Der Kapitalismus ist ein System, das ohne Ungleichheit und Instabilität nicht vorstellbar ist. In Zeiten der Krise treten diese Phänomene mit besonderer Schärfe zu Tage. Das müssen selbst die Bürgerlichen immer mehr zugeben. Die Weltwirtschaft ist jetzt im Jahr 5 der Krise. Der Lebensstandard der grossen Masse der Bevölkerung ist seither in den meisten Ländern ständig gesunken.
Die Reallöhne stagnieren bestenfalls oder sinken sogar, vollwertige Arbeitsplätze werden vernichtet oder durch prekäre Jobs ersetzt. Gleichzeitig steigen die Profite der grössten Unternehmen auch während der Krise. Diese wachsende Ungleichheit wird längst nicht mehr nur von Gewerkschaften und der Linken thematisiert, sondern ist natürlich auch an den Bürgerlichen und ihren medialen Sprachrohren nicht unbemerkt vorüber gegangen. Das einflussreiche britische Wochenmagazin „The Economist“ veröffentlichte vor kurzem einen Artikel mit dem Titel „Das Ungleichgewicht“. Darin wird mit Hinblick auf die weiterhin steigenden Profite der Grosskonzerne und Banken folgende Analyse getroffen: „Was angestiegen ist, ist nicht wieder gesunken. Obwohl sich die Wirtschaft schwach entwickelt, sind die Profite US-amerikanischer Unternehmen relativ zum BIP gesehen weiterhin hoch. Tatsächlich sieht es so aus, als ob der Zusammenbruch 2008 und 2009 lediglich ein kurzer Einbruch in einem langfristigen Aufwärtstrend war.“
Einfach ausgedrückt, ein wachsender Anteil des gesellschaftlichen Reichtums, der in den USA – der grössten und reichsten Volkswirtschaft der Welt – produziert wird, geht in Form von Profiten an die KapitalistInnen. In einem anderen Artikel vom 10. August 2013 beschreibt der Economist ein ähnliches Bild für Grossbritannien:
„Durch einige Massnahmen ist es gelungen die Wirtschaft zu retten und eine Phase der Erholung einzuleiten…Trotzdem merken die meisten Menschen, vor allem jene mit kleinen und mittleren Einkommen, davon in ihren Geldbörsen recht wenig. Die Inflation ist zwar relativ niedrig, aber die Löhne hinken trotzdem weit hinterher. Eine kürzlich von der Regierung finanzierte Studie stellte fest, dass 52% der Briten Probleme damit haben, ihre regelmässigen Rechnungen zu bezahlen.
Das Dilemma geht zurück auf die frühen 2000er Jahre, als BIP und Einkommen auseinandergegangen sind. Die Lebenserhaltungskosten sind seither weit stärker gestiegen als die mittleren Einkommen. Die Reallöhne werden in der Regierungsperiode von 2010-15 um 6,660 Pfund (10,250 USD) sinken.“
In dem Artikel lesen wir weiter: „Die gängige Erklärung ist, dass sich die Wirtschaft beständig zugunsten des Kapitals und zu ungunsten der Arbeit entwickelt hat. In der Periode vor 1980 haben starke Gewerkschaften einen Teil des Profits für ihre Mitglieder zurückverlangt. Aber der Zustrom von Millionen von ArbeiterInnen in China und Osteuropa auf den globalen Arbeitsmarkt hat dazu geführt, dass die Löhne und Gehälter (natürlich abgesehen von denen der Banker) nach unten gedrückt wurden und das Kapital seinen Anteile erhöhen konnte.“
Mit anderen Worten, die wachsende Ungleichheit, die wir in den letzten Jahren in der Gesellschaft gesehen haben, ist nicht das Ergebnis der momentanen Krise, sondern Teil eines langfristigen, seit Jahren bestehenden Prozesses, in dem die KapitalistInnen ihre Profite auf Kosten der ArbeiterInnen erhöht haben. Und das sowohl in den entwickelten kapitalistischen Ländern als auch in den sogenannten Schwellenländern (China, Indien u.a.), wo die Ausbeutung immer mehr gesteigert wurde. The Economist vergisst jedoch hinzuzufügen, dass die „starken Gewerkschaften“ der Periode vor 1980 durch den bürgerlichen Staat – vor allem PolitikerInnen wie die „Eiserne Lady“ Margaret Thatcher – brutal attackiert und gebrochen wurden. Dabei wurden Gesetze eingeführt, die es den Gewerkschaften enorm erschweren ArbeiterInnen zu organisieren und den Lebensstandard zu verteidigen.
