Die folgende Stellungnahme der International Marxist Tendency (IMT) bekundet unsere Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Wir beantworten die himmelschreiende Heuchelei des westlichen Imperialismus und seiner Lakaien, die sich hinter den israelischen Staat stellen, der nach dem Überraschungsangriff der Hamas am 7. Oktober nun blutige Rache nimmt. Wir erklären ausserdem, wieso die Freiheit Palästinas nur durch revolutionäre Mittel und den Sturz des Kapitalismus in der gesamten Region erreicht werden kann.
Der von der Hamas am Samstag, den 7. Oktober, gestartete Blitzangriff hat auf der ganzen Welt Schockwellen ausgelöst. Er wurde sofort mit einem Chor der Verurteilung von Seiten westlicher Regierungen beantwortet.
Der Angriff wurde von den Medien sofort in den grauenvollsten Farben dargestellt. Die westliche öffentliche Meinung wurde von dem, was bei uns ironischerweise als „freie Presse“ bezeichnet wird, gründlich darauf vorbereitet, in diesem Konflikt Partei zu ergreifen, der wie üblich als einer zwischen den Kräften des Guten vs. den Kräften des Bösen dargestellt wird.
In dieser Komödie der Irrungen sind die Rollen bequemerweise vertauscht. Die Opfer werden zu Aggressoren und die Aggressoren werden zu Opfern. Diese Lüge wird von einem ständigen Schwall moralischer Verurteilungen von Gewalt, Mord und all den anderen grässlichen Merkmalen des Terrorismus untermauert.
In Washington „schäumte“ Präsident Biden laut der New York Times vor Wut, als er die Taten als das „reine Böse“ bezeichnete und sich ausdrücklich dazu bekannte, Israel gegen den Terrorismus beizustehen.
Der Präsident der reichsten und mächtigsten Nation der Welt verlor keine Zeit und verkündete, dass die USA die Lieferung zusätzlicher Ausrüstung, Ressourcen und Munition an Israel beschleunigen sowie dass sie ihren neuesten und modernsten Flugzeugträger mit einer ganzen Flugzeug-Kampftruppe ins östliche Mittelmeergebiet schicken werden.
Das Töten von Menschen ist etwas, das natürlicherweise bei den meisten Abscheu hervorruft. Wir werden ständig an das biblische Gebot „Du sollst nicht töten“ erinnert.
Dieses Gebot hat auf den ersten Blick einen absoluten Charakter. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die Abneigung der herrschende Klasse und der Medien gegenüber Gewalt und Mord keineswegs absolut ist, sondern einen äusserst relativen Charakter hat.
Wenn normale Menschen ihr Entsetzen und ihre Empörung über die Gräueltaten zum Ausdruck bringen, über die sie in der Zeitung lesen, ist das eine völlig normale menschliche Reaktion, die wir verstehen und nachempfinden können.
Aber wenn dieselben Worte von einem amerikanischen Präsidenten ausgesprochen werden, an dessen Händen das Blut unzähliger Unschuldiger klebt, können wir nur mit den Schultern zucken und uns angewidert abwenden.
Die imperialistischen Schurken, die vorgeben entsetzt von der Gewalt zu sein, haben schon oft grausame Angriffskriege geführt. Sie haben nicht damit gezögert, blutige Kriege gegen den Irak und Afghanistan zu starten, die zwei Jahrzehnte andauerten und in denen hunderttausende Zivilisten getötet wurden. Sie haben Libyen, Syrien, den Sudan und Serbien ohne jegliche Rücksicht auf unschuldige Zivilisten zerbombt.
Der grausamste Fall in jüngster Vergangenheit war der barbarische Krieg gegen die Bevölkerung des Jemen, eines der ärmsten Länder der Welt, der von Saudi-Arabien mit vollster Unterstützung und aktiver Beteiligung der USA, Grossbritanniens und anderer imperialistischer Mächte geführt wurde.
Wenn ein Krieg als Völkermord bezeichnet werden kann, dann ist es sicherlich der im Jemen. Nach angaben der UN wurden im Jemen mehr als 150.000 Menschen getötet und Schätzungen gehen von über 227.000 Toten infolge einer schrecklichen Hungersnot aus, welche die Saudis und ihre Verbündeten bewusst herbeiführten, die auch für die Zerstörung von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen verantwortlich waren.
Diese Zahlen stellen zweifellos eine erhebliche Unterschätzung der gesamten Zahl der Opfer dar, die dem jemenitischen Volk von den Saudis und ihren imperialistischen Unterstützern auferlegt wurden.
Wo waren die Verurteilungen dieser Barbarei? Wo waren die Proteste aus Washington und London? Wo waren die grossen Schlagzeilen, die über „Terrorismus“ schimpften? Sie haben geschwiegen, weil die westlichen Regierungen aktiv an diesem Vernichtungskrieg gegen ein armes, unterdrücktes Volk beteiligt waren.
Sie haben kein Recht, sich über Gewalt zu beschweren oder jemanden des „Terrorismus“ zu bezichtigen. Wenn es um Krieg geht, ist es sinnlos sich auf Moral oder humanitäre Bedenken zu berufen. In Kriegen geht es um das Töten von Menschen. Und es hat in der Geschichte noch nie einen humanitären Krieg gegeben.
Das ist bloss eine zynische Phrase und ein geeignetes Feigenblatt, das heute von den Aggressoren genützt wird, um ihre Aggression vor der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen.
Was das sogenannte Recht Israels auf Selbstverteidigung angeht, zeigt sich auch hier die Doppelmoral des westlichen Imperialismus. Er hat die Ukraine bis auf die Zähne bewaffnet damit sie für ihn Russland bekämpft – unter dem Vorwand, ein Volk unter Besatzung habe das Recht, sich zu wehren.
