Die Ankündigung des russischen Verteidigungsministeriums, dass seine Streitkräfte die ukrainische Stadt Awdijiwka vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben, ist ein verheerender Schlag für die Ukraine und mit ziemlicher Sicherheit ein entscheidender Wendepunkt in diesem Krieg.
Awdijiwka, das von Russen Avdeyevka genannt wird, hat ein Jahrzehnt von Konflikten hinter sich. Die Stadt wurde 2014 von Kräften der Donezker Republik eingenommen. Als die Ukraine die Stadt zurückeroberte, baute sie umfangreiche Befestigungsanlagen.
Die Stadt galt daher als praktisch uneinnehmbarer Stützpunkt, den die Russen nur schwer, wenn überhaupt, würden einnehmen können. Ausserdem betonte die ukrainische Führung immer wieder, dass es sich um eine wichtige strategische Position handelte, deren Verlust allen ukrainischen Hoffnungen auf einen Sieg einen schweren Schlag versetzen würde.
Aus all diesen Gründen wird der Fall von Awdijiwka schwere Auswirkungen auf die Moral der ukrainischen Öffentlichkeit im Allgemeinen und der ukrainischen Streitkräfte im Besonderen haben.
Eine der vermeintlich stärksten und am besten befestigten Stellungen der ukrainischen Verteidigungskräfte ist gefallen. Sporadisches Geschützfeuer ist noch zu hören, aber der Kampf um Awdijiwka ist nun praktisch beendet.
Doch diese erstaunlichen Entwicklungen, von denen man erwarten würde, dass sie in der westlichen Presse eigentlich eine Schlagzeile wert wären, wurden mit einem ohrenbetäubenden Schweigen quittiert.
Stattdessen war die gesamte Berichterstattung der westlichen Medien nur einer einzigen Frage gewidmet: dem Tod von Alexej Nawalny in einem russischen Gefangenenlager. Da er der wichtigste Anführer der vom Westen unterstützten bürgerlich-liberalen Opposition in Russland war, war dies ziemlich vorhersehbar, ebenso wie die sofortige Verurteilung durch die westlichen Machthaber.
US-Präsident Joe Biden und alle anderen gaben sofort Erklärungen ab, dass er auf direkten Befehl von Wladimir Putin ermordet worden sei. Das mag wahr sein und ist durchaus plausibel. Andererseits kann es aber auch nicht stimmen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es unmöglich, sicher zu sein.
Aber die Eile, mit der die führenden Politiker der westlichen Welt in einen ohrenbetäubenden Chor einstimmten, um den Mann im Kreml zu verurteilen (der regelmässig für alles Mögliche verantwortlich gemacht wird, sogar für das Wetter) und zu sagen, dass dies ein weiterer Beweis für die «russische Barbarei» sei, ist höchst verdächtig.
Der Tod von jedem Mann oder jeder Frau mag eine Tragödie sein. Das Ausmass und die Lautstärke der Verurteilung scheinen jedoch etwas fehl am Platz zu sein. Es entsteht der Eindruck, dass die ganze Welt auf die Strasse gegangen ist, um gegen den Tod eines Mannes in Russland zu protestieren. Es ist jedoch zweifelhaft, dass die meisten Menschen im Westen überhaupt wissen, wer er ist.
Was die Demonstrationen in Russland angeht, so ist es schwer, sich ein genaues Bild von ihrem Ausmass zu machen. Aber aus einer Reihe von Gründen ist es zweifelhaft, ob mehr als eine relativ kleine Zahl von Menschen daran beteiligt war. Klar ist jedoch, dass sie mit Verhaftungen und Polizeibrutalität beantwortet wurden, was in Putins Russland heute die Regel ist.
Auffallend ist, dass die Polizeigewalt in Russland gegen pro-Nawalny-Demonstranten so extrem dargestellt wird, während die jetzt immer extremer werdende Polizeigewalt gegen pro-palästinensische Demonstranten in den Medien kaum Erwähnung findet.
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass in Russland ein Mann auf Befehl des Staatschefs ermordet wurde. Dies wird als ein abscheulicher Verstoss gegen alle Werte der Menschlichkeit angesehen.
