Nachdem der Impfstoff COVID-19 von Oxford/AstraZeneca kürzlich in Grossbritannien zugelassen wurde und Produkte von Pfizer/BioNTech, Moderna und anderen bereits weltweit verabreicht werden, sollte man meinen, dass wir uns dem Ende dieser Pandemie nähern.
Doch Pharmaprofiteure und politische Vertreter der herrschenden Klasse verpfuschen die Einführung in einigen der am schlimmsten betroffenen Länder. In ihrer Eile, zur „Normalität“ zurückzukehren und die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, ignorieren sie die Wissenschaft, sparen an allen Ecken und Enden und setzen Leben aufs Spiel.
Obwohl die Regierungen in Europa, den USA und Grossbritannien genügend Impfdosen bestellt haben, um ihre Bevölkerung mehrfach zu impfen, sind sie bereits weit hinter ihren Impfzielen zurückgeblieben. In Grossbritannien, wo ein neuer, hochvirulenter Stamm des Coronavirus wütet, schätzen Experten, dass zwei Millionen Impfungen pro Woche nötig sind, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Derzeit werden wöchentlich etwa 250.000 Impfungen verabreicht. Im am schlimmsten betroffenen Land der Welt, den USA, behauptete die Regierung, dass im Jahr 2020 20 Millionen Menschen geimpft sein würden. Aber das Center for Disease Control (Zentrum für Krankheitskontrolle/CDC) schätzt, dass im vergangenen Jahr nur 4,2 Millionen Impfungen verabreicht wurden.
Das liegt zum Teil an der Irrationalität der kapitalistischen Produktion, die Lücken in der Lieferkette geschaffen hat. Unternehmen wie Pfizer und Moderna haben weit mehr Dosen verkauft, als sie derzeit liefern können, was ihnen im Voraus riesige Gewinne garantiert. Um ihre Verpflichtungen zu erfüllen, müssen sie mit anderen Unternehmen Deals abschliessen, die von DNA-Molekülen bis zu Lipid-Nanopartikeln, die winzigen öligen Tröpfchen, die den mRNA-Bestandteil ihres Impfstoffs liefern, reichen.
Alle diese Güter sind im Besitz des privaten Sektors, der erwartet, dass er dafür eine Vergütung erhält. Kurz gesagt, private Interessen und ein Mangel an zentraler Koordination halten die Dinge auf. Im Gegensatz dazu könnten im Sozialismus alle notwendigen Materialien sofort beschafft und verteilt werden, ohne dass man sich um den Gewinn der Unternehmen kümmern müsste.
Doch trotz der Beteuerungen des britischen Premierministers Boris Johnson, dass der schleppende Einführungsprozess nur auf einen Versorgungsengpass zurückzuführen sei, gibt es auch Probleme bei der Verteilung. Offiziell stehen ab Montag 530.000 Dosen des Impfstoffs von Oxford/AstraZeneca in Grossbritannien bereit, weitere 450.000 in den folgenden 24 Stunden. Weitere 18 Millionen befinden sich in verschiedenen Stadien der Vorbereitung und Zulassung. Darüber hinaus sind schätzungsweise 5 Mio. Dosen des Impfstoffs von Pfizer einsatzbereit.
Es gibt jedoch einen Mangel an Medizinern, die sie verabreichen können. Der National Health Service (der schon vor dem Auftreten des Coronavirus durch jahrelange Unterinvestitionen geschädigt wurde) kann die jüngste Infektionswelle kaum bewältigen. Dieses Desaster ist eine direkte Folge des unglücklichen Umgangs der Tories mit der Pandemie. Erst diese Woche kündigte die Regierung nach wochenlangen Ausflüchten endlich einen landesweiten Lockdown an, wobei sich die Situation weit über ihre Worst-Case-Szenarien hinaus verschärft hat.
