Gestern schien das Land noch ruhig und die herrschende Clique fest im Sattel der Macht zu sitzen. Einen Tag später stehen die revolutionären Massen vor dem brennenden Parlamentsgebäude. Die Polizei ist weg, die Abgeordneten sind geflohen – inklusive des Premierministers. Die Fotos und Videos, die vor Kurzem aus Nepal kamen, waren erstaunlich. Erstaunlich ähnlich sind sie auch den Szenen, die wir bereits in Sri Lanka, Bangladesch, Kenia und Indonesien gesehen haben.
Einige Linke, davon beeindruckt, lassen sich mitreissen, ohne einen Moment innezuhalten und zu fragen, wohin es geht. Sie sind reine Cheerleader für die Massen, was das Letzte ist, was die Massen in einer Revolution brauchen.
Andere wiederum betrachten das Ganze eher zynisch. Sie schauen sich Nepal, Sri Lanka etc. an und vergleichen es mit dem Schema, das in ihren Köpfen steckt, wie eine Revolution aussehen sollte. Sie finden keine Arbeiterräte, Sowjets, vor. Vielmehr sind die Massen um zufällig entstandene Führungen oder sogar lediglich Social-Media-Hashtags organisiert, sofern sie überhaupt organisiert sind. Statt roten Fahnen sehen sie sri-lankische, kenianische, bangladeschische, nepalesische und One Piece Flaggen.
Die wenigen Forderungen dieser Bewegungen, sind für ihren Geschmack zu schwammig und begrenzt, besonders im Vergleich zu dem vollendeten Programm einer sozialistischen Revolution, und sie weisen auf die unbestreitbare Tatsache hin, dass diese Revolutionen bisher kaum grundlegende Veränderungen bewirkt haben. Spöttisch erklären sie, dass das überhaupt keine Revolutionen seien und dass man sie doch wieder rufen solle, wenn die echte Revolution da sei.
Als ernsthafte Kommunisten lassen wir uns weder von oberflächlichen Erscheinungen beeindrucken, noch erwarten wir, dass sich Revolutionen nach vorgefassten Schemata richten. Wir müssen das Wesen der Ereignisse analysieren und konkrete Lehren ziehen.
Von Sri Lanka bis Nepal sind all diese Revolutionen unterschiedlich. Aber inzwischen zeichnen sich klare Muster ab, die zusammengenommen viel über den Charakter der Epoche, in die wir eingetreten sind, aussagen.
Zuerst einmal zeigen die Ereignisse die gewaltige Kraft und das Heldentum, die in den Arbeitern schlummern. Vor drei Jahren, als das Volk in Sri Lanka den Präsidentenpalast erstürmte, wurde die Polizei wie Spielzeug beiseite gefegt und die Rajapaksa-Clique floh. Die Macht war in den Händen der Massen. Keine andere Kraft in der Gesellschaft könnte sich auch nur im Entferntesten mit ihnen messen. Sie hätten nur noch die Absetzung des Regimes deklarieren müssen.
Die Massen waren sich ihrer Macht aber nicht bewusst. Noch am selben Abend ihres atemberaubenden Sieges räumten sie den Präsidentenpalast und gingen nach Hause. Deshalb konnte die Rajapaksa-Mehrheit im alten verhassten Parlament ungestört einen neuen Präsidenten wählen.
Am 5. August 2024 fand sich das Regime in Bangladesch paralysiert. Die Polizei, die kurz zuvor noch eine Terrorkampagne durchgezogen hatte, floh aus Angst vor der Vergeltung der Massen. 450 der 600 Polizeistationen im Land waren rauchende Ruinen und die verhasste Premierministerin Sheikh Hasina wurde von der Militärspitze in einen Helikopter geladen und aus dem Land befördert.
Die revolutionären Massen hatten die Macht und hätten ihre eigene revolutionäre Regierung errichten können. Die alten Generäle und Richter hätte man beiseitestossen können. Stattdessen gingen die Führer der Studentenbewegung auf die besiegten Generäle zu, um mit ihnen zu verhandeln. Sie einigten sich auf eine Übergangsregierung unter Führung eines Ex-Bankiers, in der sie symbolische Ministerposten bekamen.
In Kenia wurde trotz aller Opfer und trotz des Blutvergiessens sogar noch weniger erreicht. Präsident Ruto bleibt weiterhin an der Macht.
