Der imperialistische Krieg in der Ukraine stürzt die Schweizer Bourgeoisie tief in die Krise. Warum wir auch im Krieg für den Sturz des Kapitalismus kämpfen und welche Positionen die Schweizer Arbeiterbewegung vertreten muss.
Der Ukraine-Krieg dauert schon über ein Jahr. Er hat verheerende Folgen und zerrüttet das internationale Gefüge. Die Schweizer Bourgeoisie steht unter massivem Druck der Grossmächte. Ihre «Neutralität» ist in der Krise und zeigt den Niedergang des Schweizer Imperialismus.
Die Leidtragenden des Krieges sind die Arbeiterklasse der Ukraine und Russlands, aber auch in allen Ländern, wo Öl und Gas die Preise nach oben treiben oder die Getreidelieferungen ausbleiben.
Im Kampf gegen den imperialistischen Krieg braucht die Arbeiterklasse einen unabhängigen Standpunkt, diesen verteidigen wir Marxisten.
Der Ukrainekrieg ist ein imperialistischer Krieg: Was die ukrainische Armee und der NATO-Imperialismus unter US-Führung verteidigen, sind nicht die Interessen der ukrainischen Bevölkerung. Die NATO ist bereit, den Krieg bis zum letzten Tropfen ukrainischem Blut zu führen, aber keinen Schritt weiter.
Die geleakten Dokumente aus dem US-Sicherheitsapparat beweisen, dass die USA und ihre Verbündeten die Triebkraft hinter der Kriegsführung gegen Russland sind. Sie machen alles, ausser eigene Truppen an die Front zu schicken. Wie wir Marxisten von Beginn weg feststellten, handelt es sich um einen imperialistischen Stellvertreter-Krieg zwischen den USA und Russland.
Es ist die neuste Eskalation und die gewaltsamste Episode des langen Konflikts. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war Russland international sehr geschwächt. Der US-Imperialismus drängte mit den NATO-Erweiterungen bis an die russischen Grenzen heran.
Die wichtigste Aufgabe des russischen Imperialismus besteht in der Sicherheit des russischen Kapitals. Russland selbst ist chronisch instabil. Putins bürgerlich-bonapartistisches Regime versucht mit Härte und aggressiver Aussenpolitik dagegenzuhalten. Jedoch ist eine wirkliche Stabilisierung ausgeschlossen.
2014 kam es in der Ukraine zum Putsch gegen die eher nach Moskau ausgerichtete Regierung und die USA installierte ihre eigene Marionettenregierung. Ein solches Vorpreschen kann der russische Imperialismus nicht akzeptieren und versucht seine Kontrolle zu sichern. Seit 2014 liegt der Hauptkampfplatz in der Ukraine (Krim, Donbass etc.). Die Schwächung des US-Imperialismus machte Putin glauben, dass es sich nun in der Ukraine lohne in die Offensive zu gehen. Das führte 2022 zur Invasion.
Der US-Imperialismus auf der anderen Seite zielt auf die Schwächung Russlands ab und will einen Keil zwischen Russland und Europa treiben. Andere Gründe für die Kriegsführung haben die USA nicht.
Beide kriegführenden Seiten sind absolut reaktionär und Feinde der internationalen Arbeiterklasse. Wir müssen beide bekämpfen, auf einem unabhängigen Klassenstandpunkt.
Die Krise des Weltkapitalismus führt zu Blockbildung und zunehmenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten, die sich schon vor dem Krieg zuspitzten. Das erst löste den Krieg aus. Doch umgekehrt hat der Krieg die Blockbildung nochmals verschärft. Dieser Krieg ist sowohl Ausdruck wie auch Beschleuniger der Krise.
Nach sieben Jahrzehnten des zunehmenden Welthandels kommt die Globalisierung zum Erliegen und verkehrt sich in ihr Gegenteil: Anstelle von Annäherung und Freihandel stehen Handelskriege, Protektionismus und Blockbildung auf der Tagesordnung. Mit der militärischen Konfrontation zwischen zwei imperialistischen Mächten erlangte die Situation eine neue Qualität. Der Krieg ist ein klarer Wendepunkt. Es gibt kein Zurück.
