Ich bin diplomierte Pflegefachfrau. In den letzten Jahren habe ich an vielen verschiedenen Orten temporäre oder befristete Stellen angenommen. Weil ich an einem Ort arbeiten wollte, an dem es gerechte Bedingungen gibt für die Pflegenden und die Pflegeempfänger. Ich wollte diesen Ort finden und mich nicht mit der Situation, die in der Pflegebranche herrscht, zufriedengeben.

 Ich fand keine Abteilung, wo ich für eine längere Zeit gefallen finden konnte. Rastlos war ich. Ich motivierte mich immer wieder neu und wurde von den Zuständen in den Spitälern oder Heimen enttäuscht.

Es ist belastend zuzusehen, dass immer wieder Fehler passiert sind, die nicht passiert wären, gäbe es genug Personal. Es war mir wichtig, mit den Pflegeteams über die Arbeitsbedingungen und Verbesserungsmöglichkeiten zu diskutieren. Der Alltagsstress liess dies kaum zu. Ich versuchte mit den Leitenden über die Missstände zu sprechen. Aber es passierte nichts. Auch den Leitenden der Abteilungen sind die Hände gebunden, von einem System, das am Profit interessiert ist. Ich habe mich oft beschwert und wurde gefragt, wieso ich weiterhin einen Job mache, der mich nicht glücklich macht.

Es macht mich glücklich, zu kämpfen. Für bessere Bedingungen muss gekämpft werden.

Aber ich bin müde. Es ist ein anderes «Müdesein», wenn man Pflegekraft ist. Es macht mich müde, ja, wenn ich mich für Fehler rechtfertigen muss, immer wieder Überstunden leiste und in meiner Freizeit angerufen werde, ob ich doch am nächsten Tag noch einen zusätzlichen Dienst übernehmen könnte.

Auf einer Bettenabteilung beobachtete ich ein gewisses Konkurrenzverhalten unter den Pflegenden. Ich kam meistens kurz vor Arbeitsbeginn auf die Abteilung. Das Büro war stets bereits voll mit Pflegenden, die früher da waren, um bestens auf den Tag vorbereitet zu sein. Es wird tatsächlich knapp, alle Arbeiten verrichten zu können, wenn man erst bei eigentlichem Dienstbeginn da ist. Ich war oft die letzte, die nach dem Einlesen in die Patientendokumentation das Büro verliess. Es widerstand mir total, jeden Morgen eine Viertelstunde gratis zu arbeiten. Ich hörte oft – und das meine ich mit Konkurrenz – dass man halt schon besser dran ist, wenn man früher kommt. Ich erlebte, dass verglichen wurde, wer den besseren Pflegebericht schreibt und wessen Fachwissen alltagstauglicher ist. Ich dachte mir jeweils: «Ja klar! In einem System, das keine guten Arbeitsbedingungen, Ausbildungen und Löhne bieten kann, werden die Pflegenden gegeneinander ausgespielt. Die Konkurrenz kommt von oben!»

Es geschahen oft Fehler. Einen ganz bestimmten werde ich wohl nicht so schnell vergessen. Es war ein stressiger Tag, es gab Krankheitsausfälle, wir übernahmen zusätzliche Patienten. Nach dem Mittag rief mich meine Chefin in ihr Büro. Sie sagte: «Du hast Frau Müller (Name geändert) ins falsche Zimmer gestellt und ihr nicht einmal die Klingel in die Nähe gegeben und zu trinken hat sie auch nichts!» Vor lauter Stress konnte ich mich kaum daran erinnern. Aber nach einem Moment wurde mir bewusst, wie ich – bedingt durch den Stresspegel – nicht mehr wie sonst handeln konnte. Ich betreute an dem Tag sechs sehr anspruchsvolle Patienten. Die Chefin fragte mich, meiner Meinung nach etwas zynisch, ob es mir zu viel werde. Ich antwortete, dass dies natürlich zu viel sei. Ich sagte ihr, das sei ein Ergebnis von zu wenig Personal für zu viele Patienten. Das kam leider nicht so gut an.

Mir geht es um das Wohl der Patienten. Aber unter den heutigen Umständen kann eine sichere Pflege nicht gewährleistet werden. Ein gutes Beispiel hierfür finde ich das Wundliegen: ein sogenannter Dekubitus, eine offene Hautstelle, die aufgrund von Personalmangel passiert, weil der Patient oder die Patientin beispielsweise nicht oft genug umgelagert werden konnte, wie es nötig gewesen wäre. Ein Beispiel, welches leider sehr häufig vorkommt. 

Wenn ich mir die Abgangsquote in der Pflege anschaue, macht es mir Angst. Wer pflegt uns, wenn wir alt sind? Ich denke darüber nach, wie ein Streik funktionieren könnte, bei dem niemand, der auf Pflege angewiesen ist, zu Schaden kommt. Bei der Thematik des Streiks hört man oft, dass die Pflegefachleute sich nicht trauen, einfach zu streiken, weil sie dadurch Menschenleben gefährden könnten. Aber es ist nicht der Streik, der die PatientInnen gefährdet, sondern das kapitalistische System: eine Studie zeigt, dass durch den Personalmangel in der Schweiz jährlich 243 Patienten sterben. Das nur um aufzuzeigen, dass es ohne Streik Opfer gibt. Es ist ein «stiller» Protest, wenn immer mehr Pflegepersonen ihren Beruf verlassen. Wenn wir gute Bedingungen für Pflegende und PatientInnen garantieren wollen, dann können und müssen wir uns in den Betrieben organisieren und streiken!

Anonym
21.10.2022