Ein innewohnender Widerspruch
Derselbe Artikel geht noch weiter und stellt mit Bezug auf Marx fest, dass nicht die Krise die wachsende Ungleichheit zwischen Kapital und Arbeit verursacht hat, sondern umgekehrt die wachsende Ungleichheit mit ein Grund für die Krise verantwortlich ist: „Karl Marx kam zu dem Schluss, dass dies eventuell zum Zusammenbruch des Kapitalismus führen würde – die Industrie würde in den Händen einiger weniger konzentriert sein, die über Monopole verfügen, und die ArbeiterInnen wären nicht mehr in der Lage sich die Produkte zu kaufen, die sie herstellen.“
Und hier kommen wir jetzt zum Kern des Problems des kapitalistischen Systems – ein Problem, das die ReformistInnen immer wieder vergessen. Die Ungleichheit, die wir heute sehen – mit sinkendem Lebensstandard der ArbeiterInnen und der Jugend, bei gleichzeitig wachsenden Profiten der Unternehmen – ergibt sich aus der ganzen Logik des Kapitalismus. Die Kluft zwischen Kapital und Arbeit ist nicht einfach nur ein Symptom der Krise, sondern ist auch ihr Ursprung – und die Krankheit ist das kapitalistische System selbst.
Der Kapitalismus ist ein System, das durch den unstillbaren Durst nach Profit gekennzeichnet ist. Jeder Kapitalist muss kontinuierlich Kapital akkumulieren, investieren und expandieren, wenn er nicht seinen Marktanteil verlieren will. Auf dieser Jagd nach steigenden Profiten, zwingt der Wettbewerb jeden Kapitalisten in Maschinen zu investieren, die menschliche Arbeitskraft ersetzen, und die Rechte der ArbeiterInnen anzugreifen und die Lohnkosten zu senken. Und weil alle Unternehmen zur gleichen Zeit auf die gleichen Konzepte setzen, senkt die Klasse der KapitalistInnen in ihrer Gesamtheit die Löhne der gesamten Arbeiterklasse – das bedeutet aber auch, dass dadurch die Nachfrage nach den Produkten, die von den Unternehmen produziert werden, sinken wird und sich die KapitalistInnen somit auf Dauer den Ast selber abschneiden, auf dem sie sitzen.
Die dadurch auftretende Krise ist aber, wie Marx erklärt hat, nicht als Unterkonsumptionskrise zu verstehen – also nicht als eine Krise, weil die ArbeiterInnen nicht genug konsumieren. Die Antwort jener, die eine solche Krisenanalyse aber vertreten, lautet, dass durch eine Besteuerung der Reichen und höhere Löhne bzw. durch eine Stimulierung der Wirtschaft mittels öffentlicher Investitionen die Krise leicht gelöst werden könnte. Diese Ansicht ist heute in den Gewerkschaften und in der Linken sehr weit verbreitet. Marx lehnte diese Analyse ab und sah im Phänomen der Überproduktion die wahre Ursache einer jeden kapitalistischen Krise. Die Überproduktionskrise ist das Resultat eines inneren Widerspruchs eines Systems, in dem die Produktionsmittel in Privateigentum sind und nur für den Profit produziert wird. Es geht also nicht nur darum, dass die ArbeiterInnen zu wenig bezahlt bekommen. In einen System, in dem die Produktion nur dem Profit dient, wird die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit nie in der Lage sein, die Waren, die sie produziert, zu kaufen.
