Die Anfang April geleakten Panama Papers sorgten schon für den Sturz eines Premierministers, brachten andere Staats- und Regierungschefs in arge Bedrängnis und löste weltweite Diskussionen über Briefkastenfirmen in Gang. Nur in der Schweiz wird das Thema kaum mit der Kneifzange angegangen. Dabei wäre gerade im Europäischen Hort des Finanzkapitals die Diskussion nötig.
Bild © Þórgnýr Thoroddsen, YouTube
Letztlich waren es etwa 22‘000 Menschen, die den Rücktritt des isländischen Premierministers Sigmundur Gunlaugsson bewirkten. Mit Protesten, die sechs Tage lang anhielten brachten die IsländerInnen nicht nur die grössten Demonstrationen in der Geschichte des kleinen Inselstaats mit seinen 330‘000 EinwohnerInnen zustande, sie jagten auch die konservative Regierung aus dem Amt. Grund für den Protest waren die Enthüllungen der Panama Papers gewesen, aus denen hervorging, dass der isländische Regierungschef eine millionenschwere Briefkastenfirma auf den Virgin-Islands besass. Nicht nur dass Gunlaugsson dem Parlament sein in Steueroasen geparktes Vermögen verschwiegen hatte, verdunkelte auf Island die Gemüter, auch die Rolle, die er in der Finanzkrise gespielt hatte, sorgte für Ärger in der Bevölkerung. Damals hatte er heuchlerisch davon gesprochen, dass man verhindern müsse, dass isländisches Kapital das Land verlasse.
Doch auch auf andere Personen aus der herrschenden Klasse und ihre Hinterzimmergeschäfte richtet sich nach den Enthüllungen, die die Panama Papers zutage förderten, der Unmut der Massen. So unterschrieben 120‘000 BritInnen eine Petition, die Neuwahlen fordert, nachdem bekannt wurde, dass der sparwütige Premier David Cameron Anteile der Briefkastenfirma seines Vaters besessen hatte. Die Petition hat genügend Unterschriften, so dass die Regierung des Vereinigten Königreich eine Antwort darauf formulieren muss und eine Parlamentsdebatte zum Thema abhalten muss. Kurz gesagt, die Enthüllungen schlagen Wellen.
Die Spitze des Eisberges
Es sind insgesamt 11,5 Millionen Dokumente, eine Datenmenge von 2,6 Terrabite, die die Machenschaften von – und die Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – 214‘488 Briefkastenfirmen aufdeckten.
Die Daten waren schon vor einem Jahr der Süddeutschen Zeitung zugespielt worden. Bis kurz vor der Veröffentlichung musste die riesige Menge an Daten von einer Heerschar von Journalisten – insgesamt waren 376 Personen an der Bearbeitung beteiligt – ausgewertet werden. Die Ergebnisse sollten ernüchternd für alle sein, die noch irgendwelche Hoffnungen in die Integrität der Herrschenden im kapitalistischen System setzten. So geht aus den Papieren die Beteiligung von 143 hochrangigen Politikern (darunter mehrere Staats- und Regierungschefs) an Offshore-Geschäften hervor. Weiter finden sich auf der Liste unzählige Verwandte von SpitzenpolitikerInnen aber auch internationale Drogenhändler, Diktatoren, TerroristInnen und auch Funktionäre von milliardenschweren Organisationen, wie der neue FIFA-Präsident Gianni Infantino. Dass die Offshore-Geschäfte tatsächlich dazu dienten Steuern zu verstecken oder Geld zu waschen ist auch schon aus mehreren Dokumenten im Zuge der Enthüllungen im April klar hervorgegangen. Mit den Panama-Papers wurden aber nicht «nur» die miesen «Steueroptiminierungsmassnahmen» der oberen Zehntausend publik, auch ausgewachsene Politskandale kamen ans Licht. So wurde enthüllt, dass saudische Unternehmen mithilfe von Briefkastenfirmen die Umgehung von internationalen Sanktionen verschleierten, um Treibstoff an die syrischen Machthaber zu verkaufen. Auch wenn wir es bei den Panama-Papers mit dem grössten Datenleck in der Geschichte zu tun haben und die Masse an Informationen die Grenzen der Vorstellungskraft sprengt, dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass auch nur schon ein nennenswerter Bruchteil dessen, was in Steueroasen getrieben wird, ans Tageslicht geschafft wurde.