Der britische Aussenminister, Lord Cameron, warnte düster, dass das «Konsequenzen» haben werde.
In welcher Form diese Bestrafung erfolgen soll, bleibt jedoch völlig unklar. Da die westlichen Staaten bereits alle erdenklichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um Präsident Putin und Russland zu bestrafen, mit Ausnahme eines Attentats oder einer Kriegserklärung, ist ihr Arsenal an Drohungen ebenso erschöpft wie ihre Vorräte an Geld und Waffen für die Ukraine. Die Drohungen können daher kaum mehr als grosszügige Menge heisser Luft sein.
Der Präsident der Vereinigten Staaten hat wiederholt seine feste Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass der Mann im Kreml für den Tod eines Menschen bestraft werden sollte.
Doch Joe Bidens guter Freund Netanjahu ermordet seit vier Monaten täglich eine grosse Zahl von Männern, Frauen und Kindern im Gazastreifen; und dennoch wird dies in der westlichen Presse nicht als Beweis für mörderische Absichten oder einen Verstoss gegen die zivilisierten Normen dargestellt. Heutzutage wird dies nur noch am Rande erwähnt, während das Gemetzel unvermindert, und ganz sicher unbestraft, weitergeht.
Oh ja, Joe Biden gibt jetzt vor, dass ihm die unschuldigen Opfer in Gaza sehr leid tun. Aber während er keinen Einfluss auf die Handlungen von Präsident Putin in Russland nehmen kann, hat er alle Mittel in der Hand, um Israels mörderischem Treiben sofort ein Ende zu setzen, indem er einfach alle finanzielle und militärische Hilfe einstellt.
Er tut jedoch nichts dergleichen. Die Waffen und Dollar fliessen weiterhin in Israels Kassen und werden dafür eingesetzt, Zivilisten in Gaza zu töten. Der Mann im Weissen Haus macht sich also mitschuldig an der Ermordung nicht nur eines Menschen, sondern unzähliger unschuldiger Männer, Frauen und Kinder.
Was auch immer die Wahrheit über die Umstände von Nawalnys Tod sein mag, der Chor der empörten Moral der westlichen Imperialisten kann mit Verachtung als ein weiteres Beispiel für ihre stinkende Heuchelei und ihren Zynismus abgetan werden.
Tatsache ist, dass diese Nachricht ihnen eine goldene Gelegenheit geboten hat, die wichtigsten Nachrichten zu verdrängen, die nicht aus Russland, sondern aus der Ukraine kommen, wo die Ereignisse in den letzten Tagen eine sehr dramatische Wendung genommen haben.
Russlands Verteidigungsministerium sagte, dass ihre Truppen Awdijiwka besetzt hatten, nachdem die Stadt durch tödliches Bombardement fast entvölkert und völlig verwüstet worden war.
Der Fall von Awdijiwka ist nur eine Fortsetzung der Ereignisse, die nach dem katastrophalen Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive letzten Sommer folgten. Genau wie wir voraussagten, war es den ukrainischen Kräften nicht gelungen, die russischen Linien zu durchbrechen und sie wurden mit heftigen Verlusten zurückgedrängt.
Die Taktik der russischen Armee orientiert sich eng an Clausewitz, der darauf hinwies, dass das Ziel der Kriegsführung nicht in der Eroberung von Städten oder Gebieten liegt, sondern darin, die gegnerischen Streitkräfte zu vernichten und sie widerstandsunfähig zu machen.
Das Hauptziel bestand darin, die ukrainischen Streitkräfte in einem brutalen Zermürbungskrieg zu zerstören. Die Russen wurden dabei in hohem Masse durch die Dummheit der militärischen und politischen Führung in Kiew unterstützt, die hartnäckig darauf besteht, sinnlose Offensiven zur Rückeroberung verlorener Gebiete zu machen und sich weigert, einen Rückzug auch nur in Erwägung zu ziehen.
Dieser Wahnsinn war es, der das Schicksal von Awdijiwka wirklich entschieden hat, und nicht, wie sie jetzt zu argumentieren versuchen, der Mangel an Geld und Waffen aus dem Westen. Die Wahrheit ist, dass vor allem Amerika Milliarden von Dollar und riesige Mengen an Waffen in das Fass ohne Boden, das der Ukraine-Kriege darstellt, geworfen hat.
