Mit dem Nein zum EWR- Beitritt, dem Minarett-Verbot, der Ausschaffungsinitiative und zuletzt mit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative hat die SVP die Schweizer Politik der letzten 20 Jahre massgeblich geprägt. Sie hat es geschafft, mit ihrer aggressiven nationalistischen und rassistischen Propaganda Mehrheiten in Abstimmungen zu bilden. Was steckt wirklich hinter diesem Phänomen?
[Dieser Artikel ist in der Funke #35, im Juli 2014, erschienen.]

Fein säuberlich pflegt die Partei das Image des Vorkämpfers für die Rechte des kleinen Mannes gegenüber einer von linken Ideen und Sittenzerfall zerfressenen Classe Politique, des hart arbeitenden Schweizers gegenüber dem faulen Sozialhilfebezüger mit Migrationshintergrund, des stolzen, das Vaterland liebenden Eidgenossen gegenüber dem kulturzersetzenden Sozi und dem praktisch denkenden Bauern gegenüber dem arroganten, abgehobenen Intellektuellen. So schafft die Partei Gräben quer durch die Gesellschaft. Dieses Selbstbild, gepaart mit Schweizerfahnen, Kuhglocken und absichtlich schlechtem Hochdeutsch vermittelt den Eindruck, dass die Partei die Interessen der ArbeiterInnen, BäuerInnen und ehrlichen KleingewerblerInnen vertritt. Dass dieser oberflächliche Schein trügt, ist bei genauerem Hinschauen nicht schwer zu erkennen. Die Partei wird von Grossindustriellen und Bankern finanziert und vertritt vehement deren Interessen. Nicht die Parteipräsidenten wie der Bauer Brunner oder der Buchhalter Maurer ziehen die Fäden innerhalb der Partei, sondern Leute wie der Milliardär Blocher, der Grossindustrielle Spuhler, der Unternehmer Giezendanner und der Banker Matter. So hat die SVP längst die FDP als die Wirtschaftspartei abgelöst und sich als aggressivster Verteidiger der bürgerlichen Interessen in der Schweizer Politik etabliert, welcher sogar die Sozialpartnerschaft in Frage stellt. Durch Schlüsselpositionen von SVP-Exponenten in Arbeitgeberverbänden und bürgerlichen Think Tanks ist die SVP zum radikalsten und konsequentesten Angreifer gegen die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung und ihrer Organisationen geworden. Wie kommt es also, dass eine Partei, welche aggressiv die Interessen der Reichsten im Land verteidigt, zur grössten Partei werden konnte?

Von der Bauern- und Gewerbepartei zur Partei des Grosskapitals

Die SVP wurde 1971 in einem Zusammenschluss der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei mit einigen Sektionen der demokratischen Partei, einer gewerblichen Abspaltung der FDP, gegründet. Die heutige national-konservative Ausrichtung ging sehr stark von der Zürcher Kantonalsektion aus, deren Präsident dann 1979 Christoph Blocher wurde. Dieser brachte das nötige Geld mit sich, welches er durch zwielichtige Finanzgeschäfte mit seinem Bankerkollegen Martin Ebner angehäuft hatte. Als Vertreter einer neuen Elite von Spekulanten, welche wie Heuschrecken Jagd auf kurzfristige Profite machen, forderte er den alten Zürcher Finanzadel heraus. Blocher präsentierte sich von nun an als Volkstribun einer bedrohten Schweiz. Mit einem verbissenen Kampf gegen den etablierten Wirtschaftsfilz, die Zuwanderung und den Anschluss an supranationale Organisationen, führte er die Partei zum Erfolg. Gerne präsentierte sich die SVP als Oppositionspartei gegen die Classe Politique, ein Bild, das sie bis heute pflegen, obwohl sie längst ihre oppositionelle Funktion hinter sich gelassen haben. Die SVP ist längst die wichtigste bürgerliche, staatstragende Wirtschaftspartei geworden.

