Die Jahresversammlung der JUSO hat sich mit grosser Mehrheit für die Co-Kandidatur von Meyer und Wermuth für das SP-Präsidium ausgesprochen. Wie positionieren sich Marxisten gegenüber dem Duo, das einen «linken Aufbruch» verspricht?
«Linker Aufbruch» lautet der Slogan der Kandidatur von Mattea Meyer und Cedric Wermuth. Spätestens nach der historischen Wahlniederlage der SP im vergangenen Herbst ist dieser auch dringend nötig. Entweder schlägt die SP einen klar linken Kurs ein und wird zu einem Kampfinstrument der Lohnabhängigen und der Jugend. Oder die Partei versinkt gänzlich in die Bedeutungslosigkeit. Diese Dringlichkeit haben die JUSO-Delegierten an der Jahresversammlung (JV) Mitte Februar erkannt.
Schnell wurde deutlich, dass die Gegenkandidatur von Priska Seiler-Graf und Matthias Reynard zurecht als die klar rechtere identifiziert wurde. Sie sind angetreten, um die linkere Kandidatur von Meyer-Wermuth zu verhindern. Und im Gegensatz zum «linken Aufbruch» stehen klar für ein Weiter-wie-bisher.
Dass Reynard einen kämpferischen Ton anschlägt und teilweise einen Klassenstandpunkt vertritt, wird dadurch nichtig, dass er sich mit der Sicherheitspolitikerin Seiler-Graf zusammengeschlossen hat, die am rechten Rand der Partei steht. Auch an der JV machte sie ihre liberalen Positionen zum Frauenrentenalter und zur EU («ein Friedensprojekt») deutlich. Die JUSO hat erkannt, dass die SP sicherlich kein «komplementäres» Präsidium braucht, das «alle Richtungen der Partei abdeckt». Die SP braucht einen radikalen Linksrutsch!
Genau mit dieser ehrlichen Hoffnung stimmten schlussendlich über drei Viertel aller Delegierten für das Duo Meyer-Wermuth. Ihre Kandidatur hat es sich zum Ziel gesetzt, die Löhne zu erhöhen, die Krankenkrassenprämien zu senken und den Finanzplatz zu besteuern und so für die Klimakrise verantwortlich zu machen. Diese Forderungen gehen in die richtige Richtung. Doch können Meyer und Wermuth aufzeigen, wie diese Verbesserungen tatsächlich erkämpft werden können?
Ära Levrat und die Krise des Reformismus
Meyer und Wermuth erklären, dass die SP in der Vergangenheit immer wieder erfolgreich Verbesserungen für die Lohnabhängigen umgesetzt hat. Das stimmt für die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Arbeiterklasse auf der Basis des kontinuierlichen Wirtschaftsaufschwungs Verbesserungen erkämpfen konnte, wie zum Beispiel die AHV.
Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Der Kapitalismus befindet sich in seiner wohl tiefsten Krise der Geschichte. Die Kapitalisten haben keinen Ausweg aus der Krise ihres eigenen Systems zu bieten. Sie setzen alles daran, ihre Profitbedingungen zu retten, indem sie die Lohnabhängigen für ihre Krise bezahlen lassen. In der Schweiz stagnieren seit 30 Jahren die Lebensbedingungen.
So hat auch die reformistische SP-Politik in der aktuellen Periode ihre Grundlage verloren. Die Kapitalisten sind nicht bereit zu irgendwelchen Zugeständnissen und Verbesserungen für die Lohnabhängigen – im Gegenteil: Sparmassnahmen und Frontalangriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen sind seit Jahren Realität. Die sozialdemokratischen Parteien, die in ihrem politischen Denken noch immer in der Nachkriegszeit stecken, waren mit ihrer Kompromisspolitik nicht nur unfähig, diese Angriffe abzuwehren, sondern haben sie vielfach direkt mitgetragen. Dass sie europaweit das Vertrauen der Arbeiterklasse verloren haben, ist die logische Konsequenz davon.
In diesen Zeiten hat linke Politik nur Aussicht auf Erfolg, wenn sie bereit ist, in der Verteidigung der Interessen der Lohnabhängigen mit dem Kapital zu brechen. Wer die bürgerliche Krisenpolitik mitträgt, verliert in den Augen der Massen – völlig zurecht – seine Legitimität.
