Der Zollschock erschüttert das «Erfolgsmodell Schweiz». Was in der Vergangenheit zu Reichtum und Stabilität führte, hat in der neuen Welt der Handelskriege und imperialistischen Konflikten seine Grundlage verloren.
Seit dem 7. August gelten 39 % Zölle auf die Schweizer Exporte in die USA. Trump straft die Schweizer Kapitalisten mit dem höchsten Zollsatz aller reichen Länder und dem vierthöchsten weltweit.
Und dies, nachdem die schweizerische herrschende Klasse über Monate Illusionen geschürt hatte, dass Bundespräsidentin Keller-Sutter erfolgreich verhandeln würde. Die Schweiz habe einen privilegierten Zugang zu den USA, hiess es. Schliesslich seien wir doch etwas Besonderes!
Ihr lächerlicher Cocktail aus Zweckoptimismus und naiver Selbstüberschätzung wurde durch Trumps «Zollhammer» zerschmettert. Die NZZ kommentiert: «Erst jetzt dämmert vielen, wie klein das politische Gewicht der Schweiz ist.» Willkommen auf dem Boden der Realität!
Die Schweiz tritt damit definitiv in die neue Periode ein. Das Ende der «regelbasierten Weltordnung» trifft das «Erfolgsmodell Schweiz» ins Mark. In der neuen Welt von Protektionismus und geopolitischer Blockbildung gibt es keinen Platz mehr für die kleine, exportabhängige Schweiz und ihr Modell, sich abseits der Konflikte der Grossmächte die profitabelsten Nischen zu sichern.
Es ist das Ende des Mythos vom «Sonderfall», mit dem uns die Herrschenden stets die Lüge verkauft hatten, die Schweiz sei eine Insel der Stabilität und Ruhe, auf ewig unbetroffen von einer Welt in Flammen und Trümmern.
Wie kann es sein, dass die ach so unschuldige kleine Schweiz von Trump für den härtesten Schlag auserwählt wurde? Die Bürgerlichen versuchen immer noch, diese «Ungerechtigkeit» auf unglückliche Zufälle und die Irrationalität des Donald J. zu schieben. Es ist nichts dergleichen. Hegel gab uns die dialektische Einsicht mit, dass sich im Zufall eine tiefere Notwendigkeit (Gesetzmässigkeit) ausdrückt.
Die Schweiz war die mitunter grösste Profiteurin der US-dominierten «regelbasierten Weltordnung» seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber diese liberale Ordnung, in der Freihandel und Globalisierung bestimmten, hat ihre Grundlage verloren.
Der Kapitalismus basiert auf Konkurrenz und Produktion für Profit. Da die Märkte heute übersättigt sind und von wenigen Monopolen dominiert werden, verschärft sich der Konkurrenzkampf. Protektionismus ist das notwendige Resultat davon. Nicht nur das: In diesem Rennen zwischen den Konkurrenten haben sich die Kräfteverhältnisse in den letzten Jahrzehnten grundlegend verschoben. Das Gewicht des US-Imperialismus hat relativ abgenommen, besonders im Verhältnis zum neu aufsteigenden chinesischen Imperialismus. Die Folge ist der laufende Kampf um die Neuaufteilung der Welt unter den rivalisierenden imperialistischen Blöcken. Trump ist Ausdruck davon und vehementester Antreiber dieses Bruchs mit der alten liberalen Ordnung.
Trump führt einen Wirtschaftskrieg gegen Länder mit einem Handelsüberschuss – die also mehr Güter in die USA exportieren, als sie von ihnen kaufen. Das ist Teil seiner Anerkennung, dass der US-Kapitalismus stark an Boden verloren hat und nicht mehr gleichermassen konkurrenzfähig ist. Sein Ziel ist eine Neuorganisierung der internationalen Arbeitsteilung, in der (illusorischen) Hoffnung, den relativen Niedergang des US-Imperialismus abzubremsen. «America First» ist der Versuch, die Arbeitslosigkeit und die kapitalistische Krise zu exportieren – auf Kosten aller anderen Länder, Schweiz inbegriffen.
Der Schlag gegen die Schweiz ist besonders hart, weil ihr Handelsüberschuss mit den USA besonders gross ist. Ist das zufällig? Die starke Exportindustrie war, zusammen mit dem überdimensionierten Bankensektor, immer einer der Pfeiler des kapitalistischen «Erfolgsmodells» der Schweiz.
Seit den 1990er Jahren ritt die Schweiz wie kaum ein anderes Land auf der Welle der Globalisierung. Nach der Krise 2008 retteten sich die Schweizer Kapitalisten dadurch, dass sie vermehrt nach China und vor allem in die USA exportierten. Die Exportindustrie, in erster Linie die mächtige Pharma, scheffelte weiter gigantische Profite.
