Es herrscht Krise! Dies ständig zu betonen dient nicht unserer Selbstbestätigung und ist auch kein Ausdruck einer einseitigen und unkreativen Weltsicht, wie uns dies unsere politischen GegnerInnen gerne vorwerfen. Es ist schlichtweg Realität und entspricht der Wahrnehmung der überwiegenden Mehrheit der Menschen weltweit. Wie wir stets betonten, handelt es sich bei dieser nun schon einige Jahre dauernden Baisse nicht um einen zufälligen, temporären Konjunktureinbruch.

Inhaltsverzeichnis

Nach wie vor befinden wir uns in einer organischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Gesellschaftsformation als Ganzem. Ökonomischer Kern der Krisenerscheinung ist die Überproduktion. Die unglaublichen Mengen an Waren, welche für den Weltmarkt produziert werden, stehen den Möglichkeiten, diese zu konsumieren, aufs Schärfste gegenüber. Wie wir beobachten konnten, verlaufen alle Versuche der herrschenden Klasse, die Krise international zu überwinden, bestenfalls wirkungslos im Sand. Sie häufen jedoch meist neue, umso grössere Widersprüche an. Marx und Engels schrieben bereits vor 150 Jahren im kommunistischen Manifest, dass die Bourgeoisie Krisen nur überwindet, indem „sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ International lässt sich dies bestens beobachten, sei es nun auf politischer oder auf wirtschaftlicher Ebene.

Perspektiven des Klassenkampfes in der Schweiz 2015

Die drakonischen Sparmassnahmen und Angriffe auf die Arbeitsbedingungen, die wir in ganz Europa sehen, verschärfen die Krise nur noch weiter. Der Konsum breiter Bevölkerungskreise wird, in der Hoffnung der Erhöhung der Profitabilität der Produktion, noch weiter eingeschränkt. Anderseits verpuffen die gross angekündigten Massnahmen zur Ausdehnung des Konsums wie z.B. über Ausdehnung des fiktiven Kapitals, also Krediten, unbemerkt an den Börsen und auf den Rohstoffmärkten. Diese beiden Strategien verfehlen eben den Kern des Problems, nämlich dass die Krise organisch, sprich den fundamentalen Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise, der Profitlogik und der anarchischen Produktion für den Markt, innewohnend ist.

Diese organische Krise, welche unzählige Aspekte des sozialen und kulturellen Lebens zersetzt, steht jedoch in krassem Kontrast zum aktuellen Zustand der ArbeiterInnenbewegung in Europa. Erstere widerspiegelt grundsätzlich die gegensätzlichen Klasseninteressen. Die organisierte ArbeiterInnenbewegung ist aktuell jedoch kaum in der Lage, wirksame Mobilisierungen und Kämpfe gegen die Angriffe der Bourgeoisie auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Lohnabhängigen zu führen. In den meisten Ländern Europa sind die Führungen der Sozialdemokratischen Parteien längst so stark mit den wirtschaftlichen Eliten verknüpft, dass sie kaum noch eine eigenständige Politik umsetzen und hauptsächlich im Interesse des Kapitals handeln. Die Führungen der Gewerkschaften sind zumeist ähnlich mit den Interessen des Kapitals verknüpft, sie stehen aber wesentlich direkter unter dem Druck der ArbeiterInnen und sind deshalb immer wieder zum Widerstand gezwungen. Die Illusionen einer friedlichen Beilegung der Klassenkonflikte, welche besonders die Gewerkschaftsapparate schüren, und damit verbunden die reaktionäre Parole, dass nun halt alle den Gürtel enger schnallen müssten, wird an den objektiven Bedingungen zerbrechen. Die dämpfende Wirkung auf das Klassenbewusstsein wird sich in ihr Gegenteil verkehren und in der Diskreditierung der Führung und ihrer Politik enden. Die subjektive Rolle der Führung der ArbeiterInnenbewegung kann über die objektive Realität der Krise und die zunehmend offensichtliche der Unversöhnbarkeit der Klassen nicht langfristig hinwegtäuschen. Im Gegenteil, je länger sie damit erfolgreich sind, desto heftiger aber auch chaotischer wird die Explosion sein, wenn das Bewusstsein der arbeitenden Klasse die objektiven Bedingungen eingeholt hat. Die Führung wird von der Heftigkeit einer solchen Entwicklung überrascht sein. Dieser Prozess muss mit einer klassenkämpferischen Politik, welche die Widersprüche auch durch Mobilisierungen offenlegt, beschleunigt werden.

Die Krise wirkt ebenfalls stark auf das Kräfteverhältnis zwischen imperialistischen Staaten. Trotz der ungebrochenen wirtschaftlichen und politischen Hegemonie der USA auf Weltebene stehen dieser doch immer stärkere Schwierigkeiten gegenüber, bei ihrem Versuch, die internationalen Beziehungen gänzlich nach den eigenen Interessen zu gestalten. Dies gibt sekundären imperialistischen Staaten (Russland, Iran) mehr Spielraum, ihre eigenen Interessen regional und teilweise international durchzusetzen. Diese enorme Destabilisierung der internationalen Beziehungen drückt sich in Stellvertreterkonflikten und direkten Interventionen aus, wie wir dies sowohl in Syrien und Irak als auch in der Ukraine sehen konnten.

Dies ist also die aktuelle Epoche, in der wir leben, so wird die neue Realität für unsere Generation bleiben: Krise des Kapitalismus mit all ihren Konsequenzen auf die inter-imperialistischen Rivalitäten. Es ist auch eine Zeit der Revolution. International sehen wir einen enormen Aufschwung der Massenmobilisierungen. Wegen der reformistischen Führungen und wegen des Fehlens einer revolutionären Organisation wird die ArbeiterInnenklasse noch eine ganze Reihe an Erfahrungen machen müssen, bevor sich eine Lösung der Krise im Sinne der Lohnabhängigen abzeichnet. Die Erkenntnis, dass eine solche Lösung nur auf Grundlage eines Bruchs mit der herrschenden Ordnung möglich ist, gewinnen die Arbeitenden nicht einfach so. Der überwältigende Teil von ihnen zieht nicht auf Grundlage theoretischer Erkenntnisse revolutionäre Schlüsse, sondern aus ihrer konkreten politischen Erfahrung. Trotzki spricht dabei von „historischen Schocks“, die nötig sind, um die Unzulänglichkeiten der reformistischen Konzepte der Führung für die Aspirationen der Arbeitenden offenzulegen. Wegen dieses Widerspruchs wird die ArbeiterInnebewegung auch in der kommenden Periode immer wieder mit Konterrevolution und Krieg konfrontiert werden. Diese bilden eben solche historischen Schocks, welche somit nur den Boden für neue Massenbewegungen vorbereiten, und zwar auf einer qualitativ wie auch quantitativ höheren Stufe. Bereits heute hört man fast täglich von Streiks, Protesten, Aufständen und Revolutionen irgendwo auf der Welt. Diese konkreten Klassenkämpfe zeigen bereits heute deutlich das revolutionäre Potential, das momentan herrscht: Das Potential, die soziale Frage, also die Klassenfrage ins Zentrum der herrschenden Konflikte zu rücken und dem reaktionären Treiben ein Ende zu setzten.

Wie wir im Dokument zu den Perspektiven des Klassenkampfes in der Schweiz 2014 zeigten, ist die Situation in der Schweiz bedingt durch ihre besonders parasitäre Sonderstellung im Konzert der imperialistischen Mächte. Die relative Stabilität des Schweizer Kapitalismus lässt sich nicht durch einen vermeintlichen Sonderfall einer „Willensnation“ erklären. Vielmehr basiert diese auf den räuberischen Tätigkeiten der Schweizer Banken und der multinationalen Konzerne auf der ganzen Welt, wodurch riesige Geldflüsse in die Schweiz strömen. Deshalb und auch aufgrund der grossen Exportabhängigkeit der Schweizer Wirtschaft ist sie wie kaum ein anderer abhängig von den internationalen Ereignissen. Das vorliegende Perspektivdokument fokussiert daher auf die Bedeutung der organischen Krise des Kapitalismus auf die Schweiz und ihre Auswirkungen auf den Klassenkampf und seine AkteurInnen. Im ersten Teil versuchen wir, die wichtigsten ökonomischen Faktoren zu interpretieren, ohne die eine politische und gesellschaftliche Analyse nicht auskommen kann. Im zweiten Teil beschäftigt sich das Dokument mit zentralen politischen Fragestellungen: Was bedeutet die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, ist die Schweiz ein politischer Sonderfall in Europa oder was steht hinter der bürgerlichen Sparpolitik? In einem nächsten Abschnitt folgt eine kritische Betrachtung der Sozialdemokratie und ihrer Rolle, welche sie in der Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung zurzeit spielt und welche sie im Hinblick auf die Wahlen 2015 spielen sollte. Der Schlussteil beschäftigt sich mit dem Zustand der sozialen Bewegungen und Ihren Aufgaben für das nächste Jahr. Hauptziel der vorliegenden Analyse ist es, die aktuellen Widersprüche der herrschenden Ordnung in der Schweiz aufzuzeigen sowie eine Brücke zur weltweiten Krise des Kapitalismus zu schlagen. Nur mit einer solchen Analyse ist es uns als MarxistInnen möglich, unseren politischen Kompass für das nächste Jahr auszurichten.

Krise 3.0

Völlig überraschend für die bürgerlichen Wirtschafts-Magier kündigt sich im Herbst 2014 mit der Stagnation des BIP-Wachstums und der Investitionen auch in der Schweiz eine neue Krise an. Mit dieser Stagnation wird eine neue Phase der Konfrontation der Interessen zwischen Arbeit und Kapital an industrieller Front eingeläutet. Diese wird wieder viel mehr Ähnlichkeiten mit der Periode unmittelbar nach Krisenausbruch haben, also durch Fabrikschliessungen, Massenentlassungen und Kurzarbeit charakterisiert sein. Sie wird jedoch auch mit der Periode 2008-2011 kontrastieren, haben doch die ArbeiterInnen in der Zwischenzeit erste Erfahrungen gesammelt.

Die Stagnation in der Schweiz hängt stark mit der Entwicklung des deutschen Kapitalismus zusammen. Wir betonten immer die enorme Exportabhängigkeit des Schweizer Kapitalismus. Diese rührt von seiner historisch erwachsenen Struktur: starke Kapitalisierung, hohes Niveau an Spezialisierung bei gleichzeitiger Kleinheit des Binnenmarktes. Sie zeigt sich am deutlichsten in Bezug auf Europa und vor allem Deutschland. Die Geschwindigkeit, mit welcher sich jedoch die Stagnation auf die Schweiz überträgt, ist erstaunlich. die aufkeimende Krise in Deutschland wird sich weiter verschärfen. Die den anderen europäischen Volkswirtschaften vom deutschen Kapital verschriebene Rosskur der Austerität, welche in erster Linie den Interessen der Banken und Finanzinstitute diente, würgt jetzt den wichtigsten deutschen Absatzmarkt ab. Sie bestätigt die Richtigkeit unserer Perspektive und macht eine kurze Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa notwendig.

Laut den Wachstumsprognosen der EU-Kommission türmen sich die dunklen Wolken am Himmel der europäischen Konjunktur weiter auf. Vor allem für die wichtigsten europäischen Handelspartner der Schweiz sehen die Prognosen düster aus. Deutschland bewegt sich auf eine Rezession zu. Frankreichs Wachstum musste massiv nach unten korrigiert werden und die Wirtschaft stagniert de facto. Gleichzeitig steigen die Staatschulden weiter an. Italiens Wirtschaft schrumpft nun schon im dritten Jahr in Folge. Neben den sozialen und politischen Folgen dieser Entwicklung für diese Länder wird sie auch direkt die wirtschaftliche Situation in der Schweiz beeinflussen.