Es kommt nicht nur aufgrund von Ungleichheiten – also der Kluft zwischen Kapital und Arbeit – zu Krisen; diese Ungleichheiten sind ein notwendiges Element des kapitalistischen Systems. Die Ausbeutung der Massen ist die Voraussetzung für den Reichtum von einigen wenigen; die alleinige Existenz dieser beiden in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander stehenden Klassen – Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse – führt notwendigerweise zu Ungleichheit. Und es liegt auch in der Logik des Systems, dass beide Seiten versuchen werden, ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum zu erhöhen – die KapitalistInnen, indem sie die Profite erhöhen und somit die Ungleichheit erhöhen, die ArbeiterInnen, indem sie die Löhne erhöhen und die Ungleichheit verringern – und genau das bedeutet Klassenkampf .
Es ist der Kampf zwischen den KapitalistInnen und den ArbeiterInnen um das gesellschaftliche Mehrprodukt. Daher muss der Kampf zur Beseitigung der Ungleichheit gleichzeitig auch ein Kampf zur Überwindung des kapitalistischen Systems sein. Doch diese Schlussfolgerung wollen die ReformistInnen nicht ziehen.
Der gleiche Artikel im Economist stellt dann eine wichtige Frage: „Man muss kein Marxist sein, um zu erkennen, dass der Kapitalanteil konjunkturbeeinflusst sein könnte; sicher sollten hohe Renditen durch Wettbewerb bereinigt werden? Hohe Renditen (und somit hohe Profite) sollten mehr UnternehmerInnen anziehen oder existierende Unternehmen dazu ermutigen mehr zu investieren, was die Kapitalrendite wieder nach unten bringen sollte. Also warum passiert das nicht?“
Überkapazitäten
Dann zeigt der Artikel aktuelle Statistiken um zu demonstrieren, dass die Unternehmensprofite in den USA (gemessen am BIP) auf einem neuen Höhepunkt (von über 12%) der letzten 30 Jahre angelangt sind, während die Unternehmensinvestitionen (auch als Teil des BIP) in der selben Periode einen Rekordtiefpunkt (von ca. 10%) erreicht haben. Zahlen an anderen Stellen zeigen dasselbe Phänomen –grosse Unternehmen investieren nicht. Zum Beispiel schreibt Gillian Tett in der Financial Times (17. Januar 2013): „In den letzten Jahren haben Kommentatoren und Politiker oft beklagt, dass US-amerikanische Unternehmen auf Unmengen von Geld sitzen. Einige Studien berechnen, dass dies ca. 2tn USD sind. Andere gehen von noch grösseren Zahlen aus…Wie auch immer, völlig klar ist, dass diese gehortete Geldmenge angestiegen ist…Die Logik lässt uns erkennen, dass dies keine ideale Entwicklung ist. Denn wenn die Unternehmen das Geld behalten, anstatt es in Maschinen oder neuer Arbeitskräfte zu investieren, dann wird dieses Geld kein Wachstum kreieren.“
Gleichzeitig nennt Tony Jackson, der auch für die Financial Times (11. März 2012) schreibt, ähnliche Zahlen für europäische und britische Unternehmen, die wahrscheinlich über gehortete Geldmittel von 2 Billionen EUR verfügen. Jackson stellt geradeheraus fest, dass es „eine offenkundige Wahrheit ist, dass westliche Firmen Geld horten. Sie stellen niemanden an oder investieren so wie sie es tun sollten.“ Statistiken von kanadischen Firmen sprechen von Beträgen von über 500bn USD, was seit 2009 einen Anstieg von 43% bedeutet. Alleine Apple – das multinationale Unternehmen für Unterhaltungselektronik – sitzt auf einem Geldberg von 100 Billionen US-Dollar.
Um diese Zahlen in einen Zusammenhang zu bringen: das BIP von Grossbritannien beträgt ca. 1.570 Mrd. Pfund und die momentane Staatsverschuldung liegt bei ca. 1200 Mrd. Pfund. Die grossen Unternehmen sitzen also auf einem Geldberg (von 750 Mrd. Pfund), der ungefähr der Hälfte von dem entspricht, was die britische Ökonomie jedes Jahr produziert – flüssiges Geld, das sofort ausgegeben werden könnte. Es entspricht ebenso über 60% der Staatsschulden. Diese 750 Mrd. Pfund von ungenutztem Geld der grossen Unternehmen, das auf Banken liegt, ist mehr als das was Grossbritannien jährlich für öffentliche Ausgaben verwendet, was ca. 700 Mrd. Pfund pro Jahr sind.
