Beim neuen Elektro-GAV wird das zwiespältige Verhältnis der Gewerkschaften zur eigenen Basis besonders deutlich. Die Verhandlungen wirbelten Staub auf. Erstmals gab es sogar eine Mobilisierung auf der Strasse. Welches Fazit kann man aus dem Resultat und aus der Verhandlungsstrategie der Gewerkschaft Unia ziehen?

(C) Fotos: ZVG Unia Schweiz

Mit der heutigen Zustimmung von EIT.swiss, dem Verband der Patrons der Elektrobranche, enden die Verhandlungen für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für das Elektrogewerbe. Die GAV-Kampagne zeigte das grosse Potenzial, welches in der Radikalisierung und Mobilisierung der ArbeiterInnen im Gewerbe steckt. Die Gewerkschaften, allen voran die Unia wollten ernst machen. Doch steht die Bürokratie nicht nur sich selbst sondern auch den Werktätigen im Weg.

Es herrscht ein rauer Wind

Der steigende Zeit- und Leistungsdruck, die schlechten Löhne und der chronische Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften, kombiniert mit einer Berufslehre, welche in den 70er-Jahren stecken geblieben ist, führten in den vergangen Jahren zu wachsendem Unmut unter den ElektrikerInnen. Der Neuabschluss des LMV im Bauhauptgewerbe hinterliess auch seine Spuren in den Köpfen der ArbeiterInnen im Handwerk. 

Das Aufgleisen einer GAV-Kampagne mit der Neuschaffung von Branchen- und Betriebsgruppen, dem Sammeln von Forderungen und Petitionen konnten verliehen diesem Unmut einen Ausdruck. So erklärt sich der Erfolg der allerersten Demonstration der ElektrikerInnen im Frühling 2018 mit über 400 ElektrikerInnen auf der Strasse. Das zeigt, wie ernst es den Belegschaften ist und wie schnell sich eine Berufsgruppe aus der Passivität in den Klassenkampf bewegen kann. Infolgedessen waren die ersten Verhandlungserfolge wohl gerade der Überraschung der Bosse geschuldet: Der Verband der Schweizer Elektro-Installationsfirmen rechnete wohl nicht damit, dass der Ruf der Gewerkschaften auf ein so grosses Echo stösst, gerade in einer Branche ohne nennenswerte Gewerkschaftstradition. 

Die erste Nationale ElektrikerInnendemo in Zürich war ein Erfolg

Höhere Löhne bei steigendem Druck

Die Verhandlungsdelegation erreichte eine generelle Lohnerhöhung und eine stattliche Anhebung der Mindestlöhne. Ausserdem sind ab 2021 endlich auch die Lernenden dem GAV unterstellt, regionale Mindestlöhne und der Zugang zu den Berufsschulen für die Gewerkschaften sind der erste Ausdruck dieses Erfolgs.

Die Fortschritte sind beachtlich, gleichzeitig zeigt sich in den Verhandlungsresultaten aber auch, wie eng der Spielraum für Verbesserungen auf Basis der Sozialpartnerschaft ist. Während die Löhne zwar steigen, nimmt der Druck auf die ArbeiterInnen weiter zu. Die Zahl der möglichen Überstunden wird hochgeschraubt, die Spesenregelung verwässert und ein Karenztag soll die Angestellten bei Krankheit daran hindern, allzu schnell der Arbeit fernzubleiben. Hier zeigt sich: Auch in einer Branche die sich weitgehend von der Konkurrenz ausländischer Firmen abriegelt, muss die Produktivität gesteigert werden, um der fallenden Profitrate bei stetiger Konkurrenz und Preisdruck entgegenzuwirken. Die Bosse zahlen also zwar bald mehr Lohn, erhalten im gleichen Moment aber auch kräftige Hebel, um die Ausbeutung der Angestellten zu steigern.

Bilanz und Perspektiven

Was den GewerkschafterInnen unter dem Strich bleibt, ist ein Zuwachs an eigener Organisationsstärke und ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Doch gerade hier macht die Bürokratie der Basis einen Strich durch die Rechnung. Im Kanton Waadt, wie auch in der Ostschweiz, sorgten die Auseinandersetzungen zwischen Branchengruppen und Bürokratie zum Ausscheiden der jeweiligen Sekretäre. Die Gewerkschaftsführung will unter keinen Umständen die Kontrolle abgeben. In der Angst die eigene Stellung zu verschlechtern, greift der Apparat immer dann ein, wenn die neu aktivierte Basis spontane Initiative zeigt und sich nicht an Konventionen halten will. Firmenbosse öffentlich an den Pranger zu stellen oder die Sozialpartnerschaft an sich zu hinterfragen passt nicht in den Kampagnenplan und wird unterbunden.

Maurer – Elektriker: der gleiche Kampf! – Elektriker aus der Romandie. Foto: RM

Obwohl ständig von der Stärkung und dem Einbezug der Basis gesprochen wird, setzt die Unia voll und ganz auf Stellvertreterpolitik. Die Basis soll beim Aufbau der Organisation helfen, die Mitbestimmung bleibt aber weitgehend auf der Strecke und zeigt sich bestenfalls in vorgespurten Diskussionen und symbolischen Abstimmungen. Dabei bleiben die Fähigkeiten, das Potenzial und der Enthusiasmus der frisch gewonnenen KollegInnen weitgehend auf der Strecke. Wenn die Gewerkschaften aber kein Vertrauen in ihre Basis haben, kämpfen sie unter ihrer Gewichtsklasse. Es bleibt bei Gesten ohne wahre Auseinandersetzungen. Wenn man aber die ArbeiterInnen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen lässt, entsteht daraus nicht nur ein ganz neues Potenzial der Radikalisierung und Organisation, es erwächst darüber hinaus eine wirklich revolutionäre Perspektive.

Beat Schenk
Unia Jugend

Fotos © ZVG Unia