[dropcap]I[/dropcap]m Juli 1917 kommt es in Petrograd zu einem Massenaufstand gegen die provisorische Regierung, der mit Gewalt niedergeschlagen wird. Das lässt die ArbeiterInnen und Soldaten ihre Haltung zur Regierung, den Bolschewiki und der Revolution überdenken.

Seit Tagen kursieren in Petrograd Gerüchte und Meldungen, dass ein Aufstand gegen die Regierung kurz bevorstehe. Die Menschen der Hauptstadt können und wollen die herrschenden Verhältnisse, nicht länger akzeptieren. Am Abend des 3. Juli ist es soweit: Tausende SoldatInnen und ArbeiterInnen füllen die Strassen Petrograds. Aufgerufen zur bewaffneten Demonstration hat das 1. Maschinengewehrregiment in Petrograd. Nun strömen die Massen herbei: aus den Kasernen und Betrieben. So auch aus dem riesigen Putilow-Werk, einer Fabrik mit 36‘000 Angestellten.

Es ist nur eines der Zentren der politischen Agitation. Die Stimmung ist aufgeladen: man will nicht mehr gegen das Proletariat aus den anderen Ländern, gegen die Russland zur Zeit des 1. Weltkriegs in die Schlacht zieht, kämpfen sondern gegen die „eigenen Minister-Kapitalisten“, die Reaktionäre in der Regierung. Und so ziehen die Demonstranten bis vor das „Taurische Palais“, wo der Petrograder Sowjet, die Vertretung der ArbeiterInnen und Soldaten, das Gegengewicht zur provisorischen Regierung, sitzt und zur Zeit der 1. Allrussiche Kongress der Arbeiter- und Soldatendeputierten tagt. Sie fordern, dass dieser im Namen des Proletariats die Macht übernehmen soll.

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Die Doppelherrschaft und ihre Konsequenzen
Seit der Februarrevolution, dem Sturz des Zaren und dem Übergang zur provisorischen Regierung kam es bereits zu zahlreichen Protesten gegen die untätige Regierung, insbesondere in den Monaten April und Mai 1917. Und die Massen sind zunehmend ungeduldig: Trotz der erfolgreichen Revolution im Februar hat sich ihre Situation kaum verbessert und die Probleme – Hunger, Krieg, Landmangel - sind noch immer nicht gelöst. Ihre Wut richtet sich in erster Linie gegen die bürgerliche Provisorische Regierung, die nur geduldet wird, weil die reformistischen Parteien sie stützen. Die Massen verlangen vom Sowjet, von ihrer demokratischen Vertretung, er solle die Regierung selber stellen.

Doch der Klassenkampf findet nicht nur auf der Strasse statt. Er äussert sich auch im Kampf der beiden Gremien, die unterschiedlicher nicht sein könnten; auf der einen Seite die Regierung, die immer offensichtlicher die Interessen der Kapitalisten Russlands vertritt. Die Reformisten sind überzeugt die Bürgerlichen müssten herrschen und kritisieren sie deshalb nur zögerlich. Auf Druck der Basis treten sie als Minderheit in eine Koalitionsregierung ein. An der Politik ändert sich allerdings nichts. Auf der anderen Seite der Sowjet, ins Leben gerufen durch die Sozialistischen Parteien, das demokratische Organ der Massen, welches die Interessen der ArbeiterInnen und SoldatInnen vertreten soll. Diese Doppelherrschaft ist ein Pulverfass.

Krieg oder Frieden?
Erschwerend hinzu kommt der herrschende Weltkrieg. Die Kriegsfrage, wie man sich verhalten soll, wird zu einem zentralen Streitpunkt. Die provisorische Regierung, angewiesen auf die Unterstützung der Kapitalisten, will den Krieg um jeden Preis weiterführen. Ein frühzeitiges Ende würde die Beziehung der russischen Kapitalisten zu ihren Verbündeten, insbesondere dem französischen Kapital, stark beeinträchtigen. Dringliche Probleme sozialer und wirtschaftlicher Natur werden einer allfälligen, künftigen, konstituierenden Versammlung übertragen.

