Abbaumassnahmen und Austerität dominieren weltweit die Politik. Dies ist die Politik der Bourgeoisie. Um ihre Profite zu retten scheuen sie nicht zurück, die arbeitende Bevölkerung bis auf den letzten Blutstropfen auszupressen. Einige prominente bürgerliche Ökonomen stellen dieser Politik den Keynesianismus gegenüber und stossen damit nicht zuletzt in der reformistischen Linken auf grosse Unterstützung. Der Frage was der Keynesianismus überhaupt ist und weshalb ist er keine Lösung für unsere Probleme sein kann wollen wir in diesem Artikel auf den Grund gehen.
[dropcap]D[/dropcap]er Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946) erkannte, dass der Kapitalismus immer wieder zu Krisen führt. Er sah die Ursache der Krisen in der zu tiefen Nachfrage, welche hauptsächlich durch hohe Arbeitslosigkeit ausgelöst wird. Wenn die Nachfrage zu tief ist, gibt es keine Investitionen in die Herstellung neuer Produkte und auch keine Investitionen in neue Maschinen. Die Arbeitslosigkeit löst einen Teufelskreis aus. Je grösser die Arbeitslosigkeit, umso tiefer wird die Nachfrage. Der Markt wird zu klein, um die produzierten Güter abzusetzen.
An diesem Punkt soll der Staat regulierend einspringen und die Wirtschaft stimulieren. Dafür werden in der Regel die Leitzinsen gesenkt. So können die Banken bei der Zentralbank billiger Geld leihen, welches schliesslich über Kredite in die Wirtschaft fliessen soll. Der Staat kann auch einfach mehr Geld drucken und in dem Umlauf bringen, indem langfristige Wertpapiere, meistens Staatsanleihen, aufgekauft werden. Eine weitere Möglichkeit ist das Erhöhen der Staatsausgaben, welche dann meist in Infrastrukturprojekte investiert werden.
Das Ziel keynesianischer Massnahmen ist dabei sehr einfach: Die Wirtschaft soll durch Ausgaben aus der öffentlichen Hand stimuliert werden. Wie die Leute beschäftigt werden ist ihm dabei egal. Laut Keynes sollte der Staat in Krisenzeiten ein Loch graben lassen, nur damit es durch andere wieder ausgegraben werden kann.
New Deal und Zweiter Weltkrieg
Linke Sympathisanten des Keynesianismus berufen sich auf dessen „Erfolge“ in den 30ern in den USA. So war der New Deal von Roosevelt ein keynesianisches Programm. Unter Roosevelt wurden auf Kosten des Staates „Arbeitsprogramme“ geschaffen, um die hohe Arbeitslosigkeit zu senken und der Mittellosigkeit entgegenzuwirken. 1933 herrschte eine starke Überproduktion in der amerikanischen Landwirtschaft. So bezahlte der Staat die Farmer dafür, fast ein Viertel der Jahresernte zu vernichten und sechs Millionen Schweine zu schlachten.
Aber Roosevelts Rechnung ist nicht aufgegangen: 1937 stand der US-Präsident unter Druck wichtiger Teile der Bürgerlichen, welche angesichts der sich türmenden Staatschulden nicht gerade begeistert waren. Die hohen Ausgaben wurden gekürzt, um das Defizit zu verkleinern. Dies führte zu einem Fall der wirtschaftlichen Aktivitäten. Viele wurden aus den staatlichen Arbeitsprogrammen verdrängt, die Arbeitslosigkeit stieg rasant an. 1940 waren mehr als 10 Millionen Menschen in den USA Arbeitslos.
Der New Deal ist ein gutes Beispiel, dass keynesianistische Massnahmen nicht die Probleme der kapitalistischen Gesellschaft lösen können, sondern sie lediglich verzögern. Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs konnten mit dieser Strategie keine wirklichen Erfolge erzielt werden. Die Eingriffe der US-Regierung in die Wirtschaft führten schlussendlich zu einer Rückkehr der enormen Arbeitslosigkeit, welche die Nachfrage noch mehr verringerte.
Die Grosse Depression der 30er dauerte trotz den verzweifelten Versuchen, sie zu beenden, bis zum Zweiten Weltkrieg weiter an. Erst die Investitionen in die Waffen- und Rüstungsindustrie schaffte es, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Die Anhänger von Keynes’ Theorien sehen dies als Erfolg. Der keynesianische Ökonom Paul Krugman nennt den Krieg „ein riesiges öffentliches Arbeitsprogramm“. Im Falle eines Krieges investieren Staaten Milliarden und stimulieren dadurch die Wirtschaft – eine keynesianische Massnahme par excellence. Doch was sie da als Erfolg für ihre Theorie feiern, ist ein imperialistischer Krieg. Ein Krieg, der 50 Millionen Tote, massive Zerstörung und sehr viele Schulden produzierte.
