Die Berufslehre wird gerne als eines der Erfolgsrezepte der Schweizer Wirtschaft betrachtet. Auch wenn das nicht gänzlich falsch ist, ist es doch in erster Linie ein Erfolg für das Schweizer Kapital. Lernende sind dabei oft billige Arbeitskräfte, welche fast nach Belieben ausgebeutet werden. Das Wohl der Lernenden und der Gesellschaft im Allgemeinen spielen dabei kaum eine Rolle.
Die Lehre ist ein beliebtes Thema in den Medien, jedoch wird kaum über die Arbeitsbedingungen der Lernenden geschrieben. Jüngst titelte der Blick: „Schüler zu dumm für die Lehre“. In diesem widerwärtigen Artikel wurden einmal mehr gänzlich die Perspektive der Wirtschaftsvertreter eingenommen, welche ihre oft absurden Anforderungen an junge Lernende nicht erfüllt sehen. Gleichzeitig wurde ein völlig verdrehtes Bild der Realität gezeichnet. Die 1000 Lehrstellen, die schweizweit (!) nicht besetzt werden konnten, sind für den Blick anscheinend Beweis, dass „viele Schulabgänger offenbar zu dumm für die Lehre sind“. Man soll glauben, dass wer keine Lehrstelle findet, selber Schuld ist. Nicht erwähnt wird hingegen, dass ein beträchtlicher Teil der angehenden Lernenden gar keine Lehrstelle findet. Auch wird völlig ignoriert, was für enorme Erwartungen die Unternehmen an 15 und 16 Jährige haben. Je nach Bereich werden unzählige Tests, Vorabklärungen und sogar Vorpraktikas verlangt. Die 100 und mehr Bewerbungen für eine Lehrstelle, die von oft verzweifelten Schülern stammen, werden von den Unternehmen eiskalt dazu genutzt, völlig nach Belieben auszuwählen. Die jungen Schüler stehen dabei unter einem enormen Anpassungsdruck, vermittelt doch zumeist ihr ganzes Umfeld, dass sie ohne eine Lehrstelle keine Zukunftsperspektive haben werden. Freie Berufswahl existiert dabei nur für eine kleine Minderheit mit hervorragenden schulischen und kommunikativen Fähigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden können. Die Berufswahl wird also oft eigentlich durch die Unternehmen entschieden und nicht etwa durch den Lehrling. Viele müssen halt nehmen, was sie kriegen.
Wer das Glück hat, eine Lehrstelle gefunden zu haben, wird schnell und brutal bewusst, was es heisst, an unterster Stelle einer hierarchischen Unternehmensstruktur zu starten. Wenn die Lernenden keine Lehrmeister haben, die den Druck auf «ihre» Lernenden auffangen, werden die Lernenden schnell einmal zum «Fussabtreter» des Betriebes. Muss ein Abteilungsleiter stupide Hilfsarbeiten verteilen, kann das doch noch schnell «der Stift» erledigen. Muss man eine Putzkraft ersetzen, werden die Lernenden zur «Reinigungscrew». Dass berufsfremde Arbeiten von Gesetztes wegen verboten sind (OR 345a), interessiert die Unternehmen nicht – die Betriebe selber gaben in einer Studie an, dass Lernende im ersten Lehrjahr 50% ihrer Zeit mit berufsfremden Arbeiten verbringen (Strupler/Wolter 2012: 45). Dazu kommt, dass 55% der Lernenden mindestens einmal im Monat mehr als neun Stunden arbeiten müssen. Das, obwohl die Rechtslage das klar verbietet. 25% der Lernenden erhalten ihre illegal erarbeiteten Überstunden weder entlöhnt, noch kompensiert (Unia 2014: 14). Gleichzeitig zeigt sich, dass Lernende gefährlich leben. Jeder achte Lehrling erleidet jedes Jahr einen Berufsunfall, drei davon sind tödlich! Das Risiko, einen Berufsunfall zu erleiden, ist bei Lernenden über 60% höher als bei Ausgelernten (Suva 2013: 2ff.). Berufsunfälle sind häufig Konsequenz von hohem Arbeitsdruck und der Ignorierung von Sicherheitsbestimmungen zur Kosteneinsparung. Auch hier wird deutlich, dass die Lehrbedingungen in erster Linie den Unternehmerinteressen dient und nicht etwa denjenigen des Lernenden an einer guten Ausbildung.
