Wer die Gesellschaft verändern will, braucht klare Perspektiven. Deshalb erarbeiten wir jedes Jahr eine allgemeine Einschätzung der wirtschaftlichen und politischen Konjunktur in der Schweiz. Hier veröffentlichen wir den Entwurf des diesjährigen Dokumentes. Er wird aktuell von allen FunkeunterstützerInnen diskutiert. An einer nationalen Konferenz wird er dann mit Anträgen abgeändert und verabschiedet. Danach bildet er einen Kompass, welcher unsere politische Arbeit im nächsten Jahr orientieren soll.
Entwurf – Teil 4 von 4
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Das Resultat der Wahlen zu interpretieren ist keine einfache Aufgabe. Wahlen sind Momentaufnahmen, in denen sich die Interessen der Arbeiterklasse immer nur über die ihnen fremden, bürgerlichen Mechanismen ausdrücken können. Vier Elemente charakterisieren die Resultate: Erstens die (für Schweizer Verhältnisse) grossen Verschiebungen, die eine neue Periode der Volatilität widerspiegeln. Der historische Zuwachs bei den Grünen hat wie auch die Verluste der SP nur wenige Vergleiche. Zweitens sind die Resultate offensichtlich Ausdruck der Massenbewegungen des letzten Jahres, was sich wiederum bei den Grünen, aber auch im höheren Anteil gewählter Frauen abzeichnet: Es waren die Proteste auf der Strasse, die erst etwas bewegten. Drittens wurden alle «traditionellen» Parteien von der SVP über die FDP, BDP, und CVP bis zur SP abgestraft. Viertens sank die Wahlbeteiligung, gerade bei den Lohnabhängigen mit niedrigem Einkommen. Insbesondere die SVP und die SP, die zwei Favoriten unter den WählerInnen mit tiefem Einkommen, stiessen 2019 auf Desinteresse der Lohnabhängigen.
Die Niederlage der SP – das schlechteste Ergebnis seit 100 Jahren – ist ein Warnschuss. Gerade der massive Wechsel von linken Wählern zu den Grünen zeugt von der Unzufriedenheit der Wählerbasis. Die Politik der faulen Kompromisse kann weder die Wählerschaft bei Stange halten, geschweige denn Neuwähler überzeugen. Nach einem Jahr der Mobilisierung um Kernthemen der SP und mit sozialen Problemen als wichtigste Wahlfragen hat die Partei keinerlei Neuwähler und Jugendliche dazugewinnen können! Wer aus den Wahlen und dem Absacken der Sozialdemokratie in allen Nachbarländern keine Konsequenzen zieht, wird dafür teuer bezahlen.
Die Grünen gewannen über 140’000 Stimmen dazu, was ihren Anteil fast verdoppelte. Darunter ist jede fünfte NeuwählerIn und jede zwanzigste SP-WählerIn. Bei der Jugend war sie mit 17% die zweitstärkste Partei (hinter der SVP mit 22%). Die Grünen wurden also von der Protestwelle ins Parlament gewählt, gerade weil sie als unverbrauchte Kraft noch nicht gründlich getestet wurden. Wie in anderen Ländern testen die Wähler die neuen Kräfte aus.
Ihre objektive Rolle ist es jedoch, die Aufmerksamkeit der Bewegung weg von der Strasse in die sicheren Bahnen des bürgerlich-parlamentarischen Spieles zu leiten. In dieser Rolle fühlen sie sich sichtlich wohl: Wie auch die SP beschränkte sie sich auf Lenkungsabgaben wie das CO2-Gesetz, mit denen sie die Illusion verteidigen, dass die Klimakrise mit den Mitteln des Kapitalismus selber gelöst werden könne. Obwohl sie von einer Massenbewegung gewählt wurden, setzten sie zum Erreichen ihrer Ziele ausschliesslich auf parlamentarische Mittel und Kompromisse. Parteipräsidentin Rytz hofft naiv, «dass die FDP und die CVP weiterhin auf ihrem Klimakurs bleiben und dass auch die Wirtschaft mit uns gemeinsam am gleichen Strang zieht». Sie wählen also genau den Kurs, der bei der SP gerade mit einem katastrophalen Ergebnis belohnt wurde. Ihr zentraler Fehler ist es, das Kräfteverhältnis im Parlament mit dem in der Gesellschaft zu verwechseln. Wie oben erwähnt gingen 55% der Wahlberechtigten nicht an die Urne. Die Mehrheit der Lohnabhängigen hat also noch keine Position bezogen.