Die ohnehin bereits starke Orientierung der Schweizer Bourgeoisie auf die sogenannten „aufstrebenden Märkte“, auf die BRICS, wird auch in der kommenden Periode weitergehen. Dies zeigt sich in verstärkten handelspolitischen Offensiven, die sich im ratifizierten Freihandelsabkommen mit China und jenem, welches mit Indien verhandelt wird, widerspiegeln. Hinzu kommen auch Eigenoffensiven von Unternehmern, wieie das Beispiel des Vertrages von Stadler Rail mit Weissrussland zeigt, welcher in Minsk diverse Privilegien für die Firma ermöglicht. Zum einen konnte Stadler Rail in der Freihandelszone ausserhalb von Minsk Fabriken errichten, welche das Unternehmen von der Mehrwertsteuer bei der Einfuhr von Produktionsmitteln befreit. Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung investierte in des Bau des Standorts einen zehnjährigen Kredit im Umfang von 20 Millionen Euro. Obwohl die Schweiz 2006 und die EU 2009 diverse Sanktionen gegen das autokratisch regierte Weissrussland verhängten (Exportverbote, auf wenige Personen beschränktes Einreiseverbot), hat Stadler Rail 2010 eine weissrussische Ausschreibung gewonnen und erhielt unterschiedliche Privilegien. Die Tatsache, dass Spuhler in den Medien als überzeugter Demokrat gehandelt wird, hindert ihn nicht daran, sich mit Diktaturen einzulassen, nur um die Interessen des Kapitals zu erfüllen. Dies legitimiert er mit einer Sicherung von 3000 Arbeitsplätzen in der Schweiz durch die Erschliessung neuer Märkte. Der federführende Staatssekretär, der für das 2014 in Planung stehende Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Weissrussland verantwortlich ist, stellt den Fortschritt im Arbeitsrecht und beim Umweltschutz in den Vordergrund, obwohl der Verdacht naheliegend ist, dass es um rein wirtschaftliche Vorteile geht.

Diese Orientierung an „aufstrebenden Märkten“ taugt jedoch nicht dazu, die unsichere Marktlage für die Exportindustrie mittel- und langfristig zu überwinden sondern wir sie im Gegenteil noch verstärken. Die Volkswirtschaften der dritten Welt sind stark abhängig von internationalen Kapitalflüssen. Doch so schnell Kapital aus den imperialistischen Zentren in Schwellenländer fliesst, so schnell kann es sich auch wieder zurückziehen und sich verschieben. Solche Verschiebungen können auf Grundlage revolutionärer Krisen (Türkei, Brasilien u.a.) in den entsprechenden Ländern oder gewissen wirtschaftlichen Entwicklungen in den imperialistischen Zentren geschehen. Angesichts der politischen Lage in vielen wichtigen Entwicklungsländern und angesichts der anstehenden Änderung der Währungspolitik der US-Notenbank sind solche Kapitalabzüge im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich. Dies hinterlässt diese Volkswirtschaften mit mangelnden Währungsreserven und erschwert ihnen den Import von Gütern. Die Schweizer Exportunternehmer stehen dann wieder vor demselben Problem, welches Europa bereits kennt: Niemand kann ihre Waren kaufen.

Doch es ist nicht nur die Abhängigkeit von den Exportmärkten, welche die Stagnation verursacht. Es sind auch innere Widersprüche des Schweizer Kapitalismus. In der Bauwirtschaft sinken die Investitionen ebenfalls und ihr ihr die Produktion. Dies betrifft in erster Linie die Bürogebäude, wo die Überproduktion in den vergangenen Jahren beachtlich war. So nahmen die Leerstände von Büros 2014 um 10% zu. Die Konsequenzen einer Krise auf dem Baumarkt dürften massiv sein, ist doch ihr Anteil am BIP laut Hauseigentümerverband beinahe 20% und beschäftigt sie doch etwa 15% der Lohnabhängigen. [1] Es wird davon ausgegangen, dass in den kommenden Jahren vermehrt günstiger Wohnraum gebaut werden muss. Sprich. Während des vergangenen Baubooms wurden vornehmlich Büros und teure Wohnungen gebaut. Das Ganze wurde angeheizt durch die Währungspolitik der SNB und durch das Profitstreben grosser Immobiliengesellschaften und Kapitaleignern. Teure Wohnungen und Büros waren für institutionelle Investoren (Immobiliengesellschaften, Banken, Versicherungen, etc.) vermeintlich die besten, beziehungsweise profitabelsten Bauinvestitionen. Der Baumarkt produziert ganz offensichtlich nicht die notwendigen Bauten, also erschwingliche Wohnungen für die Lohnabhängigen und die Jugend, sondern die profitabelsten. InvestorInnen tun dies nicht nur unter völliger Ignoranz der Bedürfnisse der Mietenden, sondern gefährden dabei auch aufgrund ihrer spekulativen Profitinteressen die Lebensgrundlage der über 200’000 BauarbeiterInnen. Denn eines ist klar: bricht eine Krise auf dem Bau aus, so wälzen die Baumeister diese unmittelbar auf ihre Angestellten ab.

Es herrscht auch enorme Unsicherheit an den Finanzmärkten. Praktisch jeden Freitag vor Börsenschluss wird noch alles verkauft, was geht. Die Spekulanten fürchten sich vor möglichen politischen Ereignissen am Wochenende, welche Panik an den Märkten verursachen könnten. Immer wieder kommt es zu spastischen Bewegungen an den Märkten. Jeder veröffentlichte Geschäftsbericht birgt das Risiko, dass die Kurse, aus Angst vor schlechten Ergebnissen, einbrechen könnten. Die massive Ausdehnung der Börsenkapitalisierung (um +27% im Jahr 2013 [2]) steht in krassem Gegensatz zum BIP-Wachstum von lediglich 1.3% [3], wobei sich beide Zahlen auf die entwickelten kapitalistischen Länder begrenzen. Es mehren sich auch die Stimmen, besonders unter US-ÖkonomInnen, die einen Zusammenbruch des Euro vorhersagen. Die fehlenden profitablen Investitionsmöglichkeiten, kombiniert mit den Milliarden an gratis-Euros der EZB, führen zu enormen Euro-Kapitalflüssen weltweit. Der Druck auf den Franken, angefeuert durch eben diese spekulativen Kapitalflüsse aus der Eurozone, wird auch in der kommenden Periode wieder zunehmen.

Der innere Konsum wirkt zwar in der Schweiz momentan noch als Stütze der Konjunktur. Ob dieser aber noch lange so wirken wird, ist angesichts der zunehmenden Sparmassnahmen und des Lohndrucks der vergangenen Jahre mehr als fraglich. Es handelt sich hier grundsätzlich um dasselbe Phänomen wie in der Eurozone, wo die KapitalistInnenen den Markt für Konsumgüter abwürgen. Während die Löhne der tiefsten Einkommen zwischen 2002 und 2012 real um 0.6% gestiegen sind, haben die obersten alleine in den letzten 2 Jahren um 7.1%, oder 10’000 Franken pro Jahr zugenommen. Laut dem westschweizer Fernsehen waren die 300 reichsten Personen 2013 in der Schweiz 560 Milliarden schwer, das ist 65 Milliarden mehr als im Vorjahr. Allein im Jahr 2014 hat sich die Zahl der Milliardäre in der Schweiz von 61 auf 86 erhöht, was bedeutet, dass die Schweizer Milliardäre 12% des Vermögens aller Superreichen weltweit stellen. 2010 hatten, diesmal laut Bundesamt für Statistik, 1.25 Millionen Steuerpflichtige (ein Viertel aller Steuerpflichtigen) gar kein Vermögen. Sie leben also nur von ihrer Arbeitskraft, von ihrem monatlichen Gehalt und von den sich anhäufenden Schulden. Weitere 1.5 Millionen (30%) haben durchschnittlich ein Vermögen von rund 17’000 Franken, was keine grossen Reserven sind. Arbeiten lohnt sich, ja, vor allem für die Kapitalisten. Sie streichen den Mehrwert ein und lassen die ArbeiterInnen mit einem Lohn zurück, der knapp zum Überleben reicht.

Krisen sind kein lineares Phänomen, sondern unterschiedlichen Phasen unterworfen. Wegen der Kontrolle der Bourgeoisie über die Produktion und der relativen Schwäche der ArbeiterInnenbewegung konnten sie die Arbeitsbedingungen in den Fabriken und den Büros bislang grösstenteils ohne grösseren Widerstand ihren Profitinteressen unterwerfen. Unter dem unmittelbaren Ausbruch der Überproduktionskrise in der ersten Phase der Krise (2008-2011) standen Fabrikschliessungen und Massenentlassungen auf der Tagesordnung. In der vergangenen Periode stand unter dem Eindruck der Frankenstärke mehr die Frage nach Löhnen und Arbeitszeit im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital. In dieser neuen Phase des Krisenzyklus mit neuerlichem Wegfallen von Absatzmärkten werden wieder mehr Massenentlassungen und Betriebsschliessungen auf der Tagesordnung stehen. Gleichzeitig wird der Lohndruck kontinuierlich hoch bleiben. Die neue Krisenphase wird also die wesentlichen Merkmale der ersten beiden kombinieren. Die Angriffe der Unternehmer auf die Arbeitsbedingungen werden an Intensität zunehmen. Die kommende Periode wird wieder von intensiveren Klassenauseinandersetzungen gekennzeichnet sein, welche es bewusst als solche auszutragen gilt.


 [1] HEV Schweiz Die Volkswirtschaftliche Bedeutung der Immobilienwirtschaft der Schweiz; pom+ (2014) 

[2] MSCI World Index (31.10.2014)
[3] IWF, World Economic Outlook (WEO) Update (01.2014)

Banken zwischen politischem Einfluss und krimineller Energie

Die Schweizer Banken befanden sich seit Krisenausbruch in einer heiklen Lage und wurden wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich geschwächt. Sie suchen nun nach neuem Zusammenhalt. Die laut NZZ „stark divergierenden Interessen der sehr heterogenen Schweizer Banken führten auch zu einem Machtverlust des führenden Schweizer Branchenverbandes“, also der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg). Um wieder stärkeren Einfluss zu gewinnen, schlägt die Vereinigung vor, eine Expertengruppe des Bundes, die sogenannte Expertengruppe Brunetti, zu institutionalisieren und auf eine permanente Basis zu stellen. Die Gruppe soll eine nationale Finanzmarktstrategie entwickel. Laut NZZ kann sie sich „als neutral eingeschätzter Meinungsmacher und erfolgreicher Vermittler zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor profilieren. Die SBVg setzt nun darauf, dass die Banken mit einer Institutionalisierung wieder verstärkt in die Gesetzgebungsprozesse einbezogen werden.“ die Banken wollen also mehr politischen Einfluss, noch mehr politische Macht.

Derweil werden in regelmässigen Abständen die kriminellen und dreisten Praktiken der Grossbanken öffentlich. Die UBS muss in Frankreich wegen „Verdacht“ auf Beihilfe zu Steuerhinterziehung und Geldwäscherei 1.3 Milliarden Schweizer Franken Kaution hinterlegen. Sie will nun gegen dieses Urteil vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rekurrieren, da der Prozess „hoch politisch“ sei. Es geht um Aktivitäten der UBS zwischen 2004 und 2012, die Ermittlungen laufen seit 2012, die UBS hat also bis zur Eröffnung der Untersuchung weitergemacht. Die Bank hat für die Abwicklung der Kapitalflucht aus Frankreich ein doppeltes Buchführungssystem aufgebaut, was von hoher krimineller Energie, angetrieben durch die Suche nach Renditen, zeugt.

