2019 war schon nicht das beste Jahr für die Uhrenindustrie. Die politischen Unruhen in Hong Kong zum Beispiel, einem der wichtigsten Standorte für unseren Handel in Asien, haben zu grösseren Verlusten geführt. Und natürlich die globale Überproduktionskrise, die sich 2019 wieder bemerkbar machte.
2020 sollten diese Verluste wieder gut gemacht werden. Stattdessen kam das Virus und stürzte die Welt in die Krise, die sich auch in meinem Betrieb widerspiegelte, in dem ich im Reparaturbereich als Uhrmacher angestellt bin.
Im März wurden wir bei voller Lohnfortzahlung in den Lockdown geschickt, was wir Angestellten begrüssten. Nach einem Monat Lockdown mussten wir wieder ein Arbeitspensum von 50% aufnehmen, ebenfalls mit 100% Lohnauszahlung. Wir wurden aufgeteilt in zwei Gruppen, eine Morgen- und eine Nachmittagsschicht. Ich fand das eine gute Idee. Es war die Zeit, wo wir im Betrieb kurz glaubten, der Spuk wäre bald vorüber. Aber es war erst der Anfang!
Auf einmal bekamen wir in der Serviceabteilung so viele Aufträge wie nie zuvor. Unsere Abteilung wurde zu Überstunden verdonnert. Die Einteilung in Gruppen wurde aufgehoben. Das war eine enorme Verausgabung für uns ArbeiterInnen. Ich hatte kaum Energie, um unter der Woche ausserhalb vom Arbeiten etwas zu unternehmen. Die verlorenen Absätze vom Frühling sollten auf unserem Rücken kompensiert werden.
Der Druck am Arbeitsplatz nahm zu: Wir sollten nicht nur länger arbeiten, sondern auch intensiver. Völlig grotesk wird uns vorgerechnet, wie viel Geld die Firma «verliert» wenn wir nicht so und so viele Uhren (100% nennen sie diesen Richtwert) in einem bestimmten Zeitintervall flicken. Es wird mit Lohnkürzung und anderen Schikanen gedroht, falls nicht gespurt wird.
Wie die Chefs auf den Richtwert von 100% kommen? Sie präsentierten uns einen Rattenschwanz von Berechnungen. Aber schlussendlich ist der Richtwert pure Willkür! Es geht ihnen nur darum, dass wir in der gleichen Arbeitszeit mehr leisten, also mehr Wert erschaffen, den sie sich dann aneignen können. Sie drehen den Spiess um: Als ob wir ihnen Geld stehlen würden und nicht sie uns ausbeuten!
Wir leisten monatelang Überstunden in einem nicht essentiellen Bereich, trotz Pandemie, und als Dank erhalten wir mehr Stress.
Zu Beginn, im Frühling, wurden grundlegende Schutzmassnahmen beschlossen: Desinfektionsstationen und Plexiglaswände zwischen den Arbeitsplätzen. Aber es gab keine Maskenpflicht und das Distanzieren gelang auch nicht überall. Erst mit den Überstunden, also im Herbst, wurde eine Maskenpflicht in der Firma beschlossen. Einzig am Arbeitsplatz und zum Essen und Trinken durfte die Maske ausgezogen werden. Im Pausenraum sitzt nur noch eine Person pro Tisch. Massnahmen, die sicher gut sind, doch hätten sie schon viel früher umgesetzt werden müssen.
Die Überstunden endeten kurz vor Weihnachten und so konnte ich doch etwas verschnaufen über die Festzeit. Nach der erneuten Lockdown-Anordnung des Bundesrats im Januar passierte, was zu erwarten war: Wir wurden nicht etwa nach Hause geschickt, wie noch letzten Frühling, sondern mussten weiterarbeiten. Die Chefs erweitern lediglich die Maskenpflicht, sodass man nun auch am Arbeitsplatz die Maske tragen muss.
Dies ist auf Reklamation von uns ArbeiterInnen gestossen. Wir arbeiten fast die ganze Zeit mit Lupen im Auge. Diese laufen beim Tragen einer Maske an und verhindern so die effiziente und exakte Arbeit. Wie sollen wir so die Mengen produzieren, die sie uns vorschreiben? Ihre geniale Lösung: Die Masken am Platz wenn nötig etwas unter die Nase ziehen, dann laufen die Lupen nicht mehr an. Wir sind etwa 40 ArbeiterInnen im selben Atelier. Für gewisse Vorgänge verwenden fast alle das gleiche Werkzeug: den gleichen Pressstock, um Böden zu schliessen zum Beispiel. Ein Mitarbeiter hat es auf den Punkt gebracht: Die Leute, die diese Massnahmen entscheiden, sitzen zuhause im Homeoffice und man sieht sie auch nie in der Werkstatt; wieso sollten sie entscheiden, wie wir uns zu schützen haben?
Zu Beginn der Krise hätte man meinen können, die Gesundheit von uns ArbeiterInnen geht vor. Je länger die Krise anhielt, desto deutlicher wurde allerdings gezeigt, dass die Profite Vorrang haben. Wir sind kein essentieller Betrieb: Wenn wir nicht ausreichend geschützt werden können, müssen wir konsequent bei voller Lohnfortzahlung in den Lockdown gehen! Offensichtlich wollen die Chefs mit ihrer Profitlogik die Krise nicht in unserem Interesse lösen. Wir ArbeiterInnen müssen selbst, zusammen als eine Klasse, für unsere Interessen kämpfen, nur so können wir der kapitalistischen Krisenpolitik entgegenwirken!
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