Dies stellt eine enorme Belastung für den Gesundheitsdienst dar, der bereits einen Aufruf für geschulte Freiwillige veröffentlicht hat, um den Zustrom von Patienten um Weihnachten herum zu bewältigen. Jetzt warnen Hausärzte vor der Notwendigkeit einer noch grösseren Rekrutierungskampagne, um die Impfziele zu erreichen, möglicherweise unter Einbeziehung von Armeeangehörigen, Hebammen, Optikern und sogar Feuerwehrleuten und Rettungsschwimmern, zusätzlich zu pensionierten Medizinern. Hinzu kommt das Problem der speziellen, ultrakalten Gefrierschränke, die für das Produkt von Pfizer und Moderna benötigt werden und von denen die britische Regierung nicht annähernd genug beschafft hat. Für den Impfstoff von Oxford/AstraZeneca fehlt es sogar an normalen Kühlschränken. Oder besser gesagt, es gibt genügend Kühlschrankkapazitäten, aber sie befinden sich in privater Hand (private Krankenhäuser, Supermärkte, Restaurants etc.), was bedeutet, dass die öffentliche Hand für die Kosten aufkommen muss.
Die Tories konnten nicht einmal ein funktionierendes Sendungsverfolgungssystem organisieren, was nichts ist im Vergleich zu dem logistischen Alptraum einer Massenimpfkampagne. Wieder einmal sind diese degenerierte Regierung und das verrottete kapitalistische System, das sie repräsentiert, völlig unzureichend ausgestattet, um diese Krise zu bewältigen. In einer Planwirtschaft hätten alle notwendigen Ressourcen und Arbeitskräfte beschlagnahmt und mobilisiert werden können, und es hätten so viele Impfzentren wie nötig im ganzen Land eingerichtet werden können, um den Impfstoff zu verabreichen. Und natürlich wären wir nicht in dieser Lage, wenn die Tories zu Beginn des Jahres einen ernsthaften Lockdown verhängt hätten, anstatt die kurzfristigen Interessen ihrer grosskapitalistischen Freunde in den Vordergrund zu stellen.
In Europa hat eine äusserst langsame Einführung dazu geführt, dass jeglicher Anschein von „Einigkeit“ gegen die gemeinsame virale Bedrohung in Gezänk und gegenseitige Beschuldigungen innerhalb und zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zerfiel. Eine Vereinbarung (angeführt von Deutschland) sah vor, die Verantwortung für die Sicherstellung der Impfstoffdosen an die Europäische Kommission zu delegieren. Theoretisch hätte dies dem gesamten Kontinent den Zugriff auf 2 Mrd. Dosen ermöglichen sollen, mehr als genug, um die gesamte EU-Bevölkerung zu impfen. Aber in der Praxis haben bürokratische Hindernisse und Inkompetenz in Brüssel in Kombination mit lokalen Unterschieden in der Geschwindigkeit der Einführung zu einer schrecklich ineffizienten und lückenhaften Impfkampagne geführt, da jede herrschende Klasse versucht, zuerst ihre eigenen Interessen zu verfolgen.
Die EU hat mit Moderna, AstraZeneca, Sanofi-GSK, Janssen Pharmaceutica NV, Pfizer-BioNTech und CureVac sechs Impfstoffverträge abgeschlossen. Bislang ist aber nur der Impfstoff von Pfizer/BioNTech zugelassen worden. Der Versuch der „Diversifizierung“ hat dazu geführt, dass die Kommission für eine Menge Impfstoffe bezahlt hat, die sie noch nicht verwenden kann, und dass sie nicht genug von dem tatsächlich zugelassenen Impfstoff hat, um die Nachfrage zu decken. Finnland zum Beispiel hat im Dezember nur etwa 40.000 Dosen erhalten, statt der erwarteten 300.000. Dies, zusammen mit der Tatsache, dass reichere EU-Länder in der Lage waren, zusätzliche Dosen ausserhalb des gemeinsamen Einkaufsabkommens zu sichern, verursacht grosse Frustration in der gesamten Union.