Die Angriffe von internationalen Steuerbehörden auf die Schweizer Banken sind real. Der Druck ist besonders auch aus den USA sehr hoch, wo sich die dort aktiven Schweizer Banken in drei Kategorien der Beihilfe zur  Steuerhinterziehung unterteilen mussten: 14 Banken gaben an, sie hätten sicher US-Recht gebrochen (Gruppe 1). 106 Banken gaben an, sie hätten „möglicherweise“ reichen Amerikanern geholfen, Steuern zu hinterziehen (Gruppe 2). Von diesen fordert nun das US-Justizdepartement volle Kooperation und Transparenz, was für das Geschäftsmodell der Schweizer Banken fatal sein dürfte. Die Banken wehren sich nun kollektiv gegen diesen Angriff von Seiten er US-Regierung. Die Schweizer Banken versuchen also, ihre Kohäsion angesichts von Angriffen von aussen zu verstärken.

Seit 2011 haben laut FAZ die kriminellen Praktiken der Banken der UBS 2 Milliarden Euro und der CS 3.6 Milliarden an Bussen eingebrockt. Und angesichts der hohen Rückstellungen, welche die Banken für allfällige künftige Bussen bereitstellen, dürften noch einige happige Beträge zusammenkommen. Bussen werden in der Buchhaltung der Grossbanken anscheinend wie normale Ausgaben gehandhabt. Die Banken sind international in einem extremen Konkurrenzkampf, und da vertritt jede Regierung die Interessen ihrer eigenen Banken. Die Fraktionschefin der FDP Gabi Huber klagt derweil: „Unter dem Eindruck der Forderungen ausländischer Schuldenstaaten an die Schweiz, angefeuert von der Linken und sogar von sogenannt bürgerlichen Politikern, soll der gläserne Bürger auch in unserem Land Realität werden.“ Der Versuch der verstärkten politischen Einflussnahme des SBVg scheint zu wirken.

Die Masseneinwanderungsinitiative (MEI) und tiefe Investitionen

Ein zentrales Konfrontationsfeld der kommenden Periode, welche starke Auswirkungen auf die Akkumulationsbedingungen in der Schweiz haben wird, ist die Umsetzung der MEI, deren Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen mit der EU und die flankierenden Massnahmen.

Die MEI dient der Bourgeoisie als brillante Ausrede, um die stagnierende Wirtschaft zu erklären und vom eigentlichen Problem abzulenken: den geringeren Investitionen in die Unternehmen, die den eigentlichen Motor der kapitalistischen Wirtschaft darstellen. Auch im ersten Halbjahr 2014 bestand, wie bereits 2013, der Zuwachs für Investitionen vor allem in die Erneuerung des Fahrzeugparks und Computern, womit nicht die Produktivkräfte entwickelt und keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden. Mit der Aussage, die Perspektiven für den Wirtschaftsstandort Schweiz seien durch die Annahme der MEI „ungewiss“, wird eine verzweifelte Erklärung für die tiefen Investitionen konstruiert. Dies ist eine zusätzliche Ablenkung von ihren Modellen und Analysen, die keine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation versprechen konnten.

Viel entscheidender für die tiefen Investitionen der KapitalistInnen ist das Fehlen gesicherter Absatzmärkte, auf welchen sie ihre Waren verkaufen und somit den Mehrwert als Profit realisieren können. Wir nennen dies die Überproduktion. Diese drückt sich dadurch aus, dass die Auslastung der Fabriken laut NZZ mit 82% weiterhin unter ihrem langjährigen Mittelwert liegt. Da hilft all das billige Geld der Zentralbanken nichts, sondern führt bloss zu einer enormen Bereicherung des Finanzkapitals. Weltweit kaufen Grossunternehmen Aktien zurück, aber sie investieren gleichzeitig kaum in die Produktion. ABB ist daran, Aktien im Wert von 4 Milliarden Dollar zurückzukaufen, Black Rock und andere Investoren dürfte dies freuen. Gleichzeitig haben sie 2013 1.5 Mia Dollar in Forschung und Entwicklung investiert und nur 1.1 Mia Dollar in den Kauf von Sachanlagen, also etwas mehr als halb so viel wie für Aktien. Die Maschinenproduzentin ABB leidet unter der Überproduktion und den fehlenden internationalen Investitionen. Die Fabriken, welche die ABB aufbaut, befinden sich derweil nicht in den kapitalistischen Zentren, sondern in Indien und Brasilien. Neben den nach wie vor viel tieferen Lohnkosten ist ihr Argument, dass sie näher bei ihren Wachstumsmärkten in den „aufstrebenden Ökonomien“ sind. Die Absatzprobleme in den Stammmärkten können schliesslich auch durch diese „Expansionsstrategie“ nicht überwunden werden.

Trotz der eigentlichen Verschleierung, zu welcher die Bourgeoisie die MEI verwendet, werden die Auswirkungen ihrer Umsetzung für ihre Interessen bestimmt nicht zu unterschätzen sein und der schon oft beklagte „Fachkräftemangel“ droht, gewisse Branchen effektiv vor reale Probleme zu stellen. Viel wichtiger für die Bourgeoisie ist jedoch der drohende Verlust der bilateralen Verträge I, welche ihnen gleichen Marktzugang in die EU sichert. Die SVP-Führung merkte, wie sie mit dieser Initiative die Interessen wichtiger Teile der Bourgeoisie angriff. Dementsprechend folgten auch in den Monaten nach Annahme verschiedene Konzessionen bei deren Umsetzung, allen voran durch den Multimilliardär Blocher.

Der SGB hat sich im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit derweil die Verteidigung des „Wirtschaftsstandort Schweiz“ auf die Fahnen geschrieben. In einem Positionspapier schreibt er: „Die effizienteste Methode zur Lenkung der Einwanderung in unser Land ist die direkte Intervention in den Arbeitsmarkt, bzw. die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte durch schweizerische Unternehmen.“ Damit geriet er gänzlich ins Schlepptau der Wirtschaftsverbände und die ursprüngliche Bedingung des SGB für die Unterstützung der Personenfreizügigkeit, der Ausbau der flankierenden Massnahmen, verschwand praktisch von der Bildfläche. Das bedeutet nun, dass der SGB in erster Linie den Zugang zu billigen Arbeitskräften und damit die Profitinteressen der Schweizer Unternehmer verteidigt. Angesichts der oben aufgezeigten Perspektive verstärkter Interessensgegensätze in den Betrieben ist eine solche Politik, welche jeglichen unabhängigen Klassenstandpunkt beerdigt, fatal.

USR III, Sparmassnahmen und Korruption: die parasitäre herrschende Klasse

Die parasitäre Strategie des Schweizer Kapitals und seiner politischen StellevertreterInnen wird derweil eindeutig fortgesetzt, wie die Vernehmlassung zur Unternehmenssteuerreform (USR) III zeigt. Diese wird unter Druck der OECD durchgeführt und die Steuerprivilegien für Holdinggesellschaften sollen abgeschafft werden. Laut war die Schweiz bislang „sehr erfolgreich“ im intensiven internationalen Steuerwettbewerb, wie in einem Editorial der Volkswirtschaft vom November 2014 zu lesen ist. Mit der USR III glaubt sie „die Attraktivität des Standorts Schweiz nicht nur [zu] erhalten, sondern noch einmal erhöhen [zu] können.“

Eckpunkt dieser Reform sind die sogenannten Lizenzboxen, auch bekannt als „Evelyn Widmer-Schlumpfs Wunderboxen“, welche Gewinne aus Patenten von Steuern befreien sollen. Es wird davon ausgegangen, dass sich diese Reform in einer generellen Senkung der Unternehmenssteuern in allen Kantonen ausdrücken wird. In Kantonen, wo nur wenige Unternehmen mit bedeutender Beteiligung an Forschung und Entwicklung, und viele Handelsunternehmen und Rohstoffgiganten ansässig sind (z.B. in Genf und im Waadt), welche keine Patente haben, stehen die Standortförderer unter Druck, die Unternehmenssteuern massiv zu senken, um die grossen Holdinggesellschaften halten zu können. Der Steuerwettbewerb tendiert dazu, diese Senkungen zu verallgemeinern, was voraussichtlich zu Steuerausfällen von 3 Milliarden Franken bei den Kantonen führen wird. Dieses Geld bleibt direkt in den Taschen der Grossunternehmen. Die Ausfälle in den Kantonen sollen mit einer Milliarde aus der Bundeskasse kompensiert werden. Dies wird zwangsläufig wieder zu einer neuen Welle von Sparmassnahmen führen. Widmer-Schlumpf meint dazu im Schweizer Radio: „Damit muss man halt einfach leben“.

Es wird ja jetzt schon kräftig gespartin den Kantonen und Gemeinden , wie z.B. in letzter Zeit massiv bei den SozialhilfebezügerInnenn. „Arbeit soll sich wieder lohnen“ ist dabei das Schlagwort der Bürgerlichen. Doch die Sparmassnahmen sind ganz allgemeiner Natur, treffen unzählige öffentliche Angestellte und diejenigen, die auf ihre Dienste angewiesen sind. Vom Pflegepersonal, den LehrerInnen und BuschauffeurInnen, zu den Kranken, den SchülerInnen und den PendlerInnen: alle spüren die Folgen direkt.

Natürlich sind wir einverstanden damit, dass die politischen Mehrheiten in der Schweiz klar zugunsten der Bourgeoisie sind. Konsequenterweise muss unser Ziel also die politische Machteroberung sein. Dass aber eine linke Regierung innerhalb der bürgerlichen Ordnung heute auch nur eine annähernd fortschrittliche Politik machen könnte, ist eine Illusion, wie die Erfahrungen der Sozialdemokratischen Regierungen in Spanien, Griechenland, Frankreich und Italien deutlich gemacht haben. Die politische Machteroberung muss demnach ganz klar auf eine über den blossen Wahlsonntag hinausgehende Mobilisierung hinauslaufen und sich in eine breit angelegte sozialistische Offensive einreihen. Sonst würde die regierende Linke bloss zum offenen Agenten der Bourgeoisie in der arbeitenden Klasse.