Das Wahlergebnis der Grünen selber beweist, dass mit diesem Thema und Mobilisierungen neue Sektoren der Gesellschaft aktiviert werden können. Darauf müsste sich die SP stützen. Sie müsste der Bewegung ein konsequentes, antikapitalistisches Programm vorschlagen und den Kampf auf der Strasse, in den Betrieben und im Parlament führen. Die SP hat weiterhin die Tradition einer Arbeiterpartei, wenn auch mit liberaler Führung. Diese ist jeweils dem Druck der Basis und der Gewerkschaften ausgesetzt. Die Grünen hatten niemals diese Verankerung in der Arbeiterklasse und v.a. der organisierten Arbeiterbewegung gehabt. Die Parteibasis der Grünen hat weder die (arg angeschlagene) historische Verankerung der SP bei den Arbeiterschaft, noch die Verbindung zu den Gewerkschaften. Somit sind die grünen Politiker dem ideologischen Druck der Bourgeoisie völlig ausgeliefert. Kompromisse mit den Bürgerlichen sind ihre einzige Hoffnung, was Rytz’ Appell an FDP und CVP unterstreicht. Wir dürfen kein Vertrauen in die Grünen haben. Die Erwartungen an die Partei werden frontal mit ihrem Verhalten im Parlament zusammenstossen. Mit einem grünen Bundesratssitz würde die Integration der Grünen in die Verwaltung eines Kapitalismus in der Krise noch beschleunigt.
Die SVP hat 120’000 Stimmen verloren und damit eine herbe, aber verkraftbare Niederlage erlebt. Sie bleibt die stärkste Partei. Dass 10% ihrer Wähler zu Hause geblieben sind, erklärt sich mit der internen Krise der Partei, die wir anderswo eingehend analysiert haben. Um die SVP richtig zu schwächen, braucht es eine Linke, die ein konsequentes Programm verteidigt und so die Lohnabhängigen in der SVP-Wählerbasis zurückgewinnt. Dass diese Wahlen mehr SVP-Wähler zu SP und den Grünen gewechselt haben als zur CVP und FDP, zeigt, dass dies möglich wäre. Solange dies nicht getan wird, kann sich die SVP trotz der Zunahme der internen Widersprüche immer wieder erholen.
Es ist klar, welche Prioritäten die WählerInnen setzen. Eine Nachwahlbefragung ergab folgende wichtigste Aufgaben: Gesundheitskosten für 31%, Klimawandel 20%, Rahmenabkommen mit der EU 19%, Altersvorsorge 14% und erst dahinter Migration/AusländerInnen für 13% der Befragten[1]. Diese Probleme im Interesse der grossen Mehrheit zu lösen steht aber nicht auf der Prioritätenliste der Bürgerlichen.
Die FDP-Fraktion behauptet, bei 94% aller Schlussabstimmungen im Parlament und Volksabstimmungen zu den Siegern gehört zu haben. Das zeigt einerseits die Stabilität der bürgerlichen Machtausübung durch die bürgerlich-demokratischen Institutionen. Am Schluss setzten sich die Interessen des Kapitals immer noch durch. Andererseits brauchte es für einige dieser Siege aber mehrere Anläufe.
Dieser FDP-Stolz kontrastiert mit der Diskussion über die «verlorene Legislatur». Die economiesuisse musste sich bis zur Einführung des Lehrplanes 21 durchgraben, um noch einen Sieg präsentieren zu können. «Blockade Überwinden» titelt ihre Legislaturbilanz. «Die Bilanz fällt ernüchternd aus. Sie ist vor allem durch Stagnation und Rückschritte geprägt.». Kurz gesagt sind die notwendigen Anpassungen für das Schweizer Kapital, wie die Reduktion der obligatorischen Arbeitszeiterfassung oder die Erhöhung des Rentenalters der Frauen, nicht erreicht worden. Die Sicherung der Wirtschaftsbeziehung zur EU endete in einer historischen Blockade des Bundesrats um die Frage des Rahmenabkommens. Die Bürgerlichen – mit Schützenhilfe der SP – brauchten die ganze Legislatur, um die abgelehnte Unternehmenssteuerreform zu retten. Dies erreichten sie nur um den Preis, dafür dem Instrument des Referendums seine magische demokratische Aura zu entziehen. Allen denkenden Menschen war klar, dass die STAF ein undemokratischer Kuhhandel war, der das Referendum aushebeln sollte. Die Frage, wie man grosse Konterreformen am Referendum vorbeimogelt, hat die Vertreter der Bourgeoisie intensiver beschäftigt. Das dies eine der Formen sein wird, wie sich die Regimekrise in der Schweiz zeigt, haben wir immer betont.