Obwohl es den Anschein hat, dass die Pandemie bisher besser gemeistert wurde als in anderen Ländern, hat sich die Situation in Deutschland verschlechtert. Gesundheitsminister Jens Spahn steht unter Beschuss, weil er nicht genügend Impfstoffdosen beschafft hat und die Impfungen nur langsam anlaufen. Gerade einmal 265.000 Impfungen sind im Land verabreicht worden, verglichen mit etwa einer Million in Grossbritannien. Und das, obwohl die deutsche Regierung Milliarden in die Impfstoffforschung von BioNTech investiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel, einst das Musterexemplar für eine solide Regierungsführung in Europa, ist unter Beschuss geraten, nachdem sich herausstellte, dass sie persönlich intervenierte, um den Kauf weiterer Dosen des Pfizer/BioNTech-Medikaments zu blockieren. Selbst die zuverlässigste bürgerliche Vertreterin der „europäischen Gemeinschaft“ hat unter dieser Krise ihren Glanz verloren.
In Spanien hat die Geschwindigkeit der Impfstoffverteilung aufgrund mangelnder Bereitschaft und administrativer Inkompetenz an der Spitze stark variiert. Asturien und Galizien haben die Hälfte der BioNTech/Pfizer-Impfstoffdosen verbraucht, die diesen Regionen zugeteilt wurden. Aber in Katalonien führte ein Mangel an ausgebildeten Krankenschwestern dazu, dass nur 13 Prozent der 60.000 Dosen, die in der letzten Dezemberwoche geliefert wurden, tatsächlich verwendet werden konnten. Und in der Hauptstadt Madrid wurden nur 6 Prozent der ersten 49.000 Dosen verabreicht. Insgesamt sind bisher etwa 0,1 Prozent der spanischen Bevölkerung geimpft worden. In den Niederlanden beginnen die Patienten erst heute damit, die Impfungen zu erhalten, nachdem es zu grossen Verzögerungen gekommen war und das nationale IT-Netzwerk aktualisiert werden musste, damit die lokalen Gesundheitsbehörden nachverfolgen können, welche Impfstoffe geliefert wurden. Alle grossen Mitgliedsstaaten wurden wieder einmal völlig unvorbereitet erwischt.
In der Zwischenzeit versucht die rechtsextreme Fratelli d’Italia (Partei Brüder Italiens), die verständliche öffentliche Wut über den langsamen Impfstart auszunutzen, indem sie eine öffentliche Petition für einen Misstrauensantrag gegen die italienische Regierung lancierte. Diese reaktionären Opportunisten sind keine Freunde der einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter, aber es ist klar, dass das bürgerliche Conte-Regime bei jedem Schritt im Umgang mit der Pandemie völlig versagt hat. Italien hat schon früh schwere Verluste durch das Virus erlitten, und seither sind Proteste über die wirtschaftlichen Folgen für die Normalbürger ausgebrochen, da die Regierung versuchte, den Interessen des Grosskapitals Vorrang vor der Unterstützung der Arbeiterinnen und Arbeiter zu gewähren. Die träge Impfkampagne hat das Establishment nur noch weiter diskreditiert.
Kurz gesagt, der Druck der Coronavirus-Pandemie beschleunigt weiterhin die Spaltungen, die das Fundament der EU zerfressen und legt die Verkommenheit im Herzen ihrer politischen Regime offen, während sie darum kämpfen, damit fertig zu werden. All dies zieht die Pandemie in die Länge und gefährdet unzählige Menschenleben. Besonders akut ist die Situation in Frankreich, wo die bürgerliche Macron-Regierung plante, 20 Millionen Menschen in der ersten Hälfte des Jahres 2021 zu impfen. Bisher wurden nur 350 Menschen geimpft, obwohl 500.000 Dosen des BioNTech-Impfstoffs geliefert wurden.
Die Impfmüdigkeit ist in Frankreich grösser als irgendwo sonst in Europa. Das liegt zum Teil an dem anhaltenden Groll über das Scheitern der H1N1-Grippe-Impfkampagne im Jahr 2009, vor allem aber an dem tiefgreifenden Misstrauen gegenüber dem Establishment und all seinen Machenschaften nach Jahren der Austerität, des Verrats und der Repression. Die Macron-Regierung versuchte, diese Bedenken mit einer sehr zaghaften, „gestaffelten“ Einführung zu zerstreuen – sie begann mit älteren Menschen in Pflegeheimen und verliess sich hauptsächlich auf Hausärzte. Das ging spektakulär nach hinten los.