In der Vergangenheit versuchte die EU, besonders Deutschland, eine unabhängige Position zwischen den grossen Blöcken (USA – China/Russland) einzunehmen. Die deutsche Industrie profitierte von billigem Öl und Gas aus Russland und Exporten nach China. Deshalb zögerte die Deutsche Bourgeoisie bei der Unterstützung der NATO-Kriegstreiberei. Doch mit Ausbruch des Krieges wurde der Druck aus den USA auf Deutschland gewaltig. Die USA nutzen den Krieg, um die wirtschaftliche Verflechtung Europas mit Russland zu zerschlagen. Das Ziel wurde erreicht, der Keil sitzt. Europa hat sich den USA wieder untergeordnet.
Das kostet den Exportweltmeister einen hohen Preis und bedroht die deutsche Industrie, da ihre Produktionskosten ohne billiges russisches Öl und Gas stark ansteigen. In der heutigen imperialistischen Blockbildung werden die kleineren Mächte aufgerieben. Was für Deutschland und die EU gilt, gilt umso mehr für die kleine Schweiz.
Die Schweiz wird zerrieben zwischen den Blöcken. Die früheren Stärken des Schweizer Imperialismus fesseln seine Füsse, er steckt in der Sackgasse.
Die Schweiz hängt stark vom Ausland ab. Zwischen den Blöcken zu lavieren, war immer das Erfolgsrezept des Schweizer Imperialismus. Damit bestanden keine einseitigen Abhängigkeiten und die Schweizer Banken waren frei, das Vermögen raffgieriger Bosse aller Kontinente zu verwalten. Daneben sicherte die Exportwirtschaft ihren Handel ab durch eine Verteilung auf eine Vielzahl an Weltregionen. All das bedingt, dass die Möglichkeit besteht, mit jedem Kapitalisten wirtschaftliche Beziehungen einzugehen. Die Neutralität hatte genau diesen Zweck: sich politisch raushalten, um wirtschaftlich überall uneingeschränkt Profite zu machen und die Arbeiterklasse aller Länder bestmöglich auszubeuten.
Die Neutralität ist die spezifische politische Form des Schweizer Imperialismus. Sie ist nicht fortschrittlich und es gibt keinen Grund, warum die Arbeiterklasse sie verteidigen sollte. Doch für die Bourgeoisie war die Neutralität der Trumpf, den sie geeint verteidigen wollte. In der heutigen Welt der imperialistischen Blockbildung wird die Neutralität zunehmend unhaltbar.
Der Druck, sich dem US-Imperialismus unterzuordnen ist massiv. Der US-Botschafter sagte im NZZ-Interview: «Die Schweiz ist in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.» Die USA tolerieren die Neutralität genau so lange, als sie mit ihren Interessen vereinbar ist. Den gleichen Punkt machte ein Brief der G7.
Immer wieder prescht die NATO vor und macht Druck auf die Schweiz. Bereits kurz nach Kriegsbeginn wurde der Bundesrat gezwungen, die EU-Sanktionen gegen Russland zu übernehmen. Dann empören sich seit längerem die Abnehmer der Schweizer Rüstungsindustrie, dass sie Schweizer Munition etc. nicht in die Ukraine ausführen dürfen. Als letztes wird von der Schweiz vermehrt verlangt russische Oligarchengelder aufzuspüren und zu enteignen zwecks Wiederaufbaus der Ukraine.
Die Schweizer Bourgeoisie ist völlig ausgeliefert und sitzt in der Sackgasse. Das Aufgeben der Neutralität widerspricht ihren Interessen. Doch eine andere Möglichkeit gibt es in Realität nicht. Sich in den Russland-China-Block zu stellen ist sowieso ausgeschlossen.
Innerhalb der Schweizer Bourgeoisie gibt es Streit über das Vorgehen. Denn nicht alle verlieren gleich viel mit dem Aufgeben der Neutralität. Blocher (SVP) ist der konsequenteste Vertreter von jenen, die sagen: Die Neutralität ist das Risiko wert, sie zu verteidigen. Das fordert er mit einer Initiative.
