Der Geheimdienst soll noch mehr schnüffeln. Am 25. September stimmen wir über das Referendum gegen das neue Gesetz zum Nachrichtendienst (NDG) ab. Das Gesetz steht stark in der Kritik. Die BefürworterInnen betonen hingegen es sei verhältnismässig. Über diese und andere Fragen hat uns die angehende Juristin AK Auskunft gegeben.
Das zur Debatte stehende Nachrichtendienstgesetz sieht einen erheblichen Ausbau der möglichen Überwachungsmassnahmen vor. Die wichtigste Neuerung besteht darin, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum überwachen können soll. So soll er z.B. in Zukunft Wohnungen abhören, Ortungsgeräte verwenden, in Computersysteme eindringen und das Glasfasernetz überwachen können. AK ist Mitglied der Demokratischen JuristInnen Schweiz und hat an der London School of Economics studiert. Sie hat sich im Rahmen ihrer Masterarbeit intensiv mit dem Nachrichtendienstgesetz befasst.
Zusätzlich zum Interview haben wir noch zwei kleine Zusatztexte eingebaut: Ein Kommentar zu den historischen Aspekten der Überwachung und etwas zum Ausnahmezustand in Frankreich.
Funke: Was bedeutet Rechtsweggarantie und wie steht sie in Zusammenhang mit dem Überwachungsstaat?
AK: Mit der Überwachung greift der Staat in verschiedene Grundrechte der BürgerInnen ein, beispielsweise in das Recht auf
Privatsphäre. Die Rechtsweggarantie sieht vor, dass, wenn der Staat in diese Grundrechte eingreift, man dies vor einem Gericht oder einer Behörde geltend machen kann. Somit überprüft diese Instanz, ob der Grundrechtseingriff rechtens war oder nicht. Im Falle geheimer Überwachungsmassnahmen kann die überwachte Person den Grundrechtseingriff vor einem Gericht nicht geltend machen, weil sie ja nichts vom Eingriff wusste. Umgekehrt hängt die Wirksamkeit der Überwachungsmassnahme davon ab, dass sie eben geheim gehalten wird.
Das NDG sieht in Artikel 83 allerdings vor, dass alle Verfügungen, die im Rahmen des NDG ergehen, vor Bundesverwaltungs- und Bundesgericht angefochten werden können. Dies löst aber das Problem nicht. Bei Überwachungsmassnahmen ist das Problem nicht, dass der Rechtsweg per se nicht offen steht, sondern dass die überwachte Person ihn gar nicht beschreiten kann, da sie nicht über die Geheimüberwachung informiert ist.
Dieses von dir angesprochene Spannungsverhältnis besteht bei allen Überwachungsmassnahmen. Weshalb ist das NDG in diesem Zusammenhang besonders problematisch?
Ja, dieses Problem stellt sich immer bei staatlicher Überwachung, so auch bei den Vorgänger-Gesetzten des NDG. Das NDG aber erweitert die Kompetenzen des Nachrichtendienstes (NDB) massiv. So soll neu die Überwachung des Privatraumes mittels Anwendung von neusten Technologien möglich sein. Daher ist die Frage der Rechtsweggarantie auch viel interessanter, da es sich um deutlich stärkere Grundrechtseingriffe handelt. Zudem kann der NDB neu in viel mehr Gefährdungslagen tätig werden. Neu kann der NDB beispielsweise tätig werden, wenn – ich zitiere – „kritische Infrastrukturen“ bedroht werden. Was dieser Begriff bedeutet, ist weder in der Botschaft noch im Gesetz erläutert. Der NDB kann neu auch tätig werden wenn der „Werk- und Finanzplatz“ oder die „Interessen der Schweizer Aussenpolitik“ bedroht sind. Auch diese Begriffe sind nicht präzisiert. Der Kompetenzbereich des NDB ist deutlich erweitert worden.
Wie ist diese erhebliche Erweiterung der Kompetenzen des NDB mittels der unklaren Begriffe juristisch zu beurteilen?
Gesetze sind dazu da, Sachen klar zu regeln. Staatliches Handeln muss an Gesetze gebunden sein und dies ist es nur, wenn das Gesetz klar formuliert ist. Dies besagt das Gesetzmässigkeitsprinzip.
Hierzu gilt es festzustellen, dass das NDG sehr unübersichtlich strukturiert ist. Dazu sind vor allem die verschiedenen Verweise zwischen den Artikeln zu nennen, so verweist beispielsweise Artikel 19 auf Artikel 6 und Artikel 6 im Gegenzug auf Artikel 3. Dies macht das Gesetz schwer verständlich. Hinzu kommt, dass das NDG mit weit gefassten, undefinierten Begriffen arbeitet. Diese Begriffe – eben beispielsweise Bedrohung kritischer Infrastrukturen, Schweizer Werk- und Finanzplatz und so weiter – sind daher extrem dehnbar. So sieht das NDG auch vor, klar zwischen Terrorismus und Extremismus zu unterscheiden, um im Anschluss verschiedene Massnahmen zu ergreifen. Allerdings sind beide Begriffe nicht definiert. Klar können sie durch die Rechtsprechung und die Lehre präzisiert werden. Weil der NDB geheim agiert, ist es trotzdem eine gefährliche Grundlage.
