Humanitäre Hilfe für Menschen in Not und Elend: Die Ziele der NGOs klingen wie einfache Rezepte mit sofortiger Wirkung. Doch ihre Methoden zementieren genau jenes System, das Not und Elend überhaupt erst hervorbringt.
Jeder kennt es: Man will sich nur schnell einen Kaffee holen, da stehen sie mit einem perfekt eingeübten Grinsen und ihrem iPad in der Hand bereit und reden dir ins Gewissen. Nichtstaatliche Non-Profit-Organisationen (NGOs) wie «Amnesty International» oder «Save the Children» bieten simple Lösungsansätze zur vermeintlichen Weltverbesserung: Einen Kaffee weniger pro Tag, dafür ein Kinderleben retten. Doch die Realität stimmt skeptisch und zwar nicht nur wegen den horrenden CEO-Gehältern und den Missbrauchsvorfällen in vielen NGOs. Sondern wegen der Tatsache, dass trotz mittlerweile hunderttausenden aktiven NGOs Not und Menschenrechtsverletzungen anhalten. Der Verzicht auf den Kaffee ist nur zum Schein eine Lösung. Hinter dem Schein steckt System. NGOs arbeiten nicht in einem Vakuum: Sie erfüllen eine gesellschaftliche Rolle im Kapitalismus, der in gegensätzliche Klassen gespalten ist.
NGOs existieren in verschiedensten Formen seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Geburtsstunde von drei Viertel der heutigen NGOs folgt jedoch auf die Weltwirtschaftskrise der 1970er. Auf die Krise reagierten die KapitalistInnen mit der Niederschlagung revolutionärer Bewegungen, um dann weltweit in die Offensive gegen die Arbeiterklasse zu gehen. Ziel dieser sogenannten neoliberalen Politik war es, die Profitbedingungen zu verbessern.
Doch die harten Angriffe auf die Lebensbedingungen der ArbeiterInnen und armen BäuerInnen insbesondere in den unterdrückten Ländern waren bloss die eine Seite der Medaille. Die andere Seite bestand aus Rezepten, die diese Angriffe mehr oder weniger verdaulich machten, ohne das System und damit die Interessen der KapitalistInnen zu gefährden. Hier spielen diesen die NGOs in die Hände: Sie konzentrieren sich darauf, die schlimmsten Auswüchse ihrer Politik zu mildern, ohne diese grundsätzlich in Frage zu stellen. Sie sprangen dort mehr schlecht als recht in die Bresche, wo sich der Staat zurückzog und das Feld der «freien Marktwirtschaft» überliess.
Den von den imperialistischen Ländern abhängigen Staaten wurden im Zuge der neoliberalen Offensive sogenannte Strukturanpassungsprogramme aufgezwungen. Beispielsweise in Bolivien führten der internationale Währungsfond (IWF) und die Weltbank 1985 die New Economic Policy ein, um dem Land aus der Schuldenkrise zu «helfen». Die für die KapitalistInnen in der Krise notwendige härtere Ausbeutung der ArbeiterInnen bedeutete Privatisierungen des Service Public und Teilen der Industrie, was massive Verschlechterungen sozialstaatlicher Errungenschaften und Massenentlassungen zur Folge hatte. Die ArbeiterInnen antworteten mit 540 Streiks noch im selben Jahr und Generalstreiks, die das ganze Land lahmlegten. Um die Situation zu beruhigen, stellten der IWF und westliche Regierungen «Fonds zur Entwicklungshilfe» zur Verfügung. Die «grosszügigen» Hauptspender der meisten NGO-Projekte gegen Not und Elend waren dieselben, die Not und Elend überhaupt erst schufen.
Dass die allermeisten NGOs für die Finanzierung ihrer Projekte direkt von den Fonds der imperialistischen Staaten oder lokaler Regierungen abhängig sind, gibt ihnen klare Spielregeln vor: Wollen sie über ihre Rolle als billige Lückenbüsser für soziale Errungenschaften hinaus, bleibt die finanzielle Unterstützung des Kapitals aus; wollen sie ohne den aktiven Kampf der unterdrückten Klassen etwas erreichen, bleiben sie von den Almosen der KapitalistInnen abhängig. So fokussieren sich NGOs grösstenteils auf regionale und individuelle «Selbsthilfe»-Projekte wie Suppenküchen oder Kredite für Kleinstunternehmen.