Nachkriegsboom und neoliberale Wende
Der Nachkriegsboom hat eine Vielzahl von Ursachen, zum Beispiel die Investitionen in Waffen und Rüstung, neue Industrien wie Chemie, Plastik, Leichtmetalle oder Elektrizität. Die Sowjetunion wurde durch den 2. Weltkrieg enorm gestärkt. Die Bürgerlichen hatten Angst, dass die ArbeiterInnen des Westens vom „Wahn des Kommunismus“ angesteckt würden und machten sich daran, bessere Arbeitsbedingungen und einen gewissen Sozialstaat aufzubauen, um die ArbeiterInnen zufriedenzustellen. Der Sozialstaat ermöglichte, dass ältere und arbeitslose Menschen weiterhin konsumieren können.
Uns muss aber klar sein, dass die starke ArbeiterInnenbewegung, welche aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging, eine zentrale Rolle in diesem Prozess einnahm. Gleichzeitig musste das zerstörte Europa wieder aufgebaut werden. Diese Faktoren dürfen nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Sie waren beide für die Verbesserung des Lebensstandards essenziell.
In den 70ern gerieten die USA in eine neue Rezession, die sie mit einer keynesianischen Politik zu bekämpfen versuchten. Dies sollte neues Wirtschaftswachstum herbeizaubern. Die staatlichen Subventionen führten jedoch nicht zur Wiederherstellung des ökonomischen Gleichgewichts, im Gegenteil: Nach kurzen Booms folgte eine noch schlimmere Rezession. So ging der grossen Krise von 1974/75 mehrere Rezessionen voraus. Unrentable Unternehmen mit veralteter Infrastruktur, wurden künstlich am Leben erhalten um kurzfristiges Wachstum zu generieren, was in der Krise dann zu reihenweisen Betriebsschliessungen und Massenentlassungen führte.
Die Massnahmen des Staats (Niedrigzinsen, Subventionen), welche die Kapitalisten dazu animieren sollten, Investitionen in die Produktion zu tätigen, scheiterten rasch, da die Profitsituation der Unternehmen sich nicht verbessert hatte. Es lohnte sich schlicht nicht, in die Produktion zu investieren.
Die Gelddruckerei führte zu einer immensen Inflation. Auf die erhöhte Nachfrage wurde von Seiten der Unternehmen aber mit höheren Preisen ihrer Waren geantwortet, was für die benötigte Erhöhung der Kaufkraft nicht förderlich war, sondern die Inflation noch weiter vorantrieb. Die staatlichen Massnahmen liefen auf eine riesige Katastrophe hinaus. Das Finanzkapital rebellierte, da gespartes Geld entwertet wird und man, zu Recht, Angst vor einer explodierenden Inflation hatte.
Ursachen der Krise
Für Keynes ist die Ursache einer Krise die fehlende oder zu tiefe Nachfrage, während Marxisten die Ursache auf der Produktionsseite sehen, wobei die Abschöpfung des Mehrwerts und der anarchische Charakter der Kapitalistischen Produktion zu einer immer wiederkehrenden Überproduktion führt. Dieser fundamentale Unterschied führt dazu, dass KeynesianerInnen auch die Lösung der Krise auf der Nachfrageseite suchen. Während einer Krise soll der Staat dafür sorgen, dass die Unternehmen investieren und die Arbeiterinnen und Arbeitern sollen beschäftigt werden, egal auf welche Art. Man versucht eine künstliche Nachfrage an Konsumgütern, Investitionsgütern und Arbeitskraft zu kreieren.
Dies ist eine sehr kostspielige Sache. Es kommt die Frage auf: „Wer soll das bezahlen?“ Würde man die Steuern auf Kosten der Lohnabhängigen erhöhen, würde dies wiederum die Kaufkraft senken und man hätte gar nichts erreicht. Eine Besteuerung der Kapitalisten bedeutet Einschnitte in ihre Profite, was sich wiederum schlecht auf Investitionen, Arbeitsplätze etc. auswirkt, was die Krise nur verschlimmert. Zudem flüchten die UnternehmerInnen durch den globalen Steuerwettbewerb an Orte, wo sie weniger Steuern bezahlen müssen. Dies führt zu einem hohen Druck auf die global zersplitterte ArbeiterInnenklasse, den die Bürgerlichen nutzen, um Steuersenkungen für die Unternehmen zu erzwingen. Die Investitionen brechen zusammen, weil es sich eben nicht lohnt, zu produzieren.