Diese Sparmassnahmen sind zumeist direkte Konsequenz der Steuersenkungspolitik seit den 90ern. So wurden die Unternehmenssteuern seit 1990 durchschnittlich von 20% auf 7% gesenkt. Ähnliches wurde mit den Steuern auf Vermögen und hohe Einkommen gemacht. Die kantonalen Erbschaftssteuern wurden fast überall gleich gänzlich abgeschafft. Beispielsweise im Kanton Zürich hat diese Politik in den letzen 10 Jahren zu Steuerausfällen von 2 Mrd. Franken geführt, nicht ganz zufälligerweise entspricht dies mehr oder weniger dem, was angeblich eingespart werden muss. Diese Steuersenkungspolitik ist jedoch nicht einfach die Konsequenz der ideologischen Sparwut der bürgerlichen Parteien, auch wenn diese teilweise durchaus wahnhafte Züge annimmt, sondern basiert auf dem globalen Konkurrenzdruck, die Kosten für Unternehmen und Kapital im Allgemeinen zu senken. Die Erhöhung privater Profite steht weltweit ganz zuoberst auf der politischen Agenda. Die Krise hat diesen Konkurrenzkampf noch weiter verschärft. Hier tritt nichts weniger als der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung zu Tage. Dazu Engels: „Umwandlung der Industrie zuerst vermittelst der einfachen Kooperation und der Manufaktur, Konzentration der bisher zerstreuten Produktionsmittel in grossen Werkstätten, damit ihre Verwandlung aus Produktionsmittel des einzelnen in gesellschaftliche – eine Verwandlung, die die Form des Austausches im ganzen und grossen nicht berührt. Die alten Aneignungsformen bleiben in Kraft. Der Kapitalist tritt auf: In seiner Eigenschaft als Eigentümer der Produktionsmittel eignet er sich auch die Produkte an und macht sie zu Waren. Die Produktion ist ein gesellschaftlicher Akt geworden; der Austausch und mit ihm die Aneignung bleiben individuelle Akte, Akte des einzelnen: Das gesellschaftliche Produkt wird angeeignet vom Einzelkapitalisten.“ [1]

In letzter Instanz ist es derselbe Prozess, welcher die barbarischen Sparmassnahmen in Griechenland und die Sparpolitik in der Schweiz „nötig“ machen. Die Forderung nach höheren Steuern für Kapital und hohe Einkommen aus der Linken sind deshalb zwar durchaus unterstützenswert, es ist jedoch gänzlich falsch anzunehmen, dass sich solche Massnahmen einfach ohne schwerwiegende Konsequenzen einführen liessen; beruht der Schweizer Kapitalismus doch seit Jahrzehnte darauf, dass weltweit mehr oder weniger günstigsten Anlagebedingungen für Kapital geschaffen wurden. Zu einer Zeit, in welcher in allen wichtigeren Ländern der Hauptfokus der Politik unter diesem Zeichen steht, braucht es an der Spitze bleiben zu wollen deshalb auch in der „reichen Schweiz“ die Erosion der sozialen Errungenschaften. Die Forderung nach grösseren Steuererhöhungen machen deshalb nur im Rahmen eines sozialistischen Programms Sinn, welches unter anderem die Verhinderung von Kapitalflucht vorsieht. Wir müssen uns das grundsätzliche Problem, nämlich dass die Kapitalisten sich den Mehrwert unter den Nagel reissen können, aufs Programm setzen und den Zusammenhang zwischen Austerität und Aneignung aufzeigen. Dies heisst wiederum bestimmt nicht, dass wir uns sektiererisch gegen progressive Steuerreformen stellen würden. Die Aufgabe der MarxistInnen ist es, einen Schritt weiter zu gehen und die engen Grenzen fortschrittlicher Reformen im Rahmen des Kapitalismus aufzuzigen. Die politische Machteroberung muss demnach ganz klar auf eine über den blossen Wahlsonntag hinausgehende Mobilisierung hinauslaufen und sich in einer breit aufgelegten sozialistischen Offensive hineinreihen. Sonst würde die regierende Linke bloss zum offenen Agenten der Bourgeoisie in der arbeitenden Klasse.

Derweil begrenzt sich jedoch die Dreistigkeit, mit welcher sich die Schweizer Bourgeoisie bereichert, nicht nur auf die Frage der Sparmassnahmen. Bürgerliche Politik ist eben die Vertretung der Interessen der herrschenden Klasse unter dem Deckmäntelchen der Demokratie. Die vom Parlament revidierte Kriegsmaterialexportverordnung, wonach nun Waffen in Länder exportiert werden können, die systematisch Menschenrechte verletzen (Saudi-Arabien, Pakistan, etc.), nur um die eigene Rüstungsindustrie zu schützen. Berset, der sich vor der Abstimmung über die öffentliche Krankenkasse hinter die privaten Versicherer stellt, betonend, dass der Wettbewerb dort schon alles regeln wird, während kurz darauf angekündigt wird, dass die Prämien auch 2015 besonders für die Jugend wieder saftig steigen werden. Johann Schneider-Ammans Steuerhinterziehung, regelmässig publik werdende Korruptionsfälle in den Kantonen und im Bund. Der Fall des SVP-Nationalrats und Gewerbeverbandspräsidenten Jean-François Rime, der seinen Söhnen durch Weitergabe von Insiderinformationen aus den parlamentarischen Kommissionen Wettbewerbsvorteile für das Familienunternehmen verschaffte, ist nur ein Beispiel für die Korruption und Günstlingswirtschaft, an der sich die Besitzenden in der Schweiz laben.


[1] Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, Peking 1976, S. 102.

Die Schweiz als politischer Sonderfall?

Die Bourgeoisie und bürgerliche Politiker dieses Landes werden nicht müde, die herrschende Gesellschaftsordnung als politischen Sonderfall zu bezeichnen. Das wirtschaftliche „Erfolgsmodell“ der „Schweiz AG“ rühre massgeblich von der politischen Stabilität. Angeführt werden dabei meist die liberale Wirtschaftsordnung, die demokratischen Rechte (Initiativ- und Referendumsrecht), die permanente Teilung der Regierungsgewalt zwischen den verschiedenen Parteien und die Sozialpartnerschaft.

Die spezifische politische Form der bürgerlichen Ordnung in der Schweiz ist wesentlich gekennzeichnet durch die direktdemokratischen Rechte. Im letztjährigen Perspektivendokument haben wir dem Initiativrecht und seinem Wert für die ArbeiterInnenbewegung einen besonderen Platz eingeräumt.  Die Initiative kann ein mächtiges Agitations- und Propagandamittel für die Organisationen der Lohnabhängigen darstellen, wenn  sie einige grundsätzliche Bedingungen erfüllt. Eine Initiative soll das Klassenbewusstsein steigern, wirksame Agitation ermöglichen und im Zusammenhang mit einem sozialistischen Gesamtprogramm stehen. Dabei muss eine Initiative eine direkte Konfrontation mit dem Kapital ermöglichen, denn nur so kann eine Initiative der organisierten ArbeiterInnenbewegung einen Schub geben, ohne Illusionen in ihre Wirksamkeit innerhalb des Kapitalismus zu schüren. Dies ist die Position von uns Marxisten.

Dass dies illusorisch ist, zeigte die Abstimmung über die abgeschwächte öffentliche Krankenkasse. So wandelt sich die grundsätzlich fortschrittliche Wirkung von (mehr oder weniger) offensiven Initiativen rasch in eine rückschrittliche um. Die SP forderte bei der Initiative „Für eine soziale Einheitskrankenkasse“, welche 2007 zur Abstimmung kam, noch einkommensabhängige Prämien. Das heisst,  Vermögende hätten höhere Prämien bezahlen müssen als ArbeiterInnen. Bei der Initiative vom letzten Herbst liess sie dieses Element, also das „soziale“, dann gleich weg, in der Hoffnung dank dieser Abschwächung die Abstimmung zu gewinnen, wie ihnen dies von Politologen nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse 2007 empfohlen wurde. Dies führte jedoch nicht etwa dazu, dass diese Initiative angenommen wurde . Beide Initiativen wurden wuchtig abgelehnt. Mit dieser Anpassung und Entschärfung legitimer Forderungen der Arbeitenden gewinnt die SP nicht nur keine Abstimmungen. Sie wandelt die grundsätzlich fortschrittliche Wirkung von (mehr oder weniger) offensiven Initiativen auf das Klassenbewusstsein in eine rückschrittliche um.

Unsere Schlüsse zu diesen Resultaten sind jedoch noch viel grundsätzlicherer Natur. Wir stellen uns nicht gegen Initiativen. Für uns ist jedoch klar, dass ohne organisierte und kämpferische Basis, ohne direkte Konfrontation der Interessen, keine fortschrittlichen Reformen erkämpft werden können. Im Gegenteil, es stehen alle Reformen der letzten 70 Jahre unter Beschuss. Dies zeugt von den geänderten objektiven Bedingungen. Die im Nachkriegsboom erhaltenen Brosamen der herrschenden Klasse werden unter dem Druck der Krise den Profitinteressen der Bourgeoisie untergeordnet. Die Verlagerung der politischen Orientierung auf Initiativen kann dabei keineswegs die aktive Mobilisierung der Klasse auf der Basis eines sozialistischen Programms ersetzen. Die Konfrontationen zwischen den Klassen, die Vertretung unserer Interessen,  dürfen sich nicht in punktuellen fortschrittlichen Forderungen begrenzen, welche zusätzlich allesamt durch die geballte Ladung an Drohungen und Erpressungen der Herrschenden niedergeschmettert werden. Diese stellen keine magische Abkürzung dar, welche den Aufbau aktiver Strukturen von Gewerkschaft und Partei in den Betrieben und den Städten ersetzt. Die Koppelung der materiellen Interessen und  politischen Macht der Kapitalisten in der bürgerlichen Demokratie verunmöglichen demnach auch jedwede fortschrittliche und dauernde Reform. Nur ein Bruch mit dieser Ordnung tut dies.

Wir haben vor einem Jahr auch geschrieben, dass die Angriffe von Teilen der Bourgeoisie auf die direktdemokratischen Instrumente weitergehen werden. Dass dies eindeutig der Fall ist, wurde z.B. mit der Behandlung der Erbschaftssteuer-Initiative der SP im Ständerat deutlich. Die Gründe für die Ungültigkeit von Initiativen sollen erweitert werden und andere Hürden wie eine Erhöhung der nötigen Unterschriftenzahl etc. werden aktiv in Erwägung gezogen. Dies, weil Initiativen vermehrt „rechtsstaatliche Grundprinzipien“ in Frage stellen würden. Diese Grundprinzipien des bürgerlichen Staates sind nur allzu gut bekannt: Verteidigung der Besitzverhältnisse und der Interessen der herrschenden Klasse.

In Zeiten der Krise werden eventuelle Störungen der Akkumulationsbedingungen durch Volksvorstösse von der wirtschaftlichen und politischen Elite der Schweiz noch stärker geächtet als in Zeiten der wirtschaftlichen Expansion. Bei jeder Abstimmung wird die Drohkeule ausgepackt: die Unternehmer drohen ganz offen mit Massenentlassungen, Betriebsverlagerung, höherer Ausbeutung, etc. Die bourgeoise Presse spielt dabei auch fleissig mit und betreibt gross angelegte Hetzkampagnen gegen die ArbeiterInnenbewegung und die Linke. Mittels dieser Diskurse baut sich die herrschende Klasse ihre politische Hegemonie auf. Die Führungen der Organisationen der Lohnabhängigen reagieren darauf jedoch nicht mit einer Gegenoffensive, sondern mit Anpassung. Anstatt Kapitalkontrollen und nötigenfalls Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten als Antwort auf die Drohungen der Kapitalisten zu fordern, holen sie den VWL-Kurs- Rechner hervor und zeigen auf, dass gar nicht alles so schlimm sein würde für die Unternehmen. Anstatt sich auf die ArbeiterInnen zu orientieren, versuchen sie der Bourgeoisie deren eigene Interessen zu erklären.

Diese Angriffe auf die direktdemokratischen Mittel sind heute aber weniger eine Reaktion auf radikale Offensiven gegen die herrschenden Verhältnisse mittels Initiativen von Links. Sie werden massgeblich durch die Offensiven des radikalsten Flügels der Bourgeoisie, der SVP, geschürt. Deren rassistischen und nationalistischen Initiativen verfolgen grundsätzlich drei Ziele:Spaltung der ArbeiterInnenklasse entlang der nationalen Herkunft, Entfaltung einer Propaganda für ihren eigenen politischen Selbstzweck und Verteidigung wirtschaftlicher Partikularinteressen eines Teils der Bourgeoisie: der Gewerbetreibenden, Bauunternehmer und Bauern, die einen wichtigen Teil der SVP-Kader ausmachen. Sie treten dabei in Opposition zu den Grosskapitalisten der Exportindustrie, die sich vor den Reaktionen auf zu radikale Angriffe fürchten und zur Wahrung ihrer ökonomischen Interessen auf den liberalisierten Warenverkehr mit der EU angewiesen sind. Diese entgegengesetzten Interessen sind auch innerhalb der SVP vorhanden. Der radikalste, reaktionärste Teil der Bürgerlichen nutzt das politische Gewicht der binnenorientierten Kapitalisten zur Durchsetzung von heftigen Angriffen auf die Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse. Diese unterschiedlichen Interessen innerhalb der Bourgeoisie bringen auch die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften in die Bredouille. Anstatt mit einer klaren Antwort auf einer Klassengrundlage die Politik der SVP zu entblössen, verlieren sie sich in Moralismus, Standortlogik und technokratischer Herangehensweise.