Ja nicht darüber reden
Man könnte meinen, dass solche Enthüllungen auch in einem Land, wie der Schweiz zu enormen Diskussionen führt. Immerhin werden viele Schweizer Kreditinstitute, wie die Credit Suisse, die UBS oder das Basler Finanzinsitut J. Safra Sarasin mehrfach in den Dokumenten erwähnt. Bei der Anzahl von Offshore-Gründungen belegt der Luxemburger Ableger von J. Safra Sarasin gar den 2. Platz überhaupt. Auf Platz drei kommt die CS Ablegerin auf den britischen Kanalinseln und auf Platz 6 folgt dann noch die Genfer Vertretung der UBS. Insgesamt schafft die Schweiz es auf der Rangliste, von wo aus die meisten Offshore-Geschäfte getätigt wurden auf Platz 3 hinter Hongkong und Grossbritannien. Während sonst auch nur der kleinste Erfolg der Schweiz in irgendwelchen Randsporten zum Medienspektakel verkommt, schweigt sich zu den Panama Papers die Medienlandschaft in der Alpenrepublik völlig aus. Ein paar generelle Artikel fassen die Meldungen internationaler Nachrichtenagenturen zusammen, grosse Debatten gerade über die Rolle des Schweizer Finanzplatzes gab es aber keine. In der Arena des Schweizer Fernsehens wird lieber unter dem reisserischen Dreckstitel «Der Notfallplan – müssen wir uns gegen die Flüchtlinge wehren?» suggeriert, was rechte Maulhelden die ganze Flüchtlingskrise über zum Schlechtesten geben: Dass die grösste Gefahr von denen drohe, die nach Europa flüchten, weil sie nicht in Kriegsgebieten in Stücke gebombt werden möchten. Die bürgerlichen Nebelwerfer laufen auf Hochbetrieb, damit ja nicht über Schweizer Beteiligung am Offshore-Betrieb diskutiert wird. Der zeitgleiche Fall zweier Pubertierender, die sich aus religiösen Gründen weigern ihrer Lehrerin die Hand zu schütteln, dominiert tagelang die Medien. Nicht einmal der Umstand, dass der neue Fifa-Chef Gianni Infantino seinem Vorgänger Sepp Blatter in Korruption wohl in nichts nachzustehen versucht und mit TV-Rechte-Händlern, die unter Bestechungsverdacht stehen, sorgt für mehr als einen kleinen Sturm im Wasserglas.
Die Geschäfte mit Briefkastenfirmen sind hierzulande ein enorm profitables Geschäft, dass von Banken und Anwaltskanzleien orchestriert wird um das Geld der Bourgeoisie zu verstecken. Die Juso Schweiz hat beispielsweise das treffende Beispiel der Baarerstrasse in Zug herausgegriffen, an der insgesamt absurde 741 Briefkastenfirmen angesiedelt sind. Dass viele Spuren der Panama-Papers in die Steueroasen in den Alpen führen, sorgt aber bei der bürgerlich dominierten Politlandschaft in der Schweiz keinesfalls für rote Köpfe. Wo andernorts zumindest nach aussen hin über Steuerflucht als unmoralisch geschimpft wird, üben sich in der Schweiz die SteigbügelhalterInnen der Bourgeoisie in den Parlamenten darin, diese sogar zu verteidigen.