Ein Teil der Blockade ist auf die Konflikte innerhalb der Bourgeoisie zurückzuführen. Trotz ihrer Mehrheit fanden die bürgerlichen Parteien keine gemeinsame Linie. Viele Vorlagen wurden dank der Alle-Gegen-die-SVP-Allianz angenommen. Die Opposition der SVP hat für die Bürgerlichen den Vorteil, dass die Linke immer ein Teil der Verantwortung der bürgerlichen Politik mitträgt. Seltener konnten die Gewerkschaften mit Referendumsdrohungen Angriffe auf die Nachwahlperiode vertagen (Arbeitszeit und Rahmenabkommen).
Für die Bourgeoisie sind die Ziele in der neuen Legislatur klar: die Strommarkt- und Postliberalisierung, Privatisierungen, Lockerung der Arbeitszeiterfassung (de facto Gratisüberstunden in Minutentranchen), AHV-Konterreform und Rentenaltererhöhung, Freihandelsabkommen mit einigen Ländern und Sicherung des EU-Zugangs. Die Krise wird ihre Durchsetzung beschleunigen. Damit ist die Agenda der nächsten Legislatur gegeben!
Nachdem wir die Situation der Lohnabhängigen, die Massenbewegungen des letzten Jahres und die politischen Ziele der Bourgeoisie angeschaut haben, müssen wir uns nun den Werkzeugen zuwenden, welche die ArbeiterInnenklasse heute hat, um sich zu wehren.
In ihrem Kampf gegen die massiven Angriffe auf ihren Lebensstandards hat die Arbeiterklasse nur die Organisationen zur Verfügung, die sich historisch herausgebildet haben. Wenn sich die Arbeiterklasse nach längeren Perioden der Passivität zum ersten Mal wieder zu bewegen beginnt, wendet sie sich zuerst an ihre traditionellen Organisationen. In diesem Prozess ist es falsch, die reformistischen Parteien und Gewerkschaften einfach als verräterisch abzustempeln und ihnen den Rücken zuzuwenden. Denn dadurch verschwinden sie nicht und behalten ihre hunderttausenden Mitglieder und ihre historische (und vor allem konkurrenzlose) Verankerung in der Klasse.
Doch dieser Regel ist nicht die einzige. Die Politik, mit der diese Organisationen auf die Krise und die Angriffe reagieren, entscheidet ebenfalls mit, ob diese Organisationen das Vertrauen der Lohnabhängigen zurückgewinnen oder nicht. Heute sehen die Lohnabhängigen eine Praxis, die völlig unfähig ist, ihren Lebensstandard zu verteidigen geschweige denn zu verbessern. Ob die Klasse für ihren Kampf gegen Krise und Kapitalismus die heutigen reformistischen Organisationen, also die SP und die grossen Gewerkschaften wählt, hängt direkt davon ab, wie diese Organisationen auf die kommenden Angriffe reagieren. Entscheidend ist, ob sie unter dem Druck des steigenden Klassenkampfniveaus mit der selbstmörderischen Praxis der Klassenkompromisse brechen und sie durch den radikalen Kampf gegen die Krisenpolitik ersetzen.
Die traditionellen Massenorganisationen der Arbeiterbewegungen sind reformistisch, was bedeutet, dass sie versuchen, in Verhandlungen mit den Patrons und bürgerlichen Parteien die Situation der Lohnabhängigen zu verbessern. Diese Praxis führte dazu, dass ihre Geschichte von einer Tradition von Kompromissen mit der Bourgeoisie gezeichnet ist. Im Kapitalismus gelten solche Kompromisse so lange, wie sich die Kapitalisten diese Konzessionen an die ArbeiterInnen leisten können.
Als Marxisten unterstützen wir jede Reform, welche die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse verbessert. Die Strategie aber, die sich ausschliesslich auf Reformen konzentriert, war schon immer falsch, weil sie die Klassengrenzen verwischt, indem sie die Kapitalisten als Partner darstellt, die Lohnabhängigen darin nur eine passive Rolle spielen und durch Verhandlungen die Macht der Lohnabhängigen viel weniger klar demonstriert wird als durch Streiks und die kollektive Organisation.