Das Stossende dieser Bewegungen ist der Kontrast zwischen der überwältigenden Macht der Massen und dem Mangel an echten Veränderungen. Dies ist das Ergebnis der Abwesenheit einer revolutionären Führung. Ohne eine solche Führung herrscht Verwirrung über das Programm und das Endziel der Revolution. So blieben die Revolutionen auf halbem Weg stehen.
Wer jetzt behaupten will, dass es keine Revolutionen gewesen seien, dem sagen wir: Keine andere Art Revolution war unter diesen Umständen möglich. Lenin beantwortet diesen Einwand in seiner Antwort an diejenigen, die die revolutionäre Bedeutung des irischen Osteraufstands von 1916 verleugneten:
«Denn zu glauben, dass die soziale Revolution denkbar ist ohne Aufstände kleiner Nationen in den Kolonien und in Europa, ohne revolutionäre Ausbrüche eines Teils des Kleinbürgertums mit allen seinen Vorurteilen, ohne die Bewegung unaufgeklärter proletarischer und halbproletarischer Massen gegen das Joch der Gutsbesitzer und der Kirche, gegen die monarchistische, nationale usw. Unterdrückung – das zu glauben, heisst der sozialen Revolution entsagen. Es soll sich wohl an einer Stelle das eine Heer aufstellen und erklären: ‹Wir sind für den Sozialismus›, an einer anderen Stelle das andere Heer aufstellen und erklären: ‹Wir sind für den Imperialismus›, und das wird dann die soziale Revolution sein! Nur unter einem solchen lächerlich-pedantischen Gesichtspunkt war es denkbar, den irischen Aufstand einen ‹Putsch› zu schimpfen. Wer eine ‹reine› soziale Revolution erwartet, der wird sie niemals erleben. Der ist nur in Worten ein Revolutionär, der versteht nicht die wirkliche Revolution.»
Es gibt keine revolutionäre Führung, aber die Lebensbedingungen der Massen sind zu prekär, um zu warten. Die Jugend ist erst recht nicht bereit, geduldig die «perfekten Bedingungen» abzuwarten.
Der Jugend wurde die Zukunft geraubt. Sie hat am wenigsten zu verlieren und am meisten zu gewinnen. Unbelastet von vergangenen Niederlagen stand sie überall an vorderster Front. In Nepal und Kenia wurde die Bewegung sogar «Gen Z Revolution» getauft. In Serbien und Bangladesch kanalisierten riesige Studentenbewegungen die Wut von Millionen einfacher Arbeiter und armer Menschen wie ein Blitzableiter.
Meist stellte die Jugend das bisschen an organisierter Führung, das es gab. Bringt sie Verwirrung mit sich? Selbstverständlich. Wessen Schuld ist das? Ganz klar liegt die Schuld bei den Führern der Arbeiterorganisationen. Ihre feige Abwesenheit ist der schmachvolle Kontrast zum Mut der Jugend. So wie die Generäle in Kenia und Bangladesch die Soldaten in Kasernen einsperrten, um zu verhindern, dass sie mit der Revolution infiziert wurden, so bekamen im selben Masse die schweren Bataillone der Arbeiterklasse von den Arbeiterführern «Ausgangssperre».
Die Jugend hat in vielen Fällen versucht, sich mit den Arbeitern zu verbinden. Die Studenten in Serbien riefen die Gewerkschaften dazu auf, einen Generalstreik gegen das Vučić-Regime zu organisieren und in den Betrieben zborovi (Massenversammlungen) zu bilden. Aber die engstirnigen Bürokraten in den Gewerkschaftsbüros widersetzten sich, weil sie diese Forderungen als Eingriffe in ihre kleinen Fürstentümer betrachteten.
Und 2022, auf dem Höhepunkt des aragalaya («Kampf») in Sri Lanka, wurde die Idee, einen hartal (revolutionären Generalstreik) zu führen, weit verbreitet. Aber die Gewerkschaften weigerten sich, zu irgendetwas anderem als einem eintägigen Streik aufzurufen.
In Kenia verteidigte der elende Generalsekretär des COTU-K-Gewerkschaftsdachverbandes Rutos regressives Finanzgesetz von 2024, das die ganze Bewegung überhaupt vom Zaun gebrochen hatte!
Das ist kriminell. Letztendlich hat nur die Arbeiterklasse die Macht in ihren Händen, um den Kapitalismus, der die wahre Quelle allen Elends und Leidens der Massen ist, mitsamt Wurzel zu vernichten.
