Pessimismus ist verständlich – aber falsch! Die Revolution in der Schweiz ist unausweichlich. Nicht in 200 Jahren, sondern in den nächsten wenigen Jahrzehnten. Hier sind die vier Gründe, wieso.
Der Kapitalismus ist Horror ohne Ende. Das verstehen immer mehr Menschen. Besonders die jüngere Generation hat uns schon in hunderten Gesprächen geantwortet: «Revolution? Ja eh!» Das Gefühl breitet sich aus, dass das gesamte System radikal umgewälzt werden muss.
Dann folgt oft das grosse «Aber»: «Ich wäre schon dabei, aber die Leute checken es nicht». Oder alternativ: «aber den Leuten hier geht es zu gut». Eine Revolution scheint nötig. Aber ist sie möglich? In armen Ländern wie Nepal oder Indonesien? Ok. In Frankreich? Vielleicht. Aber in der spiessigen Schweiz? Komplett ausgeschlossen!
Diese Haltung ist nachvollziehbar. Wer sich heute radikalisiert, merkt in seinem Alltag, dass die breiteren Massen nicht bereit sind für revolutionäre Lösungen. Also fühlt man sich isoliert und zieht pessimistische Schlussfolgerungen. Doch dahinter steckt ein falsches Verständnis.
Wenn du dein Gefühl der Ohnmacht abstreifen willst, musst du lernen, was die Rolle der Arbeiterklasse ist und wie sich ihr Bewusstsein verändert. Schauen wir uns die Sache vom marxistischen Standpunkt an.
Revolutionen sind fester Bestandteil der Geschichte der Klassengesellschaft. Kein Gesellschaftssystem währt ewig. Jedes kannte seinen Aufstieg und seinen Niedergang.
Das Kapital ist heute auf wenige riesige Monopole konzentriert, die Weltmärkte sind übersättigt. Statt in die Produktion zu investieren, fliesst das Kapital in die Spekulation. Der gesamte Kapitalismus ist im definitiven Niedergang und hat begonnen, die Gesellschaft und Kultur zu zersetzen. Das Resultat ist Chaos, Ineffizienz, Kriege, Handelskriege und Instabilität auf allen Ebenen – und das alles auf Kosten der Menschen.
Die Schweiz genoss eine länger währende und grössere Stabilität. Die Schweizer Kapitalisten haben über Jahrzehnte erfolgreich ihren Reichtum auf Kosten der ganzen Welt angehäuft. So konnten sie der Arbeiterklasse im Inland ein paar zusätzliche Krümel runterwerfen und sich sozialen Frieden und politische Ruhe kaufen.
Aber auch die Schweiz ist Teil des globalen Kapitalismus und seiner Krise. Die Stabilität des Schweizer Kapitalismus wird schon seit Jahrzehnten untergraben.
Von ihrem «Erfolgsmodell Schweiz» bleibt heute kaum mehr als die äussere Hülle. Mit Trumps Zollschlag ist die Schweiz endgültig in der allgemeinen Instabilität des niedergehenden Kapitalismus angekommen.
Es gibt kein Zurück in frühere Zeiten. Die Kapitalisten haben keine Lösung für die Sackgasse ihres Systems. Um ihre Profite in der verschärften Konkurrenz zu retten, müssen sie mehr und mehr aus der Arbeiterklasse rausquetschen. Aber genau damit wecken sie einen schlafenden Riesen.
Die herrschende Klasse kultiviert seit Jahrzehnten die Lüge, die Arbeiterklasse sei tot. Klassenkampf sei eine überholte Idee. Das Gegenteil ist wahr. Die Arbeiterklasse war noch nie grösser und potenziell stärker.
In der Schweiz gibt es heute mehr als 4 Millionen aktive Arbeiter. Entgegen dem Mythos umfasst die Arbeiterklasse nicht nur Industriearbeiter, sondern alle, die ihre Arbeitskraft für einen Lohn verkaufen müssen. Zu diesen 4 Millionen aktiven Arbeitern kommen 2,3 Millionen inaktive hinzu: Arbeitslose, zukünftige Arbeiter in Ausbildung, ehemalige Arbeiter in Rente, Hausfrauen und -männer, Kranke und weitere.
Die Arbeiterklasse in diesem umfassenden Sinn besteht in der Schweiz aus 6,3 Millionen Menschen. Das sind 84 % der Bevölkerung! Diese Klasse ist vielfältig, hat Monatslöhne von wenigen hundert bis zwölftausend Franken, arbeitet mal mehr mit Kopf oder mehr mit Hand, hat unterschiedliche Alter, Nationalitäten, Geschlechter oder sexuelle Orientierungen. Aber alle werden von der herrschenden Klasse zunehmend angegriffen. Und alle haben das gleiche grundlegende objektive Interesse: Ein gutes Leben mit einem Dach über dem Kopf, sichere Ernährung, guter Lohn oder Rente, gute Bildung, Gesundheit, genug Freizeit und gesunde zwischenmenschliche Beziehungen.