Hat dies zum Sieg geführt? Im Gegenteil, es hat die Ukraine von einer sinnlosen Aktion zur nächsten und schliesslich in die unvermeidliche Niederlage geführt. Doch diese offensichtliche Wahrheit können die starrsinnigen und kurzsichtigen Führer in Kiew und ihre imperialistischen Unterstützer in Washington und London nicht verstehen.
Das Desaster an der Front und die zunehmende Kriegsmüdigkeit der Truppen und der Zivilisten haben Spannungen entstehen lassen, die in den letzten Monaten zu politischen Krisen geführt haben. Dies hat sich in einer offenen Konfrontation zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und seinem Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj gezeigt.
Der Präsident war gezwungen, etwas zu tun, was sonst während einem Krieg nie gemacht wird: einen neuen Befehlshaber für die Kriegsführung zu ernennen. Diese politische Krise hatte auch schwerwiegende Auswirkungen auf das Geschehen auf dem Schlachtfeld.
Am Sonntagmorgen nahmen die Dinge plötzlich eine dramatische Wendung, als Generaloberst Oleksandr Syrskyi, der nach der dramatischen Entlassung von General Saluschnyj das Kommando über das ukrainische Militär übernommen hatte, verkündete, dass sich die ukrainischen Streitkräfte in sicherere Stellungen ausserhalb der Stadt zurückgezogen hätten, angeblich «um eine Einkreisung zu vermeiden und das Leben und die Gesundheit der Soldaten zu schützen».
Für die Soldaten auf dem Schlachtfeld muss dies wie grausame Ironie geklungen haben, denn sie hatten bereits selbst beschlossen, ihr Leben und ihre Gesundheit zu retten, ohne sich mit ihren Befehlshabern in Kiew abzusprechen, indem sie einfach vor den vorrückenden russischen Truppen flohen.
Der Befehl zum Rückzug hätte vielleicht schon eine Woche früher einen gewissen Sinn ergeben, als die russischen Vorstösse eindeutig einen Punkt erreicht hatten, an dem die belagerten Truppen in der zerstörten Stadt unmittelbar von der Einkreisung und Vernichtung bedroht waren.
Es wäre einfach, General Syrskyi für dieses Versagen verantwortlich zu machen. Aber das wäre schrecklich unfair. Schliesslich hatte er das Kommando erst seit etwa einer Woche inne. Das militärische Debakel in Awdijwvka war schon lange vorher völlig vorhersehbar.
Vor etwa zwei Monaten warnte der damalige Oberbefehlshaber Saluschnyj, dass die Russen die Stadt in drei bis sechs Monaten einnehmen würden. Die Vorhersage war zwar zutreffend, doch lag er mit seinem Timing bedauerlicherweise weit daneben. Die russischen Streitkräfte rückten viel schneller vor und organisierten den Angriff viel effizienter, als er erwartet hatte.
Diese Tatsache alleine zeigt das Ausmass der Inkompetenz auf höchster Ebene der ukrainischen Militärführung und auch die Unfähigkeit ihrer Geheimdienste. In Kriegen ist das Timing immer von entscheidender Bedeutung.
Auf jeden Fall zeigt es, dass wenn Saluschnyj davon überzeugt war, dass die Russen Awdijiwka unweigerlich einnehmen würden, dann war das sture Beharren auf der Verteidigung der Stadt um jeden Preis ein grundlegender Fehler, der das Leben Tausender ukrainischer Soldaten gefährdete.
Jeder halbwegs fähige militärische Befehlshaber hätte unter diesen Umständen sofort Massnahmen ergreifen müssen, um die überlebenden Truppen, die unter unglaublich schwierigen und gefährlichen Umständen heldenhaft auf ihren Posten geblieben waren, abzuziehen und so viele Menschenleben zu retten – obwohl ein solcher Rückzug zu diesem Zeitpunkt unweigerlich weitere Verluste zur Folge gehabt hätte. Doch ein solcher Befehl wurde nicht gegeben. Ganz im Gegenteil.