Ausserdem entsprechen die Billionen Dollar, auf denen US-Unternehmen derzeit sitzen, dem doppelten Wert des US-Haushaltsdefizits (also der Deckungslücke zwischen dem, was die Regierung ausgibt und dem, was sie durch Steuern einnimmt), das momentan bei ca. einer Billion USD liegt. Diese zwei Billionen USD, die sich in den Taschen der grossen US Unternehmen befinden, sind ausserdem so viel wie 12% der US Staatsschulden (ca. 17 Bio USD), während die 2 Bio. EUR in den Händen der europäischen Unternehmen ca. 18% der Staatsschulden in der Eurozone entsprechen, die momentan bei ca. 11 Bio. EUR liegen. Man muss sich nur vorstellen, was für ein enormer Impuls es für die Wirtschaft wäre, wenn all dieses Geld investiert würde! Die britische Ökonomie könnte eine einmalige jährliche Steigerung von fast 50% erreichen, mit einer Verdopplung der jährlichen öffentlichen Ausgaben in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Verkehr, usw.
Also warum investieren die Unternehmen weltweit nicht? Warum sitzen sie auf Bergen von Geld, wenn die Profitraten hoch sind und Geld gemacht werden könnte? Der Economist versucht seine eigene Frage so zu beantworten: „Aber China muss eine wichtige Rolle in diesem Puzzle spielen. Wie wir wissen hat China wie verrückt investiert, an einigen Punkten wurden fast 50% des BIP Investitionen gewidmet. Um hier noch einmal auf Apple zurückzukommen, genau das hat die Profite gesteigert; die Produktionskosten für die Hardware sind gefallen, während gleichzeitig die Fähigkeiten des Unternehmens im Bereich Design es ermöglicht haben weiterhin hohe Preise zu verlangen.
Michael Howell von Cross Border Capital meint, dass die Weltökonomie vor dem Problem stehen würde zu viele Produzenten zu haben. „Kurz gesagt, es besteht ein Überangebot an Kapazitäten und nicht an Ersparnissen. Diese Überkapazitäten, die durch reichlich chinesischen Kredit finanziert wurden, drücken die Profitmargen bei neuen Investitionen nach unten, und dies führt zum Sinken der realen Anleiherenditen.“
Mit anderen Worten, der Mangel an Investitionen auf Weltebene lässt sich zurückführen auf die enormen Überkapazitäten – also Überproduktion – im gesamten System. Warum sollten KapitalistInnen mehr investieren – in neue Produktion; in Arbeitsplätze, Maschinen, Fabriken, Infrastruktur, usw. – wenn Unternehmen nicht einmal das verkaufen können was sie derzeit produzieren?
Die Rolle Chinas
Wie der Economist schreibt, entfällt ein grosser Teil der weltweiten Überkapazitäten auf die chinesische Volkswirtschaft. Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren ihre Ökonomie neu ausgerichtet. Die Exportwirtschaft hat an Bedeutung eingebüsst, was auf die sinkende Nachfrage in den wichtigsten Exportmärkten in den USA und Europa zurückzuführen ist. Infolgedessen benötigte die chinesische Wirtschaft einen neuen Wachstumsmotor, wenn sie nicht selbst in die Krise schlittern möchte. China konnte sein Wirtschaftswachstum nur hochhalten, indem es eines der grössten keynesianistischen Experimente in Angriff nahm, das die Welt je gesehen hat. Über eine massive Ausdehnung des Kredits wurde eine weitere Investitionswelle finanziert. Das Ausmass der Kredite stieg daher von 122% des BIP im Jahr 2008 auf 171% im Jahr 2010.