In der Zwischenzeit drängt insbesondere die revolutionäre Partei der Bolschewiki im Sowjet auf Lösungen für die Probleme des russischen Proletariats und ihre Forderung nach „Friede, Brot, Land“ findet immer mehr Anklang. Die Bauern und ArbeiterInnen ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass nicht die Regierung, die die Interessen des Kapitals vertritt, sondern einzig und allein der Sowjet ihre Probleme lösen kann. Angetrieben von der Frustration über die Untätigkeit der Regierung und der prekären Situation der ArbeiterInnen, nimmt die Zahl der Demonstrationen im Juni 1917 zu.

Nur der Krieg kann den Reformern noch helfen
An den Fronten des ersten Weltkriegs sieht es düster aus für Russland. Die besser ausgerüsteten deutschen Truppen bedrohen nahezu jeden Abschnitt der kurz vor dem Zerfall stehenden russischen Linien. So beschliesst Kerenski, der Kriegsminister der Übergangsregierung und seines Zeichens reformistischer Politiker, ein letztes militärisches Aufbäumen gegen die Mittelmächte. Mit einer grossangelegten Offensive sollen diese zurückgedrängt werden. Gleichzeitig soll dadurch aber auch die innere Stabilität wiederhergestellt werden. Doch ein kurzweiliges patriotisches Aufbäumen kann nicht über die tiefen, innenpolitischen Probleme hinwegtäuschen.
Die Offensive bricht rasch in sich zusammen und Kerenski, die Regierung und die sie unterstützende Mehrheit verlieren an Glaubwürdigkeit. In der Folge der Juli-Tage belohnen viele Soldaten die konsequente Ablehnung jeglicher weiterer Kriegstreiberei der Bolschewiki mit einem starken Zulauf in ihre Reihen.

„Alle Macht den Sowjets!“
Und so stehen die Massen am Abend des 3. Juli vor dem Taurischen Palais und stellen Forderungen wie „Alle Macht den Sowjets!“ und „Nieder mit der Offensive!“. Doch das tagende Exekutivkomitee der Sowjets, dominiert von den Versöhnlern, den Reformisten und der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, hat nicht die Absicht, die Massen zu führen. Die Friedenspolitik zu verfolgen würde für sie bedeuten mit der Bourgeoisie und den Kapitalisten in der Regierung endgültig zu brechen. Sie distanzieren sich von den Demonstranten, bezeichnen sie als „Konterrevolutionäre“ und offenbaren den Massen so ihren wahren Charakter. Noch am gleichen Abend fordern sie Truppen an, um sich zu schützen und den Aufstand niederzuschlagen. Die Massen fühlen sich verraten, begreifen, dass zwischen ihnen, der Sowjetbasis und der aktuellen Führung der Versöhnler, riesige Differenzen bestehen.

Für den nächsten Tag, den 4. Juli 1917, rufen die Bolschewiki in der Folge zu einer unbewaffneten Demonstration auf. Bis zum Abend finden sich bis zu einer halben Million Demonstranten in den Strassen Petrograds ein! Es kommt zu ersten Scharmützeln. Dennoch ziehen die Anwesenden vor das Taurische Palais und stellen der darin tagenden Versammlung erneut ihre Forderungen, die von der Einstellung der Offensive bis zur Verstaatlichung von Grund und Boden reichen. Sie fordern die Versammlung der Reformisten auf, die Macht zu ergreifen.