Aber wenn es um die Palästinenser geht, verschwindet dieses Recht plötzlich zur Gänze. Statt die Unterdrückten zu verteidigen, bewaffnen und unterstützen die Imperialisten die Unterdrücker. Offensichtlich gilt das Selbstbestimmungsrecht nicht für alle!
Übrigens hat der ukrainische Präsident dieser verdrehten Logik folgend die russische Invasion seines Landes mit der Hamas verglichen und mit seinem heiseren leisen Stimmchen in den Chor, der Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ verteidigt, eingestimmt. Brauchen wir weitere Beweise für den reaktionären Charakters dieses werten Herren?
Wie vorherzusehen war, hat Selenskyj, besorgt dass der Krieg zwischen Israel und den Hamas die Aufmerksamkeit von Kiews Kampf ablenken könnte, Russland vorgeworfen, einen Krieg im Nahen Osten zu wollen, um die internationale Unterstützung für die Ukraine zu untergraben.
„Russland ist daran interessiert im Nahen Osten einen Krieg auszulösen, damit eine neue Quelle von Leid und Schmerz die Einheit der Welt untergräbt, Zwietracht und Widersprüche verstärkt und Russland hilft, die Freiheit Europas zu zerschlagen“, sagte er.
Selenskyj ist ein verzweifelter Mann, der zu allem greift, was seiner Meinung nach den Fluss von Waffen und Geld sichert, gerade als die Ukraine eine vernichtende Niederlage auf dem Schlachtfeld erlitten hat und es deutliche Anzeichen für eine schwankende Unterstützung durch die Verbündeten gibt, darunter die USA, die Slowakei und Polen.
Sobald man die Anwendung der Relativitätstheorie auf die Moral akzeptiert hat, ist es eine einfache Angelegenheit Mord zu rechtfertigen – solange er von „unserer Seite“ durchgeführt wird. Wir sehen diese bequeme Relativität der Moral gerade jetzt in Aktion.
Israels Antwort auf den Angriff der Hamas am Samstag war rasch und brutal. Benjamin Netanjahu hat verkündet, dass sich Israel im Krieg befinde. Er hat versprochen Gaza zu einer „verlassenen Insel“ zu machen.
Kampfjets haben den besetzten Streifen zerbombt, Hochhäuser in Wohngebieten dem Erdboden gleichgemacht und wahllos Schulen, Krankenhäuser und Moscheen getroffen.
Eine vom UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge geführte Schule, in der sich keine „Kämpfer“ befanden, wurde getroffen. Und etliche Wohnblocks wurden ohne Vorwarnung angegriffen.
Israel setzte seine Luftangriffe auf Gaza fort und legte zahlreiche Gebäude in Schutt und Asche. Offizielle Stellen gaben an, dass Krankenhäuser und Schulen getroffen wurden und dass bereits 900 Palästinenser getötet wurden, darunter 260 Kinder.
Das hat alles nichts mit Selbstverteidigung zu tun, sondern mit Rachegelüsten. Nicht zum ersten Mal versucht der israelische Staat, die Bevölkerung des Gazastreifens für die Taten ihrer Führer zu bestrafen, indem er wissentlich Zivilisten ins Visier nimmt.
Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant hat eine „vollständige Belagerung“ des Gazastreifens angeordnet: „Ich habe eine vollständige Belagerung des Gazastreifens angeordnet. Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Alles ist gesperrt.“.
Männern, Frauen und Kindern Nahrung, Wasser und Strom vorzuenthalten, soll nach dem „Völkerrecht“ ein Verbrechen sein. Sogar die lächerlichen Vereinten Nationen hielten es für notwendig, die Israelis an dieses kleine Detail zu erinnern, obwohl diese höfliche Erinnerung wie zu erwarten wirkungslos war.
Und wie rechtfertigen sie das alles? Ganz einfach.
Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant drückte es sehr klar aus, als er sagte: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend“.
Diese Sprache ist uns gut bekannt. Es ist eine gängige Praxis der Imperialisten, das Blutvergiessen durch die Entmenschlichung des Feindes zu rechtfertigen. Wenn wir akzeptieren, dass unsere Feinde keine Menschen wie wir sind, sondern lediglich Tiere, fühlen wir uns dazu berechtigt, sie zu behandeln, wie wir wollen.
Erinnern wir uns daran, dass Juden jahrzehntelang nicht als Menschen, sondern Untermenschen betrachtet wurden. Das bedeutete, dass sie geschlagen, gefoltert und ermordet werden konnten, wen kümmert es? Schliesslich sind sie ja „nur Tiere“ oder „menschliche Tiere“. Der Unterschied ist rein semantisch.
Aber die Bewohner des Gazastreifens sind keine Tiere. Sie sind Menschen, genauso wie die Einwohner Israels Menschen sind. Und alle Menschen haben das Recht, gleich behandelt zu werden.
Wie in einem wohleingeübten Stück haben sich die politischen Führer in aller Welt beeilt, ihre bedingungslose Unterstützung für das „Selbstverteidigungsrechts“ Israels zu verkünden. Rechte und „Linke“, Republikaner und Demokraten – alle singen sie lautstark aus demselben abgegriffenen Gesangsbuch.
Dieselben Medien, die zu den Verbrechen des Imperialismus geschwiegen haben, berichteten ebenso nachlässig über den verbrecherischen Terror, dem der israelische Staat die Palästinenser seit vielen Jahrzehnten aussetzt. Sie sind Opfer ständiger gewaltsamer Provokationen durch die ultrarechten jüdischen Siedler.
