Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Pakistan sind katastrophal. Die Bauern, Bäuerinnen und Arbeitenden sind täglich mit Armeegewalt, Terror, Hunger und Arbeitsunfällen konfrontiert. Der generelle Entwicklungsstand und die ganze Infrastruktur hinken den entwickelten kapitalistischen Ländern um Jahrzehnte hinterher. Innerhalb von Pakistan gibt es aber grosse Unterschiede: zwischen Stadt und Land und von der einen Region zur nächsten.
Einige der rückständigsten Regionen sind die sogenannten «staatlich verwalteten Stammesgebiete», die Federal Administrated Tribal Areas. Die sogenannten FATA sind entstanden, als die Briten Ende des 19. Jahrhunderts die Britisch-Indische Grenze zu Afghanistan zogen. Es ging darum, die britischen und russischen Einflusssphären zu fixieren. Diese Grenze ist auch als «Durand Linie» bekannt. Sie durchkreuzt die Siedlungsgebiete der Paschtunen und Belutschen.
Im Rahmen des Kampfes gegen die sowjetische Intervention in Afghanistan, führte die CIA und der pakistanische Geheimdienst ISI in den späten 1970er Jahren eine gemeinsame verdeckte Operation in den FATAs durch. Dabei wurden die islamistischen Mudschahedin (Kämpfer) mit Geld (über 80 Milliarden USD), Waffen und militärischer Ausbildung unterstützt.
Nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan hat die CIA umgehend ihre Unterstützung der Mudschahedin-Gruppen abgebrochen. Die Folge war ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Mudschahedin-Gruppen und ein starker Anti-Amerikanismus unter ihnen. So wurden sie zu einer Gefahr für die Interessen des US-Imperialismus in der Region.
Seither sind die FATAs eine Hochburg des Terrorismus, heute hauptsächlich der Taliban. Der pakistanische Staat hat sich das immer wieder zu nutze gemacht, indem er mit der Taliban zusammenarbeitete, speziell im Kaschmir und im Afghanistan-Konflikt.
Seit den Attentaten vom 9. November 2001 führt die CIA mit der Unterstützung des Pakistanischen Staats einen Drohnenkrieg in den FATAs. Ohne die Armut, den wichtigsten Grund für das Fortbestehen des Terrorismus, zu bekämpfen, fordert dieser tausende zivile Opfer.
Die FATAs sind geprägt von nationalistischen und Stammeskonflikten und äusserstem Konservativismus. Dazu kommt ein enormes Mass an Korruption. Die Polizei und das Militär arbeiten teilweise offen mit der Taliban zusammen. Mit Folter und Mord pressen sie die arbeitende Bevölkerung aus. Die massive Armut sowie die alltägliche Gewalt und Erniedrigung führte zu einer explosiven sozialen Situation. Die Widersprüche haben sich über die Jahre derart zugespitzt, dass ein verhältnismässig unscheinbares Ereignis zur Entstehung einer Massenbewegung führte.
Die Paschtunen Schutzbewegung (PTM: Pashtun Tahafuz Movement) wurde durch den Mord an einem Ladenbesitzer in Karachi ausgelöst. Zuerst war es nur ein einzelner Paschtunen-Stamm, der die Aufklärung des Mordes forderte. Doch die Bewegung breitete sich sehr schnell auf alle Stämme der Paschtunen aus. Die riesigen Kundgebungen wurden zum Sammelpunkt für die Erfahrungen aller. In diesen Erfahrungen fanden sich auch die Angehörigen anderer unterdrückten Nationalitäten wieder, welche sich teilweise ebenfalls den Protesten anschlossen. Selbst Frauen, die in Pakistan besonders stark unterdrückt werden, nehmen in der Bewegung sehr wichtige Rollen ein.
Obwohl sich die Bewegung hauptsächlich aus den Paschtunen mobilisiert, verfolgt sie keine nationalistischen Ziele. Das zeigt sich darin, wie sie bereits jetzt den Kampf gegen die Repression zu verallgemeinern beginnt. Eine solche Bewegung hat im multi-ethnischen Pakistan eine enorme Sprengkraft. Das bereitet dem Staat Kopfzerbrechen. Mit eiserner Faust geht er gegen Aktivisten vor, sabotiert Versammlungen und drängt die Medien, die Bewegung totzuschweigen. Doch nach der Repressionswelle zeigen sich erste Risse in der herrschenden Klasse – ein Teil beginnt, Konzessionen zu fordern. Solche Unstimmigkeiten im Regime sind ein typisches Merkmal von Systemkrisen. Die PTM hätte das Potential die ganze korrupte pakistanische Elite hinwegzufegen.
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