Dadurch, dass ihre Grosskonzerne sich immer stärker in den Weltmarkt integrierten, schaffte es die Schweiz, sich besser und länger der kapitalistischen Krise zu entziehen als die Konkurrenz. Die überproportionale Abhängigkeit von Exporten machte den Schweizer Kapitalismus aber auch überproportional verwundbar. Mit dem Ende der regelbasierten Weltordnung und dem Abgleiten in Protektionismus kommt nun die Rechnung.
Und dann wäre da noch das Gold. Neben der Pharma, die für 2/3 des Handelsüberschusses mit den USA verantwortlich ist, trieben auch die Goldexporte den Überschuss in die Höhe. Die Schweizer Bourgeoisie jammert, es handle sich um ein dummes Missverständnis.
Doch auch hier drückt sich im Zufall eine tiefere Notwendigkeit aus. Warum liegen die wichtigsten Goldraffinerien der Welt ausgerechnet in der Schweiz? Weil sie von den Grossbanken aufgebaut wurden, die ihre Position als Dienstleister für die Drecksgeschäfte der Reichen während des gesamten 20. Jahrhunderts perfektioniert hatten.
Über Jahrzehnte haben sich die Schweizer Kapitalisten schamlos bereichert auf Kosten der Arbeiter und Unterdrückten des gesamten Planeten. Wenn sich die Schweizer Bourgeoisie heute über die Ungerechtigkeit von Trumps Angriff beklagt, dann weil sie feststellen muss, dass ihr ökonomisches Erfolgsmodell am Ende ist.
Der grosse Handelsüberschuss erklärt, warum Trump die Zölle gegen die Schweiz so hoch angesetzt hat. Doch warum ist es der Schweiz, anders als etwa der EU, nicht gelungen, einen Deal zu erreichen, um die Zölle noch herunterzuhandeln?
Weil sie zu klein, zu schwach und «zu neutral» ist, um der Grossmacht USA entweder etwas anbieten oder entgegenhalten zu können.
In der Vergangenheit hatte es die Schweiz geschafft, trotz ihrer Kleinheit eine wirtschaftlich völlig überdimensionierte Rolle in der Welt zu spielen. Die Schweizer Bourgeoisie hatte ihr ökonomisches Modell durch eine Neutralitätspolitik international abgesichert, die es ihr erlaubte, sich rauszuhalten und zwischen den Grossmächten zu lavieren. Das hat lange gute Resultate gebracht.
Sie musste nicht den finanziellen und politischen Preis verbindlicher Allianzen zahlen und hielt sich so alle Möglichkeiten offen, umso vorteilhaftere Wirtschaftsbeziehungen auf der ganzen Welt aufzubauen. Die Schweizer Bourgeoisie war sich gewohnt, überall eine Sonderrolle einzunehmen und auf nichts verzichten zu müssen.
Aber in der Welt der offenen Konfrontation zwischen den imperialistischen Blöcken schwindet der Spielraum dafür. Der Schweizer Kapitalismus steckt in einem Dilemma. Er braucht den US-Markt, er braucht Europa, er braucht China. Deshalb muss die Bourgeoisie versuchen, weiter zu lavieren, auszuweichen und abzuwarten. In den Verhandlungen mit Trump war der Bundesrat nicht bereit, sich den USA vollumfänglich unterzuordnen, weil das den Verlust von China und wahrscheinlich der EU bedeutet hätte. Das Resultat ist bekannt. Trump als Verkörperung der offenen Konfrontation hat nicht den geringsten Grund, der kleinen Schweiz weiter Ausnahmen zu gewähren.
Und so steht die Schweiz plötzlich abseits und isoliert da. Das alte Modell der Neutralität hat seine Grenzen erreicht. Aber ein neues hat die Schweizer Bourgeoisie nicht. Daher die Schockstarre und Verzweiflung der herrschenden Klasse.
Seit dem «Zollhammer» zerfleischt sich die Elite aus Wirtschaft, Politik und Medien mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Führer der Uhrenindustrie (Breitling-CEO) schiessen gegen die Pharma. Der Gewerbeverband und die SVP streiten sich im Bruderkrieg. Und alle attackieren den Bundesrat, der unfähig war, das Desaster abzuwenden. Die SVP macht den pro-europäischen Kurs von Cassis und Jans fürs Scheitern der Verhandlungen verantwortlich. Das pro-europäische Lager verschiesst sich auf Karin Keller-Sutter als Hauptzielscheibe aller Beschuldigungen.
Die Schlammschlacht offenbart, dass niemand von ihnen auch nur annähernd eine Lösung anzubieten hätte. Eine solche gibt es im Kapitalismus nicht mehr.
Die reformistische Linke um SP und Grüne fühlt sich beflügelt. Sie erhebt am lautesten die Stimme, dass der Bundesrat und KKS in dieser Krise versagt hätten und ihre «Anbiederungsstrategie an Trump kolossal gescheitert» sei. Zweifellos.