Der grösste Teil der Schweizer Kapitalisten würde sich am liebsten vor der Entscheidung drücken, wie in der Vergangenheit. Doch gerade der Bundesrat beweist, wie aussichtslos es ist, den Spagat zwischen Festhalten an der Neutralität und der Einreihung in den NATO-Block aufrechtzuerhalten. Die Regierung versucht möglichst lange an der Neutralität festzuhalten. Doch das steht der objektiven Realität, einer Welt mit aggressiver Blockbildung, völlig entgegen.
Letztlich ist die herrschende Klasse der Schweiz gezwungen, bei jedem einzelnen Punkt einzuknicken oder alles zu verlieren. Der CS-Kollaps hat es verdeutlicht: Die Stützpfeiler des Schweizer Imperialismus brechen einer nach dem anderen weg. Viele stehen nicht mehr.
Wir dürfen keinen Zweifel daran lassen: Die Krise der Neutralität ist die Sackgasse der Schweizer Bourgeoisie, nicht der Arbeiterklasse. Beide «Optionen», die Neutralität verteidigen oder sich der NATO unterordnen, sind bürgerliche, d.h. imperialistische Positionen. Beide bringen der Arbeiterklasse nichts, keine davon bewirkt etwas gegen den Krieg. Oder anders: beide sind schlimmer!
Der Krieg stellt alle Organisationen der Arbeiterbewegung auf die Probe. Und sie alle – ausser den Marxisten – sind eingeknickt vor dem Druck der herrschenden Klasse. Die SP schrie als erstes und am lautesten nach der Übernahme der Sanktionen und der Konfiszierung der russischen Oligarchengelder. Die Reformisten mögen andere Beweggründe haben als die Bourgeoisie. Aber objektiv stellen sie sich auf die militärische Seite des US-Imperialismus. Die SP schürt, wie ihre Schwesterparteien aus NATO-Ländern, Illusionen in den «demokratischen» Westen und in die Institutionen des US-Imperialismus wie die UNO und sogar die NATO. Das ist, wohin die Politik des «Geringeren Übels» führt. Der Reformismus propagiert heute auf Seiten des NATO-Imperialismus, der überall auf der Welt für das Schlachten verantwortlich war und ist. Der Reformismus unterstützt den Krieg, im Lager der arbeiterfeindlichsten Macht der Welt: dem US-Imperialismus. Damit nimmt der Reformismus der Arbeiterklasse jede Alternative zum Krieg und zu eigenständiger Handlung.
Wenn wir verstehen, dass in der Ukraine ein imperialistischer Krieg herrscht und die Schweizer Bourgeoisie völlig in der Sackgasse steckt, ist klar, dass die Arbeiterklasse kein Interesse an der Unterstützung irgendeiner Seite hat. Sie sind allesamt völlig reaktionär. Keine wird im Falle des Sieges Frieden für die Arbeiter bringen.
Die einzige Möglichkeit, den Krieg und das vom Kapitalismus verursachte Elend zu beenden, ist der Sturz der kapitalistischen Regierungen in allen Ländern. Und das kann nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.
Wir Marxisten beziehen eine klare Haltung gegen den Krieg. Wir entlarven die Heuchelei der Imperialisten und erklären, wer wirklich ein Interesse an diesem Krieg hat. Den Profiteuren, den Kapitalisten erklären wir auf der ganzen Welt den Kampf.
Die Schweizer Arbeiterklasse hat eine besonders wichtige Aufgabe. Im Land der Banken und der Rohstoffhändler sind wir an einer wichtigen Schaltstelle der Profiteure aller Länder. Wir müssen ihnen gerade hier das Handwerk legen. Die grösste Hilfe, die wir im Kampf gegen den Krieg leisten können, ist diese parasitären und zynischen Kriegstreiber – Russen, Ukrainer, Amerikaner, Schweizer etc. – allesamt zu enteignen.
Unser Slogan heisst: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
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