Auch wenn die Angriffe auf die demokratischen Rechte in der Schweiz massgeblich durch innerbourgeoise Konflikte geschürt werden, so verteidigen wir dennoch diese errungenen Rechte, ohne jedoch auf Illusionen in deren Wirksamkeit zu verfallen. Richtig genutzt sind sie ein Werkzeug in der Hand der ArbeiterInnenbewegung. Wir stellen die Verteidigung der demokratischen Rechte jedoch auch in den Zusammenhang einer Ausdehnung dieser  mittels Transparenz in den Kampagnenfinanzierungen, Stimmrecht für MigrantInnen, Wähl- und Abwählbarkeit hoher Beamter, etc. 

Die Sozialdemokratie als die wichtigste Stütze der bürgerlichen Institutionen

Die starke politische und gewerkschaftliche Integration der ArbeiterInnenbewegung in den bürgerlichen Staat ist sicher der wichtigste einzelne Faktor  für die Stabilität des politischen Gefüges in der Schweiz.Diese Integration nimmt aber nicht das Ausmass an, welches sie bspw. in Deutschland  hat. Diese materielle Einbindung der Bürokratie der ArbeiterInnenbewegung ist ihrem Inhalt nach nicht fundamental von den selbigen Prozessen im übrigen Europa zu unterscheiden; lediglich die Form und die Intensität ist eine andere.

Sie ist historisch erwachsen aus der reformistischen Orientierung der Führung der ArbeiterInnenbewegung und geht dabei je nach Ebene weit zurück. Zentral ist jedoch die praktisch permanente Regierungsbeteiligung der SP auf Bundesebene seit 1943, das Konsultationsverfahren seit 1947 und seit kürzerem die flankierenden Massnahmen für die Gewerkschaften. Diese Integration ist für die Konjunktur des Klassenkampfes in der Schweiz von entscheidender Bedeutung. Sie bindet die Führungen der organisierten ArbeiterInnenbewegung organisch an die herrschende Klasse und ist so letzten Endes ein ökonomisches und ideologisches Werkzeug eben dieser.

Doch die besondere Integration der Schweizer ArbeiterInnenbewegung in den Staat löst weder die widersprüchlichen Klasseninteressen, welche in der Gesellschaft allgegenwärtig sind, noch hebt sie den Klassencharakter des bürgerlichen Staates auf. Vielmehr dient sie den Neokonservativen immer wieder als ideologische Munition gegen die Linke und den angeblich „linken“ Staat. Die Krise macht eben auch nicht halt vor den Institutionen des bürgerlichen Staates in der Schweiz. Sie hat die Widersprüche, welche diese durchziehen, noch zusätzlich  verstärkt. Das weitgehende Verzichten der ArbeiterInnenbewegung auf effektive Kampfmassnahmen häuft neue Widersprüche an, in der Gesellschaft als Ganzes, wie auch innerhalb der Klasse selbst.

Die Führung der Sozialdemokratie ist in der Schweiz eine der wichtigsten Stützen der herrschenden Ordnung und ihrer sakrosankten bürgerlichen Institutionen. Sie rechtfertigt ihre Verteidigung der herrschenden Ordnung und ihren Institutionen mit deren demokratischen Form und vermeintlich humanitären Traditionen. Tatsächlich beruht diese Rolle der SP auch in der relativen Schwäche der traditionellen bürgerlichen Parteien (FDP und CVP).

Die seit Jahrzehnten andauernde Integration der SP in den bürgerlichen Staat hat das Selbstverständnis der Partei grundlegend geprägt. Von den Ursprüngen dieser Partei der Arbeiterklasse sind kaum mehr als leere Floskeln im Parteiprogramm zur Überwindung des Kapitalismus übriggeblieben – wobei auch schon diese vom rechten Flügel der Partei hart bekämpft wurden. Aber auch wenn der rechte Flügel an den Parteitagen desweilen in der Minderheit ist, hat  er die Partei in ihrer Praxis, in den „Tagesgeschäften“, fest im Griff – wie sich am Beispiel der Wahl der Führung der Nationalratsfraktion zeigte. Es gilt der Konsens, die „Vernunft und politische Glaubwürdigkeit“ als Mass aller Dinge. Zwar unterscheidet sich die Politik der SP von den bürgerlichen Parteien, jedoch nicht ihre alltägliche Herangehensweise an diese. Durch ihre Beteiligung am Bundesrat – für welchen sich die bürgerliche Mehrheit im Parlament jeweils die „gemässigtsten“ Politiker der SP aussucht – führt sie die Konterreformen gegen die arbeitende Bevölkerung an.

Seit Beginn der Zeiten der Sozialpartnerschaft zeigt sich eine grundlegende Veränderung nicht nur in der Wählerschaft der SP sondern auch in ihrer Basis. Von einer Partei der Arbeiter hat sich die SP im letzten halben Jahrhundert zu einer Partei der Intellektuellen und der Kleinbürger verwandelt. Die Politik der SP, ihre Zusammensetzung, ihre Orientierung in den Wahlen etc. sind ein Kreislauf, in welchem die Partei ihre Glaubwürdigkeit in der arbeitenden Klasse schon lange eingebüsst und sich zu einer rein elektoralen Partei verwandelt hat, die den Anspruch auf eine sozialistische Politik schon lange aufgegeben hat.

Auch in den Kommunen, in denen eine links-grüne Mehrheit herrscht, sieht man, wie die SP sich „gezwungen“ sieht, die bürgerliche Politik in Form von Sparmassnahmen, Steuergeschenken, Privatisierungen etc. weiterzuführen. Hier ist die Logik der Sozialdemokratie an der Macht dieselbe wie im restlichen Europa: Durchsetzung der bürgerlichen Politik, der Interessen der herrschenden Klasse. Es zeigen sich die engen Grenzen, ja die praktische Unmöglichkeit einer reformistischen Regierungspolitik in Zeiten einer systemischen Krise. Die Zeiten, in denen Zugeständnisse gemacht werden konnten, sind auch in der Schweiz vorbei.

Die SP wird nicht nur zur Ausführerin bürgerlicher Politik. Sie spielt darüber hinaus auch die Rolle, Illusionen in den bürgerlichen Staat zu schüren – sie wird zur wichtigsten Stütze der bürgerlichen Institutionen. Die Aussage Levrats am diesjährigen Dreikönigs-Medienanlass, wonach die moderne Schweiz dank der Allianz zwischen SP und FDP funktioniere, trifft den Nagel auf den Kopf. Die SP trägt die Sozialpartnerschaft weiterhin mit, obwohl diese  von der Bourgeoisie schon lange offen angegriffen wird. Die SP gerät somit in die schizophrene Lage, dass sie auf der einen Seite sowohl auf nationaler wie auch auf kantonaler und kommunaler Ebene die Angriffe auf die arbeitende Klasse durchführt und auf der anderen Seite eine oppositionelle Politik betreibt. Dies trägt nur weiter zur Entfremdung der Arbeiter bei und schürt dabei auch den Boden dafür, dass diese sich durch die rassistische Hetze der SVP angesprochen  fühlen.

Von der NZZ wird Simonetta Sommaruga ein „bourgeoiser Habitus“, also bürgerliche Umgangsformen zugeschrieben. Aus der Feder dieser Schreiberlinge des Zürcher Kapitals ist dies wohl ein Kompliment an die Bundesrätin. Für die ArbeiterInnen und ehrlichen SozialistInnen wird jedoch immer deutlicher, dass Sommaruga und Konsorten nicht die Vertreter unserer Klasse sind. Die objektive Rolle der Sozialdemokratie an der Macht – oder daran beteiligt – ist es, die bürgerlichen Interessen umzusetzen und unter den Lohnabhängigen und der Jugend Illusionen in den Staatsapparat zu schüren. Dies wird sich jedoch in einer Situation permanenter Krise zunehmend als schwierig herausstellen.

Diese Widersprüche finden momentan kaum einen sichtbaren politischen Ausdruck innerhalb der Partei, sondern brechen isoliert aus, z.B. in Referenden gegen die Politik von SP- Exekutivpolitikern oder in innerparteilicher Kritik an denselben. Über kurz oder lang muss dies jedoch geschehen. Der vom Präsidium verteilte Kitt, der die Partei zusammenhalten soll, wird wohl noch einige Zeit seine Funktion erfüllen. Der Juso kommt hier jedoch die entscheidende Rolle zu, mit den linken Elementen in der Basis der SP eine organisatorische und politische Einheit zu suchen. Im Zentrum muss dabei die direkte Kontrolle der Mandatsträger durch die Partei und als Folge davon ein Bruch mit der bedingungslosen Regierungsbeteiligung stehen. Dies kann wichtige Impulse zur Stärkung der SozialistInnen in der SP geben.

Ausgehend von dieser Rolle und diesem Zustand der SP müssen wir uns die Frage stellen, wie mit den Wahlen für die Bundesversammlung vom Oktober 2015 umzugehen ist. Trotz dem oben aufgeführten, ist das Resultat der Sozialdemokratie in diesen Wahlen kein Fatalismus. Es wird entscheidend von der Kampagne der Sozialdemokratie abhängen. Die aktuellen Umfragewerte (September 2014) rechnen mit einem Stimmenzuwachs für die SP. Für uns MarxistInnen ist jedoch momentan nicht entscheidend, wie viele Prozentchen hier und da drin liegen. Für uns ist ein Wahlkampf ein Erfolg, wenn er unser Programm den Massen näher bringen kann, wenn er dieses auf Grundlage der Notwendigkeit einer organisatorischen und politischen Offensive gegen die Bourgeoisie in die fortschrittlichsten Teile der Gesellschaft trägt, kurz: wenn er als Plattform für den Sozialismus und  dessen soziale Verankerung dient.

Laut der NZZ vom 07. Oktober 2014 legte die SP in den kantonalen Exekutiven in den letzten Jahren zu und ist in diesen von allen Parteien am stärksten vertreten. Dagegen tendieren die Parlamentssitze zur Stagnation. Dies heisst, dass je stärker die SP in der Regierungsverantwortung ist, desto schwächer wird tendenziell ihre Unterstützerbasis. Dieser Widerspruch erklärt sich  mit der Vollstreckung bürgerlicher Interessen durch sozialdemokratische Regierungsmitglieder und der damit verbundenen Diskreditierung vor den Lohnabhängigen. Die Verwaltung der bürgerlichen Tagesgeschäfte durch die Sozialdemokratie steht in Widerspruch zu sozialistischer Politik, die bürgerliche Hegemonie hat die SP-Führung stark einvernommen.