Offenbar soll nun das Recht Israels auf „Selbstverteidigung“ dadurch untermauert werden, dass ein winziger Landstreifen pulverisiert wird, auf dem zweieinhalb Millionen arme Menschen eingepfercht leben. Dieser wird als das grösste Freiluftgefängnis der Welt beschrieben.
Das gesamte imperialistische Lager steht hinter Israel, während es zur Massakrierung der Palästinenser im Gazastreifen schreitet. Und für den Fall, dass Bomben, Artilleriegranaten und Raketen nicht ausreichend viele Palästinenser töten, hilft die Europäische Union, indem sie noch einige mehr dem Verhungern preisgibt.
Die EU hat angekündigt, die Finanzhilfe für die Palästinenser auszusetzen, von der das Überleben dieser schwer abhängig war. Diese Entscheidung war so skandalös, dass sie später wieder rückgängig gemacht wurde.
Hier sehen wir in wenigen Zeilen die destillierte Essenz dessen zusammengefasst, was als „westliche Zivilisation“ gilt.
Wenig überraschend haben rechte Anführer der Arbeiterparteien wie Sir Keir Starmer in Grossbritannien sofort mit schrillen Stimmen in diesen heuchlerischen Chor eingestimmt. Diese Damen und Herren haben ihre Seelen längst an den Teufel verkauft. Sie sind nichts anderes als Agenten des Imperialismus.
Aber die rechten Reformisten sind nicht die einzigen Übeltäter. Zu ihrer Schande haben auch viele „linke“ Reformisten sich der Anprangerung angeschlossen (Sanders, Ilhan Omar, Alexandria Ocasio-Cortez (AOC), die französische „kommunistische“ Partei, u.a.).
Nicht zum ersten Mal haben diese sogenannten Linken ihre völlige Feigheit und ihre Prinzipienlosigkeit bewiesen. Sie haben sofort dem Druck der kapitalistischen Massenmedien und der bürgerlichen öffentlichen Meinung nachgegeben und sich letztlich der Linie der herrschenden Klasse gefügt.
Die International Marxist Tendency wird sich dem heuchlerischen Chor der Imperialisten und ihrer Anhängsel nicht anschliessen.
In einem jeden Krieg bedienen sich die kriegsführenden Parteien immer wieder Geschichten über Gräueltaten – tatsächliche oder erfundene – um ihre eigenen Gewalttaten und Morde zu rechtfertigen. Die Haltung von Kommunisten kann niemals auf sensationslüsterner Propaganda aufbauen, die auf zynische Weise eingesetzt wird, um die eine oder andere Seite zu rechtfertigen. Auch wird ein Krieg nicht durch die Frage rechtfertigbar, wer zuerst zugeschlagen hat. Unsere Haltung zu Krieg muss sich auf ganz andere Grundlagen stützen.
Unsere Position ist sehr einfach:
In jedem Kampf werden wir immer auf der Seite der armen unterdrückten Menschen stehen und niemals auf der Seite der reichen und mächtigen Unterdrücker.
Im vorliegenden Fall muss die Frage gestellt werden: Wer sind die Unterdrücker und wer sind die Unterdrückten? Sind es die Palästinenser, die die Israelis unterdrücken? Niemand, der bei Verstand ist, glaubt das.
Es sind nicht die Palästinenser, die Land okkupieren, das ihnen nicht gehört und es mit Gewalt besetzen. Nicht sie sind es, die israelische Siedler von dem Grund vertrieben haben, der seit Generationen von ihnen bewohnt wurde, sondern genau umgekehrt.
Es sind nicht sie, die den israelischen Bürgern die grundlegendsten Rechte verweigern, sie brutalen Blockaden unterwerfen und sie zu Ausgestossenen in ihrem eigenen Land machen.
Ist es notwendig, die lange Liste der Verbrechen aufzuzählen, die der reaktionäre israelische Staat an den Palästinensern begangen hat?
Wir haben hier keinen Platz, um auf diese Verbrechen einzugehen, die Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr fortgesetzt werden und das Leben der Palästinenser zur Hölle machen.
Die Palästinenser wurden auf einen Status reduziert, der sich kaum von einer Art Sklaverei unterscheidet. Und Sklaven können, wenn sie aller anderen Rechte beraubt wurden, nur auf ein Recht zurückgreifen, das ihnen bleibt: das Recht zum Aufstand.
Im gesamten Verlauf der Geschichte waren Sklavenaufstände in der Regel von extremer Gewalt begleitet, die blosser Ausdruck der extremen Unterdrückung waren, die sie selbst durch die Sklavenhalter erleiden mussten.