Handle es sich um Nahrungsmittelversorgung in Krisengebieten, Flüchtlingshilfe oder einen aufgedeckten Korruptionsskandal: NGOs erreichen hier und da Verbesserungen für die Unterdrückten. Doch die Erfolge sind höchstens ein Tropfen auf den heissen Stein – und das ist kein Zufall. Die Beschränkung auf Symptombekämpfung ist nicht die Ursache der Limitiertheit von NGOs, sondern die Folge des eigentlichen Problems: Sie sind keine Organisationen der Arbeiterklasse. Genauso wenig, wie uns das «non governmental» im Name darüber hinwegtäuschen darf, dass diese Organisationen keineswegs unabhängig von Regierungen sind – genauso wenig darf uns ihr Gerede von «Selbsthilfe» glauben lassen, dass sie wirkliche, eigene Organisationen der Arbeiterklasse seien. Im Gegenteil: Wie das obige Beispiel von Bolivien zeigt, sind NGOs in vielen Fällen gerade ein Mittel, die ausgebeuteten Klassen in ihrem Kampf gegen den Imperialismus auszubremsen.
Es ist die Arbeiterklasse, die durch ihre Stellung in der Produktion die Macht hat, Verbesserungen der Lebensbedingungen im Interesse der Unterdrückten und entgegen demjenigen der herrschenden Klasse durchzudrücken. Dazu muss sie sich in Gewerkschaften und Parteien organisieren. NGOs sind aber auf der einen Seite durch ihre finanzielle Abhängigkeit verbandelt mit dem Kapital. Auf der anderen Seite – Kehrseite derselben Medaille – haben sie keine festen und schon gar nicht längerfristigen Wurzeln in der Arbeiterklasse. Selbst bei besten Vorsätzen einzelner AktivistInnen: Kann eine Organisation nicht auf die kämpfende Arbeiterklasse zählen, hat sie keinen Hebel für substantielle Verbesserungen. NGOs beschränken sich so, wohl oder übel, auf «Projekte», die den Rahmen des Kapitalismus als gegeben voraussetzen.
Doch dass die NGO-Methoden nur, aber doch immerhin zum Tropfen auf den heissen Stein führten, ist zu gelinde ausgedrückt: Sie hemmen die wirkliche Befreiung der Unterdrückten.
NGOs bieten technische und finanzielle Hilfe, um beispielsweise Flüchtlinge zu bergen oder Wasserversorgungen einzurichten, zeigen aber nicht auf, wieso Leute massenhaft fliehen müssen oder an Trinkwasserknappheit leiden. Sie bieten individuelle – scheinbare! – Lösungen für gesellschaftliche Probleme, die nur im Kampf Klasse gegen Klasse, einem politischen Kampf, gelöst werden können. Den Unterdrückten muss im gemeinsamen Kampf gegen die unmittelbaren widrigen Lebensbedingungen vorzu aufgezeigt werden, dass nur der Umsturz des kapitalistischen Systems die Probleme lösen kann und dass nur die Arbeiterklasse selbst diesen Umsturz herbeiführen kann. Stattdessen gaukeln die NGOs den Unterdrückten individuelle, systemkonforme Massnahmen, wie ein Kleinkredit, als Lösung vor. Wer Selbsthilfe-Projekte als Lösungen verkauft, anstatt die Profiteure des Elends zu entlarven, trägt aktiv zur Entpolitisierung der Arbeiterklasse bei.
Doch nicht nur in den abhängigen Ländern, sondern auch in den imperialistischen «Zentren» hemmen die NGOs die Organisierung der Lohnabhängigen. Sie reden uns ein mit Spenden unseren hinreichenden Beitrag zur Lösung der Probleme zu leisten. So halten sie hiesige Lohnabhängige davon ab, sich politisch zu organisieren. Als MarxistInnen verstehen wir, dass kein «Kaffee weniger» den Aufbau einer internationalen revolutionären Partei der Arbeiterklasse ersetzen kann.
Anthea Nauer
JUSO Basel-Stadt
Bild: freepik.com, macrovector
Europa — von Emanuel Tomaselli, RKI Österreich — 16. 11. 2024
Berichte & Rezensionen — von Die Redaktion — 15. 11. 2024
Nordamerika — von der Redaktion — 13. 11. 2024
Europa — von Jack Halinski-Fitzpatrick, marxist.com — 11. 11. 2024