Obwohl in vielen Branchen Lernende schon schnell ähnliche Leistungen wie ein Ausgelernter erbringen, ist ihr Lohnniveau um ein vielfaches tiefer. Gemäss den Empfehlungen der Branchenverbände liegen die meisten Löhne zwischen 600 und 800 CHF im ersten Lehrjahr und zwischen 1200-1400 im Letzten. Die Unterschiede sind aber zwischen den Branchen sehr gross und es gibt zumeist keinerlei Verpflichtung, sich an diese Empfehl-ungen zu halten. Diese Tiefstlöhne haben nichts mit den realen Leistungen eines Lernenden zu tun. 80% der Lernende schätzen im letzten Lehrjahr ihr Leistungsvermögen höher als 75% eines Ausgelernten ein. Die Unternehmen machen derweil jährlich mindestens 500 Mio. Franken Profit mit Lernenden. Gleichzeitig ist es den Lernenden kaum möglich, von ihren Löhnen zu leben. Die Profite der Unternehmer werden also durch deren Eltern subventioniert, indem diese für viele Fixkosten ihrer Kinder aufkommen müssen.
Obwohl es eigentlich Gesetze und Richtlinien zum Schutz der Lernenden gibt, sind diese oft nur Papiertiger. Die Verantwortlichen in den Berufsbildungsämtern fühlen sich den Chefs oft mehr verpflichtet als den Lernenden, kündigen Kontrollen im Voraus an oder schauen bei Missständen tatenlos zu. Zudem ist auch ihr Handlungsspielraum für die Lernenden sehr begrenzt. Oft bleibt als einzige Lösung in einem Konflikt die Auflösung des Lehrverhältnisses, was die Lernenden zu Arbeitslosen werden lässt. Konsequenzen für die Arbeitgeber sind dabei äusserst selten.
Kritisiert man die Verhältnisse, in denen man lohntechnisch, rechtlich, aber auch menschlich unten durch muss, heisst es schnell: Klappe halten, Zähne zusammenbeissen und Lehre abschliessen. Wer sich wehrt, gilt als Nestbeschmutzer und wird fertig gemacht. Wer das nicht mehr aushält, verliert seinen Job. Man muss die Lehre wieder von vorne beginnen oder die Ausbildung wechseln. Ganze 28% aller Lehrverträge werden vorzeitig aufgelöst. Oftmals wird dabei angegeben, dass die hohen schulischen Anforderungen das Problem seien. Nur sind es Berufe, in denen der Schulstoff weniger komplex ist, in denen die Lehre besonders häufig abgebrochen wird. So brechen im Coiffeurgewerbe 50% aller Lehrlinge ab, im Gastgewerbe sogar 52% (SRF 2013). Wenn man die Lehrabbrecher auf dem Bau selber fragt, kommen für die Unternehmer eher unschmeichelhafte Ergebnisse heraus: 52% aller Lehrabbrecher sagen, dass sie bei Fehlern fertig gemacht werden – obwohl sie ja eigentlich zum Lernen da sind. Auch 52% gaben an, unterfordert, nur Handlanger gewesen zu sein (SBV 2014: 3).
Die oben beschriebenen Zustände sind weder zufällig, noch nur die Schuld einzelner schwarzer Schafe unter den Unternehmern, sondern haben System. Mit lächerlich tiefen Löhnen und weitgehend abhängig von der Willkür der Chefs, waren Lehrlinge schon immer eine der am meisten ausgebeuteten Schicht der Lohnabhängigen. Diese übermässige Ausbeutung der jungen Erwachsenen wurde in der Gesellschaft tief verankert; Lernende müssten halt unten durch. Um das zu rechtfertigen, wird immer wieder medial breit gestreut, dass die Jungen angeblich faul seien und halt nicht arbeiten wollten. Damit wird unterstellt, dass es für die Gesellschaft notwendig sei, die Jungen durch starken Druck zu „nützlichen“ und „fleissigen“, sprich profitablen Mitglieder der Gesellschaft zu machen. Die Entbehrungen der Lehre werden zum „Erwachsenwerden“ stilisiert. Für dieses Wirtschaftssystem ist elementar, dass die meisten Menschen ihr Leben lang von ihren Chefs ausgebeutet werden. Dies muss auch den Lernenden eingebläut werden.