Das ist bedauerliche Tatsache. Aber sie entlässt uns nicht von der Verpflichtung, den Aufstand der Sklaven gegen die Sklavenhalter zu verteidigen. Marx hat sich mit dieser Frage in einem 1857 verfassten Artikel auseinandergesetzt, in dem er auf die Artikel der britischen Presse eingeht, welche die Gräueltaten, die beim indischen Aufstand gegen die Briten verübt worden waren, in den Vordergrund rücken:
„Die von den revoltierenden Sepoys in Indien begangenen Gewalttätigkeiten sind in der Tat entsetzlich, scheusslich, unbeschreiblich – so, wie man sie nur in Insurrektionskriegen, in Kriegen von Völkerstämmen und Geschlechtern und vor allem in Religionskriegen anzutreffen erwartet, mit einem Wort, solche Gewalttätigkeiten, wie sie den Beifall des respektablen Englands zu finden pflegten, wenn sie von den Männern der Vendee an den ‚Blauen‘, von den spanischen Guerillas an den ungläubigen Franzosen, von den Serben an ihren deutschen und ungarischen Nachbarn, von den Kroaten an den
Wiener Aufständischen, von Cavaignacs Garde mobile oder von Bonapartes Dezemberleuten an den Söhnen und Töchtern des proletarischen Frankreichs verübt wurden.Wie schändlich das Vorgehen der Sepoys auch immer sein mag, es ist nur in konzentrierter Form der Reflex von Englands eigenem Vorgehen in Indien nicht nur während der Zeit der Gründung seines östlichen Reiches, sondern sogar während der letzten zehn Jahre einer lang bestehenden Herrschaft. Um diese Herrschaft zu charakterisieren, genügt die Feststellung, dass die Folter einen organischen Bestandteil ihrer Finanzpolitik bildete. In der Geschichte der Menschheit gibt es so etwas wie Vergeltung; und es ist eine Regel historischer Vergeltung, dass ihre Waffen nicht von den Bedrückten, sondern von den Bedrückern selbst geschmiedet werden.“
Karl Marx, (1857/1984): „Der indische Aufstand“, in MEW Bd. 12, Dietz Verlag, Berlin, S.285
Unsere Gegner werden sagen: Ihr unterstützt damit die Hamas. Diesen Anschuldigungen entgegnen wir: Wir haben die Hamas noch nie unterstützt. Wir teilen weder ihre Ideologie, noch dulden wir ihre Methoden.
Wir sind Kommunisten und haben unsere eigenen Ideen, Programm und Methoden, aufbauend auf dem Klassenkampf zwischen Reich und Arm, zwischen den Unterdrückern und Unterdrückten. Das bestimmt unsere Position in allen Fragen.
Aber unsere Differenzen mit der Hamas, wenn sie auch fundamental sind, sind nicht so fundamental wie unsere Differenzen zum US-Imperialismus – der reaktionärsten Macht auf der Welt – und ihren Komplizen, der herrschenden Klasse von Israel.
Unsere Kritiker werden fragen: Stimmt ihr der Tötung von so vielen unschuldigen Zivilisten zu? Wir antworten, dass wir derartige Dinge nie befürwortet haben oder sie gutheissen.
Unsere erste Aufgabe, um Spinoza zu zitieren, ist weder zu weinen noch zu lachen, sondern zu verstehen. Moralische Überlegungen sind komplett nutzlos, um irgendetwas zu erklären. Um zu verstehen, was derzeit passiert, muss man die Frage auf eine andere Weise stellen: Was hat zu den Angriffen der Hamas geführt?
Können diese getrennt werden von der jahrzehntelangen Unterdrückung, Gewalt und Besetzung von Palästina durch den reaktionären Staat Israel?
Natürlich nicht.
Israel ist ein mächtiger, reicher Staat, der seit Jahrzehnten die Palästinenser mithilfe von roher Gewalt und ökonomischem Druck enteignet und unterdrückt.
Wir müssen auch die Reihe an Ereignissen betrachten, die direkt zur derzeitigen Situation geführt hat. Sie ist nicht, wie uns weisgemacht wird, einfach aus heiterem Himmel eingetreten.
Die Imperialisten haben den Palästinensern Gerechtigkeit versprochen – wenn sie doch nur etwas länger warten würden. Aber sie haben gewartet und gewartet und das einzige Ergebnis war die weitere Zerstörung ihres Heimatlandes und der weitere Verlust ihrer Rechte.
Wenn die Geduld der Unterdrückten erschöpft ist, werden sie früher oder später gegen ihren Unterdrücker zurückschlagen. In solchen Momenten wird es unausweichlich zu Exzessen und Brutalität kommen. Dies ist natürlich zu bedauern. Aber wer ist dafür tatsächlich verantwortlich?
Wenn ein Mann oder eine Frau einen kaltblütigen Mord begehen, ist das ohne Zweifel ein Verbrechen und muss als solches bestraft werden.
Aber wenn eine Frau über viele Jahre Opfer von brutaler Gewalt durch ihren Ehemann ist und sich eines Tages gegen ihren Unterdrücker wendet und ihn tötet, würden die meisten sagen, dass die Umstände, die zu ihren Taten geführt haben, berücksichtigt werden sollten.
Kehren wir zum aktuellen Fall zurück. In den Wochen vor der Explosion wurden ständig Provokationen von jüdischen religiösen Fanatikern begangen. Die Al-Aqsa-Moschee – eine der heiligsten Religionsstätten des Islams – wurde von ihnen gestürmt und zwar unter Schutz von Polizei und Militär.
Netanjahu ist in einer Koalition mit den extrem rechten Zionisten, von denen einige offen faschistisch sind. Ihr deklariertes Ziel ist es, eine neue Nakba zu provozieren – das bedeutet, die Palästinenser physisch aus ihrem Land zu vertreiben, angefangen bei Jerusalem und der Westbank.
Diese Politik ist nicht neu, wurde aber über die letzten Monate verschärft. Siedler, hauptsächlich aus den USA rekrutiert und unter ihnen die extremsten religiösen Fundamentalisten, haben Siedlungen in der West Bank gebaut.
Diese sind verbunden durch ein Netzwerk von militärisch geschützten Strassen, welche die Territorien durchtrennen, die vormals unter der Kontrolle der Palästinenser standen.
Diese reaktionären Siedler fühlen sich durch die ultra-nationalistische israelische Regierung bestärkt und beschützt.
Bewaffnete Banden von religiösen Fanatikern haben Pogrome an Palästinensern begangen, mit offener oder versteckter Unterstützung der israelischen Armee und Polizei. Dieser Landraub ist laut „internationalem Gesetz“ angeblich illegal. Aber all die frommen Resolutionen der Vereinten Nationen sind bedeutungslose Rituale, die nichts dazu beigetragen haben, diese Verbrechen aufzuhalten.
