Nach viereinhalb Jahren ist Jeremy Corbyn Geschichte. Die Labour Party hat einen neuen Vorsitzenden. Bei den parteiinternen Wahlen konnte sich der vom rechten Parteiflügel unterstützte Sir Keir Starmer durchsetzen. Eine Analyse von David Walch.

Die Niederlage bei den Parlamentswahlen im Dezember war die langersehnte Möglichkeit für das alte Partei-Establishment der Labour Party, Jeremy Corbyn, der offen für eine linke Politik eintrat, loszuwerden. Seit dessen Wahl zum Parteivorsitzenden 2015 ging ein endloser Hagel an Beschuldigungen und Sabotage seitens der im Labour-Parlamentsklub dominanten Blairisten auf ihn nieder. Ihre seit den 1990er Jahren vorherrschende Vision ist eine Labour Partei als Sachwalterin der Wettbewerbsfähigkeit des britischen Kapitalismus. Das erklärt die fundamentale Opposition gegen Corbyns sozialistischen Kurs, der die Labour Party zu neuem Leben erweckt hatte.

Gegenüber Rebecca Long- Bailey (RLB), die als Corbyns Wunschkandidatin für den Parteivorsitz gehandelten wurde, war Keir Starmer klar im Vorteil, da er sich unmittelbar nach dessen Rücktritt als Kandidat der Einheit und mit dem Versprechen, den jahrelangen internen Querelen ein Ende zu bereiten, präsentierte. Gleichzeitig versicherte er, den linken Kurs seines Vorgängers nicht umzukehren, und da er nicht offen als Anhänger des Kurses von Tony Blair auftrat, waren viele Mitglieder bereit, ihm das Vertrauen zu schenken. Von den großen Medien wurde Starmer als einzig wählbarer Kandidat präsentiert.

RLB konnte mit ihrem linken Programm (offene Wahl der Mandatare der Wahlkreise, Wiedereinführung des Clause 4 zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel) immerhin ein gutes Drittel der Stimmen auf sich vereinen, dass es aber nicht für mehr reichte, ist auch einer Schwäche der Parteilinken geschuldet. Aus Rücksicht auf die Einheit der Partei hat es weder Corbyn noch seine Favoritin gewagt, die wahren Ursachen für die letzten beiden Wahlniederlagen aufzuzeigen. Vor allem die Tatsache, dass sich Corbyn von den Blairisten in der Frage des Brexit eine „Remain“- Position, also für den Verbleib in der EU, aufdrücken hat lassen, hat der Labour Party bei den letzten Wahlen den Sieg gekostet. Die Linke scheute aber stets davor zurück, eine politische Klärung herbeizuführen, und setzte einfach das Tagesgeschäft fort wie zuvor. Und auch bei diesen parteiinternen Wahlen beugte sich RLB immer wieder vor dem Druck der Rechten.

„Nationale Einheit“

Die konservative Tory-Regierung unter Premierminister Boris Johnson begegnet der aktuellen Wirtschaftskrise, indem sie Milliarden Pfund in die Wirtschaft pumpt. Wenn die Zeit gekommen ist, die jetzt gemachten Schulden zurückzuzahlen, werden die Konservativen die Arbeiterklasse die Rechnung begleichen lassen. Eine Fortsetzung der Austeritätspolitik wird die Folge sein. Die herrschende Klasse hat eine klare Erwartungshaltung gegenüber dem neuen Vorsitzenden der Labour Party, und sowohl die konservative Partei wie auch das Labour- Establishment macht Druck auf Starmer, dass er ja ein „staatsmännisches“ und „verantwortliches“ Verhalten an den Tag legt und die Politik der Regierung im Sinne der „nationalen Einheit“ mitträgt.

Sir Keir Starmer, ein Ritter von wahrlich trauriger Gestalt, hat bereits nach wenigen Wochen alle Illusionen, er würde den Kurs von Corbyn fortsetzen, enttäuscht. Die Parteilinken im Labour-Schattenkabinett wurden durch Handlanger des Establishments ersetzt, und Starmer bietet sich für die Dauer der Krise für eine etwaige „Regierung der nationalen Einheit“ mit den Torys an. Noch gibt sich Starmer zwar als Vorsitzender der Einheit und der Mitte, doch beiden Parteiflügeln, Blairites und SozialistInnen, kann er nicht gerecht werden.

Sabotage

Mitte April wurde angesichts des Leaks eines parteiinternen Berichts – mit Aufzeichnungen von Chats, Emails usw. – offen sichtbar, welch ein Pfuhl der rechte Flügel der Partei ist. Dieser Bericht beweist, dass eine mächtige Schicht an Labour-Bürokraten bereit war, alles zu tun, um die Autorität der demokratisch gewählten Parteiführung und speziell Corbyn zu untergraben. Das umfasst bemerkenswerterweise sogar ein aktives Hinarbeiten auf eine Niederlage bei den Parlamentswahlen im Jahre 2017, um auf schnellstem Weg die Partei wieder unter Kontrolle zu bringen. Selbiges gilt für die Wahl im vergangenen Dezember. Es war zwar bekannt, dass die Blairisten seit Corbyns Wahl zum Parteivorsitzenden gegen ihn vorgingen, doch der geleakte Bericht zeigt Schwarz auf Weiß mit welch schmählichen Mitteln gegen ihn konspiriert wurde: fabrizierte Vorwürfe des Rassismus und Antisemitismus, Schikanen in der Parteizentrale gegenüber linken Abgeordneten sowie Sabotage der eigenen Partei.

Dieser Bericht sollte jegliche Vorstellung von Starmer als präsentablere Version Corbyns zerstreuen. Dass sich diejenigen, die gegenüber der eigenen Partei Verrat geübt haben, sich jetzt hinter Starmer sammelten, spricht Bände.

Die Aufgaben der Parteilinken

Jetzt ist nicht die Zeit „der Mitte und der Einheit“. Inmitten der Krise werden sich die Klassengegensätze rapide zuspitzen. Unter diesen Bedingungen ist kein Raum für Reformen. Anstatt wie Starmer derzeit auf jegliche Kritik an der arbeiterfeindlichen Krisenpolitik der Torys zu verzichten, muss ein sozialistisches Gegenprogramm aufgefahren werden. Nicht die Arbeiterklasse, sondern das Kapital und die Reichen sollen für die Krise zahlen. Der Linke in der Labour Party muss parteiintern dafür sorgen, dass die in den Leaks nachgewiesenen Saboteure vom rechten Parteiflügel, die aktiv gegen die Partei konspiriert haben, für grobe Verletzungen aus der Partei ausgeschlossen werden. Dies muss mit der Forderung für eine offene Wahl und Abwahl der Labour-Abgeordneten kombiniert werden, um die Blairisten endlich loszuwerden, denn alles was sie wollen, ist eine handzahme Partei, die der herrschenden Klasse als staatstragend und regierungsfähig erscheint. Jetzt braucht es aber das genaue Gegenteil. Um eine wirkliche Einheit gegen den Klassengegner herstellen zu können, müssen einmal die Widersprüche innerhalb der eigenen Partei offen zu Tage treten und ausgefochten werden. Die große Stärke der Parteilinken ist ihre Massenbasis, die sie sich unter Corbyn aufgebaut hat. Bis dato wurde davor zurückgeschreckt, diese Basis gegen den rechten Flügel zu mobilisieren. Stattdessen hoffte man stets auf einen Kompromiss. Auf einen Kompromiss mit den Apparatschiks zu hoffen, ist aber äußerst blauäugig und kommt einem politischen Selbstmord gleich.

David Walch