Mit seiner Wiederwahl zum Vorsitzenden der britischen Labour Partei erringt Jeremy Corbyn einen elementaren Sieg gegen den rechten Flügel der Partei. Der Kampf um Labour ist aber trotzdem noch nicht vorbei und um die Formation für die Massen zurückzuerobern, muss noch einiges getan werden.
Es gab Jahre, da wären solche Bilder undenkbar gewesen wären: Der frisch wiedergewählte Labourvorsitzende Jeremy Corbyn steht beim Kongress der Labour auf der Bühne und singt innerhalb einer Gruppe von Labour-GenossInnen das Lied „the red flag“. Während dem Singen strecken die Parteimitglieder um Corbyn die Faust in die Luft. Neben Corbyn auf der Bühne steht, ebenfalls singend, eine ältere Frau, die auch die Faust ballt. Auf ihrem T–Shirt stehen die Worte: „proud to be a socialist“.
„The red flag“ war seit der Gründung von Labour 1900 so etwas wie eine Hymne für die Partei gewesen. Doch für die Führung um den sozialliberalen Tony Blair war das Lied eine lästige Hinterlassenschaft aus den Zeiten, wo Labour sich als sozialistische Organisation verstand. Jahrelang wurde das Lied bei Labour nicht mehr gesungen. Doch die Anhänger Blairs und seines Zöglings Gordon Brown, der ihn als Premier beerbte, sind nicht mehr in der Lage, das Singen irgendwelcher Lieder zu verhindern: Die Labour scheint ihnen endgültig entglitten. Am selben Abend wurde bekannt, dass der Versuch, den Labour–Vorsitzenden zu stürzen, kläglich gescheitert ist. Corbyn konnte nicht nur mit 61,8% der Stimmen einen Sieg gegen seinen Kontrahenten Owen Smith erringen. Damit, dass er sein Ergebnis von seiner Wahl letztes Jahr übertraf, machte er die Niederlage für Smith, der mit seiner Kampagne nicht zu begeistern wusste, komplett.
Hunderttausende traten der Partei bei, nachdem die Parteirechte nach dem Brexit-Referendum Corbyns Sitz ins Fadenkreuz genommen hatte. Mit etwa 650‘000 Mitgliedern ist Labour mittlerweile die grösste sozialdemokratische Partei der Welt. Viele Junge traten bei, die hoffen, dass eine Labour unter Jeremy Corbyn die grösste Hoffnung im Kampf gegen Sparprogramme und Kürzungen sei. Doch auch Tausende alter Parteimitglieder, die Labour in der Ära der sozialliberalen Blairites verlassen hatten, kehrten zurück. Besonders krass ist die Mitgliederentwicklung bei Momentum, einer aktivistisch ausgerichteten Gruppe, die nach Corbyns Wahl zum Vorsitzenden 2015 gegründet wurde, um ihm den Rücken zu stärken. Die Formation hat bis dato 17‘000 Mitglieder. Vor dem Beginn des Putschversuchs waren es 4000.
Naive Hoffnung auf Einheit
Dass die Kampagne zur Wiederwahl Corbyns letztlich so erfolgreich wurde und dem rechten Flügel in der Partei derart schaden würde, war zu Beginn des Coups wohl von niemandem erwartet worden. Der Labour-Vorsitzende geriet unter heftigen Beschuss von seiner Parlamentsfraktion, die grossmehrheitlich aus VertreterInnen des parteirechten Flügels besteht. Dieser Flügel, der sich gerne als „New Labour“ bezeichnet, hatte die Partei seit den 90ern fest im Griff. Auch in der Presse wurden die Sympathien für „New Labour“ offensichtlich. So verkündete die Labour–nahe Sunday Times, dass Corbyns Sieg Labour in ein „dunkles Zeitalter“ führe. Das Schmierenblatt „Sun“, neben dem selbst die 20 Minuten wie ein dem Pulitzer–Preis würdiges Qualitätsblatt aussieht, sprach gar von einem „wahltechnischen Selbstmord“.
Anstatt aber auf Medialität zu setzen wurde von den Corbyn–UnterstützerInnen eine Kampagne gefahren, die tatsächlich einen Grossteil ihrer Kraft und Energie aus der Parteibasis holte. Im ganzen Land fanden über Monate hinweg Demonstrationen und Kundgebungen statt. Bei der ersten solchen Demonstration in London wurden 10‘000 Personen innerhalb von 24 Stunden mobilisiert. In kleinen Städtchen, die seit den 50ern keine Kundgebungen mehr erlebt hatten, gingen teils Tausende auf die Strasse.