Teile und Herrsche

Die rassistische und nationalistische Politik, welcher sich die SVP bedient, kommt nicht von ungefähr und es wäre falsch, ihre Ursprünge in der Person Blochers oder einer Gruppe von SVP-Exponenten zu suchen. Nationalismus und Rassismus als Grundpfeiler rechtsbürgerlicher Politik sind keine zufälligen Erscheinungen, sondern dem Kapitalismus inhärente Mittel der Propaganda, mit dem Zweck die Klassengegensätze zu verschleiern und verschiedene Gruppen innerhalb der arbeitenden Klasse gegeneinander auszuspielen. Es werden damit sowohl Identitäten als auch Feindbilder und Sündenböcke geschaffen, welche Ausgrenzung und Unterdrückung als scheinbare Lösung für die Symptome der kapitalistischen Gesellschaft präsentieren. Während der Krise in den Siebzigern hatten solche Ideen grossen Anklang gefunden, unter anderem bis weit in die Gewerkschaftsbürokratie, welche in Fragen der ausländischen Arbeitskräfte äusserst reaktionäre Positionen einnahmen. Auch Rechtsaussenparteien, wie zum Beispiel die Nationale Aktion (heute Schweizer Demokraten) oder später die Autopartei konnten damals grosse Erfolge verbuchen. Diese Stimmung machte sich die SVP zunutze und schaffte es im Laufe der Zeit grosse Teile dieser Parteien aufzusaugen und zu integrieren. So gibt es heute rechts der SVP keine ernstzunehmende Kraft mehr.

Die faschistische Bedrohung?

Die Absorption weiter Teile der extremen Rechten ist natürlich nicht spurlos an der SVP vorbeigezogen. In den Neunzigerjahren hatte die Partei ihre liebe Mühe sich vom Neofaschistischen Milieu abzugrenzen und musste in einigen extremen Fällen auf den Druck der Öffentlichkeit mit Ausschlüssen antworten. Leute wie Ulrich Schlür, Herausgeber der Schweizer Zeit, und Oskar Freysinger, welcher für seine Kontakte zu rechtsradikalen Gruppen in Europa bekannt ist, wurden bis jetzt toleriert und sogar gefördert. Auch die Unterstützung der SVP durch Neonazis sorgte immer wieder für Gesprächsstoff. Müssen wir also bei der SVP von einer faschistischen Bedrohung ausgehen? Die Antwort darauf sollte in der jetzigen Situation ein klares Nein sein. Obwohl die SVP die Partei der wütenden Kleinbürger ist, welche durchaus eines Tages der Nährboden einer faschistischen Bewegung sein könnte, und einige Exponenten der Partei auch eine solche anführen könnten, wird sich eine solche Entwicklung nicht innerhalb der SVP abspielen. Zu sehr ist die Partei in den Staatsapparat integriert. Dass von der SVP keine unmittelbare faschistische Bedrohung ausgeht, sollte uns jedoch nicht davon abhalten die rassistische Rhetorik und menschenverachtende Politik energisch zu bekämpfen und uns die inneren Spannungen der SVP zunutze zu machen.

Innere Widersprüche

Genauso wie Nationalismus und Rassismus in der bürgerlichen Ideologie eine gesamtgesellschaftliche Rolle spielen, spielen sie diese im konkreten Fall der SVP auch gegen innen und bilden quasi den Kit, der die Partei zusammenhält. Die Spannungen und Widersprüche innerhalb der Partei – zwischen starken Bauernverbänden, Gewerblern, den Grosskapitalisten und den Hoffnungen der Wählerbasis – werden so hinter einem Schleier von eidgenössischer Eintracht versteckt.

