Die Industrie im Kanton Aargau kommt nicht zur Ruhe. Dem Börsenabsturz von General Electrics – einem der wichtigsten Arbeitgeber des Kantons – werden Entlassungen folgen.

Das Damoklesschwert schwebt über der Energiesparte des US-Konzerns General Electric (GE) und deren Produktionsstandorten im Aargau. Die Leitung GEs hüllt sich betreffend der aktuellen Abbaupläne am Schweizer Standort in konsequentes Schweigen. Doch eigentlich verpflichtet der GAV der MEM-Industrie die Unternehmen, die Gewerkschaft und die Belegschaft über Sparmassnahmen zu informieren.

Ende Oktober 2017 machte die Aargauer Zeitung anhand einer internen Quelle publik, dass GE den Abbau von 1’300 Stellen an den Standorten Baden, Birr und Oberentfelden plant. Dies nachdem bereits anfangs 2016, weniger als drei Monate nach der Übernahme des Energiesektors Alstoms durch GE, Kürzungen um 1’300 Stellen angekündigt worden waren. Nach internen Verhandlungen verringerte sich diese Zahl auf 900. Die hiesigen Gewerkschaften waren nicht in der Lage, die Belegschaft für einen Arbeitskampf zu gewinnen. Die Beschäftigungszahl an den aargauischen Standorten von GE ist innerhalb von zwei Jahren um tausend Arbeitsplätze auf 4’500 geschrumpft.

Die Investorenkonferenz von General Electric vom 13. November veranlasst zu weiteren Spekulationen. Denn inmitten boomender Finanzmärkte befindet sich der Börsenwert von GE seit Ende 2016 im Sinkflug. In diesem Jahr sackte der Börsenwert des Traditionsunternehmens bereits um rund einen Drittel auf zuletzt 178 Mrd. $ zusammen. Als Reaktion hat die Unternehmensleitung beschlossen, die Dividenden um die Hälfte zu kürzen und die “Kostenstrukturen” pro Jahr um zwei Milliarden Dollar zu “verschlanken”. Mit anderen Worten heisst das Abbau von mehreren tausend Arbeitsplätzen weltweit.

 

Geht es General Electric tatsächlich schlecht?

Als Legitimation der umfassenden Restrukturierung führt John L. Flannery (CEO GE) die Marktschwäche insbesondere der Energiesparte des Unternehmens an. Die Standorte im Aargau sind wichtig für den kantonalen Wirtschaftsstandort, weil viele lokale Zulieferbetriebe abhängig vom Fortbestehen der Produktionsstätten sind. 2010 rechnete die Unternehmensführung noch mit jährlich 300 grossen Gasturbinen. Stattdessen halbierte sich der Markt. 2011 waren es 249 Gasturbinen, 2017 noch 122. Flannery führt diese Entwicklung darauf zurück, dass eine Marktverschiebung hin zu erneuerbaren Energien stattgefunden habe, die den Absatz von Gasturbinen erschwert. Insgesamt habe die Nachfrage nach elektrischen Ausrüstungen, Geräten und Maschinen auf dem Weltmarkt nachgelassen. Die gesamte Branche der Produktion von Grossturbinen ist mit dramatischen Überkapazitäten konfrontiert. Denn der Einbruch im Markt für Gasturbinen führt dazu, dass die Produktionsstandorte nicht ausgelastet sind.

Dennoch muss an dieser Stelle betont werden, dass das Betriebsergebnis im Kerngeschäft von GE zwar leicht rückläufig ist, aber immer noch bei 1,9 Milliarden Dollar liegt. Das Unternehmen schreibt also nach wie vor fette Gewinne! Die Fusion zwischen Alstom und GE hat einen Prozess der Restrukturierung losgetreten. Im Klartext: Bei der Übernahme Alstoms wurden zahlreiche Arbeitsplätze überflüssig oder bot sich zumindest die Gelegenheit, Entlassungen durchzuführen, um die Rendite hochzutreiben.