Der Keynesianismus kann die Wiedersprüche des Kapitalismus nicht lösen, er kann sie lediglich herauszögern und somit gleichzeitig verschlimmern. Das Problem liegt am widersprüchlichen Charakter des kapitalistischen Systems selbst. Die Arbeiterinnen und Arbeiter werden immer weniger verdienen, als den Wert, den sie erarbeiten (Siehe «Organische Krise: Die Zukunft auf Messers Schneide») – denn nur dann können die KapitalistInnen Profit generieren. So ist es unmöglich, das Erarbeitete zurückzukaufen. Die Nachfrage kann niemals gross genug für alle Produkte sein. Das Fehlen einer geplanten Produktion im Kapitalismus führt zudem dazu, dass einzelne Unternehmen tendenziell zu viel produzieren um Stückkosten zu senken und neue Marktanteile zu ergattern. Die Überproduktion ist daher ein Problem, welches dem kapitalistischen System inhärent ist, egal wie viel stimuliert wird. Geld in die Wirtschaft zu Pumpen kann daher nur kurzfristig einen Effekt haben und die Probleme kehren auf einer Höheren Ebene wieder zurück. Letztendlich kann der Kapitalismus die Überproduktion nur verhindern, indem er neue Märkte erobert, oder Produktivkräfte vernichtet werden, wie zum Beispiel durch Massenhafte Betriebsschliessungen oder Krieg.
Welcher Ausweg?
Als Marxisten stellen wir uns nicht grundsätzlich gegen keynesianische Massnahmen. Sie können durchaus eine kurzfristige Linderung der Auswirkungen der Krise auf die arbeitende Klasse bewirken. Wir müssen uns aber vehement gegen die reformistischen Strömungen stellen, welche den Keynsianismus als Lösung für die kapitalistische Krise verkaufen wollen. Der Keynesianismus ist eine bürgerliche Theorie, welche einen Versuch darstellt den Kapitalismus zu retten und die Profite für die herrschende Klasse wiederherzustellen. Diese Politik ist in der Vergangenheit bereits mehrmals gescheitert.
Es ist kein Zufall, dass sich die reformistische Linke heute so an die Ideen von Keynes klammert. Die Vorstellung der Staat könne die Wirtschaft ankurbeln, damit dann wieder erfolgreich reformistische Politik gemacht werden kann hat sich tief in den Köpfen der FührerInnen der ArbeiterInnenbewegung festgesetzt und entspricht dem materiellen Bedingungen unter denen sich der Reformismus über Jahrzehnte entwickelt hat. Ohne Wirtschaftswachstum keine Zugeständnisse, ohne Zugeständnisse keine Wahlerfolge. Zudem verbinden sie keynesianische Politik mit dem glorreichen goldenen Zeitalter in welchem der Reformismus seine Blütezeit hatte. Sie blenden dabei völlig aus, dass auch damals die Widersprüche des Kapitalismus letztendlich zu einer schweren Krise führten, welche nicht nur das Ende des Aufschwungs sondern auch das Ende der keynesianischen Politik bedeutete.
Die Frage ist nicht, ob uns diese oder jene Steuer, diese oder jene Reform weiterhilft. Die entscheidende Frage ist: welche Klasse bezahlt für die Krise? Heute müssen die Lohnabhängigen dafür bezahlen. Dies wäre auch ganz nach Keynes Vorstellungen, denn er schrieb, “ein Klassenkrieg würde mich auf der Seite der gebildeten Bourgeoisie finden.”
Die 60er und der Nachkriegsaufschwung sind vorbei. Anstatt alten Geistern nachzutrauern, müssen wir der Realität ins Gesicht blicken und erkennen, dass wir innerhalb des Kapitalismus keine Lösung finden werden. Linke Parteien, die an die Macht kommen und die Lösung innerhalb des Kapitalismus suchen, werden wie in Frankreich und Griechenland scheitern.
Während der Reichtum von der ganzen Gesellschaft erarbeitet wird, wird er von einer kleinen Gruppe von Menschen für sich beansprucht. Dieser Wiederspruch der kapitalistischen Produktionsweise muss überwunden werden. Möglich ist dies nur mit der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der Einführung der demokratischen Kontrolle von Produktionsmitteln und Boden.
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