Im Verlauf dieser Bewegungen haben die wütenden Massen die korrupten Cliquen, die diese Länder dominieren, ins Visier genommen: die Rajapaksa-Clique in Sri Lanka; die Hasina-Clique in Bangladesch; die Ruto-Clique in Kenia; die Herrscher und ihre «Nepo-Kinder» in Nepal; die Politiker, die sich in Indonesien fabelhafte Gehaltserhöhungen auszahlten und Vučić und seine Schergen in Serbien. Aber in erster Linie greifen die Massen in Sri Lanka, Kenia, Bangladesch, Nepal, Indonesien und anderswo die Korruption an.
Die Skeptiker spotten deshalb, dass dies keine Revolutionen seien. Echte Revolutionen wären gegen den Kapitalismus. Aber Korruption ist nur das extremste Symptom der ganzen Fäulnis des kapitalistischen Systems.
Westliche Kommentatoren erklären, dass Korruption ein bedauerliches Merkmal der sogenannten «Dritten Welt» sei und die Ursache ihrer Unterentwicklung. Sie sagen das, um zu verschleiern, dass der Imperialismus die Hauptursache für Armut und Unterentwicklung ist.
Ähnliche Korruption grassiert in allen kapitalistischen Ländern, nicht zuletzt in Europa. Das zeigen der Einsturzes des Bahnhofsdachs von Novi Sad in Serbien und die Eisenbahnkatastrophe von Tempi in Griechenland. In beiden Fällen gingen die Massen gegen die dafür verantwortlichen korrupten Politiker auf die Strasse . Diese zählen ihre schmutzigen Bestechungsgelder, während die Armen ihre Toten von den Katastrophen zählen.
Die Massen sind empört ob der Ungerechtigkeit. Sie hassen es, die unfassbaren Reichtümer zu sehen, die von einer korrupten Elite abgezweigt werden. Sie zeigten den richtigen Instinkt, indem sie diese korrupten Gangster angriffen. Obwohl diese Leute hochkant vor die Tür befördert wurden, stehen letztendlich doch nur wieder andere bereit, ihren Platz einzunehmen.
Um Korruption zu beenden, muss man die Herrschaft des Kapitals beenden. Das bedeutet, das Privateigentum sowie den kapitalistischen Staat abzuschaffen, die die Basis der Macht der herrschenden Klasse bilden.
Die Bewegungen sind geprägt vom Gefühl, dass nicht nur die jetzige herrschende Clique, sondern alle Politiker und Parteien schlecht sind. Die sogenannte «Opposition» ist meist genauso verrottet wie die Regierung.
Sie ist nicht nur wegen ihrer Korruption verhasst. Allein die Tatsache, dass sie die verhassten parlamentarischen Spielchen mitspielt und die gleiche verlogene Politiker-Sprache spricht, diskreditiert die Opposition in den Augen der Massen.
Deshalb war der Slogan der Massen in Sri Lanka nicht nur«Go home Gota» (Gota, geh heim), der auf den korrupten Präsidenten Gotabaya Rajapaksa abzielte, sondern auch «Go home 225» – mit dem alle 225 Abgeordneten des Parlaments gemeint waren.
In Kenia bezeichnen die Jugendlichen die Parlamentarier als «MPigs»(«Abgeordnetenschweine»). Korrekt! Während sie Gesetze erlassen, um die Armen ärmer zu machen, haben diese «Abgeordnetenschweine» – ohne Ausnahme – ihre Schnauzen tief im Futtertrog der parlamentarischen Spesen und Privilegien. Die kenianische Jugend will mit Ruto nichts zu tun haben, aber genauso wenig mit Oppositionsführern wie Odinga, der sich aus Angst vor der revolutionären Jugend schutzsuchend hinter Rutos Stiefel verkroch. Ihr Slogan «Kein Stamm, kein Anführer, keine Partei» erfasste eine sehr gesunde instinktive Ablehnung all jener stammes-kapitalistischen Banden, die in Kenia als «politische Parteien» durchgehen.
Aber wenn alle existierenden Parteien Werkzeuge dieser oder jener korrupten Fraktion der herrschenden Klasse sind, bedeutet das, dass die Arbeiter und die Jugend ohne Partei auskommen können? Nein. Die Situation schreit nach einer eigenen Partei und Führung, die ihre Interessen vertritt.