In der Periode nach dem zweiten Weltkrieg erreichten die Gewerkschaften substantielle Verbesserungen für die Lohnabhängigkeiten – nicht dank, sondern trotz ihrem Reformismus. In einer Zeit des enormen Wirtschaftswachstums und der fetten Profite konnten sich die Kapitalisten den Arbeitsfrieden leisten. Diese Ausnahmesituation ist spätestens seit den 80er Jahren vorbei. Seither befinden wir uns in einer Periode der Stagnation und seit 2008 in der offenen Krise.
In dieser Situation gibt es für Kompromisse keinen Platz mehr. Die oben erörterte Situation von Überproduktion und verstärkter Konkurrenz zwingt die Kapitalisten zu direkten Angriffen in den Betrieben und den Staat zu einem harten Kurs von Steuersenkungen, Kürzungen und Sozialabbau. Wir müssen verstehen, dass auf Basis der Krise der Platz für Reformen verschwunden ist und sich damit die Grundlage für den Reformismus als Strategie aufgelöst hat. Die Krise des Kapitalismus führt zur Krise des Reformismus.
In dieser Situation stehen alle sozialdemokratischen, also reformistischen Parteien vor einem Richtungsentscheid. Entweder sie entwickeln sich nach rechts und beenden ihre eigene Existenz unspektakulär im rapidem Bedeutungsverlust wie die Pasok in Griechenland oder die französische sozialistische Partei, oder aber sie machen markante Schritte nach links und präsentieren sich als konsequente Verteidigung der ArbeiterInnenklasse, des Sozialstaates und der am härtesten geschundenen Schichten der Lohnabhängigen. Doch dazu muss radikal mit der Kompromisslogik und der Klassenkollaboration der Sozialpartnerschaft gebrochen werden. Das sind notwendigerweise die ersten Schritte auf dem Weg des Aufbaus einer konsequenten Partei der ArbeiterInnenklasse.
Will die SP nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, muss sie die Wahlschlappe als Weckruf verstehen. Nach den Wahlen braucht es eine breite Diskussion über die grundsätzliche Neuorientierung der gesamten Parteipolitik, der Praxis und Ziele. Die nächsten Angriffe sind bereits in Vorbereitung. Wenn sich die SP und die Gewerkschaften im Kampf gegen diese nicht beweisen, können sie schnell noch das letzte Vertrauen verlieren.
Faktisch, wenn auch nicht unbedingt bewusst, haben grosse Teile der Klimabewegung die Sozialdemokratie links überholt. Ihre Forderungen sind radikaler, ihr Verständnis der Probleme tiefer, globaler und ganzheitlicher. Fragt man eine durchschnittliche 16-jährige Klimastreikende, ist sie sich dessen bewusst, dass mehr als die Parlamentsarbeit vonnöten ist. Was das genau bedeutet und was es dann wirklich braucht, das weiss dieser Teil der Jugend noch nicht. Es gibt bisher auch keine Partei, die mit ihnen über genau diese Fragen diskutiert und ihnen ein kohärentes Programm anbietet, das diese Fragen beantwortet.
In dieser Situation ist es die Aufgabe der Massenorganisationen, den aktiven Widerstand gegen die Angriffe der Kapitalisten, gegen die Klimakrise und für das Ende der Frauenunterdrückung zu organisieren. Ohne geeinten Widerstand sind die Leute isoliert und müssen individuell mit ihren Problemen zurechtkommen. Die Möglichkeit, diese Probleme zu überwinden, scheint ihnen eine abwegige Utopie. Erst wenn die Lohnabhängigen in Bewegung kommen, wenn sie sich zu wehren beginnen, erkennen sie ihre gemeinsamen Interessen und ihre kollektive Kraft.
Die SP und die Gewerkschaften hätten dank ihrer Verankerung, ihrer Grösse und ihrem Apparat die reelle Möglichkeit, diese Kämpfe zu organisieren und vorwärtszutreiben. Doch die vielen motivierten Aktivisten aus dem Klimastreik oder die kämpferischen Kita-Mitarbeiterinnen vom Frauenstreik gewinnt man nur für den gemeinsamen Kampf, wenn man ihnen aufzeigen kann, wie die Verbesserungen wirklich zu gewinnen sind. Die Ausrede «wir wollen Bewegungen nicht vereinnahmen», welche man z.B. in der JUSO und der SP hört, ist ein Zeugnis davon, dass sie mit ihrer aktuellen Politik diesen Bewegungen nichts zu bieten haben. Sie wissen nicht, wie man den Kampf so organisiert, dass man die gesteckten Ziele erreicht. Ihre Methoden – also der Reformismus und die Suche nach Kompromissen im Parlament – bringen die Bewegungen keinen Schritt weiter.