Unter diesen Bedingungen kann niemand überrascht sein, dass die Palästinenser sich wehren. Unterdrückte Völker haben das Recht, sich zu wehren.
Heuchler würden argumentieren, dass beide Seiten schuld sind, weil beide zu Gewalt gegriffen haben. Formal ist diese Aussage wahr. Aber der Inhalt ist fundamental falsch. Die Gewalt des einen kann nicht mit der Gewalt des anderen verglichen werden. Es gibt absolut keine Gleichheit zwischen den beiden Seiten.
Auf der einen Seite haben wir einen modernen, fortgeschrittenen kapitalistischen Staat, ausgerüstet mit Atomwaffen, Kampfflugzeugen mit mächtigen Raketen, fortgeschrittener Technologie und Überwachungsausrüstung, der sich auf die volle finanzielle und materielle Unterstützung der mächtigsten imperialistischen Länder der Welt verlassen kann.
Auf der anderen Seite haben wir die unterdrückten Palästinenser, die mit allen Waffen kämpfen, die sie in die Hände bekommen können.
Von den jüngsten Ereignissen überrascht zu sein ist in Wahrheit absurd. Unter den gegebenen Umständen war eine Explosion absolut unvermeidlich, auch wenn die Form und der Zeitpunkt nicht vorhergesehen werden konnten – nicht einmal von den israelischen Geheimdiensten.
Es ist notwendig, Kriege in ihrer eigenen Logik zu betrachten und hier nicht unwesentliche, dem Phänomen äusserliche Überlegungen einzuführen. Was den Zorn der israelischen herrschenden Klasse geweckt hat, war nicht die Anzahl an Menschen, die ihr Leben verloren haben. Ihre Sorgen sind rein praktischer Natur.
Von einem militärischen Standpunkt aus betrachtet war der Angriff ein Erfolg. Der unerwartete Blitzkrieg hat den viel gerühmten israelischen Geheimdienst komplett überrascht. Gut gerüstete Kommandos haben Israels Verteidigung, die als undurchdringliche Mauer galt, umgangen und den israelischen Kräften starke Verluste zugefügt.
Als dies bekannt wurde, löste das eine Welle der Panik und Angst in Israel aus, wo die Bevölkerung von den Autoritäten in Sicherheit gewiegt wurden, dass sie hinter einer unbezwingbaren Verteidigungslinie beschützt wären. Über Nacht wurde der Glaube der Bevölkerung an diesen Mythos der Unbesiegbarkeit zerschlagen. Diese Tatsache birgt unberechenbare Konsequenzen für die Zukunft in sich.
Im Gegenzug wurde die Neuigkeit des Angriffes auf den Strassen von vielen arabischen Hauptstädten gefeiert. Die Massen wurden dadurch ermutigt, dass der mächtige israelische Staat endlich eine demütigende Niederlage erlitten hatte. Demgegenüber waren alle anderen Bedenken von zweitrangiger Bedeutung.
Netanjahu fühlt sich ausgesprochen selbstsicher, weil er die feste Unterstützung des US-Imperialismus geniesst, welcher Israel mit unendlichen Geldmengen und tödlichen Waffen beliefert.
Die USA haben ihre Botschaft nach Jerusalem verlegt – ein Schlag ins Gesicht aller Palästinenser. Präsident Trump hat diese provokative Entscheidung getroffen, doch Präsident Biden hat sie nicht zurückgenommen. Er möchte sich die jüdischen Stimmen in den Wahlen nächstes Jahr sichern und ausserdem einen der wenigen noch verbliebenen beständigen Verbündeten in der Region erhalten.
Unsere Gegner konfrontieren uns oft mit der Frage: Seid ihr für Gewalt? Sie könnten uns genau so gut fragen, ob wir für die Schwarze Pest sind, so bar jedes realen Gehalts sind diese Fragen.
Es gibt Fragen, die sich von selbst beantworten, und die vorliegenden fallen genau in diese Kategorie. Doch sie nur zu verneinen ist nutzlos. Man müsste die konkreten Umstände erklären, unter denen Gewalt angewandt wird: Für welchen Zweck? In wessen Interesse? Ohne diese Information ist es unmöglich, eine akkurate Antwort zu geben. Das ist in jedem Konflikt der Fall, so auch in diesem aktuellen.
Viele „Linke“ beschränken sich (wie üblich) Gewalt generell zu beweinen und rufen zu „friedlichen Lösungen“ durch „Verhandlungen“ und durch die Intervention von „internationalen Institutionen“ auf. Doch dies sind Lügen und Täuschungen.
Seit 75 Jahren gibt es endlose Verhandlungen und Gespräche und sie haben die palästinensische Freiheitsbewegung keinen Zentimeter vorwärtsgebracht. Seit Jahrzehnten haben die sogenannten Vereinten Nationen Resolutionen verabschiedet, in denen die israelische Besatzung von palästinensischen Gebieten seit 1967 verurteilt wird, aber nichts hat sich verändert. Tatsächlich hat sich die Situation sogar noch stark verschlechtert.
Die derzeitige Eskalation des Konflikts ist in Wirklichkeit ein Ergebnis des kompletten Scheiterns der Oslo Abkommen. Die Idee, einen palästinensischen Kleinstaat neben Israel auf kapitalistischer Basis zu gründen, war dazu verdammt zu scheitern, wie wir damals schon gewarnt haben.
Das Ziel von Israel war das Auslagern der Überwachung der Palästinenser an die Palästinensische Autonomiebehörde, geführt die bürgerlichen Nationalisten der Fatah, welche komplett demoralisiert und organisch unfähig waren, den nationalen Befreiungskampf der Palästinenser voranzubringen.