Leider sind in den meisten Fällen die sogenannten «linken» Parteien genauso korrupt wie die rechten Parteien. Das ist nicht das Produkt eines moralischen Defekts der Linken, sondern wurzelt in falschen theoretischen Prinzipien.
Eine besondere Verantwortung trägt der Stalinismus. Wegen seiner verhängnisvollen Etappentheorie haben sich viele «linke» Parteien mit den schlimmsten, korruptesten Elementen der herrschenden Klasse verbündet.
Gemäss dieser «Theorie» sind die drängendsten Aufgaben in unterentwickelten Ländern nicht sozialistische, sondern bürgerlich-demokratische Aufgaben. Darin steckt ein Fünkchen Wahrheit. Der drängendste Wunsch der Massen in rückständigen kapitalistischen Ländern ist es, die brutale und willkürliche Herrschaft der gegenwärtigen Regime zu brechen. Sie wollen frei atmen. Sie wollen demokratische Rechte.
Daraus zieht die stalinistische Etappentheorie aber den Schluss, dass man einen «progressiven» Flügel der Bourgeoisie finden muss, der eine kapitalistische Revolution anführt. Erst nach Jahren kapitalistischer Entwicklung (der ersten «Etappe») würde das Land reif für den Sozialismus (die zweite «Etappe») werden.
Es gibt nur einen kleinen Haken bei der Sache: Es gibt heutzutage in keinem rückständigen Land einen solchen «progressiven» Flügel der Kapitalistenklasse. Es ist eine parasitäre Klasse, die vollständig vom Imperialismus abhängig ist. Sie hat panische Angst vor den revolutionären Massen und vor allem vor der Arbeiterklasse. Auf ihrer Jagd nach einem «progressiven» Flügel der Kapitalistenklasse haben sich die Stalinisten immer ans Bein dieser oder jener korrupten Clique geklammert.
Die Kommunistische Partei Bangladeschs unterstützte jahrzehntelang die Awami-Liga von Hasina und ihrem Vater Mujib. Sie erklärten die Awami-Liga zur «fortschrittlichen» Verteidigerin der nationalen Befreiung Bangladeschs. Die «säkulare» Awami-Liga sei ein geringeres Übel als die religiösen Fundamentalisten von Jamaat-e-Islami.
Jetzt ist die KP in den Augen der Massen ganz genau so diskreditiert wie Hasina, während die Reaktionäre von Jamaat-e-Islami sich als die Opposition profilieren konnten. Ohne revolutionäre Partei, die die Frage der Korruption mit dem Kapitalismus in Verbindung bringt, stellten sich die Islamisten an die Spitze und begannen, selbst von der «Bekämpfung der Korruption» zu sprechen. Für die Korruption machten sie einen Mangel an Moral oder Frömmigkeit verantwortlich.
Das vielleicht vernichtendste Urteil gegen die stalinistische Etappentheorie findet sich in Nepal. Nach jahrzehntelangem Guerillakrieg schwangen sich 2006 die Stalinisten der Mao-Variante auf dem Rücken einer revolutionären Welle an die Macht. Was haben sie getan? Sie unterzeichneten eine gemeinsame 12-Punkte-Vereinbarung mit offen bürgerlichen Parteien wie der nepalesischen Kongresspartei. Seither wird das Land von Koalitionen von «Kommunisten» und bürgerlichen Elementen regiert.
Ihre Rechtfertigung war, dass sich alle «fortschrittlichen», «antifeudalen» Kräfte vereinen müssten, um die Monarchie zu stürzen und eine Republik aufzubauen. Dies würde zur Entwicklung des nepalesischen Kapitalismus führen, der irgendwann die Grundlage für eine sozialistische Revolution in Nepal legen würde.
Zwischen 2008 und 2025 wurden jedoch keine Fortschritte verzeichnet. Nepal ist im Index der menschlichen Entwicklung aus 193 Ländern von Platz 140 auf Platz 145 gefallen. Jedes Jahr fliehen Tausende Jugendliche aus der Armut des Landes, indem sie im Ausland arbeiten. Ein Drittel des BIPs besteht aus Überweisungen aus dem Ausland.
Nachdem sie anderthalb Jahrzehnte lang den Staat im Interesse der Kapitalisten verwaltet haben, sind die maoistischen Politiker selbst zum Gegenstand des Hasses der Massen geworden. Sie sind genauso korrupt wie die offen bürgerlichen Parteien.