Dieser Anstieg ist deutlich grösser als in den USA in den Jahren vor Ausbruch der Finanzmarktkrise 2007. Das Verhältnis der Gesamtverschuldung (also der Schulden der öffentlichen Hand, von Unternehmen und privaten Haushalten) zum BIP beläuft sich derzeit auf 200%. Wie wir schon zuvor mehrfach angemerkt haben, und was die etwas weitsichtigeren Bürgerlichen jetzt auch bemerkten, hat dieser Investitionsschub seit 2008/9 enorme Widersprüche in China selbst, aber auch zwischen den wirtschaftlichen Supermächten geschaffen.
Die Kreditexpansion hat dazu geführt, dass die Verschuldung der Gebietskörperschaften massiv angestiegen ist. Die Zentralregierung ist unter Druck, weil sie nicht weiss, wie sie es anstellen soll, dass die Kreditblase nicht platzt und einen gewaltigen Crash auslöst. Die Investitionen betragen in China an die 50% des BIP, wie der Economist analysierte. Dadurch wurden in den letzten Jahren die Produktivkräfte weiter ausgebaut, was aber nur die weltweit bereits vorhandenen Überkapazitäten vergrössert und die Überproduktionskrise verschärft. Wie der Economist in einem anderen Artikel in Bezug auf die Sichtweise von Nobelpreisträger Paul Krugman zur chinesischen Ökonomie kürzlich schrieb:
„Investitionen sollten die Kapazität einer Ökonomie zur Befriedigung der Bedürfnisse seiner KonsumentInnen oder seiner Exportmärkte steigern. Doch in China, so argumentiert Herr Krugman, erinnern viele Investitionen an das Werk des Sisyphos: Sie erweitern einfach die Kapazität der Ökonomie zur Erweiterung ihrer Kapazitäten…Es ist klar, dass China seine Investitionsrate senken sollte.
Doch Herr Krugman und andere meinen, dass eine niedrigere Investitionsrate einen Crash verursachen könnte. Ihre Sorge stützt sich auf ein vor 70 Jahren von Roy Harrod und Evsey Domar entwickeltes Wachstumsmodell, bei dem die Ökonomie auf Messers Schneide zwischen Boom und Krise ausbalanciert wird.
Dieses Modell geht davon aus, dass Investitionen in der Ökonomie eine doppelte Rolle spielen. Es ist, wie Martin Wolf von der Financial Times schreibt, ‘eine Quelle zusätzlicher Kapazitäten’ und eine ‘Quelle zusätzlicher Nachfrage’. Manchmal wirken diese beiden Rollen aber in die entgegengesetzte Richtung. Wenn das Wachstum nachlässt, dann macht es keinen Sinn der Ökonomie zusätzliche Kapazitäten hinzuzufügen. Dann werden weniger Investitionen benötigt. Weil jedoch Investitionsausgaben auch eine Quelle von Nachfrage darstellen, bedeuten weniger Investitionen auch weniger Nachfrage, was das Wachstum noch weiter reduziert. Indem Überkapazitäten vermieden werden sollen, wird ein Prozess in Gang gesetzt, der dazu führt, dass die Ökonomie noch mehr davon schafft.
KritikerInnen von Chinas hohen Investitionsraten machen sich nicht nur Sorgen wegen der überschüssigen Kapazitäten, die dadurch geschaffen werden, sondern auch aufgrund der dadurch steigenden Schulden. China als Gesamtes ist sehr sparsam: Seine Sparquote ist sogar höher als seine Investitionsrate. Doch Sparer und Investoren sind für gewöhnlich nicht dieselben. Zwischen ihnen steht Chinas Finanzsystem, das gewaltige Ressourcen von der ersten zur zweiten Gruppe transferiert. Die Schulden der chinesischen Unternehmen haben im letzten Jahr laut Goldman Sachs 142% des BIP betragen, dazu kommen die von Gebietskörperschaften gesponserten Investitionen, die weitere 22,5% des BIP ausmachen. Auch wenn es unmöglich ist eine genaue Berechnung vorzunehmen, dürften die faulen Kredite, die nicht mehr einzubringen sind, ein Viertel des chinesischen BIPs betragen.“ (The Economist, 17. August 2013)
Das enorme Ausmass an zusätzlichen Investitionen löst also die Krise nicht, sondern bereitet nur den Boden für eine noch grössere Krise in der Zukunft – und zwar sowohl in China als auch weltweit. Wie der Economist schreibt:
„China ist seit dem Vorfall im Juni, als Bargeld plötzlich knapp wurde, weil die Zentralbank liquide Mittel zurückhielt, um waghalsige Kreditgeber zu bestrafen, eines der grössten Sorgenkinder der Weltwirtschaft… Der IWF argumentierte vergangene Woche, dass Chinas Wachstum ‘zu sehr von Investitionen und einer nicht aufrechtzuerhaltenden Ausweitung des Kreditwesens abhängt’.“ (The Economist, 20. Juli 2013)
Chinas Wachstumsmodell, das von Investitionen und Exporten getragen wurde, ist ausser Puste geraten. Der wirtschaftliche Abschwung in China stellt eine direkte Bedrohung für die Ökonomien von Brasilien, Argentinien, Australien und Afrika dar, die in der Vergangenheit immer stärker vom Rohstoffexport nach China abhingen.
