In der Toblerone-Fabrik in Bern, die zum Mondelez-Konzern gehört, kämpfen die Beschäftigten für eine Lohnerhöhung von 6%. Alles darunter ist klar eine Reallohnkürzung. Denn seit Jahren steigt der Arbeitsdruck, die Löhne kaum. Jetzt kommen die Inflation und höhere Krankenkassenprämien obendrauf. Gleichzeitig machte Mondelez letztes Jahr 2,7 Milliarden Dollar Profit. Doch die Geschäftsleitung weigert sich seit zwei Monaten, die Forderung zu erfüllen. Interview mit Urs Brunner, Betriebselektriker in der Toblerone-Fabrik und Teil der Verhandlungsdelegation.
* Am 17. April, kurz nach dem Interview, brach die Geschäftsleitung die Verhandlungen ab. Mondelez will eine «individuelle» – also willkürlich verteilte – Lohnerhöhung von 1,8% zahlen. Die Belegschaft und die Unia nehmen das nicht hin, der Kampf geht weiter.
Wir verfolgen euren Arbeitskampf mit grossem Interesse. Ihr nehmt den Kampf gegen die Lebenskostenkrise als einer der ersten Betriebe in der Deutschschweiz auf. Damit habt ihr eine Vorbildfunktion für die kommenden Kämpfe. Wie kam es dazu?
Die Vorbereitung war intensiv. Wir mobilisierten im Betrieb mit Petitionen und Gesprächen für die Forderung einer generellen Lohnerhöhung von 6%. Es ging von Anfang an darum, die Einigkeit der Belegschaft zu unterstreichen. Das zeigte Wirkung: Wir konnten innerhalb kurzer Zeit mehr als die Häfte der 200 Angestellten überzeugen, die Lohnforderung zu unterstützen. Dann kam die erste Lohnverhandlung, bei der die Geschäftsleitung kein Angebot machte. In der zweiten Runde kam das Angebot von 1.2% ,bei der Dritten 1.5%. Wir haben diese Angebote bei der Verhandlung abgelehnt, die Belegschaft informiert und daraufhin Protestaktionen vor dem Betrieb organisiert.
Wie hat die Belegschaft auf die Angebote der Geschäftsleitung reagiert? Wie ist die Stimmung?
Zunächst mal war es natürlich sehr enttäuschend. Aber gleichzeitig wurde die Belegschaft auch wütender auf die Geschäftsleitung. Während die Inflation aufs Portemonnaie drückt, zahlten sich die Aktionäre fürs letzte Jahr über 10 % mehr Dividenden aus. Deshalb sind die Angebote der Geschäftsleitung eine Frechheit. Unsere Kollegen sind bereit, zu verhandeln – aber nicht bereit, eine Lohnsenkung zu akzeptieren. Wir machen nichts mit, was nicht Teuerung und Krankenkasse ausgleicht.
Wegen der Inflation hat sich die Kampfbereitschaft der Arbeiter also entscheidend verändert?
Ja natürlich. Es betrifft die Leute direkt im Privaten, wenn alltägliche Güter wie Brot und Milch teurer werden und sie sich weniger leisten können. Bei einigen geht es direkt ans Eingemachte. Die allgemeine Inflation und die steigenden Krankenkassenprämien sind also zwei wichtige Gründe zum Kämpfen. Dazu kommen noch die Effekte der Corona-Krise. Während die Leute im Büro Home-Office machten, mussten die Arbeiter in der Produktion, Technik und Logistik vor Ort seither mehr Schichten übernehmen: Seit letztem Jahr ist die gesamte Produktion vom 3-Schicht- ins 4-Schicht-System gesetzt worden. Das heisst, dass jetzt rund um die Uhr produziert wird – und für die Arbeiter bedeutet es, dass sie nur noch ein freies Wochenende im Monat haben. Deshalb fordern wir auch mehr als nur den offiziellen Teuerungsausgleich.
Ist die Belegschaft durch den Arbeitskampf enger zusammengerückt? Was war die Rolle der Betriebsversammlungen?
Ja, es gibt einen grösseren Austausch. Es wird viel über die Lohnverhandlungen geredet. Dies ist auch gut so. Es ist wichtig, dass sich die Leute beteiligen und hinter der Forderung stehen. Das war von Anfang an unser Ziel: Die Belegschaft ist zentral im Arbeitskampf – es gibt nicht einfach eine kleine Verhandlungsdelegation, die alles erledigt. Bei den Betriebsversammlungen ging es am Anfang vor allem darum, zu erklären, wieso wir 6% fordern. Und seither ist es wichtig, die Belegschaft über die Verhandlungsergebnisse zu informieren, darüber abzustimmen und die nächsten Schritte zu beschliessen. Damit weiss die Belegschaft immer Bescheid und kann geschlossen hinter der Verhandlungsdelegation stehen. Hundert und mehr Arbeiter hinter einer Forderung haben eine viel stärkere Kraft in den Lohnverhandlungen als ein kleines Grüppchen ohne Rückhalt.
Warum verweigert die Geschäftsleitung euch eine anständige Lohnerhöhung?
Sie argumentieren, dass auch für sie die Materialkosten im letzten Jahr gestiegen sind und dass der Standort hier besonders teuer ist. Doch dieses Argument bringen sie jedes Jahr immer wieder. Schlussendlich geht es für sie darum, die Aktionäre bei Laune zu halten. Ich beobachte leider, dass die Interessen der Aktionäre in letzter Zeit immer höher als die Interessen der Arbeiter gewichtet werden. Nicht nur bei uns, jeder Grossbetrieb kennt dieses Problem. Aber ich würde sagen, dass es jedem Unternehmen, das so hohe Dividenden ausschütten kann, gut gehen muss und es ihm möglich wäre, gute Löhne zu zahlen.
Aber sie halten eure Löhne doch genau darum tief, damit ihre Dividenden hoch bleiben – einverstanden?
Es ist halt ein Gegeneinander, das stimmt. Die eine Seite ist das, was die Mitarbeiter wollen. Die andere Seite ist das, was der Grosskonzern der Direktion der Fabrik beauftragt. Unsere Geschäftsleitung ist streng gesehen auch nur Befehlsempfänger von weiter oben. Die Geschäftsleitung bekommt vom Konzern gewisse Auflagen, an die sie sich halten muss.
Und die da oben, also die Konzernleitung, muss schlussendlich in der Konkurrenz überleben und nach Profit streben, oder?
Ja, sicher.
Wie weiter? Braucht es deiner Meinung nach einen Streik?
Die Frage kann ich euch jetzt nicht beantworten und das entscheide auch nicht ich. Wir haben ja bisher auf andere Mittel gesetzt, wie etwa die Medien. Und was wir machen, besprechen wir mit den Kolleginnen und Kollegen, denn die müssen ja dahinterstehen. In Norddeutschland ist gestreikt worden von einer Mondelez-Belegschaft. Und so ein Streik tut dem Konzern definitiv weh. Das weiss auch jeder hier im Werk. Ich meine: Was bringt es dir als Konzern, die besten Aktionäre zu haben, wenn du keine Produktion mehr hast?
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