Die letzten 30 Jahre haben das klägliche Scheitern der vom US-Imperialismus und dem israelischen Kapitalismus aufgezwungenen Zwei-Staaten-Lösung gezeigt.
Es ist kein Wunder, dass in den letzten Umfragen 61% der Palästinenser angaben, dass es ihnen heute schlechter als vor den Oslo Abkommen geht und 71% angaben, dass es ein Fehler war, diese zu unterschreiben.
Trotzdem argumentieren die hoffnungslosen linken Pazifisten, dass die Palästinenser nur friedliche Wege des Kampfes verwenden sollten. Das haben sie versucht, und was war das Ergebnis?
Der „Marsch der Rückkehr“ wurde 2018 von unbewaffneten Zivilisten geführt. Die israelische Armee hat mit scharfer Munition Hunderte getötet und über Zehntausend verletzt, auch Kinder, Frauen, Journalisten und Sanitäter.
Genau das hat die Palästinenser überzeugt, dass der einzige Weg vorwärts ist, Gewalt mit Gewalt zu beantworten. Man mag diesen Umstand bedauern, aber es ist die einzig mögliche Schlussfolgerung, die die Palästinenser ziehen konnten. Und dies ist zu hundert Prozent die Verantwortung des israelischen Staates und der imperialistischen Unterstützer.
Nach derselben oben erwähnten Umfrage glauben 71%, dass die Zwei-Staaten-Lösung aufgrund der Siedler-Expansion nicht mehr praktikabel ist, 52% unterstützen die Auflösung der Palästinensischen Autonomiebehörde und 53% denken, dass der bewaffnete Kampf der einzige Weg aus der Sackgasse ist.
Vor den Ereignissen des 7. Oktobers fand ein sogenannter Normalisierungsprozess statt. Damit ist im Wesentlichen die Herstellung von normalen diplomatischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten (insbesondere Saudi-Arabien) gemeint. Als Folge dessen wurde das palästinensische Problem für „beendet“ erklärt.
Das wurde in Netanjahus Intervention bei der UN-Generalversammlung im September deutlich, als er eine Karte der Region vorführte, die Israel und die Länder, mit denen es die Beziehungen normalisierte, zeigte … aber die Israelkarte schloss die Golanhöhen, den Gazastreifen und Westbank mit ein, d.h. Palästina war völlig von der Bildfläche verschwunden!
Dieser himmelschreiende Zynismus zeigt nicht nur die abgebrühte Haltung Netanjahus und seiner reaktionären Clique, sondern auch der imperialistischen sogenannten Demokratien, die kleine Nationen in ihren Machenschaften wie Kleingeld behandeln.
Diese monströse Zerstückelung des Landes sollte hinter dem Rücken der Palästinenser geschehen. Ihre blosse Existenz wird als lästige Unannehmlichkeit gesehen. Ihre regelmässigen Beschwerden können guter Dinge ignoriert werden und die unangenehme, aber notwendige Aufgabe, sie in Schach zu halten, kann getrost den Knüppeln der israelischen Streitkräfte überlassen werden.
So weit die Theorie. Aber das echte Leben hat die unglückliche Angewohnheit, selbst den schönsten Theorien zu widersprechen, und diese Theorie im Besonderen war um eine ganz offensichtliche klaffende Lücke gesponnen: Sie ging davon aus, dass die Palästinenser so eingeschüchtert wären, so vollständig niedergeschlagen, dass sie keinen echten Widerstand leisten würden. Diese Annahme wurde am Samstag, den 7. Oktober in tausend Stücke zerschlagen.
Eine ganze Reihe von Quellen deuteten mit erhobenem Zeigefinger auf den Iran. Obwohl Teheran dies abstreitet, könnte es der Wahrheit entsprechen. Die gekonnte Durchführung des Angriffs und die Art und Weise, auf die er so schnell die starke israelische Verteidigung durchbrechen konnte, sprechen für ein Level an Professionalität, das kaum von der Hamas allein ausgehen kann.
Zudem hatte der Iran ein eigenes Interesse an dem Erfolg des Angriffs. Als unmittelbare Folge davon wurden Netanjahus Pläne, enge Beziehungen mit Saudi-Arabien zu schliessen, durchkreuzt. Die reaktionäre Clique in Riad war gerne bereit die Palästinenser auszuverkaufen und einen Deal mit Israel zu schliessen.
Doch diese, natürlich von den USA geförderten, Pläne wurden zerschlagen. Mohammed bin Salman weigerte sich dezidiert in den Chor über Israels „Recht auf Selbstverteidigung“ einzustimmen. Würde er sich gegen die Gefühle der saudischen Bevölkerung richten, die die Palästinenser leidenschaftlich unterstützen werden, brächte das seine eigene Monarchie ins Wanken.
Der Guardian veröffentlichte einen Artikel mit dem Titel „Hamas-Angriff hat auf einen Schlag Bild der Nahost-Diplomatie verrückt“ – schön gesagt! Der Diplomatie-Redakteur des Guardian, Patrick Wintour, schreibt:
„Der Iran will es Saudi-Arabien verunmöglichen, einen Deal mit Israel abzuschliessen, wobei sich andere in der Region ein Chaos im Gazastreifen nicht leisten können.“
Das ist richtig. Die arabischen Führer können es sich nicht leisten, weil es tiefgreifende und erschütternde Auswirkungen auf die Massen in ihren eigenen Ländern hätte. Die Bedrohung einer Strassenrevolte spukt den arabischen herrschenden Cliquen ständig im Hinterkopf herum; sie haben Lehren der Massenaufstände im so genannten Arabischen Frühling nicht vergessen.