 

Sorge vor Strukturwandel

Nebst den Entlassungsgerüchten bei GE sorgten Kündigungen von knapp 500 Stellen bei Rockwell und Roche für Beunruhigung im Aargau. In einem Kanton, in dem noch jedeR vierte LohnarbeiterIn im verarbeitenden Gewerbe tätig ist, ist eine fortschreitende Deindustrialisierung besonders verheerend. Im Jahr 2001 stellte der Industriesektor noch 29% der Beschäftigten im Kanton. Demnach ist eine geringfügig negative Entwicklung auszumachen.

Im Kanton Aargau dominiert nach wie vor die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie: Mit ca. 30’000 Beschäftigten entfallen auf diese rund die Hälfte der Arbeitskräfte in der kantonalen Industrie. Dies entspricht 12% aller Beschäftigten im Kanton.

Tatsache ist, dass Stellenabbau, Auslagerungen und Schliessungen Stichworte sind, die spätestens seit dem Frankenschock 2015 häufig im Zusammenhang mit der Industrie fallen. Das Wirtschaftswachstum ist im Aargau aber bereits seit 2012 marginal und hinkt dem schweizerischen Wert deutlich hinterher.

Dabei sorgen PolitikerInnen jeglicher Couleur dafür, dass die Besitzenden und deren Unternehmen im Aargau auf Rosen gebettet werden. Dies geschieht in erster Linie, indem die Steuerbelastung für Unternehmen tief gehalten wird. Weiter positioniert sich der Kanton durch moderne Infrastruktur und eine geographisch attraktive Lage als Transit-Kanton.

 

Regierung auf den Knien

Die kantonale Regierung scheut auch keine Kosten und Mühen, um Forschungsinstitute wie den Innovationspark beim Paul-Scherrer-Institut zu fördern, während die  Abbaupläne den Lebensstandard der meisten AargauerInnen herabsetzen. Tatsächlich kommt die Leitung vom Standort GE in der Schweiz bezüglich der Standortattraktivität ins Schwärmen. Man spüre sowohl bei Bundespräsident Schneider-Ammann wie auch bei SP-Regierungsrat Hofmann eine „pro-business“-Haltung.

Bereits Mitte Oktober hat Schneider-Amman in Atlanta Gespräche mit Russel Stokes (Präsident / CEO GE Power) geführt, worauf eine Arbeitsgruppe gegründet wurde, die nach Möglichkeiten sucht, den Forschungs- und Produktionsstandort von General Electric im Aargau zu sichern. Vor allem werden aber die liberalen Rahmenbedingungen, etwa was den Arbeitsmarkt betrifft, geschätzt. Für die ArbeiterInnen haben diese Faktoren harsche Konsequenzen, da mit dem liberalen Arbeitsrecht Entlassungen vom Staat nicht verhindert werden.

 

Steht das schlimmste noch bevor?

Verschiedene Konjunkturindikatoren deuten an, dass der Frankenschock für die Aargauer Industrie noch nicht ausgestanden ist. Insgesamt haben sich die Schweizer Exporte von der sprunghaften Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro erholt. Sie verzeichnen wieder Höchstwerte. Währenddessen waren die Vorzeichen bei den regionalen Ausfuhren für das Jahr 2016 nach wie vor negativ.

Positiv stimmt, dass die Exportzahlen der Elektrotechnik im ersten Halbjahr 2016 wieder gestiegen sind. Die MEM-Industrie, zu der auch GE zählt, fällt mit 3.8% durch eine vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote auf. Ein weiterer Indikator ist, wie viele freie Stellen ausgeschrieben sind. Im Kanton Aargau sind rund 1’000 ausgeschriebene Stellen unbesetzt, so wenige, wie zuletzt nach der Weltwirtschaftskrise 2007/2008. Da dieser Rückgang nur bedingt vom Dienstleistungssektor absorbiert wird, sollte nicht von einem Strukturwandel gesprochen werden. Es ist vielmehr eine stärkere Spezialisierung hin zu hochtechnisierten Industrien, die in der Regel weniger, dafür höher qualifizierte Arbeitsplätze benötigt. Denn während Spitzenindustrien wie etwa die Pharmaindustrie und die Elektroindustrie munteres Wachstum verzeichnen, werden zahlreiche Angestellte entlassen.

