In den Tagen nach dem SP-Parteitag prägte die Partei die Frontseite jeder grösseren Zeitung. Schlagzeile um Schlagzeile, Artikel um Artikel, Kommentar um Kommentar nahmen sie sich die Entschlüsse des Parteitags vor. In der Deutschschweiz fielen die Reaktionen der Medien mehrheitlich negativ aus, es wurde von „Rückschritt“ und dem „Abwenden von der Wählerschaft“ gesprochen.

Schaut man sich die Ereignisse, welche viele europäischen Länder in den letzten Monaten geprägt haben an, die Massendemonstrationen und Streiks gegen Sozialabbau und Sparpakete, wird  verständlich, dass die Schweizer Bürgerlichen und, stellvertretend für sie, die bürgerlichen Medien Angst davor haben, dass eine sich auf ihre Wurzeln besinnende SP etwas „unschweizerisches“ ins Rollen bringen könnte. Die Forderung nach der Überwindung des Kapitalismus, nach einer demokratischen Wirtschaft, von der zweitstärksten Partei des Landes ausgesprochen, kommt für sie zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Einem Zeitpunkt, in dem auch in der Schweiz die Sparpakete geschnürt und die Sozialleistungen abgebaut werden. Und die Wirtschaftskrise, welche die Regierung zu diesen Massnahmen zwingt, wird andauern, weitere Spar- und Abbauprogramme werden folgen und auch in der Schweiz werden sich die Lebensbedingungen der breiten Bevölkerung verschlechtern.

Abschaffung des Kapitalismus?

Was diese Medienschaffenden jedoch zu vergessen scheinen, ist, dass die Überwindung des Kapitalismus traditionell im Programm der SP gefordert wird und dass diese Forderung für einen grossen Teil der SP-PolitikerInnen nichts weiter als eine Floskel darstellt. So distanziert sich Fraktionspräsidentin Ursula Wyss gegenüber den Medien sofort von dieser Forderung und meint, diese habe nichts mit ihrer realpolitischen Arbeit zu tun. Diese Aufteilung in unmittelbare Forderungen, bzw. Reformen und in ein (sehr weit in die Ferne gerücktes) langfristiges Ziel ist typisch für die Sozialdemokratie. So lange aber die Forderung nach einem demokratischen Sozialismus keinen Einfluss auf die tägliche Politik der Partei nimmt, so lange nicht die alltäglichen politischen Forderungen mit dem Ziel der Überwindung des Kapitalismus in Verbindung gebracht werden, sind sie weiter nichts als Worte.

„Projekt – Levrat“ an den internen Widersprüchen gescheitert

Die SP ist seit jeher geprägt von verschiedenen politischen Tendenzen und Flügeln und die Führung der Partei sah und sieht ihre Aufgabe darin, diese Flügel möglichst zu einen und Konfrontationen zu vermeiden. Das „Projekt-Levrat“ mit den unzähligen Vizepräsidentinnen und –präsidenten aus allen Flügeln stellt genau diesen Versuch dar. Das Parteiprogramm von Hans-Jürg Fehr sollte dem ganzen einen theoretischen Überbau, natürlich wiederum unter Berücksichtigung aller Flügel, geben. Entsprechend ist das Programm in sich widersprüchlich und wirr.

Doch der Kitt, welcher diese Partei zusammenhalten sollte, bröckelt und die internen Widersprüche sind an diesem Parteitag sichtbar geworden. Deutlich haben sich der linke und der rechte Flügel der Partei gezeigt. Der rechte Flügel, welcher vorwiegend aus der linksliberalen Parlamentsfraktion besteht, hat mit seiner Reaktion sowohl auf das Programm wie auch im Besonderen auf die Parolenfassung zur Ausschaffungsinitiative gezeigt, dass er auf die Parteidemokratie pfeift. Aber nicht nur in den nationalen Parlamenten, sondern auch in den Lokalregierungen und –räten ist die abweisende, ja teilweise gar ängstliche Reaktion auf die Entschlüsse geprägt von einer jahrelangen Zusammenarbeit und Kompromissfindung mit den Bürgerlichen, welche plötzlich, verbal zumindest, bedroht scheint. Dem gegenüber steht ein erstarkter linker Flügel, welcher sich am Parteitag in vielen Fragen durchsetzen konnte. Dieser besteht hauptsächlich aus GenossInnen der Romandie und der Juso. Die Romandie stellt seit jeher einen progressiven Teil der Partei dar. Die Wahlniederlagen und auch die Tatsache, dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise in der Westschweiz bis jetzt grösser sind (eine Arbeitslosenquote von 5% und mehr), spiegeln sich hier zusätzlich. Auch die Jugend nimmt historisch gesehen immer wieder eine fortschrittliche Rolle ein. Die Juso hat sich in den letzten Jahren immer mehr nach links bewegt und vertritt ihre Ideen verstärkt auch so in der Öffentlichkeit.

Linksrutsch?

Trotzdem, um von einem wirklichen Linksrutsch der SPS zu sprechen, ist die Zeit noch zu früh. Am Parteikongress hat sich ausgedrückt, dass die Basis kämpferischer als ihre Führung ist, nur wird dies in der alltäglichen Politik wohl noch kaum Auswirkungen haben. Die Führung bleibt die gleiche, die Parlamentsfraktion wird weiterhin eine dominieren Stellung innerhalb der SPS einnehmen und an der „Realpolitik“ in den Parlamenten, Regierungen und Gremien wird sich im Moment kaum etwas verändern. Die absehbare Niederlage bei den Nationalratswahlen, die andauernde Krise und die Sparprogramme werden aber den linken Flügel stärken. Am Parteitag haben sich die Widersprüche in der Partei wieder deutlicher gezeigt; ein Prozess der Differenzierung zeichnet sich ab. Die Tendenzen, welche à la SPD, mit der sozialdemokratischen Tradition brechen wollten, wurden von der mutigen Basis gebremst und der Bewegung in Richtung politische Mitte ein Riegel vorgeschoben. Die Basis der SP will sich ihren historischen Wurzeln nicht berauben lassen. Dass die Forderungen des demokratischen Sozialismus und der Überwindung des Kapitalismus ins Programm aufgenommen wurden, bezeugt dies am deutlichsten. Dies hat viel mit der Zeit, in der wir uns befinden, zu tun. Die Entwicklungen seit dem Börsencrash vor zwei Jahren; die Rettung der Banken, die Kurzarbeit und ersten Massenentlassungen, die Eurokrise und die ständigen Angriffe auf unsere sozialen Errungenschaften haben ihren Einfluss auf das Bewusstsein der SP-Basis. Sie will wieder eine Politik, die Fragen aufwirft und wirkliche Veränderungen fordert.

Anna Meister
Vorstand Juso Winterthur