Es ist klar, dass dies längerfristig nicht funktionieren kann. Die Beschwörung der klassenübergreifenden Gemeinsamkeiten der Schweizer löst sich in der Realität in Luft auf. Die unmittelbaren Interessen der finanziellen und politischen Drahtzieher der SVP stehen in direktem Widerspruch zu den Erwartungen grosser Teile der Parteibasis. Wenn es die Situation erfordert, wird der SVP-Patron bei Entlassungen auch vor dem Schweizerpass kein Halt machen. Dann werden es die gleichen sein, die zuvor mit aller Schärfe gegen Sozialhilfebezüger gewettert haben, welche sich mit zerstörten Sozialwerken konfrontiert sehen, wenn sie ihre Arbeit verloren haben. Dieselben Unternehmer, welche verbissen die MigrantInnen für das Lohndumping verantwortlich machen, bekämpfen tagtäglich Mindestlöhne und Kontrollen in den Betrieben. So wird offensichtlich, dass der Nationalismus und die damit verbundene Hetze gegen Ausländer zum grössten Teil ein Mittel zum Zweck ist. Dieser Widerspruch ist auch schon an verschiedenen Fragen an die Oberfläche gekommen. So haben die Grossunternehmer der SVP, welche stark international agieren, sich wiederholt gegen die Parteilinie aufgelehnt. Bestes Beispiel dafür ist Peter Spuhler, dessen Stadler Rail Züge in die ganze Welt exportiert und in dessen grenznahen Betrieb auch viele Ausländer angestellt sind. Er hat sich zum Beispiel öffentlich für die Personenfreizügigkeit und gegen die Masseneinwanderungsintiative ausgesprochen und die finanzielle Unterstützung dieser Abstimmungen verweigert. Dies machte er nicht, weil ihm sein moralisches Gewissen auf den Bauch drückt, sondern weil solche Abschottungstendenzen direkt die Profitbedingungen seines Unternehmens schmälern. Die Propaganda seiner eigenen Partei wird so zum Schuss in den Fuss für den Unternehmer. Spuhler steht innerhalb der SVP mit diesem Dilemma auch nicht allein da. Es ist daher auch kein Zufall, dass jetzt nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitative die SVP sich für eine moderate Umsetzung einsetzt. Sie fürchten sich vor den Geistern, die sie selber gerufen haben.

Die Stärke der Rechten ist die Schwäche der Linken

Die Erfolge der SVP rufen in der Linken oft Panik und Hoffnungslosigkeit hervor. Es wird ein schwarzes Bild der SchweizerInnen gezeichnet, welche dumm und konservativ sind. Ein Bild einer Arbeiterklasse, welche immer mehr nach Rechts rutscht, und einer Linken, welche diesem Phänomen machtlos gegenüber steht. Diese oberflächliche Betrachtung hat dann in der realen Politik zur Folge, dass in der SP starke Tendenzen vorherrschen, welche einen Rechtsrutsch fordern, um dieser „rechten“ Wählerschaft den Hof zu machen. Die besten Beispiele dafür sind die Asylpolitik von Bundesrätin Sommaruga, die Forderungen nach einem schärferen Jugendstrafrecht von Daniel Jositsch und das letzte Migrationspapier der SP. Dass dies ein Irrweg ist, ist nicht schwer zu verstehen, aber es ist wichtig, dass man erkennt, dass es die logische Konsequenz des Reformismus ist. Innerhalb des bestehenden Systems sind armuts- und kriegsbedingte Migration, Kriminalität, soziales Elend nicht eliminierbar, sondern im Gegenteil werden sie täglich reproduziert. Somit ist der Reformismus, welcher sich weigert über das System hinauszudenken, dazu verdammt die einzige mögliche Lösung dieser Probleme anzunehmen, welche innerhalb der kapitalistische Logik besteht, der Lösung zugunsten der bürgerlichen Klasse ausgeführt durch den Staat. In der Realität heisst das Kriminalisierung, Repression, Ausschaffung. So überrascht es auch nicht, dass die Linken Reformisten, welche sich weigern diese Tatsache zu akzeptieren, zu diesen Themen schweigen oder mit moralischen Argumenten wie Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Verständnis versuchen diese Lösung für die Menschen etwas angenehmer zu gestalten.