Weit davon entfernt, einen geordneten Rückzug vorzubereiten und die verfügbare Zeit zu nutzen, um eine solidere Verteidigungslinie zu errichten, hinter die sich die ukrainischen Streitkräfte hätten zurückziehen können, beharrte die militärische Führung in Kiew weiterhin darauf, dass die Verteidigung von Awdijiwka von grösster Bedeutung sei und um jeden Preis aufrechterhalten werden müsse. Saluschnyj erteilte keine derartigen Befehle, und zwar aus dem einfachen Grund, dass er zu sehr damit beschäftigt war, einen Fraktionskampf gegen Selenskyj zu führen, um seine eigene Position zu halten. Als der Befehl zum Rückzug gegeben wurde, war es daher schon viel zu spät.
Dies war kein Rückzug, sondern eine grässliche Niederlage. In einem unbeschreiblichen Chaos und Blutvergiessen ergaben sich Tausende von schockierten ukrainischen Soldaten, oder flohen in Panik über offene Felder, wo sie einem gnadenlosen Bombardement aus der Luft und vernichtendem Maschinengewehrfeuer ausgesetzt waren.
Die Szenen, die sich jetzt in und um Awdijiwka abspielen, sind von unsagbarem Grauen. Dies war keine Schlacht, sondern ein blutiges Massaker. Zahlenmässig und waffentechnisch unterlegen und ausmanövriert, droht den ukrainischen Verteidigern nun die sichere Vernichtung, wenn sie nicht kapitulieren und ihre Waffen niederlegen.
Einige ukrainische Streitkräfte sollen sich noch immer in der Koksfabrik aus der Sowjetzeit verschanzt haben, die einst zu den grössten Europas gehörte. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte: «Es werden Massnahmen ergriffen, um die Stadt vollständig von Kämpfern zu räumen und ukrainische Einheiten zu blockieren, die die Stadt verlassen haben und sich in der Koks- und Chemiefabrik von Awdijiwka verschanzt haben.»
Das russische Staatsfernsehen zeigte jedoch, wie die blauen und gelben ukrainischen Flaggen in Awdijiwka eingeholt und die weiss-blau-rote russische Trikolore gehisst wurde, auch über der Kokerei. Die Schlacht ist im Grunde genommen vorbei.
Die Frage, die sich viele Ukrainer jetzt stellen, lautet: Worum ging es eigentlich? Wofür kämpfen wir eigentlich?
Der Fall von Awdijiwka zeigt, dass die westlichen Medien die Kampffähigkeit der russischen Streitkräfte, die Qualität ihrer Waffen und Ausrüstung und die Kompetenz ihrer Befehlshaber beharrlich unterschätzt haben.
Biden hatte zuvor gewarnt, dass Awdijiwka wegen Munitionsmangels an die russischen Streitkräfte fallen könnte, nachdem die republikanische Opposition im Kongress monatelang ein neues US-Militärhilfepaket für Kiew blockiert hatte.
Der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umerow sagte: «Awdijiwka hat gezeigt, dass moderne Luftabwehrsysteme notwendig sind, um Lenkbomben und Langstreckenwaffen zur Zerstörung feindlicher Verbände abzuwehren.» Er betonte auch den Bedarf an Artilleriegeschossen.
Dieses alte Lied klingt nun eindeutig wie ein Vorwand für die Niederlage – und genau das ist es auch.
Berichten zufolge rief Biden Selenskyj am Samstag an, um die fortlaufende Unterstützung der USA für die Ukraine zuzusichern, was er mit der dringenden Notwendigkeit verband, dass der Kongress ein neues Hilfspaket verabschieden würde. Das Weisse Haus wiederum zeigte auf die Republikaner und behauptete, die Ukrainer seien gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen, weil «die Vorräte infolge der Untätigkeit des Kongresses schwinden», was zu «Russlands ersten nennenswerten Gewinnen seit Monaten» geführt habe.
Die Reihe der Schuldzuweisungen hat also ernsthaft begonnen. Biden zeigt anklagend mit dem Finger auf die Republikaner im Kongress, die angeblich die Geld- und Waffenlieferungen an Kiew sabotiert und damit das heldenhafte ukrainische Volk verraten hätten.
Die westliche Waffen- und Munitionsproduktion ist völlig unzureichend, um die Ukrainer zu versorgen, die Munition und Raketen abfeuern, als gäbe es kein Morgen. Leider ist das Morgen nun plötzlich da.