Unter den «Nepo-Kindern», deren prunkvoller Reichtum die jüngsten Ereignisse ausgelöst hat, finden wir auch Smita Dahal. Smita posiert mit Handtaschen, die ein Vielfaches eines durchschnittlichen Monatsgehalts eines nepalesischen Arbeiters kosten. Ihr Grossvater Prachanda ist der ehemalige Vorsitzende der maoistischen Guerillas.
Viele Befürworter der neuen «multipolaren» Welt sagen, es handle sich gar nicht um Revolutionen. Im Gegenteil seien es Konterrevolutionen oder «Farbrevolutionen», also Verschwörungen westlicher Geheimdienste, um die Massen zu manipulieren.
Die gegenwärtige revolutionäre Welle hat ihr Zentrum in Südasien und einige der betroffenen Regime stehen tendenziell China nahe. Daher kommt der Glaube, es könnte sich um vom Westen eingefädelte Regimewechsel handeln.
Die Idee ist aber falsch. Keine Verschwörung kann erklären, was wir sehen: Eine echte Massenbewegung der Arbeiterklasse und der armen Mehrheit, die auf die Bühne der Geschichte treten, um ihre Bedingungen zu verbessern und ihr Schicksal selber in die Hände zu nehmen.
Ohne revolutionäre Führung kann tatsächlich die Konterrevolution wieder die Oberhand gewinnen. Das ist aber nur möglich, weil die «Linke» so diskreditiert ist, dass sie ein Machtvakuum hinterlässt. Dann können die Imperialisten Möglichkeiten finden, um einzugreifen, und die Dinge können in eine sehr reaktionäre Richtung degenerieren.
Das passierte nach dem heldenhaften arabischen Frühling von 2001. Die Arbeiterklasse in Ägypten war nicht in der Lage, die Macht zu ergreifen. Das Ergebnis? Mubarak wurde durch Al-Sisi ersetzt und heute ist die Lage in Ägypten hundertmal schlimmer. Das Scheitern der syrischen Revolution, ein proletarisches Programm zu formulieren, erlaubte den Imperialisten, die Bewegung zu kapern und in einen islamistischen Aufstand zu verwandeln. Ebenso driftete der iranische Jugendaufstand 2018, der keinen klaren Klassenansatz entwickelte, in die Umlaufbahn der vom Westen unterstützten liberalen Opposition.
Aber die reaktionäre Degeneration dieser Bewegung war nicht vorherbestimmt. Es war der Preis für das Fehlen einer klaren revolutionären Führung.
In Sri Lanka, Nepal und Bangladesch wurden die alten verhassten Regime gestürzt. Die ersten Siege, die die Massen erzielten, waren überwältigend. Doch bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass die Siege eher die Erscheinung als die Substanz des Regimes trafen.
Die IWF-Austeritätspolitik dominiert immer noch in diesen Ländern. Die Armutsrate Sri Lankas hat sich seit Anfang 2022 verdoppelt. In Bangladesch sind seit der Bewegung 2,1 Millionen Jobs verloren gegangen. Die Studentenführer ersetzten das verhasste Quotensystem, das Jobs für die Freunde des Regimes reservierte, – und ersetzen es durch neue Quoten für ihre eigenen Familienmitglieder!
Innerhalb des Kapitalismus kann es nur eine Neuverteilung der Beute geben, aber das Rauben geht weiter. Die Wurzel des Leidens und der Unzufriedenheit der Massen ist die Krise des Kapitalismus, der von den Revolutionen nicht angetastet wurde. Die Köpfe der Regime wurden ausgetauscht, aber der alte Staat, die alte herrschende Klasse, hat immer noch die Macht.
Es gibt Gemeinsamkeiten zwischen dem, was wir hier erlebt haben, und den Ereignissen in Russland im Februar 1917. Die russischen Arbeiter erstürmten mit einem revolutionären Generalstreik die Bühne der Geschichte. Innerhalb weniger Tage musste der Zar abdanken und eine provisorische Regierung wurde gebildet. Aber als die Begeisterung nachliess, stellte sich heraus, dass die alten monarchistischen Generäle und Bürokraten an Ort und Stelle blieben. Die Kapitalisten besassen weiterhin die Fabriken, die Grundbesitzer das ganze Land. Es blieb der Zarismus, nur ohne den Zaren.