Dem gegenüber steht eine winzige Minderheit von etwa 1 % von Kapitalisten und Grundbesitzer, die von der Arbeit und Zinsen anderer leben. Während Arbeiter Mühe haben, ans Ende des Monats zu kommen, besitzen sie rund die Hälfte des gesamten Vermögens in der Schweiz! Das ist die winzige Minderheit, die heute die Gesellschaft beherrscht.
Diese beiden Klassen haben diametral entgegengesetzte, unvereinbare Interessen. Ihre Profite retten geht nur auf Kosten unserer Lebensbedingungen. Unsere Lebensbedingungen retten geht nur auf Kosten ihrer Profite. Das ist Klassenkampf, ob es einem gefällt oder nicht.
Nie in der Geschichte stand das objektive Kräfteverhältnis der Klassen klarer zugunsten der Arbeiterklasse. Diese Arbeiterklasse hat eine riesige potenzielle Macht. Diese Arbeiter sind es, die den ganzen Reichtum im Kapitalismus schaffen und die Räder der Gesellschaft täglich am Laufen halten. Diese Klasse allein ist dadurch in der Stellung, die Profitmacherei durch Streiks zu blockieren, die Kapitalisten in einer Revolution zu stürzen, sie zu enteignen und die Produktion demokratisch nach den Bedürfnissen der Menschen zu planen.
Hier hören wir schon den Einwand: «Aber diese Arbeiterklasse hat ja kein revolutionäres Bewusstsein». Natürlich, das blosse Potenzial reicht nicht! Die Arbeiterklasse muss ein Bewusstsein ihrer eigenen Kraft und ihrer Rolle entwickeln: ein Klassenbewusstsein.
Das ist nicht im Vornherein gegeben. Wir müssen sehen, wo wir herkommen und in welche Richtung sich der Prozess notwendigerweise entwickelt. In der Nachkriegszeit ging es grossen Teilen der Schweizer Arbeiterklasse von Generation zu Generation besser. In 25 Jahren hat sich die Kaufkraft eines Arbeiters verdoppelt! Unter solchen Bedingungen haben die Massen kaum einen Grund, das System in Frage zu stellen.
Aber diese Zeiten sind vorbei. Seit Jahren stagnieren die Lebensbedingungen. Sparmassnahmen, explodierende Prämien oder Mieten nagen schon länger am Polster der Arbeiterklasse. Seit Corona beschleunigt sich die Krise und wird für breitere Schichten direkt spürbar.
Das Bewusstsein ist konservativ und träge. Aber in letzter Instanz prägen unsere materiellen Lebensbedingungen unser Denken. Die Arbeiterklasse lernt aus ihren eigenen Erfahrungen im Leben in der kapitalistischen Krise.
Fehlende Zukunftsperspektiven, Angriffe auf die Arbeiterklasse, die gleichzeitige schamlose Bereicherung und Abgehobenheit der Eliten, die Hammerschläge der Weltpolitik mit Kriegen, Genozid und Klimakatastrophen – das alles führt zu einem wachsenden Unmut und einer zunehmenden Ablehnung des gesamten Status quo.
Mittlerweile sagen in der Schweiz 60 %, der Gegensatz zwischen Arm und Reich sei die grösste Kluft in der Gesellschaft. Ein brennender Hass auf «alle da oben» beginnt sich zu entwickeln – auf Bosse, schleimige Politiker, abgehobene Bundesräte, lügende Medien. Das ist der Treibstoff für Revolutionen.
Das Hindernis für den Klassenkampf ist nicht, dass die Massen zu dumm sind oder dass es ihnen zu gut geht. Das wirkliche Hindernis ist, dass die Arbeiterklasse komplett auf sich allein gestellt ist. Was fehlt, ist eine Partei der Arbeiterklasse, die die schon jetzt wachsende Unzufriedenheit gegen die Kapitalisten richtet und der Arbeiterklasse eine echte Alternative zum Kapitalismus aufzeigt. Ohne eine solche Partei ist es auch nicht erstaunlich, wenn der Unmut in Teilen der Klasse zunächst verwirrte oder reaktionäre Formen annimmt.
Zweifellos ist dieser Unmut in der Schweiz noch weniger zugespitzt als in den meisten Ländern. Aber erstens sollten wir nicht unterschätzen, wie gross er auch hier schon ist. Und zweitens – und das ist der Kern der Sache – müssen wir die Richtung der Entwicklung sehen: Er kann nur weiter zunehmen.
Die Kapitalistenklasse ist eine winzige Minderheit – und sie haben keine Lösung für die Sackgasse ihres Systems. Alles, was sie tun, greift die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser mächtigen Arbeiterklasse an.
Die Arbeiterklasse wird sich wehren und nach einem Ausweg aus der Krise suchen müssen. Zuerst zögernd und zersplittert, nicht in einer revolutionären Explosion auf einen Schlag. Aber genau in diesen Kämpfen wird die Arbeiterklasse ihre eigene Kraft zu spüren beginnen und lernen, dass der Kapitalismus nicht mehr geflickt werden kann.
