Auf der ganzen Welt tritt die Arbeiterklasse in den Kampf. Die Angestellten von Amazon und Starbucks in den USA gründen eine Gewerkschaft, um gegen ihre miserablen Arbeitsbedingungen anzukämpfen. Mehr als 40’000 Streikende in Grossbritannien legen den gesamten öffentlichen Verkehr lahm. Auch in der Schweiz brodelt es!
Die Flughafenangestellten in Zürich, die BauarbeiterInnen national und die Angestellten des öffentlichen Verkehrs in Genf (TPG) mobilisieren sich. Die ArbeiterInnen in der Schweiz haben genügend Gründe, zu kämpfen. Seit zwei Jahrzehnten stagnieren ihre Lebensbedingungen. Jetzt kommen Inflation und Sparmassnahmen dazu. Die Krise treibt neue Schichten der Arbeiterklasse in den Kampf.
Wir müssen die einzelnen Kämpfe studieren und wichtige Lektionen für die gesamte Arbeiterklasse ziehen. Denn jeder Arbeitskampf ist Ausdruck des gleichen Prozesses: Es ist der Kampf gegen die Krise des Kapitalismus, die auf die Arbeiterklasse abgewälzt wird.
Insbesondere die Mobilisierungen der Bus- und TramfahrerInnen in Genf (TPG) sollten wir im Detail studieren. Sie liefern uns wichtige Lektionen für die nächsten Kämpfe in der Schweiz.
Der Sektor des öffentlichen Verkehrs in Genf ist einer der am besten organisierten Sektoren. 60-70 % der Angestellten sind gewerkschaftlich organisiert. Diese sind schon 2014 und 2018 in den Kampf getreten. Die wichtigste Schlussfolgerung der TPG-ArbeiterInnen: Kämpfen lohnt sich! Tatsächlich haben sie in beiden Kämpfen mit Androhung von Streik, respektive einem Streiktag, ihre wichtigsten Forderungen durchgesetzt.
Die aktuelle kapitalistische Krise ging jedoch nicht spurlos an ihnen vorbei. Ende Juni dieses Jahres kündigten die Angestellten der TPG einen weiteren Streik an. Es handelt sich dabei um die zentralen Forderungen der Schweizer Arbeiterbewegung: ein Teuerungsausgleich, um gegen die steigenden Lebenskosten anzukommen und eine Covid-Prämie von 500 Franken, um die Arbeitsbedingungen der Pandemiezeit zu kompensieren. Die Bus- und TramfahrerInnen legen die Frage auf den Tisch: Wer soll für die Krise bezahlen?
Die Geschäftsleitung der TPG verweigert die Lohnanpassung, mit der Begründung, dass sie keine guten Umsatzzahlen hätten. Dies, obwohl im Personalreglement festgehalten wird, dass die Löhne jedes Jahr erhöht werden müssen. Als kleines «Geschenk» boten sie jedoch eine Covid-Prämie von 500 Franken an, um die Arbeitsleistung während der Pandemie auszugleichen. Bei der Betriebsversammlung zusammen mit der Gewerkschaft haben die ArbeiterInnen jedoch beschlossen: Sie wollen für Covid-Prämie und Lohnanpassung kämpfen! Die Beschäftigten wollen nicht für die Krise bezahlen und sich nicht mit einer lächerlichen Prämie kaufen lassen. Sie wollen ihre Lebensbedingungen für die Zukunft sichern.
Nun wurde die Mobilisierung der Angestellten gestoppt. Denn die Geschäftsleitung der TPG hat die Kammer für kollektive Arbeitsbeziehungen (CRCT) des Kantons Genf eingeschaltet. Die Aufgabe dieser Kammer ist es, bei einem Arbeitskampf Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Geschäftsleitung mit einem Vertreter des Staates zu erzwingen. Das bedeutet jedoch, dass jeglicher Streik oder Mobilisierung der Angestellten während der Zeit der Verhandlungen verboten sind. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die TPG-Führung an diese Schlichtungsstelle wendet: Sie ist ein Werkzeug für die Bosse, um Mobilisierungen zu unterbinden und sich vor einem Streik zu retten.
Das Verbot von Mobilisierungen während der Verhandlungen bricht die Dynamik des Kampfs, die bei der Vorbereitung dieses Streiks entstanden ist. Anstatt eines offenen Kampfes gibt es neue Verhandlungen im Hinterzimmer – über die gleichen Streitpunkte und mit der gleichen Geschäftsleitung, welche bereits ihre Unnachgiebigkeit bewiesen hat.
Zusätzlich zeigen die Erfahrungen aus dem Kampf der Smood-LieferantInnen, dass auch ein „gutes Ergebnis“ für die ArbeiterInnen aus diesen Verhandlungen nicht wirklich etwas ändert. Im vergangenen Herbst streikten die Smood-LieferantInnen mehrere Wochen lang für bessere Arbeitsbedingungen. Nach einigen Wochen wurde die CRCT angerufen, um Verhandlungen zu erzwingen und den Streik abzubrechen. Die Kammer gab den Beschäftigten recht, dass ihre Forderungen gerechtfertigt wären und dass Smood sich – Überraschung! – an die Gesetze halten müsse. Jedoch sind diese Entscheidungen der CRCT nicht bindend, sondern eine Empfehlung. Wenn die Kapitalisten Gesetze brechen, drückt der Staat gerne ein Auge zu. Letztendlich haben sich die Bedingungen für die Lieferanten nicht verbessert. Die Erfahrung von Smood zeigt: Verbesserungen können nur gemeinsam am Arbeitsplatz selber erkämpft und umgesetzt werden. Wir können dem bürgerlichen Staat nicht vertrauen, unsere Forderungen umzusetzen.