Der Entwurf der SP- Wahlkampagne sieht demnach politisch auch sehr dürftig aus. Die Generalsekretärin der Partei, Flavia Wasserfallen, erklärte die Wähler mit einem monatlichen Einkommen zwischen 6’000 und 10’000 CHF zur Zielgruppe. Nicht etwa die soziale Zugehörigkeit, die Klasse, ist die Grundlage für den SP- Wahlkampf, sondern eine vage Mittelschicht, die sich über den Lohn definiert. Statt sich um die politische Einheit der Lohnabhängigen der unteren Lohnklassen zu bemühen, kam die SP nach der MiLo- Abstimmung zum Schluss, dass diese kein gemeinsames Interesse haben können und verneint dieses auch mit ihrer Wahlkampagne. Sie begnügt sich damit, die unterschiedlichen Interessen der unterdrückten Minderheiten zu betonen – welche eine gegenseitige Solidarität unmöglich machen – um keine Politik im Interesse der ArbeiterInnenklasse machen zu müssen.

In diesem Licht ist auch die Wahlkampfstrategie der SP für die Wahlen im Oktober dieses Jahres zu sehen. Sie will während ihrem Wahlkampf 100‘000 Personen per Telefon kontaktieren, um mehr BürgerInnen zum Wählen zu bewegen. Damit werden wahrscheinlich mehr WählerInnen für die Partei an die Urnen gehen. Dies wird dazu führen, dass tatsächlich ein paar Promille Zuwachs möglich sind. Diese Strategie ist aber eher zu vergleichen mit dem Auswinden eines nassen Badetuchs, werden diese doch nicht neu für die Ideen gewonnen, sondern nur dazu bewegt, ihre Stimme abzugeben. Es wird also versucht, das bestehende Wählerpotential der SP dieses Jahr noch besser auszunützen. Diese Strategie verschafft der Partei aber keinen zusätzlichen Zuspruch, es werden dadurch nicht neue Personen für die SP gewonnen und schon gar nicht für den Sozialismus oder den Kampf  dafür.

Uns geht es darum, mit einem sozialistischen Wahlkampf diese Bequemlichkeit der Sozialdemokratie im bürgerlichen Staat zu brechen. Mit einer kämpferischen Kampagne sollen die ArbeiterInnen und die Jugend aus der politischen Lethargie geholt werden, in welcher sich ihr überwiegender Teil befindet. Wir nutzen Wahlen als Plattform für die Verbreitung von Klasseninteressen und Verbreiterung der sozialistischen Organisation. Für uns als marxistische Strömung wird hier entscheidend sein, unseren Vorschlag eines sozialistischen Wahlkampfs der ArbeiterInnenbewegung unterbreiten zu können. Mit dem Akzeptieren des sozialistischen Aktionsprogramms hat sich die Juso eine konkrete Orientierung gegeben. Es ist auf Grundlage der darin aufgestellten Forderungen, dass ein offensiver Wahlkampf möglich sein wird. Von einem solchen Programm gestärkt, kann die Juso einen kämpferischen Wahlkampf, welcher sich auf die Lohnabhängigen und die Jugend orientiert, sich von der sozialdemokratischen Verwaltungspolitik distanziert und eine sozialistische Perspektive aufzeigt, entwickeln. Dies ist die Aufgabe der Juso für den Wahlkampf 2015.

Uns muss jedoch klar sein, dass wenn keine realen Kämpfe stattfinden (Arbeitskämpfe, soziale Bewegungen), keine solche offensive, sozialistische Kampagne stattfinden wird. Ohne den Druck und die Dynamik aus der historisch sozialen Basis der Sozialdemokratie, wird diese einzig den Drücken der Bürgerlichen und der rechtesten Schichten der Klasse ausgesetzt sein. Unter der Oberfläche, verborgen  vor den Parteistrategen, akkumulieren sich aber die Widersprüche zwischen der kompromisslerischen Politik und der objektiven Realität der Klasse. Es kommt der Punkt, an dem diese Widersprüche  das Stadium erreichen,  in welchem sie in einem offenen Konflikt in der Partei aufbrechen werden. Es ist der Druck von unten, die Mobilisierung der Lohnabhängigen um offensive Forderungen im Betrieb und auf der Strasse, welcher die Routine der Führung der SP von Grund auf erschüttern wird und den Elementen, welche nicht bereit sind mit den Bürgerlichen zu brechen, den Boden unter den Füssen entziehen oder die Partei als Ganzes marginalisieren wird. Um die Möglichkeiten realer Kämpfe der Klasse zu verstehen, müssen wir wieder die objektiven Bedingungen und den subjektiven Zustand der Arbeiterklasse für sich beachten.

Gewerkschaften: wessen Kampforganisationen?

Wir haben vorher aufgezeigt, dass sich eine neue Phase der Konfrontation der Interessen auf wirtschaftlicher Ebene ankündigt. Die Gewerkschaften sind momentan jedoch kaum auf die sich ankündigenden Angriffe vorbereitet. Dies wurde bei den Lohnverhandlungen vom Herbst 2014 deutlich. Anfang September 2014 gaben sie Lohnforderungen von 2 – 2.5% bekannt. Die Möglichkeit von Kampfmassnahmen wurde bei Publikation dieser Forderungen nicht mal vage angedeutet. Es schauten dann auch Reallohnerhöhungen, gewissermassen auf Gnade der Kapitalisten, von bloss 0.7% raus. Ohne Kämpfe ist an der gewerkschaftlichen Front offensichtlich kaum noch etwas herauszuschlagen.

Es verwundert kaum, dass die aktuelle Gewerkschaftsführung von SGB und Unia politisch historisch schwach ist. Sie ist politisch und praktisch rechter als die aktive Basis und ihre Autorität ist extrem tief. Im Moment zeichnet sich keine alternative Führung ab, welche diesen Widerspruch lösen könnte. Diese wird jedoch materiell je länger je nötiger, bis sie irgendwann unausweichlich wird.

Ein wichtiges Element, um den Zustand der Gewerkschaften zu verstehen, ist deren finanzielle Basis. Die Unia hat 2013 über die GAV und die Arbeitslosenkasse zum ersten Mal mehr Gelder von den Unternehmern und über den Staat reingeholt, als über die Mitgliederbeiträge. Dies ist historisch bedingt und zeigt die weitgehende finanzielle Abhängigkeit von den Geldern der Unternehmen. Es erstaunt deshalb wenig, dass der Fokus auf der Verhandlung immer neuer GAVs liegt, oft zu schlechten Bedingungen und auf wackliger Grundlage. Die Frage, ob sich der Gewerkschaftsapparat lediglich an der Absicherung seiner finanziellen Existenz, d.h. auch Kollaborationspolitik gegenüber den Bossen, oder an den Interessen seiner Arbeiterbasis orientiert, wird in der nächsten Periode von entscheidender Bedeutung sein.

Es kam (zumindest bis jetzt) in der vergangenen Kongressperiode kaum zu grösseren Kämpfen. Dies hing zum Teil natürlich auch mit den objektiven Bedingungen zusammen. Es kam jedoch auch zu bewusster taktischer Orientierung, weg von Massenkämpfen für GAVs, zu kommandohaften Streiks mittels „organizing“. Es werden isolierte Kämpfe geführt, ohne Mobilisierung der Mehrheit der Lohnabhängigen eines Sektors. Dies ist eine sehr abenteuerliche Taktik.

Sie stellt den Versuch dar, sehr schnell neue Sektoren zu erschliessen, einen GAV zu erkämpfen und dann beim Bund für eine Allgemeinverbindlicherklärung zu weibeln. Dies wiederum sichert die Gewerkschaft finanziell ab. Das vermeintliche „Fischen in fremden Seen“ der Unia widerspiegelt jedoch auch den in vielen Regionen, hauptsächlich in der Deutschschweiz, verknöcherten Vpod. Die Organisation der öffentlichen Angestellten ist oft nicht fähig, sich gegen Verschlechterungen in den von ihnen organisierten Bereichen überhaupt zu widersetzen. Gleichzeitig ist es jedoch auch Ausdruck der Schwäche der Unia in ihren Kernbereichen, der Industrie, dem Detailhandel und dem Bau, wo sie kaum Perspektiven für Kämpfe hat. Der weiterhin dominierende Diskurs beklagt sich über die mangelnde Streikfähigkeit, welcher zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Natürlich ist es nicht einfach, aktive Betriebsgruppen aufzubauen, das würden wir als Letzte behaupten. Gar nichts zu tun ist jedoch bestimmt nicht die Lösung.

Angesichts dieser Schwierigkeiten, welche ihre Wurzeln in den materiellen Interessen und dem Konservatismus der Gewerkschaftsbürokratie haben, findet auch eine Substitution von der Selbstaktivität der Arbeitenden durch diejenigen des Apparates statt. So bspw. mit den Lohndumping- Initiativen in Basel und Zürich wo mittels einer gross angelegten Kommandooperation des Apparats die Unterschriften gesammelt wurden. Dass eine so gesammelte Initiative in irgendeiner Form auf die gewerkschaftliche Organisierung, geschweige denn auf die Gesellschaft als Ganzes irgendeine Wirkung haben soll, ist mehr als fraglich. Sobald jedoch sich aus der Basis ein Drängen in Richtung Aktivität bemerkbar macht, wird es niedergedrückt.

Angesichts der LMV- Verhandlungen auf dem Bau wird die bürokratische Logik der Unia- Führung deutlich. Anstatt jetzt die Aktivität auf den Baustellen zu entwickeln und die von den Arbeitern geforderten Lohnerhöhungen zu erkämpfen, geschieht praktisch nichts. Beim Kampf mit den Baumeistern wurde zum Beispiel auf ein von der Unia angebotenes  Kontrollsystem gesetzt. Dieses soll es den Generalunternehmern ermöglichen, Firmen zu vermeiden, welche Lohndumping betreiben. Anstatt auf die Selbstaktivität der Bauarbeiter und auf deren Fähigkeit sich zu mobilisieren zu setzen, verteidigt die Unia- GL lieber ihre bürokratischen Kontrollmassnahmen. Diese bringen halt Geld in die Kasse.

Der Befund einer schwachen Gewerkschaftsbewegung bedeutet jedoch nicht, dass in der kommenden Periode nicht punktuell und isoliert Kämpfe stattfinden werden. Dies geschah ja auch schon teilweise, auf eher tiefer Stufe. Es werden widersprüchliche Kämpfe sein, bei denen relativ moderate Forderungen (Sozialplan) mit radikalen Kampfmassnahmen (Streik mit Blockade und Besetzung der Betriebe)  gestellt werden, wie z.B. der Kampf der Pavatex- ArbeiterInnen in Fribourg. Diese werden jedoch entweder auf Druck von den ArbeiterInnen selbst, oder in Regionen mit kämpferischen Gewerkschaftssekretären stattfinden.

Im öffentlichen Dienst ist die Lage ebenfalls widersprüchlich. Seit drei Jahren hämmert die Bourgeoisie auf die öffentlichen Angestellten und die Auswirkungen sind bei diesen direkt spürbar. Grossangelegte Mobilisierungen sind selten und regional oder kommunal isoliert. Sie verpuffen auch grösstenteils weitgehend ohne konkrete Resultate. Und sogar trotz der einzelnen beachtlichen Demonstrationen wurden bislang kaum Siege errungen. Es zeigt sich aber, dass in den Fällen, in welchen eine Mobilisierung stattfindet, durchaus Druck auf die Regierungen sowie die bürgerlichen Parteien ausgeübt werden kann und vorübergehende Zugeständnisse errungen werden können. So etwa in Winterthur im September 2014, wo die geplante zweiprozentige Lohnkürzung bei den städtischen Angestellten durch eine Kundgebung vor dem Gemeinderat verhindert wurde. Meist geschieht dies nur in Fällen von Sparmassnahmen, die massive Einschnitte bedeuten. Langfristig bergen aber wohl die kleineren Sparübungen, die in ihrer Anhäufung zur Steigerung der alltäglichen Belastung der öffentlichen Angestellten führen, explosives Potenzial in sich. Grundsätzlich können wir festhalten, dass je kleiner der Spielraum der Herrschenden wird, desto härter werden die Auseinandersetzungen werden.