Das ist sowohl für die arabischen Herrscher wie auch für Washington ein Albtraum. Doch eine Neuauflage der Arabischen Revolution ist die einzige Hoffnung für eine dauerhafte Lösung zur palästinensischen Frage.
Die Unterdrückten Palästinas dürfen kein Vertrauen in die Versprechungen ausländischer Regierungen setzen. Deren einziges Interesse ist es, leere Deklarationen in Unterstützung der Palästinenser zu machen, um sich so ein zutiefst verlogenes Image von Solidarität zu geben.
Es ist selbstredend, dass die Versprechungen der Imperialisten völlig wertlos sind, genauso wie die fabulösen Resolutionen, die regelmässig bei den sogenannten Vereinten Nationen durchgewunken werden.
Das palästinensische Volk muss sich für seine Befreiung auf seine eigenen Kräfte stützen. Und die einzig verlässlichen Verbündeten, auf die es dabei zählen kann, sind die Arbeiter und Bauern der Region und der Welt, die wie sie unterdrückt und ausgebeutet sind.
Es gibt einen Faktor, der nicht ignoriert werden darf. Solange der israelische Staat auf die Unterstützung der Mehrheit der jüdischen Bevölkerung zählen kann, wird es sehr schwierig, ihn zu stürzen. Nur indem der israelische Staat entlang von Klassenlinien gespalten wird, ist das ein machbares Unterfangen.
Unter den gegenwärtigen Umständen scheint das wie eine unwahrscheinliche Option. Das liegt zum Teil an den extremen Begrenzungen der Ideologie und Methoden der Hamas, die viele israelische Bürger überzeugen, dass ihr Leben von palästinensischen „Terroristen“ bedroht wird.
Unglücklicherweise hat der kürzliche Angriff und die Tötung von Zivilisten viele Israelis überzeugt, dass ihre einzige Lösung darin besteht, sich hinter die Regierung zu stellen. Das wurde durch das skandalöse Verhalten der sogenannten Opposition bestärkt, die sofort jeglichen Widerspruch zur reaktionären Politik der Netanjahu-Regierung fallen gelassen hat und sich darin überschlagen hat, ihren Eintritt in eine sogenannte nationale Einheitsregierung anzubieten. Diese Vorgehensweise ist desaströs.
Das Volk Israels muss sich die folgende Frage stellen: Wie kann es sein, dass es sich nach so vielen Jahren des Konflikts, nach so vielen Kriegen und militärischen Siegen heute unsicherer fühlt als jemals zuvor seit der Gründung des israelischen Staats? All die ausgefinkelten Massnahmen die angeblich seine Sicherheit garantieren sollten haben im Moment der Wahrheit nichts gebracht.
Es stimmt, dass Israel mit seiner kolossalen Militärmacht und überlegenen Feuerkraft die Hamas leicht militärisch besiegen kann. Doch eine Bodeninvasion des Gazastreifens, mit seinen engen Strassen, zahllosen Tunneln und einer feindlichen und verbitterten Bevölkerung wird nicht ohne schwere Verluste von Leben auf beiden Seiten möglich sein. Und nachdem der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt ist – was dann? Es gibt nicht genug Kräfte, um eine feindliche Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen für immer zu belagern und niederzuhalten. Früher oder später werden neuerliche Explosionen und Blutvergiessen stattfinden.
Und das ist noch nicht das Ende der Sache. Die Unterdrückung der Palästinenser entfacht starke Gefühle in der ganzen arabischen Welt. Die Versuche, Beziehungen mit Saudi-Arabien aufzubauen, liegen jetzt in Trümmern. Israel ist jetzt isolierter denn je. Umringt von Millionen von Feinden auf allen Seiten sind die Aussichten für Israel in der Tat sehr düster. Und das jüngste Blutbad ist eine ernsthafte Warnung, dass es noch schlimmer kommen wird, sofern sich die Dinge in Israel selbst nicht grundlegend ändern.
Marx hat vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass eine Nation nie frei sein kann, solange sie eine andere Nation unterdrückt und unterwirft:
„Die spezielle Aufgabe des Zentralrats in London, das Bewusstsein in der englischen Arbeiterklasse wachzurufen, dass die nationale Emanzipation Irlands für sie keine question of abstract justice or humanitarian sentiment [Frage des abstrakten Rechts oder menschenfreundlichen Gefühls] ist, sondern the first condition of their own social emancipation [die erste Bedingung für ihre eigene soziale Befreiung].“ (Marx an Sigfrid Meyer und August Vogt, 1870)
Gegenwärtig wird die Stimme der Vernunft in Israel durch das gewaltige Getöse der Konterrevolution erstickt. Doch diejenigen, die eine Einheit mit den reaktionären Kräften Netanjahus und den ultrareligiösen Fanatikern verteidigen, treiben Israel direkt in Richtung des Abgrunds.
Für viele Jahre haben die palästinensischen Massen immer und immer wieder ihre Selbstlosigkeit, ihren Mut und ihren Kampfeswillen bewiesen. Das Problem ist, dass sie keine Führung hatten, die der Aufgabe gewachsen ist.
Nach so vielen Jahrzehnten des Verrats und gebrochener Versprechen sind die Palästinenser am Ende ihrer Geduld. Für die militante palästinensische Jugend, die gegen den mächtigen israelischen Staat kämpfen will, scheinen die Raketen der Hamas eine Art Antwort zu bieten. Die jüngsten Ereignisse haben diesem Glauben eine mächtigen Auftrieb verschafft.