Was den Bewegungen fehlt, ist eine Perspektive, wie man die Probleme an der Wurzel angeht. Wollen wir aufzeigen, wie man gewinnen kann, müssen wir mit einer ehrlichen Einschätzung der Situation beginnen. Die Zeit der Hinterzimmerverhandlungen ist vorbei. Heute führen nur radikale Kampfmassnahmen und Streiks zu Erfolgen. Das ist die Grundlage, auf der wir die Lohnabhängigen überzeugen, wirklich zu kämpfen, zu streiken und in den Kämpfen ihre Jobs und das Wohlergehen ihrer Familien aufs Spiel zu setzen.
Fest steht, dass die einzelnen Kämpfe, also etwa gegen die Ausbeutungsbedingungen in den Spitälern und Fabriken, die Umweltzerstörung und die Unterdrückung der Frau, nur in einem gemeinsamen Kampf erfolgreich sein können. Die Grundlage um diesen Zielen näher zu kommen ist die Überwindung des Kapitalismus – nicht als definitive Antwort, sondern als notwendige Grundlage, um entschiedene Schritte in die richtige Richtung tun zu können. Dieses Verständnis ist heute wenig verbreitet.
Unser Programm muss also gleichzeitig die Ursachen der Probleme im Kapitalismus klar erklären und Wege aufzeigen, wie diese überwunden werden können. Es muss aufzeigen, wie man sich so organisiert, dass man einen kollektiven Kampf führen kann, indem die Lohnabhängigen selber für ihre eigene Emanzipation kämpfen und diesen Prozess demokratisch kontrollieren. Nur ein marxistisches Programm hat die Kohärenz, um diese Zusammenhänge klar aufzuzeigen. Ohne ein solches Programm, das den Bruch mit dem System immer klar vor Augen hat und alle Kämpfe auf dieses Ziel richtet, können die Bewegung keine dauerhaften Erfolge erringen. In der Krise ist die Bourgeoisie gezwungen, jeden Teilsieg schnellstmöglich wieder rückgängig zu machen.
Die JUSO ist weiterhin die einzige linke nationale Jugendorganisation, welche die aktuellen Kämpfe der Jugend auf Grundlage des dringend benötigten sozialistischen Programms vereinen könnte. Dass die JUSO-Führung sich weigert, aktiv und organisiert in den Bewegungen zu intervenieren, hat zumindest vorerst nichts an der objektiven Rolle der JUSO im Schweizer Klassenkampf geändert. JUSO-Mitglieder waren schweizweit für die Ausweitung und Koordination des Klimastreiks entscheidend. Doch traten sie dabei und danach nur als Einzelmitglieder auf und liessen die Bewegung somit zurück – und das vor allem ohne sozialistisches Programm. Damit blockieren sie, dass die Bewegung ihre eigenen Ziele erreichen kann. Die marxistische Strömung wird weiterhin revolutionäre Positionen in der JUSO verteidigen.
In den Kämpfen erkennen immer mehr Lohnabhängige die Notwendigkeit eines solchen Programmes. Und diese Prozesse werden auch den Druck von der Basis auf die Führung der SP erhöhen. Bisher zeigt die Führung jedoch überhaupt kein Verständnis für die neue Ausgangslage und die Notwendigkeit eines radikalen Schwenkers nach links. Doch die Wahlschlappe hat die Notwendigkeit eines Flügelkampfes in der SP wieder auf den Tisch gebracht. Bisher versucht die Führung, dies unter den Teppich zu kehren. Doch die Widersprüche innerhalb der SP – zwischen dem rechten, offen bürgerlichen und den linkeren und gewerkschaftsnahen Elementen – bleiben bestehen. In dieser Auseinandersetzung zeigen sich in Konturen die miteinander streitenden Tendenzen in der SP: Entweder sie wird zur bürgerlichen Partei oder erobert mit einem kämpferischen sozialistischen Programm die Lohnabhängigen zurück.
