommene Planung der Wirtschaft unter Arbeiterkontrolle, da nur so die Konkurrenz und Profitlogik ausgeschaltet werden können, die die Krise heraufbeschworen haben. Die Enteignung der Kapitalisten würde das Ende ihrer Existenz als Kapitalistenklasse bedeuten.
Es ist nicht erstaunlich, dass sie das nicht wollen. Also bleibt ihnen nichts anderes als das Spiel der Konkurrenz auf die Spitze zu treiben, indem sie die Produktionskosten so weit wie möglich senken. Wobei der Hebel dafür nur in der härteren und gründlicheren Ausbeutung (Steigerung des relativen Mehrwertes) liegt.
Die Interessen der Arbeiter, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Interessen der Kapitalisten, nach höheren Profiten und besserer Konkurrenzfähigkeit stehen also in einem fundamentalen, dem System eingeschriebenen Widerspruch. Dieser ergibt sich direkt aus der kapitalistischen Produktionsweise.
Die Kapitalisten halten die Arbeiter zwar für dumm und schreiben in ihren Pressemitteilungen Dinge wie: „Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben mehr gemeinsame Interessen, als gemeinhin angenommen wird. Wenn in Verhandlungen über einen neuen Landesmantelvertrag jeweils zugespitzte Forderungen präsentiert werden – was häufig der Fall ist – kann der Eindruck entstehen, dass kaum Gemeinsamkeiten bestehen. Nicht selten jedoch sind Bauarbeiter den Bedürfnissen ihrer Arbeitgeber näher als den Fundamentalforderungen der Gewerkschaften. Bei den aktuellen LMV-Verhandlungen versucht die SBV-Delegation deshalb auf gemeinsamen Interessen aufzubauen.“
Doch viele Arbeiter verstehen ganz genau, dass die Kapitalisten den Profit auf ihrem Rücken scheffeln. So erklärte uns ein Arbeiter, dass die Baumeister mit dem Käufer die Dauer von einem Jahr für den Bau eines Hauses aushandeln und für diese Zeit bezahlt würden. Dass die Arbeiter dann so stark unter Druck gesetzt und gestresst würden, dass sie das Haus nach 10 Monaten fertigstellten. Von dem Geld, das der Käufer für die zwei weiteren Monate zahlte, würden die Arbeiter dann aber nichts sehen, das steckten sich die Patrons in die Tasche.
Ein anderer sagte uns, dass nicht sie den Bossen dankbar sein müssten, sondern die Bosse ihnen. Würden die Arbeiter die Arbeit niederlegen, könnten die Bosse keinen Profit mehr einstreichen. In ihrem Betrieben hätten sie schon über das Streiken diskutieren, sie hätten ja ohnehin nichts zu verlieren.
Ein weiterer Arbeiter aus der Romandie, der kurz vor der Pension steht und mehr aus Solidarität gekommen ist, meinte dass der Demonstrationstag nichts bringe und dass man das schon vor vier Jahren erfahren habe, das einzige was den Kapitalistenverband dazu bringe den Forderungen der Gewerkschaften nachzugeben, sei ein 4 / 5 tägiger Streik. Danach dürfe man aber nicht aufhören zu kämpfen, da die Patrons sonst wieder zu einem Gegenangriff übergingen. Seiner Einschätzung nach wären die Arbeiter auch bereit dazu zu streiken, nur müsse man anstatt für 80 Franken, für 500 Franken Lohnerhöhung kämpfen. Da es sich für die 80 Franken mit der Inflation nicht lohnte.
Natürlich waren nicht alle Arbeiter in ihrem Bewusstsein so fortgeschritten wie diese drei, aber man spürte die Wut und den Willen zu kämpfen bei den allermeisten Arbeitern. Auf der anderen Seite spürte man aber auch viel Pessimismus und Perspektivlosigkeit. Viele Leute mit denen wir diskutierten waren wütend und stimmten mit uns überein, dass gestreikt und der Kapitalismus überwunden werden müsse, doch sagten sie danach, dass man ja sowieso nichts verändern könne.
Die Stimmung an der Demo hat gezeigt, die Bauarbeiter wollen kämpfen und die fortgeschrittensten haben schon weitreichende Schlüsse über den Charakter des Kapitalismus und die Notwendigkeit des Klassenkampfs gezogen. Was fehlt ist ein allgemeiner Kampfplan mit dem die Arbeitsbedingungen verbessert und langfristig geschützt werden können.
Die Forderungen, die die UNIA aufgestellt hat: “mehr Schutz für die Gesundheit der Bauarbeiter, faire Arbeitszeiten und ein Ende des Stundenklaus bei Reisezeit und Schlechtwetter!” sind zwar gut, reichen aber nicht aus und die Bauherren werden nicht freiwillig auf den, für sie nötigen Profit verzichten. Sie müssen dazu gezwungen werden und dass geht nur durch das Angreifen ihrer Profite mit dem Streik.
Die Forderungen reichen nicht aus, da die essentiellste Frage, die nach dem Lohn, nicht angesprochen wird. Denn die Inflation setzt den Lebensstandard der Arbeiter massiv und schnell herunter. Um den Kampf zu riskieren, braucht man braucht aber ein sich lohnendes Ziel und ein Programm das zu dessen Erkämpfung dient.
Ein solches Programm aufzustellen und es auf den Baustellen, in den Baracken und den Betriebsgruppen zu verankern ist die Aufgabe der kommenden Wochen. Die Baumeister werden den Bauarbeitern nichts schenken im Herbst. Nur mit hartem Kampf können wirkliche Verbesserungen gewonnen werden.
Die Arbeiter an der Demo haben gezeigt, dass sie kämpfen wollen oder besser gesagt, dass sie kämpfen müssen. Wir Marxisten unterstützen jeden Schritt, jeden Kampf für die Interessen der Bauarbeiter. Wir haben volles Vertrauen in die Arbeiterklasse und verteidigen sie gegen jeden Angriff.
Unsere Aufgabe ist es die Schichten der Arbeiter zu finden, die am fortgeschrittensten sind und die weitgehendsten Schlussfolgerungen über den Kapitalismus und die Notwendigkeit der Revolution gezogen haben, sie vom Marxismus zu überzeugen und mit ihnen die Organisation aufzubauen, die innerhalb der Gewerkschaften für ein revolutionäres Programm kämpfen kann.
Philipp Trummer
VPOD Fribourg
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