Aber was ist ihre Alternative? «Voll auf die EU setzen» und via Klage bei der Welthandelsorganisation gegen Trump vorgehen. Und diese Leute nehmen sich raus, irgendjemandem «Träumerei» (WOZ) vorzuwerfen!
Die EU steckt in einer strukturellen Wirtschaftskrise und ist das schwächste Glied im imperialistischen Ringen. Europa kann einen wegbrechenden US-Markt nicht kompensieren. Mit der Anbiederung an Europa statt an Trump werden keine Jobs verteidigt. Diese «Linke» – die eigentlich vom Interesse der Arbeiterklasse ausgehen müsste, um diesen Namen zu verdienen – sagt den Arbeitern der Schweiz damit nur, dass sie ihren Gürtel enger schnallen müssen.
Sie klagen, dass mit Trump nun das Recht des Stärkeren herrsche – und setzen ihre Hoffnung auf das «internationale Recht». Aber es liegt im Wesen des Kapitalismus, dass die Stärkeren die Schwächeren dominieren. Das «Recht» gilt immer nur solange und insofern, wie die Stärksten darin den besten Weg sehen, ihre Interessen durchzusetzen. Mit der Verschärfung der Krise werden die Konflikte wieder offener ausgetragen. Liberale und Moralisten mögen das bedauern. Aber es gibt kein Zurück zu einer «regelbasierten Weltordnung». Es gibt nur noch ein Vorwärts zum Sturz dieses ganzen kapitalistischen Systems.
Das «Erfolgsmodell» der Schweiz hatte es der Bourgeoisie erlaubt, sich 80 Jahre politische Stabilität zu kaufen und den Klassenkampf abzufedern. So hatte der Mythos «Sonderfall Schweiz» eine gewisse Grundlage. Aber alles hat ein Ende. Es ist Zeit, dass wir unsere Seite wählen.
Die Exportindustrie war eine Stütze dieser Stabilität. Doch in Wahrheit war sie, mit Ausnahme der Pharma, schon vor dem Handelskrieg stark angeschlagen. Das gilt insbesondere für die MEM-Industrie, die mit 330’000 Arbeitsplätzen den Rumpf der Schweizer Industrie ausmacht. Die US-Zölle werden den Druck weiter erhöhen: direkt durch die Last der Zölle. Indirekt, weil die Schweizer Unternehmen durch den deutlich höheren Zollsatz als die Konkurrenz einen harten Wettbewerbsnachteil aufgedrückt bekommen.
Die grössten Konzerne haben durchaus Möglichkeiten, ihre Profite zu retten und dem Zollschock auszuweichen. Es sind die kleineren und die Zulieferer, die draufgehen werden. Fabrikschliessungen und Massenentlassungen werden sich häufen. Der Schweiz steht ein Schub der Deindustrialisierung bevor. Das betrifft Zehntausende Arbeitsplätze. Die Leidtragenden sind die Arbeiter und ihre Familien.
Was auch immer die Kapitalisten und bürgerlichen Politiker sagen, die Leben der Schweizer Arbeiter sind ihnen komplett egal. Das «Team Switzerland», das der Bundesrat zur «Rettung der Schweiz» in die USA entsandte, besteht aus Milliardären aus der Pharma, dem Rohstoffhandel und dem Finanzsektor. In diesem Handelskrieg zwischen den Schweizer Kapitalisten und den US-Kapitalisten geht es ihnen darum, ihre Märkte und Profite gegenüber der Konkurrenz zu retten.
Der Arbeitgeberverband nutzt die Zollsituation jetzt schon, um die Forderungen nach Lohnerhöhungen zu bekämpfen. Und das, während der Druck auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse durch Prämien und Mieten schon länger steigt und steigt! In dem Masse, wie die Profite der Schweizer Kapitalisten im Ausland wegbrechen, werden sie die Arbeiterklasse im Inland angreifen müssen.
Die entscheidende Linie verläuft nicht zwischen Trump und der Schweiz. Die entscheidende Linie verläuft zwischen Arm und Reich, zwischen der internationalen Arbeiterklasse und der Bourgeoisie in allen Ländern.
Um das Leben und die Jobs der Arbeiterklasse zu verteidigen, müssen wir den Kampf gegen die Krise ihres gesamten Systems vorbereiten. Das beginnt beim Klassenkampf gegen «unsere» eigenen Kapitalisten und ihre Regierung: gegen die Pharma, die Banken, den Bundesrat und ihre Medien und Parteien.
Zeitung — von Damiano Capelli, Basel — 18. 08. 2025
Kunst & Kultur — von Flo Trummer, Zürich — 10. 08. 2025
Schweiz — von Exekutivkomitee — 01. 08. 2025