Als einzige linke Kraft innerhalb der SP wäre es die Aufgabe der JUSO, einen organisierten und offen auftretenden linken Flügel in der Partei aufzubauen. Dies ist von höchster Dringlichkeit, denn die Verankerung der SP bei den Lohnabhängigen hat in den letzten 30 Jahren extrem abgenommen und ist nicht mehr sehr tief. Der rechte Flügel, der den Anker unter der Arbeiterklasse ganz einziehen möchte, ist bereits organisiert. Nur durch den entschlossenen Kampf gegen diese Agenten der Bourgeoisie und für ein sozialistisches Programm kann verhindert werden, dass die SP bei einem neuen Kriseneinbruch den letzten Rest an proletarischer Unterstützung einbüsst.
Wir leben in einer Zeit, in der der Ruf nach «System Change» zur Forderung einer Massenbewegung geworden ist. Noch nie war weltweit so offensichtlich wie heute, dass die Überwindung des Kapitalismus eine notwendige Bedingung geworden ist, um die dringendsten Probleme der Menschheit zu lösen. Gleichzeitig hatten die traditionellen linken Parteien noch nie eine solche Angst, diese einfache Wahrheit auszusprechen. Dabei ist diese ehrliche Aussage nicht nur dringend notwendig, weil sie wahr ist. Sie würde in der heutigen Situation vor allem auch in der Schweiz ZuhörerInnen finden!
Bereits heute hat ein beträchtlicher Sektor der Arbeiterklasse und der Jugend die traditionellen linken Organisationen links überholt. Wie wir im Klimastreik sehen, entwickelt sich ihre Suche nach Antworten vielfach bereits ansatzweise in Richtung revolutionärer Positionen. Doch dort treffen sie in ihrer Suche auf ein grosses Vakuum: Keine einzige Organisation von einer Grösse, die sie für die breiteren Massen überhaupt sichtbar und relevant macht, verteidigt ein revolutionäres Programm. Dieser Widerspruch ist der wichtigste Charakterzug der heutigen Situation.
Der nächste Kriseneinbruch wird zu aggressiveren Angriffen der Bourgeoisie auf die Arbeiterklasse führen. Das wird diese Spannung zwischen den lohnabhängigen und jugendlichen Massen in ihrer Suche nach Antworten und der Trägheit der traditionellen linken Organisationen noch vergrössern. Die Lohnabhängigen in der Schweiz werden solche Angriffe nicht ewig passiv hinnehmen, selbst wenn ihre traditionellen Organisationen nicht die Bedingungen schaffen, in denen der Widerstand organisiert werden könnte. Alle Zeichen deuten deshalb darauf hin, dass wir in Zukunft noch weitere und grössere Bewegungen erleben werden.
Jede neue Massenbewegung wird die Spannungen zwischen den Lohnabhängigen und ihren traditionellen reformistischen Organisationen noch vergrössern. Auf diese Situation müssen wir uns vorbereiten. Denn damit wird ein politischer Differenzierungsprozess angestossen, in den wir eingreifen müssen und in dem marxistische Positionen auf offene Ohren stossen werden. Es sind die marxistischen Ideen, die den Bewegungen der Lohnabhängigen die Antworten bieten können, wie ihr Kampf siegreich sein kann. Doch von selbst geschieht das nicht: Wir müssen in der Lage sein, das revolutionäre Programm offensiv zu verteidigen. Wir müssen aufzeigen können, dass der Erfolg jedes Kampfes davon abhängt, ob er als Kampf gegen den Kapitalismus geführt wird. Wir müssen erklären und betonen, dass es die Arbeiterklasse selbst ist, die die Macht hat, diesen Kampf erfolgreich zu führen und die Gesellschaft nach den Bedürfnissen der Menschheit einzurichten.
Doch die Kräfte, die sich heute auf den Marxismus berufen, sind viel zu klein und haben noch nicht die notwendige Verankerung in der Klasse, um diese Aufgabe erfolgreich zu meistern. Es ist deshalb heute unsere dringendste Aufgabe, eine Organisation aufzubauen, welche standfest genug ist, um in den turbulenten Zeiten, die vor uns stehen, die Überlegenheit der marxistischen Ideen zu beweisen. Es liegt an uns, in den Bewegungen die fortschrittlichsten, radikalsten Jugendlichen, Arbeiter und Arbeiterinnen vom gemeinsamen Kampf für die Revolution zu überzeugen.
Bern, 8.12.2019
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