Die letzte Präsidentschaft der SP von Christian Levrat hatte dies ganz eindeutig nicht eingesehen. Levrat wurde 2008 zum Präsidenten der SP gewählt. Dieses Jahrzehnt war geprägt von der bürgerlichen Krisenpolitik, von Sozialabbau, Stagnation und Konterreformen. Levrats SP konnte dagegen nichts ausrichten. Die sogenannten Kompromisse, wie der Vorschlag zur Rentenreform AV2020, die Steuer-AHV-Reform STAF und die Anstehende BVG-Reform, sind direkte Zugeständnisse an die Kapitalisten. Das Vermächtnis von Levrat ist ein Vermächtnis der faulen Kompromisse und wurde von den WählerInnen im Herbst 2019 mit einem Einbruch an 10% der Stimmen abgestraft.
«Linker Aufbruch»: Riesiges Potenzial und Notwendigkeit
Die grosse Schlussfolgerung daraus muss sein: Will die SP nicht gänzlich untergehen, muss sie mit dem Reformismus brechen und der bürgerlichen Krisenpolitik bedingungslos den Kampf ansagen. Statt zu versuchen, die Bürgerlichen zu Zugeständnissen zu überreden, muss die SP zu einer wirklichen Partei der Lohnabhängigen werden. Die Lohnabhängigen können nur mit härteren Kampfmethoden – heisst: Streiks und Massendemos – echte Verbesserungen erkämpfen. Es die Aufgabe der SP, diesen Weg mit der Arbeiterklasse einzuschlagen.
Meyer-Wermuth sagen in ihrem Programm und an der Jahresversammlung der JUSO, dass sie «reale Verbesserungen im hier und jetzt» wollen. Das ist der richtige Anspruch. Das Duo will die SP auch in den aktuellen Bewegungen verankern, was völlig korrekt ist. Die grossen Bewegungen vom letzten Jahr haben aufgezeigt, dass die Krisenpolitik und die soziale Stagnation zu einer Radikalisierungswelle geführt haben. Diese angestaute Wut und Energie ist letztes Jahr bei Klimastreik und Frauenstreik eindrücklich ausgebrochen. Es ist dieses riesige Verlangen nach einer wirklichen Veränderung, das einem radikalen Kurswechsel weg von der Kompromisspolitik hin zu einem kämpferischen sozialistischen Programm eine breite Basis verschaffen würde.
Leider zeigen Meyer-Wermuth viel zu wenig auf, wie der notwendige «linke Aufbruch» geschehen soll. Ihr Programm spricht zwar einzelne wichtige Punkte an. Doch es bleibt bei einer abstrakten «Vision», wie Verbesserungen erzielt und wie die Bewegungen zum Sieg geführt werden sollen. Vage Floskeln wie «sich mit den Bewegungen vernetzen» bleiben ohne jeden politischen Inhalt. In ihrem ganzen Programm findet sich das Wort Krise nur in Zusammenhang mit dem Klima. Obwohl die Krise des Kapitalismus den Rahmen für alle aktuellen politischen Fragen setzt. Es wird in keiner Weise aufgezeigt, dass und wie die Lohnabhängigen sich in der Krise verteidigen sollen.
Keine Kompromisse!
Auf der Agenda der nächsten Legislatur (grosse Analyse in der letzten Funke-Ausgabe 87) stehen bereits Dutzende kapitalistische Konterreformen: Rentenreformen, Privatisierungen, weitere Steuersenkungen für Firmen, Abholzung der flankierenden Massnahmen und Arbeitszeitflexibilisierungen. Solche Angriffe auf die Lohnabhängigen fallen nicht vom Himmel. Sie sind für die Kapitalisten eine Notwendigkeit, um in der Krise und verschärften Konkurrenz ihre Profite zu sichern. Die Bürgerlichen haben den Lohnabhängigen den Kampf angesagt und wir müssen ihn erwidern! Die Interessen der lohnabhängigen Mehrheit stehen den Profitinteressen des Kapitals diametral zuwider. In der kapitalistischen Krise gibt es keine Basis für soziale Verbesserungen durch Kompromisse und Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen.