Corbyns Kontrahent Owen Smith hielt solche Kundgebungen offensichtlich für eine tolle Idee, mietete sich einen Eiscremetruck und hielt eine eigene Kundgebung mit Rede in London ab. Im Gegenzug zu Corbyns 10‘000 fanden gerade einmal 200 Personen den Weg zu Smiths Veranstaltung. Angesichts des katastrophalen Ausgangs der Wahl und der Kampagne für die der Blairites könnte man beinahe Mitleid haben.
Jedoch waren es eben jene Kräfte, die Labour zur Komplizin von Austeritätspolitik, arbeiterInnenfeindlichen Kürzungen und imperialistischen Angriffskriegen machten. Schon seit Beginn des Putschversuchs macht in Wahlkreisen, deren Labour–Abgeordnete sich hinter den sozialliberalen Coup stellten, unter Basismitgliedern die Forderung nach einer Abwahl der MandatsträgerInnen, die Corbyns Mandat nicht akzeptieren wollen, die Runde. Momentum scheint von solchen Forderungen nicht viel wissen zu wollen. Wo es nun wichtig wäre, gegen jene Parteigrössen vorzugehen, die in aller Offenheit gegen die Beschlüsse ihrer Basis arbeiten, hofft man bei Momentum scheinbar darauf, dass sich die Parteirechte im Sinne der Einheit von Labour zurückhalten. Dass man darauf nicht hoffen kann, konnte man direkt nach der Wiederwahl von Corbyn sehen.
Hinterzimmermethoden à la New Labour
Wo für Corbyns Kampagne der Einsatz der Massen eine zentrale Bedeutung hatte, verliessen sich die parteiinternen GegnerInnen einer linken Labour auf bürokratische Manöver. Im Zuge der Kampagne kam es zu tausenden von Ausschlüssen aus der Partei, die unter extrem diffusen und meist missbräuchlichen Bedingungen stattfanden. So erliess das NEC, das Führungsgremium von Labour, neue Ausschlusskriterien und begann diese rückwirkend anzuwenden. Wer sich in sozialen Medien abfällig über die Parteirechte äusserte, geriet ins Fadenkreuz der Hexenjagd. So galt neben Begriffen wie „Verräter“, „rote Tories“ (die Tories sind die Konservativen im Vereinigten Königreich) auch der Begriff „Blairites“ als derart grosse Beleidigung, dass ein Ausschluss folgen konnte.
Langjährige Parteimitglieder wurden aus der Partei ausgeschlossen. In schlechtester Stasimanier wurden Apparatschiks auf die social-media- Profile der Parteimitglieder angesetzt, um Corbyn-UnterstützerInnen auszuspähen. Dabei trugen die Ausschlüsse teils bizarre Züge: In Bristol verlor Labour die Mehrheit im Stadtparlament, nachdem das NEC drei Abgeordnete ausschloss, die sich hinter Corbyn stellten.
Daneben wurde die Gebühr für „affiliated supporters“ (SympatisantInnen mit Stimmrecht) von £3 auf £25 Pfund erhöht und ein Zeitfenster von nur zwei Tagen bestimmt, in dem sie sich für die Teilnahme an der Wahl anmelden konnten. Durch das kurze Zeitfenster wurden 180‘000 Personen von der Wahl ausgeschlossen. Dass letztlich 70% dieser „affiliated supporters“ für Corbyn stimmten, zeigt deutlich, dass es bei den Massnahmen darum ging, das Stimmgewicht von Corbyns UnterstützerInnen mit bürokratischen Mitteln zu verringern.
Ein weiteres Beispiel für die Methoden der Blairites sind die Vorwürfe von Antisemitismus und Sexismus, mit der die Parteilinke bombardiert wird. Natürlich dürfen wir nicht davor die Augen verschliessen, dass auch in Parteien, die sich als fortschrittlich verstehen, Rassismus und Chauvinismus existieren und solche Probleme angesprochen und bekämpft werden müssen. Diese Probleme sind aber nicht exklusiv einem Parteiflügel vorbehalten. Es macht einen Unterschied, ob Angriffe dieser Art stattfinden, um konkret gegen widerwärtige Auswüchse bürgerlicher Ideologie vorzugehen oder politische KonkurrentInnen in der Partei anzugreifen.