Weder Russland noch die Ukraine haben nähere Angaben zu ihren Verlusten in den heftigen Kämpfen um Awdijiwka oder im gesamten Krieg gemacht. Nach Einschätzungen westlicher Geheimdienste sind auf beiden Seiten Hunderttausende von Menschen getötet oder verwundet worden. Wie hoch die tatsächliche Zahl auch sein mag, Tatsache ist, dass die Ukraine diese Verluste nicht ersetzen kann, während es Russland weder an Männern noch an Waffen oder Munition mangelt.
In einem Telegramm gratulierte Putin dem russischen Befehlshaber der Truppen, die Awdijiwka einnahmen, Generaloberst Andrej Mordwitschew: «Ewiger Ruhm den Helden, die bei der Erfüllung der Aufgaben der militärischen Sonderoperation gefallen sind!»
Die russischen Streitkräfte rückten entlang der gesamten Frontlinie weiter vor und eroberten einen Punkt nach dem anderen. Am Sonntag, dem Tag, an dem Awdijiwka fiel, meldeten die ukrainischen Streitkräfte eine russische Offensive an der Südfront in der Gegend von Saporischschja.
Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob dies das nächste Ziel dessen sein wird, was klar eine russische Offensive ist. Aber es steht ausser Zweifel, dass die Ukrainer keine Möglichkeit mehr haben, diese aufzuhalten.
Langsam dringt die Wahrheit auch in die dicksten Schädel in Washington und London ein: Die Chancen der Ukraine, Russland zu besiegen, sind jetzt praktisch gleich Null. Auch wenn die meisten Politiker dies in der Öffentlichkeit nicht aussprechen können, so stellen sie sich doch unter vier Augen offen die Frage: Können wir es uns leisten, so weiterzumachen?
Während die Schlacht um Awdijiwka ihren blutigen Höhepunkt erreichte, versammelten sich die Staatsoberhäupter der westlichen Staaten in Deutschland zur Münchner Sicherheitskonferenz 2024. Dieses Treffen der Reichen und Berühmten wurde als weltweit führendes Forum zur Diskussion der dringendsten Herausforderungen für die internationale Sicherheit beworben.
Doch die Stimmung in diesem Jahr stand im krassen Gegensatz zu der optimistischeren Veranstaltung im Jahr 2023. Wie Heather Conley, Leiterin des German Marshall Fund, es ausdrückte: «Letztes Jahr war die Stimmung sehr selbstgefällig, da so viel Hoffnung in die ukrainische Gegenoffensive gesetzt wurde.»
Doch die demütigende Niederlage dieser Gegenoffensive hat diese törichten Illusionen zunichte gemacht und zumindest einige der Anwesenden gezwungen, ihren Verstand zu benutzen und nachzudenken: «Wir werden erleben, dass die Ukraine auf dem Schlachtfeld Verluste erleidet, wir könnten erhebliche russische Gewinne sehen, und die Ukrainer haben keine Munition mehr», so Conley.
Die Stimmung auf der Münchner Konferenz wird aus einem Bericht der NY Times deutlich: «Die mürrische Stimmung stand in krassem Gegensatz zu der vor einem Jahr, als viele der gleichen Teilnehmer – Geheimdienstchefs und Diplomaten, Oligarchen und Analysten – glaubten, dass Russland am Rande einer strategischen Niederlage in der Ukraine stehen könnte. Es war die Rede davon, wie viele Monate es dauern könnte, die Russen an die Grenzen zurückzudrängen, die vor ihrem Einmarsch am 24. Februar 2022 bestanden. Jetzt erscheint dieser Optimismus bestenfalls verfrüht, schlimmstenfalls leicht wahnhaft.»
Wahnhaft ist genau das richtige Wort, um die Art von künstlicher Blase zu beschreiben, in der die westlichen Führer zu leben gewohnt waren. Und trotz aller Beweise, die sich auf dem Schlachtfeld angesammelt hatten, schienen sich die Bewohner dieser Blase mit ihren Wahnvorstellungen recht wohl zu fühlen.