Es besteht kein Zweifel, dass der Erfolg der Hamas von vielen in der arabischen Welt als Sieg gesehen wird, die sich wünschen Israel in die Schranken zu weisen: Sie haben die als undurchdringlich geltende israelische Verteidigung durchbrochen und Israel Schläge versetzt.
Kurzfristig wird dadurch das Prestige der Hamas enorm steigen. Doch langfristig werden die Grenzen der Erfolge der Hamas allzu deutlich sichtbar werden. Israel hat die überwältigende Oberhand im militärische Kräfteverhältnis.
Die militante Jugend hat den Schluss gezogen, dass nicht Verhandlungen, sondern der revolutionäre Kampf der Ausweg sind. Das bedeutet Massenaktionen, Massenstreiks, und, ja, in letzter Instanz muss der Kampf gegen den israelischen Staat auch als bewaffnete Selbstverteidigung und bewaffneter Kampf geführt werden.
Doch es ist wichtig, hier einen Sinn für Proportionen zu bewahren. Der revolutionäre Kampf der palästinensischen Massen wird, solange er isoliert bleibt, nicht ausreichen, um die Macht des israelischen Staats zu brechen.
Dafür braucht es die gemeinsamen Anstrengungen einer revolutionären Massenbewegung im ganzen Nahen Osten. Doch hierfür gibt es ein riesiges Hindernis: die reaktionären bürgerlichen arabischen Regime unterstützen die Sache der Palästinenser nur in Worten und sind in jedem kritischen Moment bereit, sie zu verraten und einen Deal mit dem Imperialismus zu schliessen.
Nur durch den Sturz dieser korrupten Regime wird der Weg frei für den Sieg einer sozialistischen Revolution im Nahen Osten – die Vorbedingung für eine Befreiung Palästinas.
In letzter Instanz wird nur der Aufbau einer Einheitsfront zwischen dem Volk Palästinas und der Arbeiterklasse und fortschrittlichen Schichten der israelischen Gesellschaft die Möglichkeit schaffen, den israelischen Staat entlang von Klassenlinien zu spalten und so den Weg freimachen für eine dauernde und demokratische Lösung der palästinensischen Frage.
Dies wird ein Nebenprodukt der arabischen Revolution sein, die nur siegen kann, wenn sie bis zum Ende durchgezogen wird. Der Sturz von korrupten Regimen ist nur die Hälfte der Lösung. Die genuine Befreiung der Völker wird nur durch die Enteignung der Landeigentümer, Banker und Kapitalisten erreicht werden können.
Schon viel zu lange wird der Nahe Osten mit seinem gewaltigen Potenzial, seinen natürlichen Ressourcen und der riesigen ungenutzten Reserve an zusätzlicher Arbeitskraft und gebildeten, jungen Menschen balkanisiert. Das ist das Erbe des Kolonialismus, der die Region in kleine Staaten aufgespalten hat, die so leichter beherrsch- und ausbeutbar waren.
Dieses vergiftete Erbe ist seither eine Brutstätte von endlosen Kriegen, nationalem und religiösem Hass und anderen zerstörerischen Kräften. Die palästinensische Frage ist nur der offensichtlichste und monströseste Ausdruck dieser Umstände.
Arbeiter haben kein Interesse daran, fremdes Territorium zu erobern oder andere Völker zu unterdrücken. Wenn die Macht in den Händen der arbeitenden Massen liegt, können alle Probleme, die die arabische Welt plagen, friedlich und demokratisch durch Übereinstimmungen gelöst werden.
In einer demokratischen sozialistischen Föderation wäre es möglich, geschwisterliche Beziehungen zwischen den Völkern zu errichten – zwischen Arabern und Juden, Sunniten und Schiiten, Kurden und Armeniern, Drusen und Kopten. Es wäre endlich der Weg bereitet für eine anhaltende und demokratische Beilegung der palästinensischen Frage.
Es gibt genug Land, um einen wirklich autonomen, lebensfähigen und prosperierenden palästinensischen Staat zu schaffen, der volle Autonomie sowohl für Araber als auch für Juden garantiert – nach dem Vorbild der Sowjetrepubliken, die nach der Oktoberrevolution von den Bolschewiki errichtet wurden.
Kleingeistige Menschen werden sagen, dass ist eine Utopie. Doch dieselben Menschen haben auch immer argumentiert, dass der Sozialismus eine Utopie sei. Diese selbsternannten „Realisten“ klammern sich verzweifelt an den Status quo, der, wie sie behaupten, die einzig mögliche Realität sei – einfach aufgrund dessen, dass er eben schon existiert.
Nach dieser bankrotten „Theorie“, ist eine Revolution unmöglich. Doch alles was existiert, ist wert, dass es zugrunde geht. Und die ganze Geschichte zeigt uns, dass Revolutionen nicht nur möglich, sondern sogar unausweichlich sind. Das kapitalistische System ist bis in den Kern verrottet. Seine Grundfeste beginnen zu bröckeln und schwanken, bevor sie fallen.
Alles, was es braucht, ist dass man hier mit einem Stoss nachhilft. Und es ist alles andere als ausgeschlossen, dass genau ein solcher Anstoss von einem neuerlichen Aufstand in der arabischen Welt kommen kann. Das ist der einzige Weg vorwärts für die Völker der Nahen Ostens. Die palästinensische Revolution wird als Teil der sozialistischen Revolution siegen, oder sie wird nicht siegen.
London, 11. Oktober 2023
Nordamerika — von Revolutionary Communists of America — 30. 12. 2024
Theorie — von Julien Arseneau, RCI Kanada, gekürzt und angepasst — 28. 12. 2024
Schweiz — von Martin Kohler, Bern — 23. 12. 2024
Perspektive — von der Redaktion — 20. 12. 2024