Auch in der Region Basel legten am 6. November die Bauarbeiter ihre Arbeit nieder. Sie kämpfen für den Erhalt des Rentenalters 60 und besseren Schutz ihrer Gesundheit bei der Arbeit. Ein Erfahrungsbericht vom siebten Protesttag.
Über der Stadt liegt ein dicker, tiefhängender Nebel an diesem Morgen, sodass man lediglich einige hundert Meter weit sieht. Die Ungewissheit darüber, was hinter dem Nebel kommt, ähnelt der Ungewissheit wie der heutige Tag ausgeht. Um 10 Uhr stehen ich und mehrere Genossen beim Streikposten der Unia bei der Grossbaustelle Baloise Park. Bänke und Zelte sind aufgestellt, jedoch sehen wir nur eine Gruppe Unia-SekretärInnen – von der Baustelle ist sind die typischen Geräusche eines normalen Arbeitstages zu hören. Die Situation ist beunruhigend, zumal wir bereits von der Baustelle beim Biozentrum hören, dass auch dort die Arbeit noch läuft. Was ist hier bloss los?
Die Koordinatorin der Unia klärt uns auf: Die Baumeister hätten die Arbeiter einfach extra früh auf die Baustelle bestellt, damit niemand mit den GewerkschafterInnen reden könne. Die Eingänge werden ausserdem von extra angeheuerten Security-Leuten bewacht. Sie sind zwar hier, um den Streik zu verhindern – trotzdem sind sie ebenso Teil derselben Arbeiterklasse. Doch wer prekär beschäftigt ist, nimmt auch diesen Job an.
Es geht los
Vereinzelt tauchen nun doch die ersten Bauarbeiter auf. Ich rede mit Zoran (Name geändert), der seit 30 Jahren auf dem Bau arbeitet. Damals sei er als jugoslawischer Gastarbeiter in die Schweiz gekommen, als die Schweizer Wirtschaft billige Arbeitskräfte verlangte. Warum er heute hier sei? «Früher waren die Bedingungen besser. Jetzt wollen die Chefs, dass wir im Sommer bis zum umfallen arbeiten und uns dafür im Winter Stunden streichen!» Für den heutigen Protesttag hat er sich, wie viele andere, Ferien genommen und ist zuversichtlich, dass wir es schaffen, den Bau hier dicht zu machen.
Mehrere Busse bringen nun Arbeiter von anderen Baustellen. Die Sekretäre verteilen Kaffee, Gipfeli, Mützen und Trillerpfeifen. Die Stimmung ist nun spürbar motivierter, es wird gescherzt und gelacht. Mit etwa sechzig Leuten betreten wir nun auf die Baustelle, gehen unter einem grossen Kran durch. Die Security-Leute scheinen nicht den Versuch gemacht zu haben, irgendwen stoppen zu wollen. Die Arbeiten auf dem Rohbau hören nun auf, alle schauen zu uns herunter, statt des Hämmerns und anderer Baugeräusche sind nun unsere Rufe und Trillerpfeifen zu hören. Eine Gruppe Arbeiter steigt mit einer Unia-Fahne den einen Bau hoch und schafft es die oben stehenden zum mitkommen zu überreden. «Sehr gut, wie ihr das macht!» sagt einer beim heruntergehen. Ein anderer fragt zuerst noch, wann denn die Arbeit wieder weitergehe. «Heute ist fertig gearbeitet, jetzt wird gestreikt», kommt die Antwort.
Doch jetzt scheuchen uns die Sekretäre von der Baustelle. Durch die Verzögerungen hier und auf anderen Baustellen sind wir knapp dran für den Zug nach Zürich, um uns den Bauarbeitern dort anzuschliessen. Beim Hinausgehen rede ich mit Martin (Name geändert). Er sei einer der wenigen Schweizer, die sich am Streik beteiligen, sagt er und fragt wo wir arbeiten. Als ich sage, dass ich studiere und aus Solidarität dabei bin, ist er hoch erfreut – ganz entgegen dem gängigen Klischee, Arbeiter seien studentenfeindlich. «Die Baumeister wollen im neuen LMV zweihundert Stunden Mehrarbeit verankern für gerade Mal 150.- Franken.» Das Verhalten der Chefs treibe ihn und andere auf die Strasse.
Neutraler Staat?
Als wir zusammen zum Bahnhof hetzen kommt es vor der Baustelle jedoch noch zu einem Zwischenfall. Mehrere Polizisten haben zwei (migrantische) Kollegen aus der Menge herausgenommen und führen eine Personenkontrolle durch. «Ist das etwa neutral?!» ruft ein Sekretär erzürnt und wird darauf von einem Beamten grob zurückgedrängt. Tatsächlich ist der Staat in einem Arbeitskampf zur Neutralität verpflichtet. In diesem Fall hat er jedoch offen seinen Charakter als williger Helfer der Baumeister gezeigt. Uns bleibt gerade Zeit für Foto- und Videoaufnahmen des Vorfalls, dann sind wir schon halb gehend, halb rennend auf dem Weg zum Perron. Kollege Martin ist wütend wegen dem Polizeivorfall. «Es ist klar, auf welcher Seite die Bullen stehen. Und dafür zahlen wir auch noch Steuern!»
Die Baumeister und ihre VerteidigerInnen in Medien und online-Kommentaren führen die angebliche Gewalt der protestierenden Bauarbeiter ins Feld, die sich und andere gefährdet hätten. Aber Gewalt eine verzwickte Sache. Wenn man als Lohnabhängiger dazu gezwungen ist bei Wind und Wetter oder sengender Hitze zu schuften mit immer härteren Bedingungen, wenn der Schutz der eigenen Gesundheit im Traum-LMV der Baumeister ein schlechter Witz ist, wenn ein Bauarbeiter mit 60 in Rente geht und seinen Lebensabend mit Rückenproblemen verbringen darf – dann ist das auch Gewalt, einfach in einer anderen Gestalt.
Die Erfahrungen dieses Morgens noch verdauend setzen wir uns in den Zug nach Zürich, um mit tausenden anderen Bauarbeitern vor dem Hauptsitz des Baumeisterverbands zu demonstrieren (hier geht’s zur Reportage vom Zürcher Protesttag). Die Gewerkschaften und die Bauarbeiter haben damit ein starkes Zeichen gesetzt. Dennoch war es schade, dass in der Nordwestschweiz kein eigener Protest in Basel organisiert wurde. Dass die Unia-Regionen Basel und Aargau vor nicht allzu langer Zeit zur neuen Region Aargau-Nordwestschweiz fusioniert wurden, hatte anscheinend keinen Effekt auf die Streikfähigkeit. Die kommenden Kämpfe auf dem Bau werden dies weiter testen, denn die Baumeister zeigen sich bisher unbeeindruckt.
Silvan Degen
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