Zwischen einem Cocktail-Empfang und dem nächsten ermutigten diese privilegierten Damen und Herren das leidgeprüfte ukrainische Volk, seinen heldenhaften Widerstand gegen die russische Aggression fortzusetzen. Wie üblich waren sie bereit, bis zum letzten Tropfen ukrainischen Blutes zu kämpfen.
Dies ist natürlich eine sehr sichere Art von Heldentum … über tausend Meilen entfernt von den blutgetränkten Schlachtfeldern von Donezk. Hier steht die schreckliche Realität des Krieges in krassem Gegensatz zu den absurden Wahnvorstellungen, die sich in den Gehirnen der führenden Politiker in den USA und Europa hartnäckig halten – immer vorausgesetzt, dass sie überhaupt so etwas wie ein Gehirn besitzen.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg, gab sich selbstverständlich wieder als Verfechter von Sicherheit, Friede, Freude und Eierkuchen sowie von Demokratie und all den anderen Grundprinzipien westlicher, christlicher Werte.
Ebenfalls anwesend war die Witwe von Alexej Nawalny, deren Beitrag zur Aufrechterhaltung der europäischen Sicherheit sich auf die Forderung zu beschränken scheint, dass der Westen Russland die Stirn bietet.
Dies war wie Musik in den Ohren von Stoltenberg, der es nicht versäumte, diese Worte zu nutzen, um seine übliche kriegslüsterne Rede aufzupeppen.
Er forderte Russland auf, «ernste Fragen» zum Tod von Alexej Nawalny zu beantworten, und betonte, dass Russland letztlich die Verantwortung trage und dass die beste Art, Nawalnys Andenken zu ehren, darin bestehe, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden Ukrainer weiterhin zu unterstützen. Damit liess er die Katze aus dem Sack.
Bemerkenswert war auch die Anwesenheit von Vertretern des militärisch-industriellen Komplexes der USA: Der Präsident und CEO von Lockheed Martin, James Taiclet, und eine Delegation von Boeing, darunter der Präsident und CEO von Boeing Defense, Ted Colbert. Sie alle traten auf wie hungrige Geier, die über den Leichen auf einem Schlachtfeld kreisen.
Jemand sagte einmal zu Lenin: «Krieg ist schrecklich», worauf er antwortete: «Ja, schrecklich profitabel». Neben dem obsessiven Hass auf Russland, der aus der Zeit des Kalten Krieges in Bidens Weissem Haus fortbesteht, gibt es sehr materielle Interessen, die dafür sprechen, das entsetzliche Gemetzel in der Ukraine so lange wie möglich fortzusetzen.
Stoltenberg verwies mit Stolz auf die Rekordzunahmen bei den Verteidigungsausgaben und der Rüstungsproduktion der westlichen Länder als Beispiele dafür, wie sich das Bündnis an eine gefährlichere Welt anpasst, indem es sie noch gefährlicher macht.
An dieser Stelle schlich sich ein Hauch von Sorge in seine Rede ein. Schwer erschüttert von Donald Trumps spontaner Bemerkung, dass die USA nicht bereit sein würden, NATO-Mitglieder zu verteidigen, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkämen, betonte Stoltenberg, dass die europäischen Verbündeten und Kanada ihre Hilfe für Kiew aufstocken, und er warnte, dass es für die USA «lebenswichtig und dringend» sei, diesem Beispiel zu folgen.
Stoltenberg richtete sich mit seinen Äusserungen eindeutig an den US-Kongress im Allgemeinen und die Republikaner im Besonderen. Letztere zeigen jedoch derzeit keine Anzeichen dafür, dass sie ihren Widerstand dagegen aufgeben, noch mehr Geld in das schwarze Loch in der Ukraine zu schicken. Ob sie ihm zugehört haben oder nicht, ist eine Frage der Spekulation.
In Gesprächen mit Delegationen beider Seiten des US-Senats betonte Stoltenberg, dass eine starke NATO im nationalen Interesse der USA liege, und unterstrich die dringende Notwendigkeit, weitere Hilfen für die Ukraine zu bewilligen.
Natürlich kam Volodymir Selenskyj nicht umhin, an einer Versammlung der Reichen und Mächtigen teilzunehmen, die ihm die Unterstützung und den Beifall zukommen lassen, den er in seinem eigenen Land offensichtlich vermisst.