Der Sieg war erst vollendet, als der alte Staat zerschlagen und die Arbeiter selbst die Macht übernommen hatten. Dies geschah in der Oktoberrevolution von 1917. Und das war nur möglich dank der bolschewistischen Partei, die die Ziele der Revolution klärte und die Arbeiterklasse und andere unterdrückte Massen Russlands unter ihrem Banner vereinen konnte.
Ohne die Bolschewiki hätte die alte herrschende Klasse Russland wahrscheinlich in die Barbarei hinabgezogen. Bürgerkrieg, begleitet von Pogromen, hätte auf der Tagesordnung gestanden. Russland wäre zwischen den imperialistischen Mächten aufgeteilt worden und viele Millionen wären gestorben.
Mit anderen Worten: Russland hätte ein ähnliches Schicksal erlitten wie der Sudan heute. Dort hatten die revolutionären Massen 2019 die perfekte Gelegenheit, die Macht zu ergreifen. Die Führung liess sie an sich vorbeiziehen und jetzt wird das Land zerrissen von einem barbarischen Bürgerkrieg zwischen zwei reaktionären bewaffneten Banden und den verschiedenen imperialistischen Mächten, die hinter ihnen stehen.
Solch verheerende Folgen wie heute im Sudan sind keineswegs unausweichlich. Die Stärke der Arbeiterklasse und ihrer Führung spielen bei der Bestimmung des Ausgangs eine Rolle. Die Ereignisse im Sudan sind eine brutale Warnung vor den Konsequenzen einer fehlenden Führung.
Revolutionen sind keine Dramen mit nur einem Akt und die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Die Entwicklungen werden manchmal abebben, sich zuspitzen und neue Aufstände hervorbringen.
Wenn uns die Geschichte des Bolschewismus von 1903 bis 1917 eines lehrt, dann, dass eine Partei vor der Revolution aufgebaut werden muss, um eine entscheidende Rolle spielen zu können. Die Aufgabe, die revolutionäre Partei aufzubauen, muss dringend in Angriff genommen werden. Die Bedingungen, die die Revolutionen in allen zuvor genannten Ländern hervorgebracht haben, reifen überall schnell heran: Arbeitslosigkeit und Armut, ein unstemmbarer Schuldenberg, krasse Ungleichheit, Korruption usw.
Stand 2023 sind 21 Länder mit zusammengenommen 700 Millionen Einwohnern bankrott oder stehen kurz vor dem Bankrott. 3 Milliarden Menschen weltweit leben in Ländern, die mehr für die Abzahlung von Schuldzinsen ausgeben als für Gesundheit oder Bildung.
Am bedrohlichsten für die herrschende Klasse sind die hohe Jugendarbeitslosigkeit und das Fehlen einer anständigen Zukunft. Wie ein kenianischer Jugendlicher es ausdrückte: «Wir haben keine Arbeitsplätze und keine Zukunft. Also haben wir alle Zeit der Welt, euch zu stürzen, und nichts zu verlieren, wenn wir euch bekämpfen.»
Eine ähnliche Stimmung entwickelt sich überall. Diese revolutionäre Welle hat in den ärmeren, weniger weit entwickelten Ländern begonnen, aber sie wird nicht auf diese beschränkt bleiben. Wie Trotzki erklärte: «Gicht beginnt mit dem kleinen Finger oder dem grossen Zeh, aber wenn sie einmal begonnen hat, schreitet sie voran, bis sie das Herz erreicht.»
Die Flammen der Revolution lecken bereits an den Rändern Europas. Von der mächtigen Bloquons-tout-Bewegung in Frankreich bis zum italienischen Generalstreik gegen den Genozid in Gaza: Die Welt steht in Flammen und revolutionäre Explosionen stehen auf der Tagesordnung. Wir müssen diese Tatsache verinnerlichen und damit auch die Verantwortung wahrnehmen, die uns als Revolutionären auferlegt wird, und dringend die notwendige Führung aufbauen.
Original: https://marxist.com/sri-lanka-to-nepal-lessons-from-the-revolutionary-wave.htm
International — von Ben Curry, marxist.com — 23. 12. 2025
Nordamerika — von Revolutionary Communists of America — 19. 12. 2025
Lateinamerika — von Efraïm Marquis, Genf — 17. 12. 2025
International — von Revolutionäre Kommunistische Internationale — 17. 12. 2025