Natürlich ist jegliche Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen zu unterstützen, will die Linke jedoch der SVP das Wasser abgraben, muss sie Lösungen präsentieren. Die einzige andere Möglichkeit dies zu tun, ist die Widersprüche zugunsten der arbeitenden Mehrheit der Bevölkerung zu lösen. Ein gemeinsamer, konsequenter Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und Kriegstreiberei ist das einzige Gegengift gegen die Spaltung der Lohnabhängigen und seine Vollendung wird dem Rassismus und dem Nationalismus die materielle Grundlage entziehen. Stehen die ArbeiterInnen erst mal Seite an Seite mit ihren ausländischen Kollegen ihrem Chef im gemeinsamen Kampf für ihre Existenz gegenüber, weicht die Angst vor brauner Haut, dem Koran oder dem lohndumpenden Rumänen schnell dem Hass gegenüber demjenigen, der tatsächlich ihre Löhne festsetzt und die Entlassungen unterschreibt. Diese Tatsache kann man bei Arbeitskämpfen und Protesten jedes Mal beobachten.

Die Erfolge der SVP sind also nicht einem mysteriösen, unerklärlichen Rechtsrutsch in der Bevölkerung zuzuschreiben, sondern der Unfähigkeit des Reformismus die Widersprüche des kapitalistischen Systems zu lösen und der Angst davor den konsequenten Kampf gegen dasselbe aufzunehmen. Dies ermöglicht es der SVP sich als Partei des Volkes aufzuspielen, welche endlich die Macht wieder erobert und den einfachen Menschen zurückgibt. Eine Aufgabe, die definitiv die unsere wäre. So können sie Teile des Vakuums füllen, welches die Unfähigkeit der Linken hinterlässt. Wir sollten daher nicht ängstlich nach Rechts schauen und über den drohenden Faschismus jammern, denn unsere Baustelle liegt Links.

Rebellion der Jugend

Der Aufstieg der SVP ist aber auch kein einseitiger Prozess und hat starke Gegenreaktionen ausgelöst. Viele Jugendliche, welche sich mit den konservativen und rassistischen Ideen der SVP konfrontiert sehen, welche gänzlich nicht ihrer multikulturellen und international ausgerichteten Lebensrealität entsprechen, haben sich dadurch politisiert; sie lehnen sich in der einen oder anderen Form gegen diese Rückwärtsgewandtheit auf. Die junge städtische Generation besteht zu einem grossen Teil aus Menschen mit Migrationshintergrund oder sie wuchs zusammen mit solchen auf. Sowohl im Internet als auch in der Realität bedeuten für diese Leute Grenzen wenig. Ebenso wenig werden sie je die konservativen Familien- und Gesellschaftsvorstellungen der SVP verstehen. Wenn sie in die Kinderkrippe gesteckt werden, ist ihr Problem nicht die Entmündigung der Familie und die Erziehung durch den Staat, sondern dass sie ihre Eltern nie sehen, weil beide arbeiten und am Schluss doch kein Geld da ist. Wenn sie eine Lehrstelle suchen, fürchten sie sich nicht vor ihrem ausländischen Mitbewerber, sondern davor, dass ihr Nachname sie von vorneherein ausschliesst. Diese Realität zeigt deutlich, dass wir keinen Grund haben vor der dummen Bauernfängerei der SVP in die Knie zu gehen. Wir müssen diese Leute organisieren und mit ihnen den konsequenten Kampf gegen Rassismus und Nationalismus aufnehmen und ihn mit einem antikapitalistischen Kampf verbinden, um diese Überbleibsel der Barbarei ein für alle Mal aus der Welt zu fegen.

Florian Eschmann
Juso Basel-Stadt