„Ein schleppender Verlauf schafft kein Vertrauen“, erklärt Philippe Juvin, Leiter der Notaufnahme des Georges-Pompidou-Krankenhauses in Paris. „Im Gegenteil, er unterstützt die Idee, dass es etwas gibt, worüber man sich Sorgen machen muss.“ In der Tat gaben 40 Prozent der Franzosen, die letzte Woche von Ipsos befragt wurden, an, dass sie planen, sich impfen zu lassen, ein Rückgang von 54 Prozent im Oktober. Diese enorme Fehlkalkulation verschlimmere nur „fundamentale Probleme der Vorbereitung“, erklärte Juvin und verwies auf die spezialisierten Gefrierschränke und 400 Testzentren, die Deutschland im Voraus gesichert habe. „Wo sind unsere?“
Macron vollzog daraufhin eine seiner typischen Kehrtwendungen und versprach in einer im Fernsehen übertragenen Neujahrsansprache, die Impfbemühungen des Landes zu überarbeiten, indem er erklärte: „Jeder Franzose, der will, muss sich impfen lassen können.“ Die Regierung sagt nun, sie werde „vor Februar“ öffentliche Massenimpfzentren eröffnen, aber der Schaden ist bereits angerichtet.
Dieses verhasste Regime der Reichen stolpert seit seiner Wahl im Jahr 2017 von einer Krise in die nächste. Sein Vertrauen und seine Autorität sind zerrüttet, wie die schwankenden Impfbemühungen bezeugen. Hätten die französischen Gewerkschaftsführer einer der Massenbewegungen der vergangenen Jahre – von der Gilets-Jaunes-Bewegung 2018 bis zur massiven Streikwelle vor einem Jahr – eine Vorreiterrolle eingeräumt, hätte die Macron-Regierung gestürzt, eine Arbeiterregierung gebildet und dieses Desaster abgewendet werden können.
Schliesslich wurde in Indien – dem Land mit der zweithöchsten Todes- und Infektionsrate nach den USA – ein lokal entwickelter Coronavirus-Impfstoff (Covaxin) zur Verwendung zugelassen, obwohl Bharat Biotech seine Testdaten nicht preisgab. Malini Aisola, Mitbegründerin des All India Drug Action Network, einer in Neu-Delhi ansässigen Regulierungsbehörde im Gesundheitswesen, erklärte, sie sei „extrem alarmiert und schockiert, weil dies wirklich die Erteilung einer Zulassung ohne Wirksamkeitsdaten bedeutet… Die Regierung hat diesen beschleunigten Prozess zu weit getrieben.“ Zwischen den anhaltenden wirtschaftlichen Auswirkungen der drakonischen Abriegelung im März, einer zunehmenden Bauernrevolte und den in die Höhe schiessenden COVID-19-Opferzahlen ist Premierminister Narendra Modi offensichtlich verzweifelt bemüht, einen Impfstoff auf den Markt zu bringen – noch bevor dessen Sicherheit bestätigt ist -, um seine Autorität zu erhalten und die Geschäfte wieder in Gang zu bringen.
Diese Art von Rücksichtslosigkeit ist nicht auf Indien beschränkt. Überall auf der Welt befinden sich die politischen Vertreter der herrschenden Klasse in einem tödlichen Wettlauf mit einem Virus, den sie überhaupt nicht in den Griff bekommen oder eindämmen können. Konfrontiert mit überfüllten Krankenhäusern und steigenden Infektionsraten und entschlossen, die Wirtschaft um jeden Preis wieder in Gang zu bringen, greifen viele von ihnen zu sogenannten pragmatischen Massnahmen. Im Klartext heisst das, an allen Ecken und Enden zu sparen.
In Grossbritannien hofft die Regierung, den verfügbaren Impfstoffvorrat zu strecken, indem sie die empfohlenen Abstände zwischen den beiden notwendigen Dosen von etwa drei Wochen auf drei Monate verlängert. Sie schlägt ausserdem einen „Mix-and-Match“-Ansatz für Notfälle vor: Wenn zum Beispiel eine zweite Dosis des Pfizer-Impfstoffs nicht verfügbar ist, wird dem Patienten das Produkt von Oxford/AstraZeneca verabreicht.