Das wird Zeit brauchen. Aber der objektive Prozess läuft auch in der Schweiz unausweichlich auf eine Revolution zu – nicht weil die Kommunisten sich das wünschen, sondern weil die Krise des Kapitalismus selbst die Bedingungen für seinen eigenen Sturz schafft.
Bleibt ein letzter, entscheidender Punkt. Die Revolution ist international. Niemand von uns würde darauf wetten, dass die sozialistische Revolution zuerst in der Schweiz ausbricht. Aber was in anderen Ländern passiert, wird sich entscheidend auf den Klassenkampf hier auswirken.
Revolutionen tendieren dazu, eine Kettenreaktion in Gang zu setzen. Erstens, weil der Kapitalismus ein zusammenhängendes Weltsystem ist und die Bedingungen – mit Nuancen – überall ähnlich sind. Zweitens, weil eine Revolution eine gigantische Inspiration und ein Ansporn für die Armen und Unterdrückten anderer Länder ist.
Die Russische Revolution 1917 beispielsweise stand am Beginn einer Reihe von Revolutionen auf allen Kontinenten. Überall sagten sich die unterdrückten Massen: «In Russland haben sie es gewagt! Machen wir es wie in Russland!». In der Schweiz kam es 1918 zum Landesstreik.
Die Kette reisst tendenziell zuerst an schwächeren Gliedern. Die Wahrheit ist, dass das Fenster von Revolution und Konterrevolution schon offen ist. Seit 2019 haben wir eine lange Reihe von Revolutionen in ärmeren Ländern gesehen, aktuell in Nepal und Indonesien. Wir sehen auch, wie sich die revolutionäre Gärung von der Peripherie zu den kapitalistischen Zentren voranarbeitet. Frankreich, Grossbritannien und die USA sind regelrechte Pulverfässer.
Die Schweizer Arbeiterklasse hinkt hinterher. Aber sie geniesst damit auch das Privileg der historischen Verspätung: Wer später kommt, kann schneller lernen. Die Schweizer Arbeiter werden ihre ersten grösseren Schritte im Klassenkampf mit Referenzpunkten aus weiter fortgeschrittenen Ländern machen.
Der revolutionäre Prozess kennt Ebbe und Flut. Wir werden zahlreiche Anläufe, Vorpreschen und Rückschläge sehen. Es braucht nur einen revolutionären Durchbruch in einem imperialistischen Kernland, um eine schier unaufhaltbare Dynamik auszulösen. Ein Arbeiterstaat in Frankreich oder Grossbritannien wäre eine gigantische Inspiration und würde die Situation in der Schweiz komplett auf den Kopf stellen! Deshalb muss unser Horizont international sein!
Die Revolution ist unausweichlich. Die wirkliche Frage, deren Ausgang nicht vorherbestimmt ist, ist eine andere: Wird die Revolution auch siegreich sein?
Wenn die Massen beginnen, aktiv in die Geschichte einzugreifen, entfalten sie eine grenzenlose Energie. Aber diese Energie muss rechtzeitig, innerhalb des beschränkten revolutionären Zeitfensters, in einem gemeinsamen Programm gebündelt und auf die Machtergreifung der Arbeiterklasse gelenkt werden. Dafür braucht unsere Klasse eine revolutionäre Partei mit einem soliden marxistischen Verständnis. Das ist die Hauptlektion aller bisherigen proletarischen Revolutionen.
Die Revolutionäre Kommunistische Internationale hat das Ziel, diese Partei weltweit aufzubauen. Sie ist das fehlende Glied in der Kette zur Befreiung der Menschheit. Doch wir sind heute zu klein für die Aufgabe.
Und plötzlich hat sich die ganze Sache umgedreht. Das Problem ist nicht, dass die breiteren Massen nicht bereit sind für die Revolution. Die Massen werden lernen, keine Angst. Das Problem ist, dass wir, dass du noch nicht bereit bist für die Revolution. Wir müssen wachsen, wachsen, wachsen!
Es ist heute noch nicht möglich, die Massen vom kommunistischen Programm zu überzeugen. Aber denkst du wirklich, es sei unmöglich, in der Schweiz 1’000-2’000 junge Menschen in einer revolutionären kommunistischen Partei zu organisieren?
Unter dem Eindruck des Horrors des Kapitalismus denken heute in der Schweiz schon Tausende, dass es eigentlich eine Revolution bräuchte. Organisier dich und hilf mit, diese Schicht zu einer marxistischen Kraft zusammenzuschweissen! Schaffen wir das, so werden wir in der kleinen Schweiz einen bedeutenden Hebel haben, uns mit breiteren Schichten der Klasse zu verbinden, wenn sie in Bewegung treten.
Wir haben eine historische Chance. Ergreifen wir sie!
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