Globale Ungleichgewichte
Das Grosskapital im Westen hofft, dass es China zu einem wirtschaftlichen Gleichgewicht findet, weniger investiert und exportiert und dafür den Inlandskonsum ankurbelt und deshalb auch mehr importiert. Mit anderen Worten: Die Kapitalisten in den USA und Europa hoffen, dass Konzerne, die in China produzieren, den chinesischen ArbeiterInnen höhere Löhne zahlen, damit diese Waren kaufen können, die aus den USA und Europa importiert wurden. Das würde es ihnen ermöglichen ihr in Cash gehaltenes Kapital endlich profitabel zu investieren und die Krise aus dem Westen nach China zu exportieren.
Die andere Möglichkeit und gleichzeitig grosse Sorge der KapitalistInnen in den USA und Europa wäre, dass China seine enormen Überkapazitäten für eine Exportoffensive in den Westen nutzt. Das würde die Profite von US- und europäischen Konzernen ordentlich nach unten drücken. Der von uns bereits zitierte Artikel im Economist kommt zu folgendem Schluss:
„All dies lässt eigentlich nur einen Schluss zu, wie Profite wieder ihre „normalen“ Levels erreichen könnten. Wenn die chinesische Ökonomie nicht mehr so stark wächst wie bisher, könnten die überschüssigen chinesischen Kapazitäten den Weltmarkt überschwemmen und die Gewinnspannen nach unten drücken…Die günstigere Möglichkeit (für das US und europäische Kapital!) wäre eine Umstellung der chinesischen Ökonomie von Produktion zu Konsumtion bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Investitionen durch US Unternehmen um diesen neuen Markt auszubeuten.“
Globalisierung bedeutet auch eine globale kapitalistische Krise
Bei beiden Szenarien ist jedoch mit wachsenden Spannungen zwischen den Nationen zu rechnen, weil jedes Land versucht, die Profite seiner eigenen Konzerne zu schützen. Die Globalisierung des Kapitalismus hat die Bedingungen für eine globale kapitalistische Krise geschaffen. Mit Zunahme und Ausdehnung der Krise muss es auch zu einer Erschütterung der internationalen Beziehungen kommen. Neben dem Privateigentum an Produktionsmitteln ist der Nationalstaat das grösste Hemmnis für die Entwicklung der Produktivkräfte, was katastrophale Folgen nach sich zieht.
Der Kapitalismus ist ein von Grund auf chaotisches und instabiles System; solange es existiert, werden auch Ungleichheiten und Ungleichgewichte weiterbestehen.
Aufgrund der Anarchie des Marktes kann es keine vernunftgetriebene Entwicklung der Wirtschaft geben, was wiederum eine gewaltige Barriere für die Entwicklung der Produktivkräfte darstellt. Die einzige Alternative liegt in der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen an erster Stelle stehen. Nur auf einer solchen Grundlage ist ein Leben in Gleichheit denkbar. Nur so ist eine von Harmonie geprägte Entwicklung des Zusammenlebens zwischen den Menschen (trotz aller Unterschiede) und zwischen Mensch und Umwelt, auf die wir angewiesen sind, möglich.
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
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