Wenn die Bedingungen für eine Tätigkeit des NDB nicht klar sind, wer wird denn nun gemäss diesem Gesetz überwacht?
Ja, das ist tatsächlich die entscheidende Frage, auf die das Gesetz hätte antworten müssen. So wie das NDG nun formuliert wurde, bietet es die Grundlage dafür, dass der NDB eine Vielzahl von Personen überwachen könnte. So breit wie die Gefährdungslagen ausgelegt sind, gibt es eigentlich kaum Begrenzungen. Anders gesagt: Die Kompetenzen des NDB sind potentiell grenzenlos. Wer nun anvisiert wird, wird wohl schliesslich eine politische Frage sein. Aber die Grundlage dafür, dass alle überwacht werden könnten, wird mit dem NDG gelegt.
Dies ist eine besonders bemerkenswerte Aussage. Hat man denn jetzt etwas zu befürchten, wenn man nichts zu verbergen hat?
Diese Ansicht hört man oft. Denn sie wird auch politisch geschürt. Auch im Gesetz selber finden sich hierzu Ansätze: So werden die Schweizer BürgerInnen bei der Glasfasernetzüberwachung – im Ausland Kabelüberwachung genannt – in Sicherheit gewiegt, da diese nur erfolgen darf, wenn der Empfänger sich digital nicht in der Schweiz befindet. Da nun aber die grosse Mehrheit der Schweizer Kommunikation digital an einer gewissen Stelle die Schweiz verlässt, ist diese Argumentation heuchlerisch. Noch zweifelhafter wird sie, wenn man bedenkt, wie weit das NDG gefasst ist.
État d’Urgence in Frankreich
Was den Ausbau des Überwachungsstaates anbelangt ist Frankreich bereits einen Schritt weiter. Im Sommer 2015 drückte die Regierung im Eiltempo ein neues Überwachungsgesetz durch. In den vergangenen Jahren war es mehrmals am Parlament gescheitert. Dabei nutzte sie die von opportunistischen PolitikerInnen und bürgerlichen Medien geschürte Angst vor terroristischen Angriffen nach den Charlie-Hebdo- Attentate.
Nach den Attentaten auf das Bataclan in Paris von vergangenem November, rief die Regierung den Ausnahmezustand aus. Der Kampf gegen den “Terrorismus” dient dabei als allgemeine Rechtfertigungsgrundlage. Das dies nur ein Vorwand ist, um sämtliche systemkritischen Kreise zu überwachen, belegen folgende Zahlen: Im Rahmen der Pariser Klimakonferenz wurden zahlreiche Demos untersagt, während andere öffentliche Veranstaltungen unversehrt blieben. Von insgesamt 3‘200 Hausdurchsuchungen in den ersten Monaten des französischen Ausnahmezustandes, betrafen nur 2 terroristische Aktivitäten. Dabei konnte sich der Polizeistaat auf das neue Nachrichtendienstgesetz stützen, welches rechtlich an den Ausnahmezustand gekoppelt ist. Somit harmonieren Repression und Überwachung in perfekter Symbiose. Da die Intensivierung des Sicherheitsapparates einer internationalen Tendenz folgt, wird die Schweiz wohl mit ähnlichen Massnahmen bald nachziehen.
Kommentar
Wenn juristisch gesehen alle überwacht werden können, können wir anhand historischer Erfahrungen sagen, wen es treffen wird. Der Schweizer Geheimdienst, aber auch ausländische Nachrichtendienste, haben eine starke Tendenz die Linke, die ArbeiterInnenbewegung, zu überwachen.
Prominent ans Tageslicht gekommen ist dieser Umstand in der Fichenaffäre der 80er Jahren. Damals wurde publik, dass zwischen 1900 und 1990 insgesamt etwa 250’000 bis 300’000 SchweizerInnen (15% der Bevölkerung) und 300’000 AusländerInnen (30%) registriert wurden. Es wurde massenüberwacht. Getroffen hat es FrauenrechtlerInnen, GewerkschafterInnen, SozialistInnen, Anti-AKW-Gruppen: alles was auch nur entfernt nach links und kritisch roch. Wegen der grossen Empörung versprach der Bundesrat damals, dass so etwas niemals mehr vorkomme würde. Dann 2008 der zweite Fichenskandal. Man fand – erneut per Zufall – 200’000 neue Überwachungs-Dossiers. Die Überwachung hat System.
Die Ursache, weshalb dieser Staat sein Augenmerk vor allem auf AktivistInnen oder andere kritische Menschen legt, ist im Klassencharakter des Staates zu suchen. In einer Gesellschaft, die aus unversöhnlichen Klassen besteht, kann keine Institution neutral sein. Mithilfe des Staates sichert sich die herrschende Klasse ihre Interessen ab, in letzter Instanz mit Waffengewalt. Mehr zur Geschichte und Wesen des Schweizer Geheimdienstes im Artikel “Ueli der Schnüffler”.
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