Der 14. Juni war der kraftvollste und bewegendste politische Tag für eine ganze Generation. Doch wir alle wissen genau: Die Frauenunterdrückung wird nicht durch einen Aktionstag abgeschafft.

Die massive Mobilisierung am Frauenstreik hat kurzzeitig viel Druck auf die herrschende, unterdrückerische Ordnung aufgebaut. Dies sehen wir daran, dass sich das Parlament gezwungen sah, darauf zu antworten. Am 19. Juni führt das Parlament «Geschlechter-Richtwerte» in Verwaltungsräten ein. Doch damit machen sie sich über die hunderttausende lohnabhängige und lernende Frauen auf den Strassen lustig, von denen kaum ein Bruchteil jemals in die Nähe eines Verwaltungsrates kommen wird.

Dass dieser «Richtwert» nicht einmal bindend ist, zeigt deutlich, dass diese Herren und Damen im Parlament den allermeisten Frauen nichts zu bieten haben. Gleichzeitig schreiten die Bürgerlichen (gemeinsam mit SP-Bundesrat Berset) mit ihren Angriffen voran, als wäre nichts gewesen und wollen das Rentenalter der Frauen erhöhen.

SP will 500’000 nach Hause schicken

Die Gewerkschaften und die SP haben hingegen verschiedene durchaus korrekte Forderungen aufgestellt. Sie fordern Lohngleichheit, Arbeitszeitreduktion oder den Ausbau der Kinderbetreuung. Die SP will eine der Forderungen als Initiativprojekt lancieren. Die Gewerkschaften schauen auf die nächste Lohnrunde. Diese Organisationen benutzen die 500’000 Menschen auf der Strasse als simple Mobilisierungsmasse, um ihre eigene Verhandlungsposition im Parlament und in den Lohnverhandlungen zu stärken. Die SP sagt den kämpfenden Menschen vom 14. Juni eigentlich, sie sollen nach Hause gehen und jetzt mal ein paar Jahre auf die Initiative warten, und danach nochmals einige Jahrzehnte bis zu deren eventueller Umsetzung!

Die Gewerkschaften standen am Ursprung des Frauenstreiks, haben aber eine historische Chance verpasst, die Kampagne zu nutzen, um sich insbesondere in den typischen Frauenberufen zu verankern. Nach dem 14. Juni haben sie keinerlei Kampfmassnahmen angekündigt. Sie haben die Illusion, dass die symbolische Strahlkraft dieses Aktionstages genüge. Sie organisieren nicht die Lohnabhängigen im Kampf gegen die Patrons und für Lohngleichheit, sondern betteln einfach nur darum.

Wurde eine Alternative aufgebaut?

Die Führungen der SP und der Gewerkschaften bieten keine Antworten, und das seit Jahrzehnten. Für die OrganisatorInnen des Frauenstreiks war dies der Grund gewesen, den Frauenstreik ausserhalb der Gewerkschaften zu organisieren. Sie organisierten sich in dezentralen, horizontalen Komitees, die auf den 14. Juni hin mobilisierten. Konnte so eine echte Alternative zu den traditionellen Organisationen aufgebaut werden?

Der Frauenstreik wurde als einzelner Aktionstag organisiert. Dies bedeutet, dass nach diesem Aktionstag die Bewegung ein Ende nimmt, oder zumindest mal pausiert. Die Organisationsform des Frauenstreiks hat nun dazu geführt, dass der aufgebaute Druck somit rasant wieder abgeflaut ist. Dieses Abflauen hat es dem Parlament erlaubt, seine völlige Unfähigkeit, die Frauenunterdrückung zu bekämpfen, mit lächerlichen Scheinlösungen zu kaschieren. Und die Pause nach dem 14. Juni bot den traditionellen Organisationen den Raum, um ihre reformistische Stellvertreterpolitik auszubreiten.

Kraft und Solidarität der Massen

Mit symbolischen Aktionstagen wird eigentlich nur versucht, kurzzeitig Druck aufzubauen. So wird schlussendlich dem Parlament die Verantwortung übertragen, irgendetwas zu machen. Dass dies eine Illusion ist, wird nun mit Berset und dem «Geschlechter-Richtwert» einmal mehr klar. Nach dem 14. Juni sind wir wieder zurück auf Feld Eins.

Die gewählte Organisationsform war nicht in der Lage, den kämpfenden Frauen einen Weg aufzuzeigen, wie sie erfolgreich weiterkämpfen können. Anders gesagt: Wo sollen die hunderttausende Pflegerinnen, Schülerinnen, Verkäuferinnen, Sekretärinnen, usw. jetzt hin, um sich gegen Lohnungleichheit und Sexismus zu organisieren? Dafür bieten weder die Gewerkschaften noch die Frauenstreikkomitees – welche für den nächsten Aktionstag mobilisieren – eine Antwort.

In zahlreichen Artikeln haben wir aufgezeigt, dass Frauen in der Schweiz allen Grund haben, zu kämpfen. Dass der 14. Juni so überwältigend war, ist somit nicht dank dieser Organisationsmethoden, sondern viel eher trotz diesen, gelungen. Der Frauenstreik hätte zwingend dazu genutzt werden müssen, die Frauen und Männer gemeinsam am Arbeitsplatz längerfristig zu organisieren. Genau dies wäre dringend nötig, um gegen jene kämpfen zu können, die ein Interesse an Ausbeutung und Ungleichheit haben – die Bosse, die Reichen, die Kapitalisten.

Der 14. Juni 2019 hat den Kampf gegen das unterdrückerische System in der Schweiz auf eine neue Stufe gehoben. Wir haben alle am eigenen Leib gespürt, welche gewaltige Kraft und Solidarität entwickelt werden kann, wenn die Massen zusammen kämpfen. Doch dass der Frauenstreiktag ein solcher Erfolg war, heisst nicht, dass wir ihn nicht auch kritisch sehen dürfen und müssen. Denn nur so können wir lernen.

Dersu Heri
JUSO Genf