Man sitzt passiv auf dem Canapé und doch fühlt man sich wie ein kämpfender Löwe mitten in den Massen im Banlieu. Ohne voice over oder Interview entführt einen die Kamera in die alltäglichen Szenen eines Dauerstreiks in der Fabrik und auf der Strasse: Enttäuschung, Freude oder Wut werden komplett natürlich, ohne Retouche und in realer Nähe an den Zuschauer gebracht. Die Regisseurin Francoise Davisse beschreibt ihr Werk, formal gesehen ein Dokumentarfilm, in militanter Manier als «Kriegsfilm». Die Energie eines gemeinsamen Kampfes wird direkt an den Zuschauer übertragen, da sich der Zuschauer mit Arbeitern wie Jean-Pierre, Rahul oder Mohamed identifizieren kann. Aus dem abstrakten Begriff der Arbeiterklasse wird eine konkrete Vorstellung. «Ich will, dass der Zuschauer ins Herz des Konfliktes taucht, damit auch er sich überlegen muss, was er anstelle der Arbeiter machen würde». Den Fragen, welche Instanzen für die Gewalt gegen die ArbeiterInnen im Kapitalismus verantwortlich sind und wie sie bekämpft werden müssen, kann man dabei nicht ausweichen.
Die drei Gegenkräfte
Die seit über 40 Jahren bestehende Fabrik des Grosskonzerns PSA (Peugeot, Citroen) war in ihrer Geschichte schon oft sozialer Spannungsherd. Obwohl sie im generell krisenerschütterten Jahr 2010 rekordverdächtige Zahlen schreibt, fällt sie zwei Jahre später der „Optimierung“ in der stark von Überproduktion betroffenen Automobilindustrie zum Opfer und soll geschlossen werden.
Die Arbeiter werden besänftigt: Sämtliche verlorene Posten sollen neu geschaffen werden. Zwei Jahre später findet sich die Hälfte der Betroffenen ohne Job wieder. Präsidentschaftskandidat Francois Hollande ist gegen die Schliessung, jedoch generell für kompetitive Arbeitsbedingungen. « Werde ich gewählt, so treffen wir uns nach dem 6. Mai. » Mit diesen Worten richtet sich der spätere Staatspräsident face à face an die Streikenden.
Ein paar Monate danach fordert die Streikkommission vergebens einen ihnen rechtlich zustehenden Mediator vom Staat. Der Präsident entscheidet sich, der PSA eine sieben Milliarden schwere Bankgarantie zu überweisen und die Streikbewegung durch heftige, teils gewaltsame Polizeiaufgebote zu unterdrücken. Fehlen nur noch die Medien, welche zum einen die Firmenstrategie in Interviews mit resignierten, arbeitswilligen Gewerkschaftern preisen und zum anderen ein gewaltsames Bild des Arbeiterkampfes an die Öffentlichkeit bringen. Welche Mittel bleiben den KämpferInnen der Arbeiterklasse in einer Schlacht gegen Patronat, Staat und Medien, kurz: die ganze Bourgeoisie?
Freundliche Löwen
Gut die Hälfte der ursprünglich über 400 Arbeitsverweigerer bleibt dem viermonatigen Streik unter ansteigendem Druck bürgerlicher Kräfte bis zum Ende treu. Den Mut und die Ausdauer für den endlos und existenzbedrohend scheinenden Kampf schöpfen die Streikenden aus der Arbeiterbewegung selbst. Die mobilisierenden Gewerkschaften und die ArbeiterInnen werden durch eine Streikkommission koordiniert, welche auf Disziplin und Demokratie setzt. Kein Kieselstein wird in der lahmgelegten Fabrik geworfen, kein Beamter beschimpft. «Wir werden nie etwas kaputt machen und immer freundlich sein», erklärt der zentrale Protagonist, Jean-Pierre Mercier vom CGT, einem Polizisten. Bei den Versammlungen von über 200 Leuten spricht eine Person und alle anderen hören zu. Die Energie einer vereinten Bewegung ist die Munition gegen die herrschende Klasse.
Nicht gewonnen, aber kollektiv gelernt
In der Endabrechnung haben die bis zum Schluss Kämpfenden mit einer substantiellen Abfindungsentschädigung finanziell besser abgeschnitten als die vorher Resignierten. Das Leben beinhaltet in erster Linie Erfahrungen: gewagte Risiken, beendete Abenteuer und erlangter Stolz. In dieser Hinsicht entspricht dieser zweijährige Kampf einem Schritt auf dem Weg zu einer klassenbewussten und vereinten Arbeiterbewegung. Dank Francoise Davisses Film können die gemachten Erfahrungen von einem breiten Publikum wiedererlebt werden.
Dario Dietsche
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