Meyer und Wermuth erklären nicht, wie man mit der Kompromisspolitik brechen soll. Im Gegenteil tischen sie den tausenden sich radikalisierenden Menschen bürgerliche Binsenwahrheiten wie «Kompromisse sind das Wesen der Demokratie» auf. An der JV stellten sie Kompromisse gar als «Teil der SP-DNA» dar und betonen bei jeder Gelegenheit, dass sie sich nicht als Bruch mit der Ära Levrat verstehen. Beide haben bereits in der Vergangenheit im Nationalrat als Teil der SP-Fraktion der AV2020 (der Erhöhung des Frauenrentenalters) zugestimmt. Solche Politik ist ein grosser Fehler. Damit gibt es keinen Weg vorwärts! Die Erhöhung des Frauenrentenalters ist kein Kompromiss! Steuererleichterungen für Grosskonzerne sind keine Kompromisse! Es sind Angriffe auf die Lebensbedingungen der lohnabhängigen Bevölkerung. Und sie treiben die Arbeiterklasse zurecht weiter weg von der SP.
Die einzige Art und Weise, diese aggressive Krisenpolitik der Bürgerlichen abzuwehren besteht darin, die ArbeiterInnen und die Jugend für diesen Kampf zu mobilisieren. Nur so kann die SP das Vertrauen der lohnabhängigen Menschen wiedergewinnen. Und nur auf Grundlage dieses Vertrauens kann tatsächlich gegen die Bürgerlichen mobilisiert und gekämpft werden.
Wie kämpfen?
Wir Revolutionäre sagen keinesfalls, dass es in Krisenzeiten keine Errungenschaften zu holen gibt. Wir sagen, dass die Kapitalisten regelrecht dazu gezwungen werden müssen, Zugeständnisse zu machen. Dies ist möglich, weil die Arbeiterklasse die stärkste soziale Kraft ist. Unsere Klasse stellt die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft dar. Unsere Klasse schafft alle gesellschaftlichen Reichtümer, indem sie produziert, dienstleistet, pflegt und erzieht. Wenn unsere Klasse den Kapitalisten geeint gegenübersteht, mit Streiks und Massenmobilisierungen, kann sie die Kapitalisten zu grossen Zugeständnissen zwingen.
Genau hier wird die Aufgabe der grossen Organisationen wie der SP deutlich: Sie müssen die Arbeiterklasse ihrer eigenen Stärke bewusst werden lassen.
Dies macht man nicht, indem man den Lohnabhängigen und die Jugend einmal alle vier Jahre sagt, sie sollen für die SP stimmen, sondern indem man sie in den Kampf zieht. Indem man erklärt, dass die Lohnabhängigen und die Jugend ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können und müssen. Dass sie dieses Schicksal nicht in die Hände der Kapitalisten und auch nicht in die Hände von linken ParlamentarierInnen legen können. Sie müssen selber kämpfen!
Die Arbeiterklasse ist sehr schwach im Parlament. Erstens wird ihre grösste Stärke, ihre Masse, ersetzt durch ein paar Einzelpersonen. Zweitens stehen diese Einzelpersonen, so ehrlich sie auch sein mögen, den vereinten Kräften der Bourgeoisie gegenüber – den Bürgerlichen, dem gigantischen Apparat des bürgerlichen Staates, dem bürgerlichen Gesetz, dem von den Kapitalisten kontrollierten Staatshaushalt, und im Extremfall auch der Polizei und der Armee. Im Parlament den Klassenkampf austragen zu wollen ist wie ein Wettrennen zwischen einer Schubkarre und einer Dampflokomotive.
Doch die Arbeiterklasse ist potenziell sehr stark auf der Strasse und am Arbeitsplatz. Mit Streiks und Massendemos werden die tatsächlichen Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft aufgezeigt. Die Wirtschaft wird stillgelegt, die Kapitalisten sind gezwungen, Konzessionen zu machen. Nur mit diesen Kampfmethoden könnten die Forderungen von Meyer-Wermuth nach Lohnerhöhungen und Besteuerung des Finanzplatzes in der heutigen Krisenperiode auch tatsächlich erkämpft werden.