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (Vpod) spielt dabei keine rühmliche Rolle. Im Gegenteil, er vermisst es genau, dem Unmut der öffentlichen Angestellten einen konzentrierten Ausdruck zu verschaffen sowie den Widerstand dieser konsequent zu organisieren. Statt national zu Aktionen und einer Verbindung der einzelnen Kämpfe gegen Sparmassnahmen aufzurufen, tut er dies nach routinierter Art vergangener Tage  grösstenteils auf regionaler Ebene und auf dieser sogar häufig noch je nach Branche. Eine Verknüpfung der Kämpfe bleibt folglich aus, was wiederum massive negative Auswirkungen auf die Schlagkraft der einzelnen Kämpfe hat. Damit die Lohnku?rzungen, Anstellungsstopps und weiteren Sparmassnahmen wirksam bekämpft werden können, braucht es drastischere Kampfmassnahmen als kleine und isolierte Kundgebungen. Dem 24-stündigen Total-Streik der Angestellten des öffentlichen Verkehrs in Genf im November 2014, die sich gegen eine Streichung von beinahe 10% der Stellen wehren, könnte dabei eine Vorbildrolle zukommen. Tatsächlich mussten die Genfer Gewerkschaften des öffentlichen Diensts unter Druck der Basis Kampfmassnahmen ergreifen. Mit grossen und kämpferischen Mobilisierungen folgte der gesamte öffentliche Dienst den Aufrufen, mit einem débrayage (eine Art Warnstreik) am Nachmittag des 16. Dezember und einer Streikankündigung für den 29. Januar  gegen die Sparmassnahmen im neuen Budget zu kämpfen. So wird aus einem isolierten Kampf ein kleinerer Flächenbrand.

Was ist aber, nach all dem Gesagten, die unmittelbare Aufgabe der Gewerkschaften heute? Die Arbeit in den Betrieben muss intensiviert, Betriebsgruppen geschmiedet und Betriebsversammlungen vorbereitet und somit ein Kern an kämpferischen Vertrauensleuten in den Fabriken, auf den Baustellen, sowie in den Büros und Läden aufgebaut werden. Nur so kann unmittelbar und unmissverständlich mit Kampfmassnahmen auf drohende Kündigungen, Werksschliessungen oder Angriffe auf die Arbeitszeit reagiert werden. Ohne Kämpfe, das hat die ganze Zeit seit Krisenausbruch deutlich gemacht, werden die Unternehmer keinen Millimeter auf den substantiellen Fragen zurückweichen. Den drohenden Betriebsschliessungen müssen wir die Forderung nach Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle entgegenhalten. Wir müssen den Kampf bewusst in seiner vollen Bedeutung führen, als Klassenkampf. 

Apathisch? Wer ist hier apathisch!?

Wer besonders sensibel auf die veränderten objektiven Bedingungen und die konkreten Ereignisse reagiert, ist die Jugend. Unsere Generation wird hingegen in der bürgerlichen Presse oft als Generation Y oder Milennials bezeichnet. Dabei gelingt dem Sprachrohr der Bourgeoisie nicht, sich zu entscheiden: Einmal ist die Rede von einer Jugend, die sich nur noch dem Konsumismus hingibt und die Welt nicht ändern kann, während an anderer Stelle angesichts von spanischen Indignados, streikenden jungen Werktätigen in Belgien und den Demonstrierenden vom Tahrirplatz beschworen wird, dass keine Generation seit den 68ern mehr so bereitwillig auf die Strasse ging.

Dass die Medienberichte über die „uninteressierten“ Jugendlichen nichts weiter als bourgeoises Wunschdenken  sind, sehen wir in unserer praktischen politischen  Tagesarbeit. Nicht Resignation und stumpfer Konsumismus, sondern politisches Interesse und revolutionärer Enthusiasmus werden in der Jugend für diejenigen sichtbar, die ohne die Brille des keifenden Kleinbürgers auf die Gesellschaft blicken. Dass sich dies auch nicht bloss auf eine kleine Schicht von Jugendlichen bezieht, sondern dass ein enormes politisches Potential vorhanden ist, wird anhand einer kürzlich veröffentlichten repräsentativen Umfrage im Auftrag des Dachverbandes der Schweizer Jugendparlamente unter Jugendlichen in der Schweiz aufgezeigt. Laut dieser Umfrage interessieren sich 2/3 aller Jugendlichen in der Schweiz für Politik. Das sind viele, wesentlich mehr als die durchschnittliche Stimmbeteiligung bei Abstimmungen (jeweils zwischen 40 und 50%). Dies ist ein Indikator für das politische Potential der Jugend in diesem Land.

Doch auch in den täglichen politischen Kämpfen offenbart sich das revolutionäre Potenzial der Schweizerischen Jugend. In mehreren Schweizer Städten kam es im Zuge von Kommerzialisierung und Gentrifizierung zu Freiraumdemos mit teils enormen TeilnehmerInnenzahlen. Die SchülerInnen mobilisieren sich auch in einigen Kantonen gegen die Angriffe auf die Bildung. Als Beispiel dienen dabei die Genfer GymnasiastInnen, welche Kundgebungen, Demonstrationen und vermutlich einen Streik in einigen Schulen organisieren. In Luzern haben ebenfalls rund 500 SchülerInnen gegen Budgetkürzungen demonstriert. Diese Kämpfe stehen in starkem Zusammenhang mit dem Kampf gegen Sparmassnahmen. Wir sehen anhand dieser kantonal isolierten Erfahrungen, dass unter den SchülerInnen auch ein grosses Potential zur Radikalisierung vorhanden ist.

Gleichzeitig wie sich die Bourgeoisie über mangelnde junge Fachkräfte beklagt, sind laut Bundesamt für Statistik 11% der Jugendlichen erwerbslos. Die materielle und soziale Perspektivenlosigkeit der Jugend ist ein riesiges Problem, welches hinter einer Fassade von oberflächlichem Konsumwahn verborgen, ignoriert und heruntergespielt wird. Gleichzeitig werden die Drücke der Bourgeoisie, Jugendliche mehr arbeiten zu lassen, immer grösser: Sogenannte Wochenjobs, bei denen 13-Jährige für mickrige Stundenlöhne als Hilfsarbeiter dienen, oder die Forderung von bürgerlichen Politikern, Universitäts-StudentInnen sollen doch gefälligst alle einen 50%-Job annehmen.

Es besteht durchaus die Möglichkeit zu gewerkschaftlichen und politischen Offensiven unter Lehrlingen. Laut oben erwähnter Studie diskutieren 1/4 aller Jugendlichen in ihrem Lehrbetrieb über politische Themen. Das Interesse der Bourgeoisie an gut ausgebildeten Lehrlingen (angesichts des drohenden „Fachkräftemangels“) stellt diese in eine Position der relativen Stärke. Lohnforderungen von Auszubildenden wären daher durchaus realistisch. Wir sollten deshalb nicht etwa scheu an die Lehrlinge herangehen, sondern offensiv mit ihnen über ihre Lehrbedingungen diskutieren.

Die marxistische Strömung hat im vergangenen Jahr in der Jugendarbeit wichtige Schritte vorwärts gemacht, wie z.B. mit der Lehrlingskampagne der Unia Jugend. Der Lehrstellenpranger war dabei ein äusserst wirksames Mittel, um die offensichtlichen Missstände in der Lehre zum Vorschein zu bringen. Sehr rasch hat die Gewerkschaftsbürokratie diesen aber blockiert, sabotiert und schlussendlich versanden lassen. Dies ist für uns ein starkes Zeichen für eben das revolutionäre Potential der Jugend. Die Bürokratie scheint sich vor der Wirkung einer starken Gewerkschaftsjugend auf die Gewerkschaften als Ganzes zu fürchten. Die Jugend ist am wenigsten an die sozialpartnerschaftliche Logik des Apparats gebunden und kann diese demnach auch am stärksten durchbrechen.

Die politische Arbeit unter Lehrlingen ist, trotz des erwähnten Potentials, keine einfache. Sie braucht Ausdauer und kontinuierliche Präsenz an den Berufsschulen. Diese Praxis wird im kommenden Jahr weiterhin eine wichtige Stellung unserer Arbeit einnehmen, welche wir weiter in Zusammenarbeit mit den regionalen Gewerkschaftsjugenden und Juso- Sektionen koordinieren wollen. Dass sich die  Juso im Dezember dafür ausgesprochen hat, sich im Jahr 2015 stark für die Lehrlinge zu engagieren und diese politisch zu organisieren, wird der Thematik natürlich einen neuen Charakter geben. Eine Bewegung der jungen Arbeiter muss organisiert werden!

An den Universitäten und Hochschulen sind momentan keine Anzeichen für grössere Bewegungen auszumachen. Dies heisst jedoch nicht, dass es keine solche geben wird. Dank ihrer sozialen Stellung haben StudentInnen noch viel stärker als Lehrlinge und junge ArbeiterInnen das Potential, politisch aktiv zu werden. Auch wenn viele von ihnen neben dem Studium noch zur Lohnarbeit gezwungen sind, so haben sie meist doch wesentlich mehr Zeit als junge ArbeiterInnen. In den Universitäten und Hochschulen treffen sich täglich Zehntausende von jungen Menschen und diskutieren. Es herrscht gleichzeitig ein Vakuum an politischen Organisationen, welche bewusste Aufbauarbeit an den Unis machen. Die offiziellen studentischen Körperschaften, welche an der „demokratischen Mitbestimmung“ in den Unis teilnehmen, sind verknöchert und zeigen korporatistische Züge.

Das starke Interesse und Echo an revolutionären Ideen, welche die marxistischen Studierendenvereine an den Unis antreffen, ist ein Zeichen dafür, dass auch hier enormes Potential für kämpferische Bewegungen vorhanden ist. Während das Gros der StudentInnen jedoch momentan nicht bereit ist, aktiv zu werden, kann sich dies im Zuge regionaler, nationaler und internationaler Ereignisse jederzeit ändern. Darauf gilt es sich vorzubereiten und die Studierenden zu organisieren. 

Sozialpartnerschaft oder ArbeiterInnenkontrolle?

Die Juso stellt weiterhin die wichtigste linke Referenz für die Jugend der Deutschschweiz dar. Das Jahr nach Niederlage an der Urne der 1:12-Initiative war jedoch durch eine gewisse Inaktivität gegen aussen, bzw. dem Fehlen einer gut geführten, grösseren Kampagne gekennzeichnet. Die an der Jahresversammlung 2014 beschlossene Kampagne gegen Sparmassnahmen startete National nie richtig, wenn auch verschiedene Sektionen durchaus intensive Kampagnen regional führten. Auch fand in vielen, ehemals starken, Sektionen ein Niedergang der Aktivität bzw. der Anzahl Aktiver Mitglieder statt. Ein wichtiger Grund dafür ist sicherlich die gewisse Ermüdung innerhalb der Partei nach der 1:12-Initiative und vor allem auch die Auswirkungen der Spekulationsstoppinitiative, welche wie wir vorhersagten, dem Parteiaufbau kaum was nützte und keine grosse Aussenwirkung entwickeln konnte, sondern lediglich das Ausbrennen erfahrender Mitglieder förderte. Ein weiter Grund sind die objektiven Bedingungen; sprich, das eher tiefe Niveau von sozialen Kämpfen, welche sich auch innerhalb der Juso ausdrücken. Das bedeutet aber keineswegs, dass die aktive Mitgliederbasis massiv zusammengeschrumpft wäre. Delegiertenversammlungen und Bildungslager usw. sind eher besser als in den 1:12-Zeiten besucht. Gewisse Sektionen, bspw. Stadt Zürich, sind heute um ein vielfaches grösser und aktiver als noch vor ein paar Jahren. Nichtsdestotrotz muss festgestellt werden, dass sich die JUSO in jeglicher Hinsicht eher in einer Stagnationsphase befindet.