Doch die denken gar nicht daran und warten lieber auf militärische Hilfe. Kerenski gibt darauf den Befehl, den Aufstand wenn nötig mit Gewalt niederzuschlagen und so beschliessen die Bolschewiki die Demonstration abzubrechen. Nachdem in der Nacht ein Grossteil der Demonstranten abzieht, treffen im Verlauf des 5. Und 6. Juli, die ersten Soldaten ein. Sie verhaften die «Konterrevolutionäre» und in der Stadt folgt eine heftige Repression. Die Juli-Tage finden so ein jähes Ende.

Die Rolle der Bolschewiki – Lektion für die Partei und die Massen
Im Vorfeld der Demonstrationen hatten die Bolschewiki nichts unversucht gelassen um die Massen zur Geduld zu mahnen. Noch im Juli warnt Lenin: „Wir begreifen die Erbitterung der Petrograder Arbeiter. Aber wir sagen ihnen: ein Hervortreten jetzt wäre unzweckmässig“. Doch die Massen sind nicht mehr aufzuhalten und die Bolschewiki marschieren trotz dem ungünstigen Zeitpunkt mit. Sie beginnen zwar keine Aktionen, doch „die Arbeiter ihrem Schicksal überlassen können wir nicht, deshalb gehen wir mit ihnen zusammen“. Zu Beginn sind sie noch zurückhaltend, doch schon bald rufen sie selbst zu einer weiteren, friedlichen Demonstration auf und stellen sich somit an die Spitze der Bewegung.

Sie betonen allerdings stets, dass ein offener Aufstand zu dieser Zeit zu einem Zerschmettern der proletarischen Bewegung führen könnte, denn ein Sieg in Petrograd würde zu diesem Zeitpunkt nicht auch den Sieg in Russland bedeuten. Die Bolschewiki hatten erkannt, dass das revolutionäre Bewusstsein, eine entscheidende Instanz der Revolution, in Petrograd, dem Rest des Landes weit voraus ist. Je ländlicher das Gebiet, desto weniger revolutionär sind sowohl Stimmung wie auch Forderungen, zumindest für den Moment noch und ein Grossteil der Frontsoldaten wird sich erst nach dem Zusammenbruch der Offensive radikalisieren. Selbst wenn die Regierung erfolgreich gestürzt worden würde, hätte man noch nicht die nötige Kraft um die Macht gegen äussere und innere Feinde zu halten.

Doch die Petrograder ArbeiterInnen und SoldatInnen müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Sie stellen offen die Machtfrage und erkennen, wer auf ihrer Seite steht und wer sie im erstbesten Moment  verrät. Sie müssen einsehen, wie handlungsunfähig der Sowjet und das Komitee in den Händen der reformistischen „Sozialisten“ sind.

Wie geht es weiter?
Was folgt ist eine Hetzjagd auf die Bolschewiki, die man unter anderem als Agenten Deutschlands bezeichnet. Im Zentrum der Anschuldigungen steht Lenin, dem ein Putschversuch unterstellt wird. Von der Regierung werden sie als Alleinverantwortliche der Unruhen hingestellt, gänzlich ignorant gegenüber den Problemen der Massen. Die Repressionen fallen harsch aus: Die Bolschewiki und ihre Publikationen werden verboten, Infrastrukturen, wie beispielsweise das Redaktionsgebäude der Prawda komplett verwüstet und die Führung verfolgt; Lenin muss nach Finnland fliehen, Trotzki wird verhaftet. ArbeiterInnen werden auf der Strasse von bürgerlichen Damen und Herren verprügelt. Die Konterrevolution wittert ihre Chance und bereitet einen Militärputsch vor, um der Revolution den Garaus zu machen.

Doch dieser Putsch misslingt! Nach den Juli-Tagen sind die Massen nun vorsichtiger aber umso entschlossener ihre Revolution zu verteidigen. Die Partei der Bolschewiki muss sich wieder neu formieren. Das gelingt schnell und die Massen unterstützen sie nun immer mehr. Auf Basis dieser Unterstützung gelingt ihnen im Oktober schliesslich der Aufstand.

 

Kevin Wolf
JUSO Stadt Bern