Bei ersterem ist die Überlegung, dass ein niedrigeres, aber breiteres Niveau der Immunität kurzfristig vorzuziehen ist und die volle Immunität zu einem späteren Zeitpunkt immer noch erreicht werden kann. Aber es ist immer noch nicht klar, wie lange die Immunität erhalten bleibt, besonders nach nur einer Dosis. Die Idee wurde von den britischen Chefärzten gerechtfertigt, die darauf hinwiesen, dass die Teilnehmer an der britischen Oxford-Studie ihre zweite Dosis manchmal zwischen vier und 12 Wochen nach der ersten erhielten.
Ein 21-tägiges Intervall bleibt jedoch die Empfehlung von Pfizer/BioNTech, und offensichtlich ist es nicht in ihrem finanziellen Interesse, dass diese wichtigen Produkte versagen. Die Daten in ihren Phase-3-Studien basierten auf Teilnehmern, die ihre zweite Dosis nur neun Tage nach der ersten erhielten. Eine Untersuchung im New England Journal of Medicine ergab eine Wirksamkeitsrate von 52 Prozent nach der ersten Dosis: höher als das von der US-Regulierungsbehörde für einen COVID-19-Impfstoff geforderte Schutzniveau, aber weit weniger als die über 90 Prozent für den gesamten Verlauf.
Es besteht eine erhöhte Gefahr von neuen Mutationen, wenn das Virus zwischen Millionen von Menschen mit nur teilweiser Immunität übertragen wird. Ausserdem steigt das Risiko, dass Menschen sich weigern oder einfach vergessen, ihre zweite Dosis zu erhalten. Wenn man bedenkt, dass zwischen 70 und 80 Prozent der Bevölkerung immun sein müssen, damit das Virus ausgelöscht wird, ist dies eindeutig besorgniserregend.
Gleichzeitig liegen keine Daten zu dem britischen Vorschlag, Impfstoffe zu mischen, vor. Die Produkte von Pfizer und Oxford/AstraZeneca basieren auf völlig unterschiedlichen Technologien, und Stephen Evans, Professor für Pharmakoepidemiologie an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, sagte der Financial Times, der Ansatz werde „nicht durch randomisierte Studien unterstützt“. Ausserdem stellt die CDC kategorisch fest, dass die Coronavirus-Impfstoffe nicht austauschbar sind. „Nichts davon ist im Moment datengestützt“, echote Dr. Phyllis Tien, Ärztin für Infektionskrankheiten an der Universität von Kalifornien, „wir befinden uns irgendwie in diesem Wilden Westen.“
Und Grossbritannien führt den Rest der Welt über diese neue Grenze, während die USA erwägen, den Zeitraum zwischen den Dosen zu verlängern, und Deutschland und Dänemark bereit sind, diesem Beispiel zu folgen. In ihrem verzweifelten Bestreben, so schnell wie möglich wieder Profite zu machen, setzen die politischen Vertreter der herrschenden Klasse ihre Impfbemühungen aufs Spiel, wobei Milliarden von Arbeiterinnen und Arbeitern, Armen und Jugendlichen die Folgen zu spüren bekommen werden, wenn diese Medikamente nicht die erwartete Wirkung zeigen. Da das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese Impfstoffe bereits gering ist, ist es unglaublich unverantwortlich, wenn Regierungen aus einer Laune heraus riskante Abkürzungen nehmen. Dies wird nur noch mehr Menschen davon abhalten, sich impfen zu lassen, was die Bemühungen, das Virus zu besiegen, weiter behindern wird.