Wobei erwähnt werden sollte, dass die MEM-Industrie mit rückläufigen Aufträgen zu kämpfen hat. Zurückzuführen ist dies auf sinkende Strompreise und schwache Rohstoffmärkte sowie die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit durch die starke Währung.

Der Kanton Aargau erreicht im Rating der Credit Suisse betreffend der Standortattraktivität den dritten Platz. Trotzdem kritisieren die befragten Unternehmen, dass die Produktionskosten zu hoch, die Verfügbarkeit von Fachkräften zu knapp und gesetzliche Vorschriften zu streng und komplex seien.

 

Verhandlungen im Hinterzimmer statt Mobilisierung der ArbeiterInnen

Momentan klammern sich die Gewerkschaften und die aargauische Regierung hoffnungsvoll an die Aussage Flannerys, dass die zukunftsträchtigen Bereiche des Unternehmens – Energie, Luftfahrt und Medizinaltechnik – erhalten bleiben sollen. Mit der Energie wird also jener Unternehmenszweig aufrechterhalten, welcher im Aargau angesiedelt ist. Für Kopfzerbrechen sorgt jedoch der Aspekt des Kostenreduzierens. Denn die Produktionskosten – allen voran die Löhne – sind in der Schweiz hoch. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Regierung rechnen also damit, dass Entlassungen vorgenommen werden und im schlimmsten Fall könnte die Produktion und Service in der Gas- und Wasserkraft an einem anderen europäischen Standort konzentriert werden. Das sind jedoch Spekulationen. Die Führung des Konzerns informierte zwar seit Mitte Oktober fleissig über das geplante Sparprogramm für die Energiesparte. Die Konsequenzen für die betroffenen Standorte und Arbeitenden blieben aber bis heute unklar.

Im französischen Grenoble bei GE Hydro/Alstom streikten die ArbeiterInnen, deren Stellen bedroht war. Auch in Genf sahen wir kürzlich einen Streik in der Industrie (siehe Box). Ob die Gewerkschaften ein Jahr nach der ersten Entlassungswelle fähig zu Kampfmassnahmen sind, wird sich weisen. Bis jetzt zeichnet sich eher ein negatives Bild ab.

 

Ariane Müller
JUSO Aargau

(Redaktionsschluss war der 30.11.)
Bild: wikipedia

Welche Antwort auf die Auslagerung der Produktion?
Das Beispiel Genf
Das Gespenst der Produktionsverlagerung in billigere Länder geht auch in anderen Kantonen um. Bei ABB Sécheron in Genf soll der Standort nach Lodz in Polen ausgelagert werden. Die gesamte Produktion von Traktionstransformatoren könnte so auf einen Fünftel der bisherigen Lohnkosten reduziert werden. Das Szenario ist dem im Aargau sehr ähnlich. Was sich allerdings unterscheidet, ist die kämpferische Haltung der Belegschaft. Gegen den Verlust von 150 Arbeitsplätzen traten sie in den Widerstand und letztlich in den Streik. Dieser ist, je nach Auslegung, ein Verstoss gegen den Arbeitsfrieden im GAV – also illegal. Im Gegensatz zur Deutschschweiz unterstützte die Unia Genf diese Massnahme. Die Belegschaft hatte diese Arbeitsniederlegung demokratisch beschlossen und forderte, dass die Geschäftsleitung endlich Klarheit über die Zukunft des Unternehmens schafft und einen Plan präsentiert wie die Produktion in Genf aufrechterhaltet werden kann. Das Resultat der Verhandlungen, die am 21.11.17 abgeschlossen wurden, ist alles andere als klar. Es werden „Möglichkeiten geprüft“ wie die Arbeitsplätze erhalten werden können. Auf jeden Fall aber bleibt die kollektive Erfahrung des Streiks. Die unternehmerische Willkür wurde nicht einfach hingenommen. Möglich waren die kämpfereichen Massnahmen dank langjähriger Aufbauarbeit im Genfer Industriesektor.