Bundesrat und Finanzdepartementsvorsteher Ueli Maurer stellt sich nach den Enthüllungen schützend vor die Vermögenden und erklärt, dass Offshore-Geschäfte an sich völlig legal sind. Dass Reiche ja sowieso einen Grossteil der Steuern zahlen, fast so als müsse man ihnen dankbar sein, dass sie überhaupt Steuern zahlen. Die Möglichkeit Vermögen der Kontrolle und dem Zugriff staatlicher Stellen zu entziehen müsse ihm zufolge weiterhin bestehen. Dabei warnte Maurer davor, stärker zu regulieren und unterschlägt damit, dass es mit der Regulierung von Finanztransaktionen in der Schweiz wirklich nicht weit her ist. Während von den bürgerlichen organisierte Sparprogramme über das Land fegen und die Reichen die Mär davon erzählen, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen und man das Rentenalter erhöhen müsse, sucht man immer neue Ausflüchte um am Status Quo ja nichts zu ändern. Die dummdreiste Schamlosigkeit mit der derart offensichtliche Missstände auch noch verteidigt werden, kann man nicht anders denn als Ausdruck davon werten, wie fern von der Realität die VertreterInnen des Kapitals sind.
Der zynische Ausdruck eines zynischen Systems
Für Millionen bedeutet die Krise, die wir seit 2008 erleben, ein massives Absacken des Lebensstandards. Löhne wurden gesenkt, der Sozialstaat wurde abgebaut, ganzen Generationen wird weltweit die Perspektive geraubt. Während den werktätigen Massen das sprichwörtliche Stück Brot aus dem Mund gerissen wird, sind aber die Reichsten noch reicher geworden. Zwar wurden 2008 im Fahrwasser des Platzens der Subprime-Blase einzelne Hedgefond-Manager zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt, doch der Erklärungsversuch, dass die Krise nur durch die Gier einiger weniger verursacht worden sei und das der Kapitalismus wegen einiger fauler Eier im Körbchen nicht an sich in Frage gestellt werden könne, hat sich als haltloser Vorwand erwiesen.
Die Panama-Papers zeigen deutlich, dass Betrug und Schattenwirtschaft für das Kapital ein völlig akzeptables Mittel sind, um den eigenen Wohlstand vor staatlichen Eingriffen zu schützen. Es zeigt sich damit nicht nur, wie krass die Verschmelzung von Strukturen des bürgerlichen Staates mit der Wirtschaft vorangeschritten ist, es zerschlägt auch jede Hoffnung im Rahmen dieses in sich menschlich völlig bankrotten Systems den Fortschritt zu erzielen, für den wir SozialistInnen, MarxistInnen und KommunistInnen kämpfen. Es genügt nicht darauf zu hoffen, dass bald wieder interne Daten einen Skandal darüber losbrechen, wie schmutzig und intransparent die Hinterzimmergeschäfte von KapitalistInnen aussehen. Während die Herrschaft des Kapitals nämlich für Millionen ein elendes Los bedeutet, nutzen die Mächtigen jedes Mittel, um ihre Macht nicht nur zu halten sondern auch auszubauen. Solange die Steueroasen ein derart praktisches Mittel sind, um auch nur die sanfteste Form der Umverteilung zu verhindern, werden sie nicht geschlossen werden. Dafür aufkommen sollen die Werktätigen durch die Streichung der sozialen Erungenschaften, die sie sich während Jahrzehnten erkämpfen konnten und ihrer Arbeitskraft, die täglich ausgebeutet wird. Die einzige Antwort auf ein derart verrottetes System kann nicht einfach nur der Ruf nach mehr Kontrolle der Kapitalmärkte sein. Kurzfristig kann durchaus viel aus dem Schatten geholt werden, wenn die Finanzinstitute und Banken, die den Offshore-Handel organisierten verstaatlicht werden. Doch die einzige langfristige Antwort auf die Intransparenz und die Schattenwirtschaft ist die radikale Umordnung der Besitzverhältnisse zugunsten der werktätigen Massen. Die einzige Antwort ist die Revolution.
Flo Sieber
Juso Thurgau
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