Wie wir bereits geschrieben haben, macht das Horten der reichsten westlichen Länder jeden Impfstoff für Milliarden Menschen unerschwinglich. Obwohl Länder wie Südafrika, Argentinien, Brasilien und die Türkei den Grossteil der billigen Testpersonen für Pfizers Humanstudien zur Verfügung stellen, werden sie nicht genug von dem Impfstoff erhalten, um ihre Bevölkerungen zu impfen. Soweit es die grossen Pharmakonzerne betrifft, sind arme Menschen in diesen Ländern als Versuchskaninchen in Ordnung, aber sie sind einer angemessenen Versorgung mit Impfstoffen nicht würdig.
Der Impfstoff-Nationalismus begünstigt immer die Länder, die es sich leisten können, die Big Pharma-Profiteure zu bezahlen. Das COVAX-Programm der WHO, das zur internationalen Zusammenarbeit aufruft, um Impfstoffe in die armen Länder zu bringen, steht wegen Unterfinanzierung und fehlender Beteiligung der USA und Chinas vor einem „sehr hohen Risiko des Scheiterns“. Währenddessen stellt die Weltbank Hilfe für die Lieferung von Impfstoffen in Form von Krediten zur Verfügung und vertieft damit die Verschuldung der so genannten Dritten Welt. „Wir stehen vor einer globalen Impfstoff-Apartheid“, sagte Zain Rizvi, Rechts- und Politikforscher bei Public Citizen.
In Israel ist dieser Begriff besonders zutreffend. Obwohl Israel bereits ein Zehntel seiner Bevölkerung geimpft hat (der höchste Anteil überhaupt) und Impfstoffe an die Siedler in den besetzten Gebieten verschickt, müssen die dort lebenden Palästinenser möglicherweise monatelang darauf warten, dass COVAX sie mit Impfstoffen versorgt. Das bedeutet, dass die Palästinenser mit dem Virus konfrontiert bleiben, während für die Israelis in naher Zukunft eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität möglich ist.
Darüber hinaus ist Big Pharma trotz zahnloser Vorschriften, die verhindern sollen, dass private Interessen den Zugang zu Medikamenten in armen Ländern diktieren, sehr auf sein geistiges Eigentum bedacht, um die Produktion von billigeren Derivaten zu verhindern. Selbst Unternehmen wie Moderna, die sich bereit erklären, keine Patente auf COVID-19-Impfstoffe geltend zu machen, weigern sich, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Diese Bonzen sollten damit nicht durchkommen, aber man kann nicht kontrollieren, was man nicht besitzt. Eine sozialistische Gesellschaft würde die Pharmapiraten einfach unter Arbeiterkontrolle enteignen und ihr Wissen und ihre Technik in den Dienst der Menschheit stellen.
Je weiter die Pandemie voranschreitet, desto dringender wird der Kampf für den Sozialismus. Je länger das Virus Amok läuft, desto grösser wird das Risiko, dass es zu einem Stamm mutiert, dem die vorhandenen Impfstoffe nicht gewachsen sind. Schon jetzt hat Sir John Bell, Regius-Professor für Medizin an der Universität Oxford, ein „grosses Fragezeichen“ hinter einen mutierten Stamm in Südafrika gesetzt. „Die Mutationen, die mit der südafrikanischen Form in Verbindung gebracht werden, sind wirklich ziemlich erhebliche Veränderungen in der Struktur des Proteins“, sagte er – und bezog sich dabei speziell auf den Teil des Virus, der es Antikörpern ermöglicht, daran zu haften. Fälle dieses Stammes wurden auch in Grossbritannien gefunden. Wenn Bells Bedenken berechtigt sind, ist dies eine sehr beunruhigende Entwicklung.
Es ist eine Tragödie, dass die wesentliche Aufgabe, diesen Impfstoff herzustellen und zu verteilen, einem System überlassen wurde, das von Krise und Verfall gezeichnet ist. Im Sozialismus und einer globalen Planwirtschaft hätten so viele dieser Fallstricke vermieden werden können. Es ist die Pflicht der Arbeiterklasse und der Jugend weltweit, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen, die Wissenschaft aus der Zwangsjacke des Marktes zu befreien und eine gesunde, blühende Zukunft für die Menschheit zu schaffen.
Joe Attard
Von socialist.net,
Veröffentlicht am 5. Januar, 2021
Bild: von Jernej Furman, CC BY 2.0
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