Ein wichtiger Grund dafür ist, wie wir das schon in Vergangenheit beschrieben haben, die Schwierigkeit der Führung die Basis hinter sich zu scharen und Enthusiasmus zu schüren, wie das die Geschäftsleitung zur Zeiten der 1:12-Initiative schaffte. Dies ist einerseits Konsequenz der grösseren politischen Differenzierung innerhalb der Partei, anderseits der fehlenden klaren Linie der Führung. Das wird noch weiter durch die politisch sehr unterschiedlichen regionalen Führungen verschärft. Oft sind ihre entsprechenden Parolen bei Abstimmungen entscheidend, dabei besteht nicht selten eine grosse Diskrepanz zwischen der Regionalpolitik und der national entschiedenen Positionen.  Dieser Prozess hatte sich in diesem Jahr noch weiter zugespitzt. Dies führte zu mehr oder minder offensichtlichen „Manöver“ der Führung, um unliebsame Entscheide Delegiertenversammlungen zu verhindern, was zu wachsendem Misstrauen der Basis gegenüber der GL führte. Viele Vorschläge der Geschäftsleitung wurden wohl lediglich deshalb abgelehnt, weil sie von ihr kamen. Die Ablehnung des Papiers der GL an der letzten JV zum Austritt aus dem Bundesrat an der Jahresversammlung 2014 ist dafür symptomatisch. Auch die umkämpfte Annahme des Aktionsprogramms der marxistischen Strömung, welche die Juso, zumindest programmatisch, klar auf eine klassenkämpferische und revolutionäre Basis stellte, zeige deutlich wie sich das Bewusstsein der Parteibasis in den letzten Jahre verändert hat und wie „Salonfähig“ marxistische Ideen bereits sind. Es zeigte sich aber auch, dass es nach wie vor keine klare politische Linie gibt. So wurde im Aktionsprogramm Oppositionspolitik gefordert, der Austritt aus dem Bundesrat wurde aber am selben Tag abgelehnt.

Die wichtigste Niederlage der Geschäftsleitung war im letzten Jahr sicherlich die Debatte um das nächste Grossprojekt der JUSO. Die GL schlug, wie dies alle GL-Konstellationen in den vergangenen Jahren taten, eine provokative Volksinitiative vor. Ihr 50/50 Vorschlag wirkt zwar auf den ersten Blick radikal, entpuppt sich jedoch als altes Konzept der Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft, welches grösste Illusionen in die Möglichkeit der Aussöhnung der gegensätzlichen Klasseninteressen zwischen Bourgeoisie und ArbeiterInnenklasse schürt. Ihr Vorschlag überwindet diese Gegensätze eben nur insofern, als sie diejenigen der Arbeitenden denjenigen der Bourgeoisie unterordnet. Im Kapitalismus eine demokratische Wirtschaft zu fordern ist utopistisch. Die Kontrolle bleibt bei den Unternehmern. Die marxistische Strömung stellte deshalb dem GL-Projekt einen völlig anderen Ansatz entgegen. Unter dem Slogan „Endlich die Berufsschulen erobern“ schlugen wir eine Kampagne vor, mit dem Ziel vor allem auch in der Juso Lehrlinge zu organisieren. Rund um Forderungen zu Arbeitsbedingungen solle die Juso an den Berufsschulen kontinuierlich Präsenz zeigen und die Forderungen aufs politische Parket bringen. Unser Vorschlag war ein radikaler Bruch mit der Orientierung auf Initiativen und reiner politischer Effekthascherei. Im Zentrum steht das Ziel die Lehrlingsbasis der Juso zu verbreitern und damit die Verankerung in der Arbeiterklassen. So verfallen wir nicht in der Täuschung, mit einem zwar grossartigen Kern an einigen hundert jungen SozialistInnen die demokratischen Rechte über die Wirtschaft mittels einer Verfassungsänderung zu erkämpfen. Nur durch die Selbstaktivität der organisierten ArbeiterInnen kann den Sozialismus, welcher die eigentliche Vollendung einer demokratischen Wirtschaft darstellt, erkämpft werden.

Der klare Sieg unseres Projekts stellt nun die JUSO vor die grosse Herausforderung den Nationalratswahlkampf 2015 nicht, wie gewohnt, mittels einer grossen nationalen Initiative zu führen, sondern Aufbauarbeit unter jungen Arbeiter zu betreiben. Die Kernfrage wird dabei sein, ob es erreicht wird die Sektionen aus ihrem kantonalen Regionalismus zu reissen, welcher in jüngster Vergangenheit eher Überhand nahm.  Zudem wird die Verbreiterung der Bildung der JUSO-GenossInnen zu Lehrlingsfragen entscheidend sein, um effektive Berufsschularbeit zu betreiben. Der Erfolg oder Misserfolg wird schliesslich davon abhängen inwiefern die JUSO fähig ist, nicht nur mit politischen Forderungen hausieren zu gehen, sondern Lehrlinge aktiv zu gewinnen und zu organisieren. Das bedeutet auch eine Verschiebung des politischen Fokus auf die unmittelbaren Interessen der jungen ArbeiterInnen.

Wenn die Erfahrung 1:12 uns etwas gelehrt hat, dann dass das Aufstellen isolierter Forderungen, seien diese noch so tauglich für die unmittelbare Stimmung in der Jugend und der ArbeiterInnenklasse, doch eine vergängliche Wirkung haben. Angesichts der Perspektive einer neuen Phase der Krise in der Schweiz, mit tiefgehenden Klassenauseinandersetzungen, müssen wir die sozialistische Offensive ganzheitlich fortsetzen. Stehen konkrete Kämpfe an, muss sich unsere ganze Kraft in diesen entfalten können. Die Juso hat sich 2014 mit dem Aktionsprogramm und der Lehrlingskampagne die Klassengrundlage gegeben, auf welcher es sich zu kämpfen lohnt und zwar nicht nur für die Jugend, sondern für alle ArbeiterInnen und unterdrückten Schichten der Gesellschaft. 

Proletarischer Internationalismus

Wir haben gesehen, dass die Wirtschaftslage in der Schweiz sehr stark von der internationalen Konjunktur abhängig ist. Dies ist jedoch keineswegs der einzige Grund für das Interesse, welches wir MarxistInnen an den internationalen Ereignissen haben. Die ArbeiterInnenklasse hat international dasselbe materielle Interesse die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse zu überwinden. Der Kapitalismus hat diese gemeinsame Interessenslage aller ArbeiterInnen durch die Schaffung des Weltmarktes und die Verallgemeinerung des Privateigentums an Produktionsmitteln erst geschaffen.

Der Klassenkampf in der Schweiz ist wohl einer der auf internationaler Ebene am wenigsten fortgeschrittenen. Dies hat seine historisch-konkreten Gründe. Der Internationalismus der Arbeitenden wurzelt aber auch in der inspirierenden Wirkung von Kämpfen der Unterdrückten auf dem ganzen Planeten. Internationale Ereignisse haben unweigerlich einen starken Einfluss auf die Schweiz. Drei wichtige europäische Länder wirken politisch und kulturell unmittelbar auf die Schweiz: Deutschland, Frankreich und Italien. Klassenkämpfe in diesen Ländern werden stark von den jeweiligen Landesteilen in der Schweiz wahrgenommen.

Die Kämpfe der Kurden in Rojava, die starken Mobilisierungen der Kurden in ganz Europa und in der Schweiz, haben das verschwinden der nationalstaatlichen Grenzen angesichts starker sozialer Bewegungen ebenfalls deutlich gemacht. Die Kurden welche sich mobilisiert haben, sind bereits seit Jahren in der Schweiz. Sie leben hier, arbeiten hier, haben oft die Staatsbürgerschaft. Wir müssen die internationale Solidarität leben, indem wir an den Kämpfen aller ArbeiterInnen und Unterdrückten dieser Welt teilnehmen. Wir müssen jedoch auch versuchen, die Migrantengruppen von der Notwendigkeit, den Klassenkampf auch in der Schweiz zu führen, überzeugen. So wird der Internationalismus der ArbeiterInnenklasse real.

Die Krise wird sich in der kommenden Periode auf internationaler Ebene noch weiter verschärfen. Damit wird auch eine Verschärfung der nationalen Antagonismen zwischen den verschiedenen imperialistischen Staaten zunehmen, wie wir dies in der Ukraine und im Mittleren Osten sehen. In diesem Prozess wird die Bourgeoisie mittels nationalistischer und chauvinistischer Parolen, die ArbeiterInnenklasse international zu spalten versuchen und ins Boot der Verteidigung der „nationalen Interessen“ zu holen. Dies gerade auch im Hinblick auf einen drohenden Machtverlust, wenn sie sich mit verschärften Klassenkämpfen konfrontiert sieht. Dem Internationalismus kommt daher in der kommenden Periode eine zentrale Rolle in der politischen Agitation, auch in der Schweiz, zu.

Für den Aufbau der marxistischen Strömung

Die neue Krisenphase welche sich in der Schweiz und International ankündigt, läutet auch eine neue Phase der Kämpfe ein. Der Zustand der Linken steht dabei in krassem Widerspruch zu den Möglichkeiten einer Umwälzung der Gesellschaftsordnung, welche die Krise des Kapitalismus zur Notwendigkeit erklärt. Dies zu ändern, sprich den bewussten Aufbau einer marxistischen Organisation, welchem im Klassenkampf die entscheidende politische Rolle zukommt, ist unser erklärtes Ziel.

Unsere Bemühungen müssen ganz diesem unbescheidenen Ziel dienen. Der wichtigste Schritt dabei ist es, die marxistischen Ideen in der Juso und der ArbeiterInnenbewegung zu verteidigen und zu verbreiten. Jede revolutionäre Bewegung in der Geschichte hat sich auch auf die Unzufriedenheit der Jugend gestützt. International, aber auch in der Schweiz, gehört die Jugend zu den von der Krise am stärksten getroffenen Schichten der ArbeiterInnenklasse.

Wir haben kein Interesse an dieser Ordnung, welche für uns nur Unsicherheit, nur Ausbeutung und Sorgen bedeutet. Wir haben jedoch ein ganz wesentliches Interesse, genauso wie die Arbeitenden der ganzen Welt: mit dem Wahnsinn der kapitalistischen Ausbeutung und mit der Misere der imperialistischen Barbarei Schluss zu machen. Dazu führt kein Weg an der Revolution vorbei. Wir haben keinerlei Illusionen in die Möglichkeit der Verbesserung dieser Gesellschaft. Wie sollte etwas verbessert werden können, das durch und durch marode ist? Da helfen noch so viele bunte Farben nichts.

Über den Aufbau einer starken, sozialistischen Jugendbewegung, einer marxistischen Organisation der Jugend und der ArbeiterInnen, können wir ungemein in die gesamte ArbeiterInnenbewegung wirken. Dies ist natürlich kein Selbstzweck, sondern ihr steht die erklärte Absicht zugrunde, einer sozialistischen Revolution in der Schweiz und International zum Durchbruch zu verhelfen. An diesem Aufbau führt kein Weg vorbei. Vorwärts!