So fand er sich in einem Moment äusserster nationaler Not in München wieder, erneut auf einer globalen Sicherheitskonferenz, und plädierte für mehr Waffen, um den, wie er es nannte, «künstlichen» Mangel zu beheben und er unterstrich die dringende Notwendigkeit, dass die USA ihr ins Stocken geratenes Hilfspaket durchbringen.
Er lobte seine Truppen dafür, dass sie die russischen Streitkräfte in Awdijiwka «erschöpft» hätten, und deutete an, dass der Rückzug zum Teil auf einen Mangel an Waffen zurückzuführen sei. In seiner Rede gab es keinen Hinweis darauf, dass es überhaupt eine ernsthafte Niederlage gegeben hat!
«Jetzt wird [das Militär] sich wieder vorbereiten, es wird auf die entsprechenden Waffen warten, von denen es einfach nicht genug gab, einfach nicht genug gibt», sagte er. «Russland hat Langstreckenwaffen, während wir einfach nicht genug haben».
Was der ukrainische Präsident vergisst zu erwähnen, ist, dass es nicht nur die Ukraine ist, die «einfach nicht genug hat». Es ist die gesamte westliche Allianz, deren Bestände an Waffen, Raketen und Munition durch massive Lieferungen an die Ukraine so stark dezimiert wurden, dass sie nicht mehr in der Lage ist, die Forderungen von ihm und seinen Generälen zu erfüllen.
Selenskyjs Unterstützung schwindet rapide. Er versucht, eine neue grosse Mobilmachung durchzusetzen. Dies stösst jedoch auf den wachsenden Widerstand einer Bevölkerung, die des Krieges überdrüssig geworden ist und der Regierung nicht mehr glaubt, was sie über die Aussichten auf einen Sieg sagt.
Die Nachrichten von der Front sickern allmählich durch und verbreiten sowohl in den Truppen als auch in der Zivilbevölkerung ein Gefühl der Verzagtheit und des Defätismus.
Der Fall von Awdijiwka wird die Stimmung der Unzufriedenheit und des Zorns nicht nur gegen Putin, sondern vor allem gegen die politische und militärische Führung in Kiew, die für die derzeitige katastrophale Lage verantwortlich gemacht wird, enorm verstärkt haben.
Wie lange diese Situation andauern kann, ist schwer vorherzusagen. Aber es ist klar, dass die Zeit für die ukrainische Seite und für den Westen knapp wird. Von einem ukrainischen Sieg über Russland kann keine Rede mehr sein. Tatsache ist, dass es eine solche Möglichkeit nie gegeben hat.
Die Menschen in der Ukraine sind die Hauptopfer dieses schrecklichen Verbrechens. Von Anfang an wurden sie mit falschen Illusionen getäuscht und in einen unnötigen und katastrophalen Konflikt mit einem weitaus mächtigeren Nachbarn getrieben.
Selenskyj wäre vielleicht gut beraten, sein Rückflugticket nach Kiew zu stornieren und in München zu bleiben, wo ihm ein bequemer Ruhestand sicher ist. In seinem eigenen Land schwindet seine Unterstützung von Tag zu Tag, wenn nicht sogar von Stunde zu Stunde.
Es ist vielleicht noch zu früh, um zu sagen, dass das Debakel von Awdijiwka das Ende des Krieges bedeutet. Aber es ist sicherlich der Anfang vom Ende, an dem nichts mehr geändert werden kann.
In Wirklichkeit sind diejenigen, die das ukrainische Volk auf schändliche Weise betrogen haben, Joe Biden, Boris Johnson und ihre kriminellen Verbündeten in der NATO, die die Ukraine absichtlich in einen Krieg getrieben haben, den sie niemals gewinnen konnte, und die nun versuchen, die Qualen, das Leiden und den Tod des Volkes zu verlängern, dessen Interessen sie zu verteidigen vorgeben.
Ursprünglich publiziert am 19.2.2024, auf marxist.com
Schweiz — von Martin Kohler, Bern — 23. 12. 2024
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024
Nah-Ost — von Hamid Alizadeh, marxist.com — 08. 12. 2024
Nordamerika — von Alan Woods, marxist.com — 27. 11. 2024