Offener Flügelkampf
Der Bruch mit der bisherigen Politik der SP erfordert einen entschiedenen Kampf gegen den rechten Flügel innerhalb der SP. Es sind die Jositschs, Mario Fehrs und Seiler-Grafs, die die Interessen der Bürgerlichen innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse vertreten. In der SP bedeutet das seit langer Zeit die Unterordnung der lohnabhängigen Interessen, nämlich in Form von «Kompromissen» und von der SP mitgetragenen Angriffen.
Es ist deshalb ein grosser Fehler, dass Meyer-Wermuth den politischen Flügelkampf in der SP verneinen. Jedes JUSO- und SP-Mitglied sieht diesen Flügelkampf bei der täglichen politischen Arbeit! Meyer erklärte in der Republik und an der JV: «Will ich Mitglied sein einer homogenen, aber dementsprechend kleinen Partei? Wo ich mit fast allem einverstanden sein kann, dafür aber die Wirkungsmacht eingeschränkt ist? Oder will ich Teil einer Volkspartei im positiven Sinne sein, die inhaltlich keine homogene Gruppe ist?»
Doch eine SP der Kompromisse hat in Krisenzeiten nicht nur überhaupt keine «Wirkungsmacht» – die SP hat seit Jahrzehnten keine Reform mehr erkämpft. Sie ist umgekehrt ihrem unausweichlichen Untergang geweiht, weil sie – völlig zurecht – auch noch die letzte Unterstützung unter den Lohnabhängigen verlieren wird!
Heute ist ein kämpferisches, sozialistisches Programm das einzige, was der SP wieder massenhaft Unterstützung bringen kann. Corbyns Programm in Grossbritannien hat dies vorgemacht. Auch wenn er keinesfalls den Bruch mit dem Kapitalismus suchte, haben seine unverschleierte Konfrontation mit Politik der Kapitalisten und seine klaren Worte gegen Sparmassnahmen und Privatisierungen einen Widerhall bei Millionen von ArbeiterInnen gefunden.
Ohne einen entschiedenen Kampf gegen den rechten SP-Flügel wird es keinen «linken Aufbruch» geben. Die rechten Elemente in der Partei müssen klar als solche benannt und von der ganzen Partei unter Druck gesetzt werden. Mit ihnen wollen wir nicht «einverstanden» sein! Sie sind es, die die Interessen der Bürgerlichen direkt in die Partei tragen. Wir sind «einverstanden» mit den Hunderttausenden von Lohnabhängigen, die den immer höheren Druck im Alltag und auf der Arbeit Leid sind und die nicht sehen, was die SP mit ihrer aktuellen Politik ihnen noch bieten sollte.
Rolle der JUSO
Das Duo Meyer-Wermuth verspricht einen «linken Aufbruch». Die JUSO hat ihnen an der JV ihre Unterstützung zugesichert, weil die Hoffnung besteht, dass sie in der Partei eine Veränderung herbeiführen. Weil wir das angestrebte Ziel teilen, unterstützen wir ihre Kandidatur, wenn auch sehr kritisch.
Wir müssen klar sagen, dass Meyer-Wermuth mit ihrem Programm im Moment nicht im Geringsten zeigen, wie der dringend notwendige Kurswechsel möglich sein sollte. In den entscheidenden Fragen betonen sie die Kontinuität zur Ära Levrat. Das muss sich unbedingt ändern, ansonsten ist nicht ersichtlich, wie das Duo durch das SP-Präsidium irgendeine Veränderung bewirken sollten.
Die JUSO darf hier keinesfalls einfach passiv daneben stehen, in der Hoffnung, dass die Alt-JUSOs Meyer-Wermuth es schon richten werden. Der JUSO kommt als quasi-linker Flügel der SP eine aktive und entscheidende Rolle zu: Sie muss selbst für einen radikalen Bruch mit der Kompromisspolitik und für ein sozialistisches Programm einstehen und dafür sorgen, dass Meyer-Wermuth diesem grossen Versprechen des «linken Aufbruchs» auch Taten folgen lassen.
Die Unterstützung der JUSO für Meyer-Wermuth muss zwingend an die Bedingung geknüpft sein, dass Meyer und Wermuth im Verlauf der Kampagne aufzeigen, dass sie es ernst meinen mit dem linken Aufbruch. Die JUSO muss ab sofort, während und nach der Kampagne, das Duo so unter Druck setzen, dass sie klare Schritte nach links machen.
Was wir von ihnen fordern müssen, ist glasklar:
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