Gerade im Fall der aktuellen Antisemitismusanschuldigungen deutet einiges auf einen politischen Vorwand hin. So wurde die Momentum-Aktivistin Rhea Wolfson die Unterstützung ihrer Sektion für ihre Kandidatur ins NEC versagt, da sie mit Momentum eine antisemitische Struktur unterstützen würde. Um Rhea Wolfsons Nomination zu verhindern, intervenierte sogar der ehemalige Chef der schottischen Labour Partei Jim Murphy. In der Presse wurde der Fall breit aufgenommen – vor allem, da die mit dem Antisemitismusvorwurf konfrontierte Wolfson selber Jüdin ist. Doch auch nach dem Sieg Corbyns hören die Manöver nicht auf.
Vorwärts mit einem sozialistischen Programm!
Die Konferenz, an der die Wahl Corbyns verkündet wurde, erwies sich gleich als nächste Gelegenheit für den rechten Flügel, um zu zeigen, dass man weiter versuchen wird, sich an die Macht in der Labour Partei zu klammern. So wurde den Vorsitzenden der rechten Labour–Verbände von Wales und Schottland neu das Recht eingeräumt, ebenfalls je eine Person ins NEC zu berufen. Die New-Labour–Anhängerin und Labour Schottland Vorsitzende Kezia Dugdale nahm die neue Regelung zum Anlass, sich gleich selber zu ernennen.
Ebenfalls wurde MandatsträgerInnen von Labour neu verboten, sogenannte „illegale Budgets“ zu verabschieden. Solche Budgets hatten in der Thatcher-Ära Anwendung gefunden. Damals machte die trotzkistische Militant–Tendency, aus der später die IMT hervorging, in der Labour erfolgreiche Arbeitet und erhielt im Stadtrat von Liverpool eine Mehrheit. Um gegen die von der Thatcher-Administration angeordneten Sparmassnahmen vorzugehen, verabschiedete das rote Liverpool ein Budget, das die Sparmassnahmen schlicht ignorierte. Anstatt auf Kosten der Massen zu sparen, wurde ein breit angelegtes Programm zur Schaffung von günstigem Wohnraum und zum Ausbau der Infrastruktur aufgelegt. Es entstanden Gemeinschaftszentren, Sporthallen, Schulen, usw. Insgesamt 1000 Stellen wurden auf diese Weise in Liverpool geschaffen. Der damalige Labour-Chef Neill Kinnock nahm das „illegale“ Budget der Militant-Strömung zum Anlass, die GenossInnen, die zu einer enormen Kraft in der Labour Partei geworden waren, aus der Partei auszuschliessen. Auch beim neueren Verbot „illegaler“ Budgets steht die Möglichkeit, gegen jene vorzugehen, die sich konsequent gegen Sparmassnahmen stellen, im Vordergrund.
Gerade ein solch konsequenter Kampf gegen die brutalen Sparprogramme der Tories würde sich aber anbieten, um die Kraft, die Labour aus dem Jahr mit Corbyn gewonnen hat, zu nutzen. Nur wenn Labour sich konsequent gegen jeden Angriff der Bourgeoisie, ob in- oder ausserhalb der Partei, stellt, die Interessen der Massen wieder ins Zentrum rückt und die Partei von einem Selbstbedienungsladen für machtbewusste KarrieristInnen zum organisierten Ausdruck der ArbeiterInnenklasse wird, kann Corbyn die Massen in der Partei halten.
Die schalen Hoffnungen auf Einheit mit jenen Labour–BürokratInnen, die in Corbyn eine Bedrohung ihrer elitären Ambitionen sehen, werden sich nicht erfüllen. Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen, wie eine Partei gewinnen kann, wenn sie sich auf ihre sozialistischen Wurzeln zurückbesinnt und einem menschenunwürdigen System den Kampf ansagt. Wird Corbyn die Hoffnungen, die er im Kampf gegen das Austeritätsregime geweckt hat, aber enttäuschen, werden sich die Massen nach einer Alternative umsehen oder in die Resignation zurückverfallen. Gerade deshalb ist es elementar, dass der Kampf für die Interessen jener überwältigenden Mehrheit geführt wird, die vom Status Quo nicht profitieren. Und dieser Kampf kann nur über einen Weg beschritten werden: Ein sozialistisches Programm im Sinne der Werktätigen, das mit dem Kapitalismus bricht.
Florian Sieber
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