Die oft miserablen Bedingungen in der Lehre sind jedoch nicht einfach in Stein gemeisselt. Sie sind vor allem auch Ausdruck des fehlenden Drucks der Organisationen der Lohnabhängigen. Die Rechte der Lernenden wurden von den Gewerkschaften über Jahrzehnte stark vernachlässigt. In den 70ern gab es noch aktive Bewegungen der Lernenden, die wichtige Verbesserungen erkämpfen konnten. Doch heute gibt es kaum eine Bewegung unter den Lernenden. Es ist im Kontext der globalen Wirtschaftskrise und damit verbunden der Frankenstärke von grosser Bedeutung, dass sich daran etwas ändert. Lernende werden noch verstärkter als billige Arbeitskräfte missbraucht und kommen unter Druck der Unternehmen.
Die naheliegenste Forderung im Kampf für die Rechte der Lernenden ist, dass die bestehenden Gesetze auch eingehalten und kontrolliert werden. Jedoch muss uns bewusst sein, dass dazu die Lehrlingsämter nur bedingt taugen, haben diese doch bewiesen, dass sie sich eher als Vertreter der Unternehmen sehen und Missstände systematisch leugnen. Trotzdem kann hier mit grossem politischem Druck einiges bewirkt werden. Die bestehenden Regelungen reichen aber bei weitem nicht, um den jungen Erwachsenen einen genügenden Schutz und ein gutes Leben zu ermöglichen. Dazu ist es notwendig, die Lernenden so weit wie möglich der Willkür der Unternehmer zu entreissen. Dazu bräuchte es einen branchenübergreifenden, verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag, welcher unter anderem existenzsichernde Löhne, ein komplettes Verbot von berufsfremden Arbeiten und Übernahme nach der Lehre vorschreibt. Die Einhaltung dessen müssen durch gewählte Lernende kontrolliert werden können, denn niemand kennt die Interessen und Probleme der Lehrlinge so gut, wie diese selbst. Gleichzeitig muss die Berufswahl unabhängiger von den Unternehmen gemacht werden. Dazu braucht es eine Lehrplatzgarantie, die durch Lernwerkstäte und staatliche Lernbetriebe gewährleistet werden kann. Auch dürfen allgemeinbildende Fächer auch während einer praktischen Berufslehre nicht vernachlässigt werden. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass für viele Lernende mit 15-16 Jahren die schulische Förderung von Allgemeinbildung mit dem Abschluss der Sekundarschule praktisch vorüber ist.
Dies sind nur einige Kernpunkte, welche dringend notwendig sind. Jedoch braucht es zu ihrer Realisierung eine Bewegung der Lernenden, welche den nötigen Druck aufbaut. Es ist an der Zeit, dass sich die Lernenden wieder aktiv zu wehren beginnen. Dazu braucht es in erster Linie Lernende, welche sich aktiv gewerkschaftlich und politisch organisieren. Die JUSO, und wir, die marxistische Strömung, haben uns dem Kampf für die Rechte der Lernenden verschrieben und werden in den kommenden Monaten an den Berufsschulen präsent sein. Unser erstes Ziel wird dabei in erster Linie sein, Lernende zu motivieren selber aktiv zu werden. Wir glauben, dass die Lernenden ein enormes Potential haben, ihre Arbeitsbedingungen selber aktiv zu verbessern und damit auch die politische Landschaft der Schweiz zu erschüttern.
Die Frage der Lernenden ist jedoch keineswegs isoliert zu betrachten. Die Unternehmen und die Vermögen sind in den Händen einiger weniger. Wir sind bereits ab der Lehre gezwungen, durch unsere Arbeit ihren Reichtum zu vermehren. Unsere Forderungen sind nur gänzlich umsetzbar, wenn wir das kapitalistische, also profitorientierte Funktionieren unserer Wirtschaft in Frage stellen. Nur Betriebe unter demokratischer Kontrolle können sich von der Profitlogik befreien und allen Menschen das Recht auf eine befriedigende und selbstgewählte Arbeit garantieren. In letzter Instanz ist also der Kampf für bessere Lehrbedingungen auch der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft.
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