Doch wieso ist der Kampf der TPG so wichtig? Er zeigt uns, was auch in den nächsten Kämpfen passieren wird. Die Arbeitgeber werden sich im Falle von Streiks an den Staat wenden, um die Mobilisierung der Arbeitnehmer zu brechen. Das heisst, die Frage wird sich immer wieder stellen: Was tun angesichts der staatlichen Intervention in Arbeitskämpfe?
Um sie zu beantworten, müssen wir uns über das Wesen des Staates im Kapitalismus im Klaren sein. Der Staat ist keine neutrale Institution, sondern er ist eine Institution der herrschenden Klasse. Das bedeutet, dass er der Staat der Bosse ist. Somit hat der Staat die Aufgabe, den Status quo zu verteidigen. Der bürgerliche Staat ist ein Mittel für die Kapitalisten, um ihre Interessen durchzusetzen. Sie nutzen ihn, um die Arbeiter für die Krise zahlen zu lassen, etwa in Form von Sparmassnahmen oder der Erhöhung des Rentenalters für Frauen. Und die CRCT ist die Kammer desselben Staates, die genutzt werden kann, um in Arbeitskämpfe einzugreifen – schlussendlich im Interesse des Kapitals.
Die Arbeiterklasse braucht heute Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wir können nicht darauf vertrauen, dass der Staat der Kapitalisten für diese Verbesserungen sorgt. Besonders in einer Krisenzeit wie heute muss der Staat mehr denn je die Bedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter angreifen, um das System zu retten. Und genau deshalb können wir nicht darauf vertrauen, dass die CRCT die Verhandlungen im Interesse der Arbeitnehmer führt. Nur wenn die ArbeiterInnen selbst mobilisiert und im Kampf bleiben, können Verbesserungen wirklich garantiert werden. Das heisst, wenn die CRCT oder eine andere Schlichtungsstelle aufgerufen wird, müssen die ArbeiterInnen zusammen mit den Gewerkschaften trotzdem streiken. Natürlich ist das gegen das Gesetz. Doch das Gesetz ist im Dienst der Kapitalisten. Hier geht es um Klassenkampf: Wenn man einfach prinzipiell die Gesetze akzeptiert, wird man die Kämpfe verlieren. Wollen wir unsere Forderungen durchsetzen, können wir nur auf unsere eigenen Kräfte vertrauen.
Was heisst das für die TPG? Sie müssen trotzdem streiken. Nach Jahren der Stagnation und des Rückgangs des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse würde ein Streik, und noch mehr ein Sieg, der Angestellten des öffentlichen Verkehrs in Genf ein Zeichen an die gesamte Klasse senden. Sie würden zeigen, dass es möglich ist, den Bossen Widerstand zu leisten. Doch dazu braucht es einen klaren Plan der Gewerkschaftsführer, wie die Forderungen umgesetzt werden können. Also wie die Belegschaft Druck aufbaut. Dafür muss die Führung ein klares Verständnis über die Rolle der CRCT und des bürgerlichen Staates haben. Sie muss aufzeigen, dass die Forderungen nur durch die ArbeiterInnen selbst erkämpft und umgesetzt werden können. Sie muss somit jegliche Illusion der ArbeiterInnen in diese Institution (und den Staat im Allgemeinen) zerstören.
Die TPG-Angestellten können diesen Kampf gegen den bürgerlichen Staat nicht isoliert von anderen Kämpfen und Sektoren führen. Die Gewerkschaftsführungen sollten Solidaritäts-Mobilisierungen und Streiks organisieren, damit die TPG-ArbeiterInnen ihre Forderungen erkämpfen können. Vor allem die Angestellten des öffentlichen Dienstes in Genf sollten ihren Kampf gegen die Kürzungen mit dem der TPG-Angestellten vereinen. Denn diese stehen ebenfalls vor Mobilisierungen im Herbst und dafür müssen sie sich vorbereiten. Und schlussendlich geht es um das Gleiche: Die Kämpfe der TPG sind Resultat der gleichen Sparmassnahmen, welche auch der öffentliche Dienst jedes Jahr bekämpft.
Der Kampf der TPG-Angestellten ist der Kampf der gesamten Arbeiterklasse. Alle Angriffe sind Teil des allgemeinen Abladens der Krisenkosten auf den Schultern der Lohnabhängigen. Die Probleme der ArbeiterInnen sind überall die gleichen: Inflation, die Folgen der Pandemie, Sparmassnahmen. Alle Kämpfe sind Ausdruck des Widerstands der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Krisenpolitik. Es braucht die Einheit der Arbeiterklasse in der Schweiz, um die Angriffe, die Sparmassnahmen und den Kapitalismus als Ganzes zu Fall zu bringen.
Deshalb müssen die verschiedenen Kämpfe auch als allgemeiner Kampf geführt werden. Es braucht eine Offensive der gesamten Arbeiterbewegung. Und die Bedingungen dafür sind schon heute da. Die Mehrheit der Lohnabhängigen brauchen heute Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen. Und viele Schichten wie die TPG-Angestellten sind heute bereit für diese Verbesserungen zu kämpfen. Doch dazu müssen die Führungen der Gewerkschaften diese Kämpfe auch offensiv und gemeinsam führen. Die Arbeiterklasse braucht ein allgemeines, sozialistisches Programm gegen die Krise.
von Sereina Weber
Bild: TPG-Arbeiter traten 2014 mit einem Streiktag in den Kampf und erreichten damit Verbesserungen.
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